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Zeitgenössische Fantasy

Begonnen von Maja, 29. April 2006, 15:55:46

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Manja_Bindig

Oder meine Shia.
Die war malganz lieb und normal... bis dann gewisse Dinge geschahen, die sie wirklich zu der Überzeugung brachten, dass Menschen ausgerottet gehören - udn aus ihrer sicht ist das sehr verständlich. Aber deswegen ist sie wirklich von dieser Idee besessen - und schon haben wir den Salat.

Silvia

Stimmt. Es gibt nicht mehr so viel weiß-schwarz-Charas, es gibt viel mehr Grauschattierungen. Genau das, was ich interessant finde  :)

dreamhunter

Hi!

Da fällt mir auch noch was ein. Danke Manja für den Geistesblitz. ^^

Also, interessanterweise sind auch sogenannte Antihelden beliebt. Bei Anne Rice finden wir sie, schließlich töten die Vampire, auch wenn sie Menschen um selbst zu überleben töten. Hier ist auch keine genaue Grenze gesetzt, ob so ein Vampir nun "gut" oder "böse" ist.
Ich persönlich mag solche Antihelden. Irgendwas haben sie ja.
Auch würde ich mal sagen, dass es eine etwas neuere Erscheinung ist. Irre ich mich, so bitte ich um Verbesserung. ^^

lg dreamhunter

Maja

Ehe diese Diskussion abdriftet:
Es geht *nicht* um die Frage, ob Antihelden toll sind oder nicht. Sondern um die Suche nach dem, was zeitgrnössische Fantasy ausmacht. Und das sind nur bedingt Antihelden - denn in guten Fantasyromanen gab es schon immer und immer wieder Antihelden. Und der berühmteste von ihnen dürfte Bilbo Beutlin sein - wirklich kein Zeitgenosse.
Weitersuchen!
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Obrac

Bei Herr der Ringe finde ich sehr schade, dass das einzige, was den Charakteren ein wenig Tiefe oder überhaupt eigene Züge verleiht, der Einfluss des Ringes ist und dieser Umstand hat nicht wirklich viel mit der Natur des Charakters zu tun. Das ist eindeutig ein Versäumnis Tolkiens (und auch klassischer Fantasy im allgemeinen). Bei all dem kindlichen Staunen seiner Charaktere hat er ganz vergessen, ihre Motive, moralischen Sichtweisen und Schwächen zu schildern.

Linda

#20
Hallo,

um auch mal meinen Senf abzugeben.

Ich habe den Eindruck, dass es hier einige Missverständnisse gibt.  "Alte Fantasy hat keine richtigen Figuren, ist nicht richtig ausgearbeitet ... hat keine Charaktertiefe... " und was da noch mehr an Meinungen kam.
Meiner Ansicht nach sind Figuren in älteren Werken wie etwa dem Herrn der Ringe ebensogut charakterisiert wie in modernen. Aber -

der Leser muss mehr mitdenken und bekommt nicht alles auf dem Silbertablett serviert wie heute. Figuren werden heute in erster Linie durch Innensicht und erklärende Absätze gezeichnet, wozu auch die stark personale Perspektive beiträgt. Das mag man mögen oder nicht.

Werke, die mehr auktorial erzählt werden, charakterisieren die Figuren unter anderem durch ihre Handlungsweise. (Das ist gerade für jene interessant, die Leitsätze wie "show don't tell" als nützlich ansehen). Figuren werden indirekt beleuchtet und durch ihre Handlungen und Taten charakterisiert, nicht durch endlos erklärende Mono- oder Dialoge.

Und das ist nicht die schlechteste Methode, weil sie dem Leser ein eigenes Urteil erlaubt. Er muss sich nur mehr Mühe geben, zwischen den Zeilen lesen und auch Figurenkonstellationen deuten. Ob das nun die heutige von der früheren Fantasy unterscheidet, weiß ich nicht. Es war früher jedenfalls auch in anderen Gattungen üblicher, als Lesen noch inellektuelle Beschäftigung und nicht nur bloßer Zeitvertreib war.

So, das musste jetzt mal gesagt werden.

Und weg...

Linda

Obrac

ZitatWerke, die mehr auktorial erzählt werden, charakterisieren die Figuren unter anderem durch ihre Handlungsweise. (Das ist gerade für jene interessant, die Leitsätze wie "show don't tell" als nützlich ansehen). Figuren werden indirekt beleuchtet und durch ihre Handlungen und Taten charakterisiert, nicht durch endlos erklärende Mono- oder Dialoge.

Da bin ich anderer Ansicht. Gerade bei HdR gibt es lediglich Schwarze-Weiß Charaktere. Sei es der edle Frodo, der ein Martyrium auf sich nimmt, der heldenmutige Arragorn, der nichtmal den Hauch einer Schwäche offenbahrt.. usw. Das gleiche kann man auf jeden der "Gefährten" anwenden. Wie gesagt, ist es lediglich der Einfluß des Rings, der den Unterschied macht. Es gibt sonst keine Motive, denen die Charaktere folgen. Wer mir nicht zustimmt, von dem verlange ich, mit Gegenbeispielen zu kommen ;)
Was moderne Fantasy anbelangt, so sind es nicht nur die Gedanken der Charaktere, die etwas über sie verraten und wenn, dann ist das Ganze auch gerne mal so abstrakt, dass man als Leser wirklich analysieren muss, wie der jeweilige Charakter sich entwickelt. Ein Beispiel wäre das von mir genannte und seit gestern auch immernoch unerreichte "Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin. Was charakterliche Tiefe anbelangt, so kann der HdR und auch jede andere klassische Fantasy, die ich kenne, nicht einmal im Ansatz damit mithalten.

Linda

#22
Hi Obrac,

du willst also Beispiele. Kannst du gerne haben, allerdings werde ich das Thema danach nicht vertiefen. Mir geht es hier nicht um eine Runde HdR vs. LvFuE. (Sorry Maja, diese Abkürzungen müssen einfach sein.) Behalte du deinen G. R. R. Und lass mir meinen J. R. R!  ;)

Nur mal eine Frage vorweg, Obrac. Hast du den Film zuerst gesehen oder das Buch gelesen? Der Film polarisiert die Figuren nämlich deutlich stärker und zeichnet sie relativ eindimensional gegenüber dem Buch. Meiner Ansicht nach versperrt (und verfälscht) einem diese eingeengte Sichtweise dann auch den Zugang zum Roman.

Und noch mal ganz deutlich. Figuren sind Figuren und haben einen Zweck in einer fiktiven Geschichte. Sie sind keine Abbildungen von echten Menschen. Im literarischen Kontext können sie auf Archetypen beruhen, die wenn sie zu einseitig dargestellt werden, zum Klischee verkommen.
Die Figuren von Tolkien aber haben durchaus ihre Widersprüche und Schwächen. Und an denen setzt der Ring an, er schafft sie aber nicht, weshalb sie schon vor dem Ring da sein können.

  Es ist und bleibt allerdings immer noch eine Frage der Wahrnehmung, ob einem einleuchtet, was hinter den Figuren steckt.  Für mich ist das folgendes:

Frodo: ein Hobbit ist per se erst mal ein »Antiheld«. Untauglich erscheinend für Kampf und Entbehrung, mehr an den schönen und bequemen Seiten des Lebens interessiert, in einer kleinbürgerlichen Gesellschaft lebend.
Frodo löst sich aus den kleinbürgerlichen Ansichten und wächst über sein altes Leben (und letztlich sich selbst) hinaus. Mal abgesehen von der Geschichte mit dem Ring ist er bestimmt auch kein Heiliger. »Ach, hätte Bilbo ihn doch getötet«, sagt er sinngemäß über Gollum gegenüber Gandalf, der ihn erst daran erinnern muss, dass Mitleid Bilbos Hand aufgehalten hat. Am Ende unterliegt Frodo dem Ring und wird seinem eigenen Schatten Gollum gleich. Wieder kann er nur durch die Freundschaft eines der Gefährten gerettet werden wie zuvor schon einige Male.

Boromir tritt stolz und arrogant auf, noch bevor er mit dem Ring zu schaffen hat. Er überträgt diesen persönlichen Stolz auf Gondor und würde 'alles' tun, um Gondor wieder zu Ruhm und Größe zu verhelfen.

Gimli und Legolas müssen erst gegenseitige Vorurteile überwinden, ehe sie zu Freunden werden. Die beiden sind das Vorbild für sämtliche Elfen/Zwerge-Klischees und Streitereien, die vor allem im Rollenspiel-Kontext immer wieder hochkochen.

Gandalf irrt sich einige Male, schätzte Saruman falsch ein, fehlte vor den Toren von Moria. Er musste erst sterben und wiedergeboren werden, um zu voller Größe zu wachsen.

Aragorn bekommt seine Königswürde nicht nachgetragen, sondern muss sich seinem Schicksal stellen, und aus dem Verborgenen treten, indem er sie offen einfordert. Es ist sicher eine sehr romantische Vorstellung vom vorbestimmten König im Untergrund.
Aber hier geht es nicht um Monarchie, sondern um die Symbolik des (heiligen) Königs. Aragorn besitzt die volle Kraft des Königs erst nachdem er seine Zweifel überwunden hat.

Denethor ist ganz ohne den Einfluss des Ringes (wenn auch durch den des korrumpierten Wissens) gefallen.War er von Anfang an böse? Nein. Hat er nicht als Truchsess sein Leben lang solide Arbiet geleistet?

Saruman war einst der geachtete Anführer der Istari-Zauberer und stand für das Gute. Bis er sich wandelte.

Aber das sind nur oberflächlich einige Beispiele von vielen.

  Aber zweifellos sind die älteren Figuren wie Gandalf und Aragorn in ihrer Persönlichkeit schon relativ fertig und machen im Rahmen des Romams keine große Veränderung mehr durch (im Gegensatz zu bsp den Hobbits oder Eowyn).
Aber Tolkien wollte eine Mythologie für England erfinden (vergleichbar der Edda) und in Mythen sind die Helden (!) eben nicht Menschen wie die Nachbarn aus dem Reihenhaus, sondern im Zweifel Übermenschen.

Gruß,

Linda



Obrac

Zunächst einmal: Das Buch habe ich viele Jahre vor dem Film gelesen und der Film (den ich im Übrigen mißlungen finde) sollte auch nicht Maßstab für eine solche Diskussion sein.
Die Entwicklungen und Fehlbarkeiten, die du genannt hast, sind für mich absolute Standardkost der klassischen Fantasyliteratur. Der schüchterne Held wächst über sich hinaus. Elben und Zwerge raufen sich zusammen, der böse Regent, der von dunklen Mächten korrumpiert wird usw.. Die Charakterentwicklungen eines Frodo Beutlin sind in Komplexität und Tiefe wirklich nicht mit denen eines Jaime Lannister zu vergleichen, um nur ein Beispiel zu nennen. Dass jemand sich hin und wieder irrt oder die Fehlbarkeit von jemandem dargestellt wird, halte ich persönlich wirklich für keinen Geniestreich. Darum ging es Tolkien auch garnicht.. vielleicht konnte er es auch nicht besser, wer weiß. Jedenfalls gibt es da einen sehr sehr deutlichen Unterschied zu zeitgenössischen Werken.

Arielen

Als Zeitgenössisch sehe ich an, daß - um die Diskussion über HdR einzubinden - sich auch die Art verändert hat, Charaktere zu beschreiben.
J. R. R. Tolkien folgte im Herrn der Ringe einer ganz anderen Vorstellungswelt und lebte auch in einer Gesellschaft, in der noch alte Werte zählten. Seine Charaktere sind für seine Zeit nicht minder ausgefeilt, aber sie folgen anderen Regeln und Richtlinien als heute, wie Linda so ausführlich und schön ausführt. Sie sind auf eine "alte" Art menschlich, die wir heute nicht unbedingt immer richtig verstehen können und wollen. Tolkien packt die menschlichen Leidenschaften anders an als z. B. G.R.R. Martin. Aber Boromir ist nicht weniger ambivalent als moderne Helden. Man muß nur mehr zwischen den Zeilen lesen, denn gefühle besaßen damals noch nicht den heutigen Stellenwert, vor allem zeigte man sie nicht offen.
Ich denke mal, das macht die Klassiker der Fantasy so anders.


Heutige Fantasy spielt mit der Ambivalenz menschlichen Denkens und menschlicher Gefühle. Moderne Helden sind wesentlich emotionaler als die der vierziger und 50ger Jahre. Sarkastisch, ja manchmal zynisch gehen viele Autoren davon aus, daß auch der edelsten Held seine charakterlichen Schwächen hat, die nicht gerade angenehm sind und es wird und die Leidenschaften und Gefühle der Figuren werden viel emotionaler dargestellt. Weil auch unsere Gesellschaft Gefühle offener zeigt.
Und weil sich unsere Moralvorstellungen und Werte auch geändert haben, äußert sich das an den Büchern. Heutige Helden sind viel egozentrischer, das Wohl der Gemeinschaft ist nicht immer unbedingt das Wichtigste.
Alles liegt im Auge des Betrachters

Manja_Bindig

Arielen nimmt mir die Worte aus dem Mund...

Tolkien hat sicher tiefe Charaktere geschafft. Frodo zum Beispiel. Das Dumme ist, dass zumindest ich(ja, ich schieß mal wieder von mir auf andre...) eine Person(Buchfiguren sind für mich in dem Moment Personen) erst dann tiefer geht, wenn ich weiß wie sie in absoluter Verzweiflung handelt - sprich, ganz auf sich gestellt.
Und da war Tolkien ein lieber Autor, das hat er keinem angetan. Frodo hat Sam. Merry und Pippin haben sich. Aragorn hat Gimli und Legolas und seine Arwen. Gandalf hat sein Pflichtgefühl und die Tatsache, dass er seine Schützlinge wirklich sehr liebt(und ich sage, dass er sie liebt, ohne es in richtung slash zu meinen - ich werd normal, yuppheidie). Was Gimli hat, weiß ich nciht, aber er hat es. LEgolas... nun ja, er hat die Tatsache, dass er ein Elb ist  :P
Das hält sie aufrecht. Sie können sich daran festhalten.
Aber was, wenn man ihnen das alles vor ihren Augen wegnehmen und zerschlagen würde? Das sind Momente, wo man eine Figur wirklich ganz echt sieht(nur Verzweifelte tragen keine Maske). Und das ist etwas, was in der klassischen Fantasy selten kam... man hat den Figuren nie ALLES genommen. Dorf abgebrannt und so... gut. Aber sie hatten ihren Rachedurst und später hatten sie auch schnell jemanden gefunden.

Linda

Zitat von: Manja_Bindig am 04. Mai 2006, 16:33:28
Arielen nimmt mir die Worte aus dem Mund...

mir auch. Hast du schön gesagt, Christel.

ZitatTolkien hat sicher tiefe Charaktere geschafft. Frodo zum Beispiel. Das Dumme ist, dass zumindest ich(ja, ich schieß mal wieder von mir auf andre...) eine Person(Buchfiguren sind für mich in dem Moment Personen) erst dann tiefer geht, wenn ich weiß wie sie in absoluter Verzweiflung handelt - sprich, ganz auf sich gestellt.
Und da war Tolkien ein lieber Autor, das hat er keinem angetan. Frodo hat Sam. Merry und Pippin haben sich. Aragorn hat Gimli und Legolas und seine Arwen. Gandalf hat sein Pflichtgefühl und die Tatsache, dass er seine Schützlinge wirklich sehr liebt(und ich sage, dass er sie liebt, ohne es in richtung slash zu meinen - ich werd normal, yuppheidie). Was Gimli hat, weiß ich nciht, aber er hat es. LEgolas... nun ja, er hat die Tatsache, dass er ein Elb ist  :P
Das hält sie aufrecht. Sie können sich daran festhalten.
Aber was, wenn man ihnen das alles vor ihren Augen wegnehmen und zerschlagen würde? Das sind Momente, wo man eine Figur wirklich ganz echt sieht(nur Verzweifelte tragen keine Maske). Und das ist etwas, was in der klassischen Fantasy selten kam... man hat den Figuren nie ALLES genommen. Dorf abgebrannt und so... gut. Aber sie hatten ihren Rachedurst und später hatten sie auch schnell jemanden gefunden.

Das ist vielleicht der Unterschied zwischen uns, Manja, und der Unterschied in der Rezeption und Intention.

Wenn ich echt verzweifelte und verstörte Leute sehen will, schalte ich die Glotze bei einem Kriegsbericht ein. Das ist dann nämlich wirklich oft nackt und ungeschminkt. Realität. Individuen.

Wenn ich eine ergreifende Geschichte lesen will, greife ich zum Buch. Da finde ich das, was es in der Wirklichkeit eben nicht gibt. Verdichtetes Leben. (Stellvertreter)-Figuren

Ernst ist das Leben, heiter die Kunst.

In diesem Sinne,

viele Grüße,

Linda

Moni

@Linda und Arielen: habt ihr beide schön gesagt, da bleibt mir nur noch nickend zuzustimmen.

Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Maja

Auch, wenn ihr das schön gesagt habt, und auch, wenn es bedeutet, daß Linda nie eine Geschichte von mir mögen wird :( - was ist denn nun die Quintessenz der Post-Milenniums-Fantasy? Erzwungener Fotorealismus?
Ich mag es, wenn meine Helden genauso krank, schäbig und kaputt sind wie ich. Und empfinde das auch modern und zeitgenössisch. Aber im Unterschied zur Wirklichkeit, und zu dem, was man in der Tagesschau sieht, sehen meine Helden viel, viel besser aus. Darum schreibe ich ja Fantasy... :engel:
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Maja

Sorry, keine Ahnung, warum gier plötzlich dicht war. Danke für die Hinweise, jetzt sollte es wieder gehen!
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt