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Alles zur Perspektive

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Shedzyala

Ich habe einmal in einer Kurzgeschichte mit der Du-Perspektive experimentiert, weil ich es ausprobieren wollte. Die angesprochene Protagonistin war eine Geisterjägerin (als das Du), der eigentliche Erzähler ein Geist, der ihr folgt, von dem sie aber nichts weiß. Da hat es ganz gut funktioniert (laut meinen Testlesern), verkam auch nicht zum Autorenkommentar und ließ sich unglaublich flott runterschreiben. Noch einmal würde ich diese Perspektive aber trotzdem nicht wählen, weil es mir trotz allem Schreibspaß zu gewöhnungsbedürftig ist.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Sanjani

Hallo Araluen,

ich habe erst kürzlich ein Buch gelesen, in dem die Du-Perspektive verwendet wurde. Und zwar war es "Leichenblässe" von Simon Beckett. Ich möchte jetzt nicht zu viel verraten, nur so viel: Es wird nie ganz klar, wer angesprochen wird, aber ich habe es nicht als aufdringlich empfunden. Ich habe mich auch nicht direkt als Leser angesprochen gefühlt. Eher war es ein bisschen so, als würde der Perspektivträger mit sich selbst reden, war jedenfalls mein Eindruck. Ich war anfangs etwas skeptisch, habe aber schnell gemerkt, dass mir das richtig gut gefällt.

VG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Araluen

Danke Sanjani,
ich notier mir den Titel mal und schaue rein, wenn er mir in der Bücherei über den weg läuft.

zDatze

Ein wundervolles Buch, das auch einige (kurze) Du-Passagen hat, ist Der Nachtzirkus von Erin Morgenstern. Es wird aber nicht der Protagonist, sondern der Leser/die Leserin angesprochen. Ansonsten ist mir diese Perspektive auch nur in den schon erwähnten Abenteuerbüchern untergekommen.

Wolkentänzerin

Nachdem ich gerade einen sehr langen Beitrag getippt habe und nun mein Laptop abgestürzt ist, da die Batterieanzeige nicht funktioniert, werde ich mich diesmal kürzer fassen und nur meine eigentliche Frage schildern. Ich denke auf meine bisherigen Erfahrungen mit Perspektiven könnt ihr erst einmal verzichten oder ich reiche sie irgendwann mal später nach.

Im Moment schreibe ich in der ersten Person, das klappt auch so ganz gut und ist auch bestimmt die richtige Entscheidung, da so gut wie alles aus der Sicht der Protagonistin erzählt wird und ich streng personale Erzähler in der dritten Person, die nur eine Sicht wiedergeben, oft nicht mag.
Allerdings habe ich nun schon seit längerem das Bedürfnis, eine zweite Perspektive einzuführen. Diese soll allerdings nur ab und zu erscheinen, also wesentlich seltener als die Kapitel mit der ursprünglichen Perspektive. Die neue Perspektive soll eine streng personale Sicht in der dritten Person sein. Allerdings möchte ich den Namen der Person, aus der es erzählt wird, nicht nennen, da ich möchte, dass sie noch ein wenig geheim bleibt und der Leser erst nach und nach darauf kommt, wer es ist, da die Person (Person B einfachheitshalber genannt) zuvor auch schon in der ursprünglichen Perspektive vorgekommen ist.
Person C wird Person B begleiten. Person C kam in der Ich-Perspektive von Person A auch schon vor, hat da allerdings einen "besonderen" Namen und man kennt den eigentlichen Vornamen nicht. Dadurch kann ich Person C einfach bei ihrem Vornamen nennen und wird somit nicht von Anfang an enthüllt.
Wie stelle ich es jedoch mit Person B an? Ich kann ja nicht die ganze Zeit von Person B als "das Mädchen" schreiben. Ich habe zwar schon Bücher gelesen, wo das für einen kurzen Moment funktioniert (z.B. Skogland, ein Jugendbuch von Kirsten Boie, falls das jemand kennt), doch über mehrere Kapitel kommt es mir doch schwer vor, das durchzuhalten, vor allem da ich sowieso kein Fan von Bezeichnungen, wie "das  Mädchen" oder  "der Schmied" bin, solange es kein Statist ist. Ich möchte jedoch es unbedingt in der dritten Person schreiben um stilistisch es klar zu trennen und auch so etwas mal auszuprobieren.
Hat irgendjemand von euch Erfahrungen mit Experimenten dieser Art? Würde mich über eure Anregungen freuen. :)

Zit

Hm, du kannst auch einfach beim "sie" bleiben. Selbst wenn man Namen kennt, schreibt man ja nicht immer den Namen hin sondern wechselt auch mit dem Personalpronomen. (Eigentlich sehe ich Namen auch eher als Abwechslung zum Pronomen an.) Dann besteht nur die Schwierigkeit, dass du bei Überschneidungen mit anderen weiblichen Figuren oder im Plural (mehrere Personen) klar Aktionen vom Perspektiven-Sie zu den anderen sies trennen musst. Also idealerweise nicht eine Szene in einem Harem beschreiben. ;D (Oder du bezeichnest alle anderen Figuren dann immer nur mit Namen und Funktionen und behältst sie allein für die Perspektiven-Figur.)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Tigermöhre

Weiß Person C wer B ist? Und darf klar sein, dass Bs Namen nicht genannt wird?
Ansonsten könnte B sich mit einem anderen Namen bei C vorstellen. Oder B denkt sich, dass sie sich bei der Aktion X nennt.
Sie könnte auch einen längeren Namen, mit dem sie sich selber benennt, während A sie nur unter der Abkürzung kennt. Oder umgekehrt.

Araluen

#397
Oder C betitelt B immer mit einem Spitznamen, den dann auch der Erzähler verwendet.

Ich hatte es bisher einmal gehabt, dass ich eine Person nicht mit Namen nennen durfte - nein eigentlich waren es sogar zwei. Weder den Perspektivträger noch die Person, der sein Hauptinteresse galt, durfte ich beim Namen nennen. Da hatte ich öfter das Gefühl gehabt, einen Knoten ind en Fingern zu haben. Beim Perspektivträger war es noch recht einfach, da ich ihn als Ich-Erzähler hatte. Er braucht sich nicht selbst beim Namen nennen und andere nennen ihr Gegegenüber zum Glück auch nicht ständig beim Namen in Unterhaltungen (es geschieht ja nicht umsonst, dass man manche Leute seit Monaten kennt und sich gut mit ihnen versteht, aber nicht weiß, wie sie heißen). Seinen Love Interest aber nicht beim Namen zu nennen, war dann aber schon schwieriger. Ich hatte mir dann mit Umschreibungen, Sie und einem Spitznamen beholfen.

Wolkentänzerin

@Zikalasa Ja, an die Möglichkeit habe ich auch schon gedacht. Aber wie du schon angesprochen hast, es kann teilweise etwas kompliziert werden, da man andere Personen dann anders benennen müsste.

@Tigermöhre Das stellt sich leider als etwas schwierig heraus, da sich A und B sehr gut kennen, dann nur räumlich getrennt werden und dadurch nichts mehr über den aktuellen Aufenthaltsort des anderen wissen. C ist eine wichtige Bezugsperson von A und kennt dadurch auch B.

@Araluen Das wäre möglich, soweit ich denn einen weniger offensichtlicheren Spitznamen hätte, als den, den ihre sehr jungen Geschwister verwenden. Jedoch ist C eigentlich eine erwachsene Person und B erst 16 Jahre alt und ich somit nicht weiß, ob es nicht seltsam wirkt, wenn C einen Spitznamen für B hätte. Außerdem kennen sich C und B, wie schon erwähnt, nur durch A und hatten davor nur oberflächlich miteinander zu tun.

Araluen

Spitznamen sind eigentlich unabhängig vom Alter, wenn man so vorgestellt wurde und der Spitzname etabliert ist. Aber hier beginnt schon die Schwierigkeit in deiner Situation. Der Spitzname müsste etabliert sein und folglich würde ihn auch A kennen. Wie sonst hätte C davon erfahren? Schade, dass ich nicht helfen konnte. Da helfen dann wohl wirklich nur Sie und Umschreibungen.

Tigermöhre

Dann würde ich B einen Spitznamen/eine Abkürzung verpassen, mit der A von ihr redet/denkt. Und C spricht sie mit ihrem richtigen Namen an. Wenn der abgekürzte Name auch noch als offizieller Name gilt, fällt das auch nicht auf. Also sowas wie Lisa/Betty und Elisabeth.

Wolkentänzerin

@Araluen Trotzdem danke, für deinen Erfahrungsbericht und deine Hilfe. :)

@Tigermöhre Das muss ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen, denn das könnte sich als schwierig erweisen, da B zu Beginn wirklich viel vorkommt und auch von anderen Leuten mit ihrem Namen angesprochen wird, was sich teilweise auch nicht vermeiden lässt.

Trippelschritt

Ich sehe das Problem nicht so ganz. Das kann aber daran liegen, dass ich Bauchschreiber bin und meist in meinen Figuren denke. Wenn eine Person eine andere trifft und sie gehen ab dann gemeinsam, dann redet die eine Person doch ganz normal mit der anderen und verzichtet auf eine Anrede per Namen. Bleibt noch der narrative Teil, für den der Autor zuständig ist. Aber der Autor hat die zweite Person ja bereits irgendwie eingeführt, damit der Leser sich ein Bild machen kann. Für eine begrenzte Zeit geht es mit "die Fremde, der Mann unter der Kapuze, der Schmied" oder sonst so etwas.
Bevor das allerdings unerträglich wird, kann man einen Namen einführen. Welcher das ist, hängt davon ab, warum der wirkliche Name geheim bleiben soll. Was ich sagen möchte, ist, dass deine Geschichte die Antwort eigentlich bestimmt.

Liebe Grüße
trippelschritt

Wolkentänzerin

@Trippelschritt
Bei der Anrede habe ich auch keine Probleme, ich würde mich auch als Bauchschreiberin beschreiben, die gerade dabei ist, ein wenig zu ploten. Aber wie du schon erkannt hast, weiß ich nicht, wie ich als Autor die Person nennen soll, da ich es aus ihrer Perspektive schreiben möchte, jedoch aus stilistischen Mitteln nicht die erste Person benutzen möchte.
Der Grund, warum ich es nicht verraten möchte, ist eben, dass ich manche Dinge eben noch etwas offen lassen möchte. Die Protagonistin (Ich-Erzählerin) weiß nichts über den Verbleib der Person, auch wenn sie sich zu Beginn nicht wirklich Sorgen macht. Der Leser soll zuerst auch nichts wissen, jedoch sich nach einigen dieser Kapiteln aus der anderen Perspektive es sich selbst zusammen reimen und somit einen kleinen Wissensvorsprung vor der Protagonistin haben. Ich finde das als Leser zumindest immer toll, wenn  man so seinen Verdacht hat, solange es nicht zu offensichtlich ist, wer die andere Person ist. Ob das klappt, wie ich es mir denke, wird sich dann herausstellen, wenn ich es geschrieben habe.  :)

zDatze

Etwas Ähnliches wie @Wolkentänzerin hatte ich auch in einem meiner Projekte geplant. Schreiben aus einer Perspektive und dabei nicht verraten, um wen es sich tatsächlich handelt. So eine Art Puzzlespiel, bei dem sich die Handlung schließlich Stück für Stück zusammenfügt und am Ende Sinn ergibt und klar ist, wessen Perspektive es war. Die Idee an sich haftet immer noch in dem Projekt, allerdings bin ich bei der Umsetzung handwerklich daran gescheitert. Das ist (meiner Meinung nach) alles andere als leicht umzusetzen.

Etwas, das dabei vielleicht helfen kann, ist, wenn der/die PerspektiventrägerIn sich selbst einen Decknamen gibt. Wenn ich nun eine Figur schreibe, die vollkommen unbemerkt durch die Nacht huscht (sry, das ist sehr abgedroschenes, ich weiß), dann könnte man den Namen z.B. durch Schatten/Nichts/Niemand ersetzen. Eben auch etwas Neutraleres als "das Mädchen", da man mit so einer Bezeichnung doch schon wieder etwas über die Figur verrät.