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Alles zur Perspektive

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Faye

Danke für die vielen und ausführlichen Antworten! Das hat mir weitergeholfen,  werde es einfach mal probieren, weil es für mich Sinn macht.  Schauen wir mal,  was meine ersten Testleser dann dazu sagen.  :)

Nezumi

Hallo zusammen  :)

Ich hätte da auch eine kleine Frage und zwar habe ich vor Kurzem damit begonnen, den ersten Band meiner Urban-Fantasy-Reihe erneut zu überarbeiten. Die Rückmeldung einer meiner ersten Leser war dabei, dass er es schade fände, dass die ganze Geschichte nur aus der Perspektive (Ich-Perspektive) meiner Hauptfigur geschrieben sei. Da muss ich ihm recht geben - ich glaube, dass man aus der Geschichte wohl wirklich mehr herausbringen könnte, wenn man einige Perspektivwechsel einbaut. Jetzt will ich aber dennoch, dass meine Hauptfigur in der Ich-Perspektive bleibt. Meine bisherige Idee wäre folgende: Hauptfigur - Ich-Perspektive, alle anderen Nebenfiguren (bzw. Nebenhandlungen) in der Er-Perspektive und jeweils der Name der Figur unter dem Kapitelnamen, um sofort klar zu machen, um wen es sich handelt. Die Kapitel in der Er-Perspektive sollten dabei auch recht kurz bleiben, da ich den Fokus doch vor allem auf die Hauptfigur legen möchte.
So stell ich mir das etwa vor:

  • Kapitel 1: Ich-Perspektive, 5'000 Wörter
  • Kapitel 2: Er-Perspektive, 1'000 Wörter
  • Kapitel 3: Ich-Perspektive, 4'000 Wörter
  • ... etc.

Was denkt ihr? Würde euch das zu sehr aus dem Lesefluss reissen?

Eure Nezumi

Lothen

#422
Hm, solche Perspektivwechsel sind immer schwierig, vor allem, wenn sie nicht ausgewogen sind. Es könnte leicht der Eindruck entstehen, dass du die Er-Perspektive nur einfließen lässt, um Infos loszuwerden, und so was gefällt mir immer weniger. Ich will schon das Gefühl haben, dass alle Perspektiven für sich genommen ihre Daseins-Berechtigung haben und die Perspektivträger spannende Persönlichkeiten sind und nicht nur "Zuträger" für die Hauptperson.

Ich würde ggf. noch eine zweite oder dritte Meinung einholen, ehe du dein System komplett veränderst. Vielleicht gibt es ja die eine oder andere Möglichkeit, die Tiefe, die du durch den Perspektivwechsel erreichen möchtest, auch beim Ich-Erzähler zu erzielen?

Prinzipiell ist dein Anliegen aber sicher legitim, es gibt immer wieder Bücher, in denen die Perspektiven gemischt werden, darüber haben wir ja im Thread schon mehrmals gesprochen. Ich finde nur, die Gewichtung muss stimmen. Dabei ist es dann auch egal, ob man Ich-Erzähler und dritte Person mischt oder verschiedene Perspektivträger in einer der beiden Versionen (also mehrere Ich-Erzähler, z.B.).

HauntingWitch

Habe ich bei meinem aktuellen Roman auch gemacht, bisher sind die Rückmeldungen gut. Da würde ich gar nicht so viel überlegen, sondern einfach ausprobieren. Nur ein Punkt: Ich habe nur 3 Perspektiven (2x dritte Person, 1x erste Person), die sich abwechseln, plus zwei-drei Einschübe mit anderen, die aber sehr, sehr kurz sind. Ich würde einfach nicht zu viele Personen nehmen, weil man sich schlecht in die Einzelnen einfühlen kann, wenn die immer wieder wechseln. Aber bei ein paar wenigen, warum nicht?

Nezumi

Danke euch beiden für die Antworten.  :)
Ich glaube, ich werde jetzt mal ein paar Kapitel so schreiben und schauen, wie es klappt. Da geht wohl wirklich nichts über Ausprobieren...  :buch:

Nezumi

Serena Hirano

Hi Nezumi,

ich hab das auch mal gemacht ... schlichtweg, weil es sich besser angefühlt hat!  :jau:
Da kommt man dann ins Straucheln, weil man hört, Verlage mögen keine Ich-Perspektive oder weil irgendwo steht, dass ein Wechsel technisch unsauber ist. Theorien was man machen "soll" gibt es eh genug.
Fakt ist aber, wenn es zum Inhalt bzw. Ablauf und auch zu deinem Bauchgefühl passt, was deine Figuren angeht, dann ist es gut so. Man kann besser spielen, was das Inhalte Übermitteln angeht. Das empfand ich zumindest so. Ich schließe mich Lothen und Witch an, was das ausgewogene Lesen und Erleben angeht. Bei mir standen im Grunde zwei (bzw. ganz wenige) Personen im Mittelpunkt und ich habe nur meine Prota als Ich-Erzähler herumstolpern lassen. Bei zwanzig und dauerndem Wechsel wärs vielleicht a bissi übertrieben  :gähn:
Doch es geht nichts über Ausprobieren und dann beim Drüberlesen spontan entscheiden, ob es sich genau richtig oder eher holzig anfühlt. 

Trippelschritt

Ich wiederhole hier einmal, was ich schon früher gepostet habe, weil sich mir bei jeder Argumentation, die einen handwerkliche Aspekt zum Zentrum einer Überlegung macht, die die Geschichte betrifft, alle noch vorhandenen Haare sträuben. Eine Geschichte wird doch gelesen oder nicht gelesen, wenn sie gut, spannend, interessant etc. ist und nicht weil eine bestimmte Perspektive gewählt wird. Einer meiner Lieblingdautoren (Dick Francis) hat nur in der Ich-Perspektive geschrieben. Und alles Bestseller!

Die Ich-Perspektive hat andere Vorteil und andere Möglichkeiten als die Er-Perspektive. Und auch andere Nachteile. (s. Schreibratgeber von Orson Scott Card) Es kommt also darauf an, was der Autor will und was er kann. Punkt.

Tatsache ist aber, dass sogenannte Experten lange behauptet haben, dass Ich-Perspektive und Er-Perspektive in einem Roman nicht ginge. Und dann kam Lian Hearn mit "Tales of the Otori" und machte es. Wurde auch ein Bestseller!

Alles geht, wenn es gut ist und die Geschichte was taugt. Und der Autor schreiben kann.

In diesem Sinne
Trippelschritt

Kadeius

Sehe ich absolut wie Trippelschritt.

Ich war auch lange Zeit Verfechter von auktorialer Erzählweise, aber ich habe gesehen, wie Joe Abercrombie Gedanken mitbeschreibt, die mittendrin in Ich-Perspektive gehalten sind und ich fand es hervorragend. Das ist einfach eine Frage der Umsetzung: Wenn ich auf die Idee komme und der Meinung bin, ich muss meine folgenden Gedanken in einer bestimmten Perspektive zu Papier bringen, dann mache ich das und wenn das ganze aus meiner Sicht stimmig ist, kann das nicht so furchtbar verkehrt sein.  :)

Dämmerungshexe

Mein Kopf werkelt mal wieder fleißig an völlig anderen Projekten herum, als er eigentlich sollte. Dabei ist er auf eines gestoßen, bei dem sich ein kleines Perspektiven-Problem ergeben könnte zu dem ich gerne mal ein paar Meinungen hören würde:

Es geht im zwei Ich-Perspektiven, wobei der eine POV ein Barde ist, der sozusagen den anderen POV interviewt. Da die beiden zusammen reisen würde sozusagen der Reisealltag und alles, was dabei passiert, aus Sicht des Barden erzählt werden. Dazwischen gibt es dann immer wieder Einschübe des anderen POV, der aus der Vergangenheit erzählt.

Zusätzliche Schwierigkeit wäre, dass an einem Punkt der Geschichte diese Einschübe dann aufhören würden und der Barde zum einzigen POV wird, der aber von da an eher auktorial erzählt was weiter geschieht.

Es klingt seltsam und ich weiß nicht, ob es funktionieren würde. Was meint ihr?
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Lothen

Sehe ich das richtig, dass der Barde trotzdem Ich-Erzähler bleibt, nur eben dann allwissender Ich-Erzähler? Das kommt mir wenig problematisch vor, vor allem wenn das Ganze den Beiklang einer Autobiographie hat.

Einen vollständigen Wechsel von personal (Ich) auf auktorial (dritte Person) fände ich dagegen schwierig. Man hat sich ja zu dem Zeitpunkt als Leser schon eng mit dem Charakter und seiner Erzählstimme angefreundet und ist in seine Gedankengänge und Emotionen eingetaucht. Da wieder rausgerissen zu werden fände ich schon extrem.

Dämmerungshexe

Der Barde wird von den Göttern sozusagen zu einem "Chronisten" - einem körperlosen Beobachter - gemacht, damit er den anderen POV auf seiner weiteren Reise in die Untwerwelt o.ä begleiten kann. Er bleibt dann eigentlich beim Ich und seinem Erzählton, wird aber eigentlich keine Ich-Erfahrungen mehr machen - nicht mehr selber handeln - dafür mehr Einblick in andere Personen haben. Wenn das halbwegs verständlich ist.  ;D
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Trippelschritt

Das mit den zwei Ich-Perspektiven ist möglich. Vor allem, wenn es sich um zwei Zeitfäden handelt. Ob das eine glückliche Lösung ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber warum nicht ausprobieren. Das andere Experiment würde ich hingegen nicht wagen. Als Leser würde ich dem Autor in dem Wechsel von personalem Ich-Erzähler zu auktorialem Ich-Erzähler nicht folgen. Aber vielleicht steht auch eine Begriffsverwirrung dahinter. Ein Chronist, egal ob körperlos oder nicht, muss keine auktoriale Perspektive vertreten. Im Gegenteil. Der Chronist ist nicht der Autor. Und das ganz bestimmt nicht, wenn er von den Göttern nur den Auftrag erhalten hat zu berichten. Es gibt also möglicherweise gar keine auktoriale Perspektive. Doch dann gäbe es auch keine Herumrutscherei in fremden Köpfen.

Ein Vorschlag: Vergiss einmal das Thema Persoektive und denk noch einmal darüber nach unter dem Stichpunkt Nähe und Distanz. Der Reisebegleiter hat Nähe, Der Chronist hat Abstand. Der Autor hätte extreme Nähe und absolut kein Schamgefühl. Was also möchtest Du. Wenn Du das weißt, dann kannst Du auch die richtige perspektive wählen. die ergibt sich dann von selbst.

Liebe Grüße
Trippelschritt

HauntingWitch

#432
Zitat von: Dämmerungshexe am 16. Mai 2017, 12:02:14
Es geht im zwei Ich-Perspektiven, wobei der eine POV ein Barde ist, der sozusagen den anderen POV interviewt. Da die beiden zusammen reisen würde sozusagen der Reisealltag und alles, was dabei passiert, aus Sicht des Barden erzählt werden. Dazwischen gibt es dann immer wieder Einschübe des anderen POV, der aus der Vergangenheit erzählt.

So etwas kann man gut machen, denke ich. Es wäre sicher wichtig, die beiden eindeutig voneinander abzugrenzen, so dass immer klar ist, wer gerade "spricht". Also z.B. ein Kapitel pro Person mit dem Namen der Person darüber oder durch eindeutig unterschiedliche Sprache (z.B., dass er eine total hochgestochen redet und der andere etwas vernuschelt).

Zitat von: Dämmerungshexe am 16. Mai 2017, 12:02:14Zusätzliche Schwierigkeit wäre, dass an einem Punkt der Geschichte diese Einschübe dann aufhören würden und der Barde zum einzigen POV wird, der aber von da an eher auktorial erzählt was weiter geschieht.

Da sehe ich eher ein Problem. Den Ich-Erzähler zeichnet ja aus, dass er eben gerade nicht alles weiss. Der Aukto weiss alles, das beisst sich irgendwie. Was man vielleicht machen könnte, wäre die Geschichte zu unterteilen. Im ersten Teil ist er ein Ich-Erzähler und im zweiten Teil ein Aukto, geschrieben in 3. Person. So wüsste man am Anfang vom zweiten Teil möglicherweise zuerst gar nicht, dass der Erzähler der Typ ist, durch dessen Augen man vorhin die Welt gesehen hat... Wäre mal interessant.  ;D

Edit: Oh sorry, deine Antwort an @Lothen ist mir entgangen. In diesem Fall halte ich es für möglich, finde aber auch hier, dass man das irgendwie klarstellen muss, damit es nicht irritierend wirkt.

Zit

Hm, selbst wenn der Barde zum Chronisten der Götter wird und als Geist über allem schwebt... Ich denke, wenn der Barde als Geist nach und nach seine neuen Fähigkeiten (Headhopping) kennen lernt, dann nimmt er den Leser bei der Entwicklung mit und ich denke nicht, dass die "plötzliche" Körperlosigkeit des Barden problematisch wird. Im Grunde ist das dann auch kein Perspektivwechsel, weil du immer noch in der, nunmehr weniger, eingeschränkten und getrübten Sicht des Barden bleibst.
(Zumindest gehe ich nicht davaon aus, dass er plötzlich wie ein auktorialer Erzähler über Zukunft und Vergangenheit, ähnlich einem Gott, allzeit alles weiß.)

Mich irritiert eher, dass die zweite Perspektive des Reisebegleiter wegfällt, es im zweiten Teil also keinen zweiten Handlungsstrang (die Rückblenden) mehr gibt. Stirbt der Begleiter?
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Dämmerungshexe

Zitat von: Zitkalasa am 16. Mai 2017, 16:30:13
Mich irritiert eher, dass die zweite Perspektive des Reisebegleiter wegfällt, es im zweiten Teil also keinen zweiten Handlungsstrang (die Rückblenden) mehr gibt. Stirbt der Begleiter?

Nein,der zweite POV interagiert aber nicht mehr mit dem Barden, wird nur noch beobachtet. Es wird auch nicht mehr aus der Vergangenheit berichtet, sondern die Reise geht sozusagen weiter. (Weil der Barde unbedingt wissen wollte, wie die Geschichte zu Ende geht, hat er sich bereit erklärt zum Chronisten zu werden.)
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