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Soll und muss ein Autor in seinem Genre lesen?

Begonnen von Moni, 05. September 2008, 14:10:11

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Julia

#75
Zitat von: Lomax am 07. September 2008, 21:33:09
Aber der Schreiber des Briefes war durch eben diesen Brief für dich ja keine namenlose Figur mehr. Du hattest beispielsweise Innensicht - was du in einem Roman meist nur für Protagonisten bekommst. Und wenn deren Schicksal dir nicht nahe geht, hat der Autor etwas falsch gemacht.
  Also, die Wirkung so eines Briefes sollte ein Roman durchaus auch vermitteln (können).

Ja, das stimmt. Trotzdem "funktioniert" ein Roman in meinen Augen anders - meist dauert es einige Zeit, bis man zum Prota eine Beziehung aufbaut (wenn der Autor alles richtig gemacht hat  ;)).
Bei den Briefen reichten allerdings schon einige Zeilen (ohne literarische oder stilistische Schnörkel, einfach und schlicht geschrieben, aber gerade deshalb voller Hoffnung), um mich mitfühlen zu lassen.

Ich denke, solche "Betroffenheitsliteratur" spricht beim Leser schlicht eine andere Ebene an als ein Roman (und möglicherweise wirkt dann eine gewisse literarische Unbeholfenheit sogar "authentischer").
Entsprechend kann man also zwar Tagebücher und Postkarten schreiben, die den Leser mitfühlen lassen, aber eben noch lange keinen (guten) Roman. Oder? 

Liebe Grüße,

Julia

Lomax

Zitat von: Julia am 07. September 2008, 22:13:19Ich denke, solche "Betroffenheitsliteratur" spricht beim Leser schlicht eine andere Ebene an als ein Roman (und möglicherweise wirkt dann eine gewisse literarische Unbeholfenheit sogar "authentischer").
Entsprechend kann man also zwar Tagebücher und Postkarten schreiben, die den Leser mitfühlen lassen, aber eben noch lange keinen (guten) Roman. Oder?
Hm, ich habe das Gefühl, wir entfernen uns vom Thema ...
  Du hast Recht mit der Beobachtung, dass natürlich Briefe eine ganz eigene Wirkung ausüben können, bei der mehr das dahinterstehende Schicksal wirkt als die Form, in die es gebracht wurde. Die Frage ist allerdings, ob man das dann mit "Betroffenheitsliteratur" gleichsetzen kann. Denn dafür, dass Letzteres eben doch eine literarische Form ist, sprechen zumindest zwei Sachverhalte:
  Zum einen eben, dass ein Großteil der Betroffenheitsliteratur eben doch nicht 1:1 Briefe und Tagebücher abbildet, oder auch nur die unverbildete Stimme des Betroffenen zu Wort kommen lässt, sondern dass diese Texte meist sehr stark von einem Lektor und nach gewissen "Genreregeln" gestaltet werden.
  Und dann der Punkt, dass längst nicht alle "Betroffenheitsliteratur" authentisch ist. Oft ist das persönliche Schicksal nur eine Fiktion, und die Texte sind von einem Autor einfach professionell verfasst worden; und gerade die "Schicksalsberichte" im Zeitschriftenbereich, die ja ganz eindeutig dieselbe Zielgruppe ansprechen wie "echte Lebensbeichten", werden fast ausschließlich als Fiktion von entsprechenden professionellen Autoren verfasst.
  Da verschwimmt die Grenze zwischen literarischer Form und originärer Quelle schon ziemlich - oder zumindest gibt es ein literarisches Genre, dass ebenfalls mit gewissen Genreregeln eben diese Textform "abbildet" - und auch dieselbe Wirkung erzielt.

felis

@Lomax womit wir dann bei einem speziellen Genre nämlich eben "Betroffenheitsliteratur" wären zu dessen Regeln es gehört, eine gewisse schreiberische Unbeholfenheit als /vermeintliche?) Authentzizität zu akzeptieren.

Das heißt aber noch lange nicht, dass jemand, der einmal einen Betroffenheitsbestselle landen konnte, deswegen ein Schriftsteller ist, von dem mehr oder minder regelmäßig irgendwas kreativ schreiberisches zu erwarten ist. die meisten Lebensbeichten sind und bleiben Einzelstücke - nix für jemand, der den Beruf des Autors anstrebt. Und auch deswegen bleibe ich dabei - ist Betroffenheitsliteratur ein schlechtes Beispiel.  ;)

Julia

@ Lomax: Mea culpa  ;), ich hatte gestern Abend meine Argumentation etwas schlampig formuliert ... (wenn man müde ist, sollte man schlafen gehen und nicht mehr schreiben  :laken:)
Mit "Betroffenheitsliteratur" waren in meinen Beispielen mehr die "echten Schicksalsberichte" gemeint - dass die erste Bezeichnung natürlich auch das ganze Genre umschreibt, hatte ich dabei schlichtweg unterschlagen. Letztendlich ergänzt sich aber beides - da sowohl die "echten" als auch die von professionellen Schreiberlingen verfaßten Lebensbeichten auf die gleiche Weise funktionieren, sehe ich hier das Bindeglied zwischen "intuitiven" und "geplantem" Schreiben. Intuitiv können damit die Menschen schreiben, die tatsächlich irgendetwas trauriges, mitleiderregendes (oder was auch immer) erlebt haben. Anne Frank hatte vor ihren Tagebüchern mit Sicherheit nichts vergleichbares gelesen, und auch eine Christiane F. hat vermutlich niemals ein typisches "Problembuch" gelesen oder gar analysiert, bevor sie "Wir die Kinder vom Bahnhof Zoo" schrieb. Ob und wieviel die Lektoren dann vor der Veröffentlichung noch redigiert haben, sei jetzt mal dahingestellt. Anscheinend lösen solche Bücher auch in weniger literarisch ausgefeilter Form diesen "Ach du Arme" - Reflex bei den Menschen aus.
Autoren, die auf dieser Welle mitschwimmen wollen (und leider nichts vergleichbares erlebt haben), müssen sich dann aber doch wieder an die typischen Genreregeln halten und eben wissen, wie diese Art von Büchern "funktionieren". Ergo müssen sie lesen - womit wir jetzt wieder beim Thema sind.

Vielleicht liege ich jetzt mit meiner Schlußfolgerung falsch, aber auf die Frage, ob ein Autor in seinem Genre lesen muss oder soll, würde ich inzwischen sagen:

Nein - wenn er nur für sich schreibt
Nicht unbedingt - wenn er eine weniger rationale Ebene beim Leser ansprechen will (eben diese "Schicksalsberichte") und dabei über eigene erlebten Erfahrungen schreibt
Ja, auf jeden Fall - sobald er ein bestimmtes Genre bedienen will.

Was jetzt notwendig ist oder nicht, um die "hohe" Literatur zu bedienen, kann ich damit allerdings immer noch nicht beurteilen. Áber darüber mögen sich auch andere Geister streiten ...  :omn:

Liebe Grüße,

Julia

Fianna

Ich wollte das Thema nochmal hochholen:
wäre es evt eine Idee, mal eine foreninterne "Klassiker-Liste nach Genre" aufzustellen?
Also Ergänzung mit Begründung. Vielleicht wäre das für den einen oder anderen hilfreich.

Mir fiel z.B. heute nacht auf, dass ich jeder Sword and Sorcery schreibenden Frau ein bestimmtes Buch empfehlen würde. Ich habe es gerade sogar antiquarisch gekauft, weil ich es einer Schreib-Freundin mit Hänger schicken wollte.

Andererseits fiel in diesem Thread auch der Name Moorcock - habe ich jetzt net gelesen.
Andere Leute haben vielleicht eine andere "To read"-List; es wäre sicher interessant zu erfahren, wer warum für "mein" Genre welches Buch als so wichtig ansieht. (Chronologisch gesehen fehlen mir noch Buchtipps aus der "Mitte"  ;D).

Könnte man ja alles in einen Thread machen. Dann schreibt einfach jeder in den Beitragstitel das Genre, im Text das Buch und was er davon gelernt hat /welchen Aspekt er so wichtig bzw. gut umgesetzt findet, dass jeder Schreiber dieses Genres das lesen sollte...

Ryadne

@Fianna
Schreib das doch in den Wunschthreads-Thread: http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,10521.msg385926.html#msg385926
Hier scheint mir das etwas untergegangen zu sein.

Ich verorte mich generell auch bei denen, die es für sinnvoll halten, wenn man auch Bücher des Genres liest, in dem man selbst schreibt. Gerade schreibe ich an einer Krimi-Kurzgeschichte und ich habe damit viel mehr Probleme als sonst, einfach deshalb, weil ich überhaupt keine Krimis lese, noch nicht einmal gucke, und entsprechend gar nicht weiß, wie der Aufbau klassischerweise sein sollte oder was typische Erzählweisen des Genres sind.

Natürlich kann es erfrischend sein, wenn jemand ohne viel Genreahnung sich dessen annimmt und warum nicht mal so ein Experiment wagen? Aber dann muss er auch damit rechnen, dass sein Werk für den Leser unangenehme Brüche beinhaltet - oder es nicht so originell ist, wie er glaubt, da eben auch schon vor ihm Leute auf die Idee gekommen sind, dass es nicht nur "Herr der Ringe" und "Eragon" geben kann...

Brigadoona

Zitat von: Ryadne am 28. Oktober 2012, 15:54:19
Gerade schreibe ich an einer Krimi-Kurzgeschichte und ich habe damit viel mehr Probleme als sonst, einfach deshalb, weil ich überhaupt keine Krimis lese, noch nicht einmal gucke, und entsprechend gar nicht weiß, wie der Aufbau klassischerweise sein sollte oder was typische Erzählweisen des Genres sind.

Hallo Ryadne,

das Problem kenne ich.
Ich habe vor einigen Monaten einen Jugendkrimi geschrieben und bin ständig "hängen" geblieben. Mich hat auch nie dieses "ich muss unbedingt weiterschreiben" gepackt.
Mittlerweile - nach ein paar Überarbeitungsphasen, durch die ich mich auch wieder "quälen" musste - muss ich sagen, dass mir die Geschichte ganz gut gefällt. Allerdings ist das momentan (noch) meine alleinige Meinung.

rogoberlin

Soll und muss ein Autor in seinem Genre lesen?

Meine Meinung dazu?

Ja und Nein.

Ich lese in meinen Genre, klar weil es mir sehr gefällt.
Ich schreibe in genau diesem Genre, klar weil es mir auch gefällt.

Dennoch lese ich ab und an auch Bücher, die eben nicht in diesem Genre reinpassen. Warum auch nicht?
Hauptbestandteil jedoch ist, das ich halt Bücher verschlinge, die ich eben auch gerne selber schreibe.

In diesem Sinne..Gruss aus dem verregneten Berlin von Roy




Guddy

#83
Ich hole das Thema mal wieder aus der krepierenden Versenkung hervor, da ich gerade ein kleines "Problem" habe. Oder wäre ein Extrathread passender dafür? Bin mir unsicher, aber passt bestimmt so.

Jedenfalls ist mir zuletzt erst richtig bewusst geworden, noch nie einen "normalen" Liebesroman und erst einen einzigen Romantasyroman gelesen zu haben. Ich bin keine Romantikerin, gucke lieber Action-, als Liebesfilme und wenn eine Liebesszene in Film oder Roman zu ausführlich beschrieben ist, verdrehe ich gerne mal die Augen. Das Problem an der Sache ist, dass mein eigenes Projekt einige Romantikanteile hat. Genauer: Man könnte es tatsächlich auch als Romantasyroman sehen.

Es gefällt mir allerdings, sehr sogar, was auch daran liegt, dass es sich, soweit ich das sehe, von den klassischen Romantasyroman doch ziemlich unterscheidet (was natürlich auch an meinem persönlichen Gefühl liegen könnte ;) ). Ich persönlich finde es bspw. nicht kitschig, die Geschichte, die sich um die beiden geflochten hat, stimmungsvoll...  Wobei ich nicht sagen möchte, dass alle Romantasyromane doof seien. Es ist nur einfach nicht mein Genre :)

Wenn ich mir diesen Thread hier durchlese, kommen mir dann natürlich schon Bedenken. Kann das überhaupt so funktionieren oder ist die Diskrepanz zu groß? Wer von euch schreibt denn auch in einem ihm eher ungewohnten Genre bzw mit ungewohnten Anleihen? Und wie funktioniert das bei euch?

(Wobei mein Projekt eigentlich  klassische, schmutzige Fantasy mit Kämpfen, Schwertern, Brutalität etc. ist. Also eine.. echte Schimäre?)

Nachtrag: Mir persönlich ist es egal, ob es seitens der Verleger und der Genrevorlagen zu unkonventionell ist. Für einen Romatasyroman zu unschablonenhaft oder für einen Fantasyroman mit zu vielen "romantischen" Elementen. Primär soll es mein (bzw unser, schreiben ja zu zweit) Projekt sein und bleiben. (ws wiederum Annahme von Kritik etc nicht ausschließt. Ihr wisst schon, was ich meine ;) )

Franziska

Was du schreibst, klingt es ja so, dass du keine klassische Romantasy schreibst, also musst du es natürlich auch nicht lesen. An deiner Stelle würde ich aber schon gucken, ob es vergleichbare Titel gibt. Dass die Liebesgeschicht wichtig ist, ist für Fantasy ja nicht so ungewöhnlich. Ist es denn Urban Fantasy? Wir hatten ja irgendwo die Diskussion zu Urban Fantasy und Romantasy. Bei Romantasy erwarten die Leser eine bestimmte Art von Romantik. Dass heißt ja aber nicht, dass es nicht auch andere Romane mit Liebesgeschichten gibt, die da nicht reinfallen.

Guddy

Nein, es ist wie gesagt recht klassische Fantasy :)
Bin Neuling in dem ganzen Autorenbereich, daher kenne ich mich mit vielen Dingen einfach absolut nicht aus. Um es mit Merkel zu zitieren: "Für mich ist das, worüber in diesem Forum geschrieben wird, Neuland". Aber deine Antwort beruhigt mich schonmal, das klang hier im Thread teilweise etwas anders.

Fianna

Das erinnert mich an Sabrina Qunajs Elfenreihe. Falls Du es mal ändern möchtest, könntest Du da mit dem ersten Band einsteigen (Bibliothek hat es sicher).
Sie hat es übrigens auch nicht Romantasy-Normen entsprechend, also denke ich nicht, dass das ein Problem ist.

Ich hab ein "Romantic High Fantasy" als Zweitprojekt (wobei meine Freundin es eher als "Romantic Social Fantasy" bezeichnen würde, das ist allerdings kein vermarktungsfähiges Label), in dem ich diese Normen auch nicht beachte. Die passen nicht zu meiner Prämisse ;) und da ich nicht vom Schreiben lebe, sondern nur aus Spaß und Vergnügen schreibe, kann ich mir den Luxus erlauben, das einfach zu ignorieren.

Klecks

Ich schreibe und lese so viele verschiedene Bücher und habe mich bisher, lesend und schreibend, mit fast jedem Genre auseinandergesetzt. Daher könnte ich es gar nicht vermeiden, in einem Genre zu lesen, in dem ich schreibe oder schreiben will.

Allerdings schreibe auch ich selten Klassisches in dem jeweiligen Genre.  ;D

Merlinda

Mir geht es ähnlich wie Klecks. Ich lese und schreibe auch alles bunt durcheinander, wodurch es auch bei mir eher unwahrscheinlich ist, dass ich ein Genre, dass ich schreibe nicht auch lese. :)


Lucien

Ich schreibe Fantasy und ich lese Fantasy. Es ist einfach mein absolutes Lieblings-Genre.

Früher habe ich gerne Karl May gelesen, dann kam eine kurze Thriller-Phase ... aber wenn ich mit heute anschaue, was in meinem Regal steht, sind es (neben Sachbüchern und Ratgebern) nur noch Fantasy-Romane.
Das fing schon ganz früh an mit "Drachenreiter" von Cornelia Funke und dann Harry Potter und Herr der Ringe.

Ich finde es vor- und nachteilhaft. Zum einen wage ich zu behaupten, ein recht gutes Gespür zu haben, ob ich gerade auf dem richtigen Weg bin oder nicht ... auf der anderen Seite entdecke ich immer wieder etwas, das es so schon gibt und das bringt mich dann immer etwas aus dem Konzept.