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Alles zur Perspektive

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Alina

Hallo zusammen,

Ganz neu hier im Forum und ich komme gleich mit einer Frage. Ich hoffe, ich bin hier in diesem Thread richtig  :).
Ich plotte gerade an meinem Romanprojekt herum. In einem von zwei Handlungssträngen habe ich einen - ich nenne ihn mal Protagonisten - der ziemlich unsympathisch ist.  Er ist sehr egoistisch und kann schon mal skrupellos werden. Er spielt eine sehr wichtige Rolle, und er ist nicht der Antagonist.

Ich habe schon die eine oder andere Szene geschrieben und bin dabei auf folgende Schwierigkeiten gestoßen:

- Es fällt mir gar nicht so leicht, den Prota als unsympathisch darzustellen, wenn ich aus seiner Perspektive schreibe. Es ist viel schwieriger, als ich gedacht habe. Er kommt einfach nicht so fies rüber, wie ich das möchte.

- Gleichzeitig habe ich Sorge, dass es auf den Leser abschreckend wirkt, wenn die Person, aus deren Perspektive erzählt wird, sich regelmäßig danebenbenimmt. Man identifiziert sich ja tendenziell mit der Figur, aus deren Sichtweise erzählt wird. Und wenn diese Figur einen zweifelhaften Charakter hat, besteht da nicht die Gefahr, dass der Leser sich distanziert?

Hat jemand von euch schon mal so eine Situation gehabt, d.h. einen unsympathischen Protagonisten?  Wie seid ihr damit umgegangen?

Nach längerem Hin und Her habe ich überlegt, einen zweiten Prota zu erschaffen und ihn Prota Nummer 1 an die Seite zu stellen. Der Prota Nummer 2 hat dann natürlich eine eigene Vergangenheit und eigene Ziele (die völlig anders sind). Das macht die Story komplizierter, aber es ist noch im Rahmen. Dann wollte ich den Handlungsstrang soweit möglich aus Sicht von Prota 2 erzählen. (Wobei ich noch nicht weiß, ob ich damit auskomme. Das muss ich nochmal sehen.)

Könnte meine Lösung funktionieren, was für Probleme könnten da auftreten?

Lothen

#436
Ich denke, du bist hier richtig. ;D Zum Verständnis: Wenn du Prota sagst, dann meinst du Pespektivträger, oder? Also die Person, aus deren Sicht du erzählst? Nur, dass ich hier keinen Blödsinn erzähle.

Erstmal: moralisch zweifelhafte Charaktere sind großartig und sicherlich kein Grund, dass du darauf verzichten musst. ;) Es gibt wahnsinnig viele Romane, in denen die Protas eher Antihelden sind oder auch mal über die Stränge schlagen, moralisch gesehen. Abercrombie oder die Dresden Files sind da gute Beispiele.

In sehe in unsympathischen Perspektivträgern daher überhaupt kein Problem, im Gegenteil, das kann ja gerade spannend sein, dieser Kontrast zwischen "wie nehme ich mich selbst wahr" und "wie nehmen andere mich wahr". Die meisten Unsympathen halten sich ja nicht selber für unsympathisch oder böse, sondern gehen einfach davon aus, dass die Gesellschaft mit ihnen nicht klar kommt, nicht kapiert, was eigentlich wichtig ist, ihnen ständig Steine in den Weg legt und so weiter.

ZitatUnd wenn diese Figur einen zweifelhaften Charakter hat, besteht da nicht die Gefahr, dass der Leser sich distanziert?
Die Gefahr besteht möglicherweise, aber auch das kann man wunderbar aushebeln, indem man auch den Unsympathen ein paar helle Spots gibt. Was treibt die Person an? Warum handelt sie so, wie sie handelt? Hat sie auch positive Seiten, die sie nur gut versteckt? Man wäre überrascht, wie schnell man Sympathie für ein Charakterschwein entwickeln kann. ;)

Trotzdem finde ich das Konzept mit zwei Perspektivträgern ganz gut, gerade um die Innen- und Außenansicht zu kontrastieren.

Tejoka

Eine interessante Frage.  ;D

Ich persönlich mag es als Leserin normal nicht, wenn ich einen PoV-Charakter vorgesetzt bekomme, den ich unsympathisch finde. Aber mir ist aufgefallen, dass das vor allem daran liegt, wie sehr ich seine Beweggründe nachvollziehen kann, auch wenn ich sie nicht gutheißen würde. Andererseits habe ich auch schon Bücher gelesen, in denen ich ganz normal mit einem Prota mitgefiebert habe, um später in einer Szene aus einer anderen Perspektive zu merken, wie unsympathisch er eigentlich ist. Von daher finde ich deine Idee, einen zweiten Perspektivträger als "Kontrastmittel" zu nehmen, gut. Das kann der Geschichte wirklich Tiefe geben, denke ich.

Bei diesem Thema musste ich an etwas denken, das ich in einem Schreibratgeber gelesen habe. Ich weiß leider nicht mehr, welcher, oder wie es genau formuliert war. Es ging darum, dass unsympathische Charaktere etwas Besonderes sein und den Leser fesseln müssen.
Eine Faustregel, die ich mir daraus abgeleitet habe: Mein Prota muss sympathisch und/oder faszinierend sein - je weniger vom einen, desto mehr vom anderen. ;)
Ich hoffe, das hilft dir ein bisschen weiter.

Lothen

Zitat von: Tejoka am 07. Juni 2017, 12:13:43Eine Faustregel, die ich mir daraus abgeleitet habe: Mein Prota muss sympathisch und/oder faszinierend sein - je weniger vom einen, desto mehr vom anderen.
Das klingt nach einer vernünftigen Faustregel.  :jau:

Allerdings ist "Sympathie" halt auch schwer zu verallgemeinern. Ich finde z.B. gerade die Typen total unsympathisch, die immer und überall everbodys's darling sind oder einfach alles können und in allem hervorstechen (*hust* Kvothe *hust*). Ein paar Fehler, Macken oder moralische Ungereimtheiten finde ich da sogar eher sympathisch. Aber das führt jetzt ein bisschen vom Thema weg.

HauntingWitch

Hallo Alina

Du bist hier vollkommen richtig.  :)

Zitat von: Alina am 07. Juni 2017, 10:52:36
- Es fällt mir gar nicht so leicht, den Prota als unsympathisch darzustellen, wenn ich aus seiner Perspektive schreibe. Es ist viel schwieriger, als ich gedacht habe. Er kommt einfach nicht so fies rüber, wie ich das möchte.

Mit diesem Problem kämpfe ich zurzeit auch. Was mir hilft: Perspektive wechseln. Das muss am Ende nicht im Buch stehen, aber wenn ich z.B. einen anderen Charakter nehme, der den Prota ganz furchtbar findet und ein paar Worte aus dessen Sicht schreibe, also den Prota aus dessen Perspektive betrachte, bekomme ich dadurch einen besseren Aussenblick auf den Prota. Danach fällt es mir leichter, auch in der Perspektive des Prota die unsympathischen Züge zu zeigen. So oder so wird man als Leser eine gewisse Verbindung zum Protagonisten aufbauen, einfach, weil man in seinen Kopf sieht. Niemand ist ja nur fies, jeder hat auch seine positiven oder verletzlichen Seiten.

Zu deiner zweiten Frage, haben wir schon ein paar Threads. Zum Beispiel dieser hier: Wie mache ich den Mistkerl sympathisch?
oder, etwas älter, dieser: Ein Held, der hält, was er verspricht...
Und dann gibt es noch einen über üble Typen im Allgemeinen: Eure Mistkerle. Das ist mehr ein Spass-Thread, aber auch ganz nützlich.

HauntingWitch

#440
Zitat von: Lothen am 07. Juni 2017, 12:19:08
Allerdings ist "Sympathie" halt auch schwer zu verallgemeinern. Ich finde z.B. gerade die Typen total unsympathisch, die immer und überall everbodys's darling sind oder einfach alles können und in allem hervorstechen (*hust* Kvothe *hust*).

Wobei, wobei... Kvothe ist ja arrogant, von dem her...  ;D Aber ich weiss, was du meinst. Geht mir genauso. Ich habe sogar festgestellt, dass ich offenbar meistens Charaktere sympathisch finde, die viele andere unsympathisch (oder arrogant oder beides) finden.  :hmmm:

Edit: Sorry für den Doppelpost, das war keine Absicht. Ich dachte jetzt irgendwie, Lothens zweiter Beitrag sei nach meinem... Pfannt mich.

Churke

Zitat von: Alina am 07. Juni 2017, 10:52:36
Hat jemand von euch schon mal so eine Situation gehabt, d.h. einen unsympathischen Protagonisten?  Wie seid ihr damit umgegangen?

Die Lektorin hat meinem letzten Protagonisten bescheinigt, ein ,,Arsch" zu sein.
Und die Kriegsberichtvolontärin bezeichnete sie als ,,kleines Dummchen".
Über beides muss sie sich so geärgert haben, dass sie die Satire komplett überlas.

Ironischerweise lautet ein Thema des Romans "perception is reality", die Manipulation von Wahrnehmung. Ich habe das so umgesetzt, dass die Perspektivträger Zerrbilder der tatsächlichen Handlung vermitteln.
Plattes Beispiele: Eine Figur werde vom POV als "Nazi" bezeichnet. In der Folge hält der Leser die Figur für einen Nazi, obwohl sie sich in keinster Weise wie ein Nazi verhält. Die Behauptung des POVs wird für den Leser zur Tatsache.
Genauso ist es auch mit dem "Dummchen".
Dass sich die Lektorin derart manipulieren ließ, finde ich bei aller Frustration ziemlich faszinierend.  8)

So steuert der Autor das Bild, das sich der Leser von der Figur macht. Wenn der Leser den Protagonisten unsympathisch findet, würde ich die Darstellung der Figur überarbeiten. Du kannst aus einem Scheißer einen Sympathieträger machen, wenn du aufhörst, ehrlich sein zu wollen. Und: Wenn du ein Problem mit einer Figur hast, löst du das Problem nicht, indem du eine andere Figur einführst.

Alina

Vielen Dank für eure vielen Antworten!  :)
Zitat
Wenn du Prota sagst, dann meinst du Pespektivträger, oder?
Ursprünglich hatte ich das so geplant. Aber nach den Schwierigkeiten die ich oben geschildert habe, hatte ich überlegt, ob ich die Geschichte von diesem Typen ganz oder teilweise aus einer anderen Perspektive erzähle.

ZitatEine Faustregel, die ich mir daraus abgeleitet habe: Mein Prota muss sympathisch und/oder faszinierend sein - je weniger vom einen, desto mehr vom anderen.
Hört sich nach einer guten Regel an! Muss ich mal drüber nachdenken. Ich glaube schon, dass der Charakter interessant ist.

ZitatDas muss am Ende nicht im Buch stehen, aber wenn ich z.B. einen anderen Charakter nehme, der den Prota ganz furchtbar findet und ein paar Worte aus dessen Sicht schreibe, also den Prota aus dessen Perspektive betrachte, bekomme ich dadurch einen besseren Außenblick auf den Prota.
Das ist auf jeden Fall ein guter Tipp! Werde ich mal ausprobieren.

ZitatDie Lektorin hat meinem letzten Protagonisten bescheinigt, ein ,,Arsch" zu sein
Das ist ein bisschen das, was ich bei mir befürchte. Mein Prota kann auch wirklich ein A... sein. 

Und ich bin mir nicht so sicher, ob ich den Typen so darstellen will, dass er dem Leser sympathischer wird  ???. Er hat natürlich schon Gründe, warum er so geworden ist (Kindheit), und ja, er hat auch positive Seiten. Aber hier benimmt er sich erstmal ziemlich daneben, und das soll auch deutlich werden. :hmmm:
Deshalb hatte ich eben überlegt, einen Sympathieträger zu nehmen (Prota 2), und Teile des Handlungsstrangs – oder die ganze Geschichte - aus dessen Sicht zu erzählen. Prota 2 hat ziemlich unter Prota 1 zu leiden, da kann man dann auch gut herausstellen, dass Prota 1 unsympathisch ist.

Nach eurem Feedback tendiere ich im Moment dazu, den Handlungsstrang aus beiden Perspektiven zu erzählen, also manche Szenen aus der Sicht von Nummer zwei, und ein paar Szenen aus der Sicht von Nummer eins.

Dämmerungshexe

Eine andere Möglichkeit um eine unsympatische Figur dem Leser näher zu bringen wäre, sie eine Entwicklung durchmachen zu lassen - eine "Leuterung" sozusagen. Falls das im Rahmen deiner Handlung möglich bzw. gewünscht ist.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

canis lupus niger

Zitat von: Alina am 07. Juni 2017, 16:18:22
ZitatDie Lektorin hat meinem letzten Protagonisten bescheinigt, ein ,,Arsch" zu sein
Das ist ein bisschen das, was ich bei mir befürchte. Mein Prota kann auch wirklich ein A... sein. 

Auch ein Arsch kann als Antiheld durchaus Prota sein. Antihelden sind im Moment sehr angesagt. Wichtig finde ich in dem Zusammenhang, dass sein Handeln trotz aller "Arschigkeit"  (;D) nachvollziehbar ist, und das geht, wie @Dämmerungshexe schon geschrieben hat, sehr gut über die Darstellung der Charakterentwicklung.

Fledermaus

Hallo Alina! Oh, dazu ist mir tatsächlich was eingefallen! Darf ich? :D (Huch, mein erster Post außerhalb des Willkommensboards :o)

Also wenn ich das richtig verstanden habe, willst du zwar aus der Perspektive eines tatsächlichen, waschechten Fieslings erzählen, es soll den Leser aber nicht abschrecken. Ich habe vielleicht eine Idee, wie du das lösen könntest.

Würde es eventuell funktionieren, dem Charakter eine Art zynische Selbstreflexion mit auf den Weg zu geben? Sprich, er weiß genau, wie unsympatisch er rüberkommt und denkt auch immer wieder darüber nach. Das muss dann nicht unbedingt zu einer "Läuterung" führen, aber du könntest so dann einen inneren Konflikt mit reinbringen - also dass der Charakter zwar eine gewisse Form von Selbstverachtung ob seiner falschen Handlungen entwickelt, aber durch seinen lange gepflegten Zynismus nichts daran ändern kann/will. Vielleicht schreckt es dann Leser nicht so ab, weil sie das Gefühl kriegen, dass der Charakter sich selbst sowieso am meisten hasst und selbst sein schlimmster Feind ist. Ich hoffe, ich habe das halbwegs verständlich rübergebracht.

Ein Beispiel (blödes Beispiel, aber mir fällt gerade nichts besseres ein) für so eine zynische und am Ende unproduktive "Selbstreflexion" könnte dann etwa so aussehen: "Warum habe ich gerade diesem kleinen Mädchen ein Bein gestellt? Ach ja, weil ich ein durch und durch verkorkstes Individuum bin, das von seinen Eltern niemals geliebt wurde. Hach, wirklich furchtbar tragisch, diese Geschichte. Aber so bin ich eben." (man stelle sich eine "Ich bin eben ein kaltschnäuziger Hund und moralisch komplett verdreht, komm drüber hinweg" - Stimme vor)

Ich glaube, wenn du so einen schwelenden inneren Konflikt des Charakters aufgrund seiner Taten bei ihm einbauen könntest, könnte er leichter interessant rüberkommen, obwohl er eben ein Fiesling bleibt. So auf die Art, dass der Leser nicht abgeschreckt wird, weil es eben auch interessant ist, mal das "zerrissene" Innenleben eines richtigen Fieslings mitzubekommen.

Ich hoffe, du weißt, wie ich das meine.

Liebe Grüße,
Fledermaus

Alina

@Dämmerungshexe und @canis lupus niger: Das mit der Entwicklung ist ein guter Vorschlag. Ich könnte mir schon vorstellen, dass mein Prota eine Wandlung durchmacht, zumindest in Massen. Es würde auch eigentlich ganz gut zu meinem Plot passen. Muss ich mir mal durch den Kopf gehen lassen.

@Fledermaus: Ich verstehe genau, was du meinst. Ich kann mir auch vorstellen, dass man auf diese Weise einen Fiesling an den Leser 'verkaufen' kann.
Zu meinem Charakter passt es aber nicht so gut. So, wie ich ihn jetzt geplant habe, ist er - zumindest zu Beginn - ziemlich von sich selbst überzeugt.  Selbstverachtung und Selbsthass kennt der Typ glaube ich nicht. Aber die Idee gefällt mir gut :)

Churke

Zitat von: Alina am 07. Juni 2017, 16:18:22
Aber hier benimmt er sich erstmal ziemlich daneben, und das soll auch deutlich werden. :hmmm:

Möglicherweise liegt hier das Problem. Menschen meinen typischerweise, dass sie recht haben. Für einen POV, der sich daneben benimmt, sind die anderen Idioten (wenn er verliert) oder selber schuld (wenn er gewinnt).
Plastisch: Er stellt dem kleinen Mädchen ein Bein, weil es ein rotzfreche Göre ist, die nur klauen will.
Der Autor kann das Tun des POVs auch positiv darstellen, um Sympathien zu wecken. Nimm Goebbels: Wenn man ihn nach seinen Tagebüchern beurteilt, ist das ein netter Typ.

Trippelschritt

Selbstverständlich kann man einen Protagonisten wählen, der ein Antiheld (schwach, böse, arrogant) ist. Aber erstens ist es gefährlich und zweitens muss man wissen, wie Figurenidentifikation funktioniert.

Gefährlich: Ich erinnere mich an eine Kurzgeschichte mit Erotik von mir, die von einer guten Freundin als Männertraum etikettiert wurde. Sie hat völlig überlesen, dass der Mann von vorne bis hinten als armes Würstchen benutzt wurde. Glücklicherweise war sie die Ausnahme. Aber sie ist meine beste und schärfste Betaleserin. Und dann so etwas. Man kann also leicht einen falschen Knopf drücken, ohne dass man das vorhatte.

Schwierig: Der Antiheld muss dem Leser etwas anbieten, was ihn fesselt und bis zu einem gewissen Grad auch Verständnis entwickeln lässt. Das ist schwierig, weil man einen großen Bogen um Klischees machen muss. Schlimme Kindheit ist keine Allerweltentschuldigung. Und "was erwartet ihr denn von einem, der mit einem Holzbein geboren wurde" ist so abgelutscht, dass es als Holzbein-Spiel bereits ein Standardbeispiel in der Psychologie ist (z.B. Eric Berne).

Aber man kann es machen. Mit der Perspektive hat es wenig zu tun. Ich-Perspektive (pov) ist allerdings besonders schwierig, weil man da die Figur besonders gut kennen muss. Er/sie-Perspektive ist allerdings kein Problem und hat nichts mit Protagonist oder Antagonist zu tun. Das ist ein anderes Thema.

Nur Mut
Trippelschritt

canis lupus niger

#449
Ich finde abweichend von Dir, @Trippelschritt, dass man das aus der Ichperspektive besonders gut darstellen kann. Durch die Innenschau kann der Leser unmittelbar am persönlichen Wertesystem des Prota teilhaben, ohne dass der Autor erst umständlich den persönlichen Werdegang schildert, der den Prota zu dem gemacht hat, was er ist. Er ist halt so wie er ist, nämlich ein A**** und steht dazu. Er stellt dem kleinen Mädchen ein Bein, weil er es für eine lästige kleine Kröte hält und es dafür bestrafen will, denn es hat schon die ganze Zeit mit schriller Stimme rumgekreischt und ihm dadurch seine Mittagspause verdorben. Der Leser nimmt durch die Augen und Ohren des Prota, gefiltert durch dessen Gehirn, die Welt so wahr, wie dieser sie selber sieht.

Ähnlich wie der viel zitierte Loki aus den Thor- und Avengers-Verfilmungen kann er trotzdem einen großen Fankreis gewinnen. Ein Antiheld handelt so "arschig", wie mancher Leser das vielleicht auch gerne mal tun würde.

Ein anderes Beispiel aus der ersten Folge der ersten Staffel von "Luzifer" (wenn auch nicht in Ich-Perspektive): Die Polizistin, zukünftige Partnerin Luzifers nimmt ihn notgedrungen mit zur Schule ihrer Tochter. Während die Mutter mit der Schulleiterin redet, lernt Luzifer das kleine Mädchen kennen. Er mag keine Kinder.
"Wie heißt du?"
"Ich heiße Luzifer."
"Wie der Teufel?"
"Genau."
"Ich heiße Teresa, aber Mami nennt mich Trixi."
"Trixi ist ein Nuttenname!"
Mutter kommt
"Mami, was ist eine Nutte?"
"Frag deinen Vater!"
In dem Moment ist der Prota ziemlich arschig für meinen Geschmack. Trotzdem muss man diesen absolut ungenierten A**** einfach gern haben.

Leb doch einfach mal alle Schlechtigkeit aus, @Alina, die Du in Dir finden kannst. Lass Deinen PoV zynisch sein, menschenverachtend, lass ihn dreckig grinsen, wenn er dem kleinen Mädchen ein Bein gestellt hat, und es richtig fies hingefallen ist. Finde Spaß an dem, was der Mistkerl macht, dann findest Du auch Spaß an dem Mistkerl selber, was Dir hilft, ihn trotzdem sympathisch darstellen zu können.