Ich frage mich, was der gute Klaus Kordon sagen würde, wenn man seinen Romanen ebenfalls „vorwerfen“ würde, Realitätsflucht zu sein(wer liest, befasst sich ja zumindest akut nicht mit dem, was um ihn herum geschieht.)
Oder was wäre, wenn man dieses Argument nutzt, um Shakespeares „Midsummernightdream“ zu verteufeln(mehr Fantasy als dort geht ja schon fast nicht mehr). Oder Goethes „Faust“. (Um mal von Kinder- und Jugendliteratur wegzugehen). Komischerweise ist das keine Realitätsflucht sondern hohe Kunst(was ich bei „Faust“ teilweise nicht so ganz nachvollziehen kann – aber ich bin ja auch Fantasyautor, ich stell mich ja erst recht nicht der Realität)
Was mich allerdings bei seiner aussage irritiert – er selbst ist Romanautor. Problem dabei ist, dass jeder roman eine Art der Fiktion und damit eine Form der Wirklichkeitsflucht ist. Dazu muss man keine fremden Welten erschaffen. Es braucht keine Hexen und Drachen, damit ein Roman non-real ist. Wie kann er da anderen autoren vorwerfen, absolute Realitätsflucht zu betreiben?
Es ist in den letzten Jahren eher so geworden, dass die Fantasy immer mehr ein spiegel der aktuellen Verhältnisse geworden ist. Man findet heut seltener als früher klare Schwarz-weiß-Schemen, dafür immer mehr Grautöne(in Form von nachvollziehbaren Antagonisten).
Und mal ganz ehrlich – egal ob in Deutschland, Amerika, Mittelerde oder Weiß der Fuchs wo – Menschen und eigentlich alles, was an Menschen angelehnt ist(Elfen und Zwerge – ne neue Psychologie für ein anderes Volk zu erfinden, die von der menschlichen komplett losgelöst ist – wer das schafft, bekommt von mir nen Orden) – sie agieren im Grunde immer ähnlich. Soll nicht heißen schablonenhaft oder dererlei – aber man erkennt vieles wieder, was einem täglich begegnet. Feigheit, Trotz, Frechheit, Stuköpfigkeit. Oder um mal fremdzuzitieren: „Es gibt keinen Unterschied. Menschen lachen, weinen, leben und sterben.“ Ein Autor, der einen Charakter nicht einigermaßen glaubhaft und rund darstellen kann, hat es nicht drauf, ob nun Fantasy oder nicht. Der Realismusgehalt der Fantasy kommt für mich sehr stark darüber hinein, wie die Charaktere gestaltet sind. Sind sie ausgearbeitet, haben sie Macken, etc. – Grundlagenhandwerkszeug JEDEN Autors. Und Charakter, die trotz all ihrer Liebenswürdigkeit einige Charakterschwächen haben, geben besonders gute Vorbilder ab – ich bring mal hier wieder Michael Ende an. Wie ist denn Bastian Balthasar Buchs so? Klein, dicklich, ängstlich und im Grunde war er auch relativ leicht zu korrumpieren. Und?
Ich schreibe Fantasy. Ich lese Fantasy.
Hätt ich zu meiner Schulzeit etwa nur über Mobbing und zwischenschülerische Dramen lesen und schreiben sollen, damit ich ja nicht meinem Alltag entfliehe und mich auch ja immer der Realität stelle? Psychologisch ist das Schwachsinn. Je schwieriger der alltag ist, desto wichtiger sind ja die kleinen Fluchten, die man sich schafft. Wer nicht ab und zu die Chance wahrnimmt, ganz woanders zu sein, geht irgendwann kaputt.
Das vielzitierte Hartz-IV-Kind kann gerne viel über Hartz-IV-Kinder lesen. Es erfährt wohl nix, was es nicht schon kennt(anders als bei Michael Ende. Da tun sich neue Welten auf.). Stattdessen wird es darin bestätigt, dass es in ner ziemlich vertrackten Lage ist. Und da Kinder sich da nur schlecht selbst raushelfen können – nun ja, Hoffnungslosigkeit und resignation sind nicht gerade das, was einer Kinderseele gut tut.
Ich würd den Herren mal gern selbst treffen... vielleicht sollte ich mal nach Berlin fahren. Mit harry Potter, Michael Ende und der „Erdsee“ im Gepäck.
Oder ich schone meine Nerven, spare Geld und Zeit – und lass es. Denn ausnahmsweise flüchte ich nicht in meine Fantasywelten und stelle mich der Realität – er würde nicht zuhören.