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Plotten mit der "Schneeflocken-Methode"

Begonnen von Hr. Kürbis, 09. Juni 2008, 07:56:58

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Hr. Kürbis

Plotten mit der Schneeflocken-Methode nach Randy Ingermanson

Randy Ingermanson, ein Autor aus den USA, schreibt Bücher und unterrichtet kreatives Schreiben. Seine Bücher plottet er nach der von ihm so genannten ,,Schneeflocken-Methode", bei der man sich vom ersten Satz der Geschichten-Idee immer weiter nach außen vorarbeitet. Dabei wächst die Geschichte, bildet immer mehr detailliertere Arme, eben wie eine Schneeflocke. Ausführlich wird die Methode selbst vom Autor auf folgender Seite frei und für jeden vorgestellt:
http://www.advancedfictionwriting.com/art/snowflake.php
Da aber hier nicht jeder Autor der englischen Sprache überaus mächtig ist und das Thema immer mal wieder von Interesse sein könnte, werde ich mich hier mal der Methode annehmen und sie für euch zumindest sinngemäß übersetzen. Los geht's ...

Schritt 1:
Nimm dir eine Stunde Zeit und schreib einen Satz, der die Handlung deines geplanten Buches zusammenfasst. Klar, nicht jedes Detail wird zur Sprache kommen, aber das große Motiv sollte klar erkennbar sein.
Beispiel: Ein junger Prinz wird um sein Erbe gebracht und macht sich auf den Weg, Königreich und Krone für sich zurückzuerobern.
Der Satz sollte nicht zu lang sein, je kürzer er ist, umso besser! Benutze keine Namen für deine Charaktere, auch keine Platzhalter. Was der Charakter ist sagt mehr aus, als Wer er ist! Konzentriere dich dabei auf den Charakter, der der Protagonist sein wird, der am meisten zu verlieren, aber auch am meisten gewinnen kann.
Dieser Satz wird das Leitmotiv sein und dich die gesamte Planung hindurch begleiten.

Schritt 2:
Nimm dir eine weitere Stunde und erweitere den einzelnen Satz auf 5 Sätze. Geh dabei nach folgendem Schema für die Sätze vor:
Der erste Satz beschreibt die Ausgangssituation, die folgenden drei Sätze beschreiben Punkte, die der Handlung einen Wende geben, Satz 5 schließlich beschreibt das Ende des Buches.
Wir haben es hier also mit einem klassischen Fünfakter zu tun, wer will, kann auch mit drei Akten arbeiten, je nach Gusto.
Beispiel: Der Prinz ist der rechtmäßige Erbe eines Königreiches. Am Tag seiner Krönung kommt es jedoch zu einem Putsch und er flieht zusammen mit seiner Mutter ins Exil. Als seine Mutter stirbt, bereitet der Prinz mit ein paar Getreuen seine Rückkehr vor.  Einer seiner Freunde verrät den Prinz und kurz vor Erreichen seines Ziel landet er im Kerker. Er kann fliehen, stellt die Thronräuber und den Verräter und gewinnt sein Königreich zurück.

Schritt 3:
Man hat jetzt schon einen groben Überblick über die Geschichte, nun braucht man Personal, um sie mit Leben zu füllen. Charaktere sind sehr wichtig für die Geschichte, daher nimm dir entsprechend Zeit, um sie auszuarbeiten. Beginne für jeden Charakter eine neue Seite und arbeite folgende Punkte ab:
-   Name des Charakters
-   Ein-Satz-Zusammenfassung der Geschichte des Charakters (siehe Schritt 1)
-   Die Motivation des Charakters (Gerechtigkeit, Liebe, Freundschaft etc.)
-   Das Ziel des Charakters (Der Prinz will sein Königreich zurück)
-   Was hindert ihn daran, sein Ziel zu erreichen? (Personen, Umstände, Gefühle etc.)
-   Die Konsequenz (was lernt der Charakter, wie verändert er sich persönlich/emotional etc.)
-   Die Fünf-Sätze-Zusammenfassung der Geschichte des Charakters (siehe Schritt 2)
Wenn sie aus diesen Beschreibungen Änderungen für die Geschichte ergeben, ändere sie auch entsprechend in Schritt 1 und Schritt 2. Das kannst du an jedem Punkt der 10 Schritte machen, Änderungen ergeben sich ja quasi von selbst und man sollt sich und seine Kreativität nicht in ein Korsett quetschen, nur weil der bisherige Plan anders aussah. Es ist besser, schon jetzt Änderungen einzuarbeiten als während des eigentlichen Schreibens, was meist mit wesentlich mehr Arbeit verbunden ist ...

Schritt 4:
Nimm die Zusammenfassung aus Schritt 2) und mach aus jedem der 5 Sätze einen Absatz, der 5 Sätze hat. Achte darauf, dass jeder dieser Absätze in einer ,,Katastrophe" endet, an einem Wendepunkt der Geschichte. Der Letzte Absatz erzählt das Ende des Buches.
Du hast jetzt schon ein ziemlich gutes Grundgerüst für deine Geschichten und neue Ideen, die du in die vorangegangen Schritte einarbeiten kannst. Nimm dir entsprechend Zeit dafür und ändere auch mal den Plan, wenn er dir besser erscheint.

Schritt 5:
Nimm die Charakter-Übersicht aus Schritt 3 und beschreibe die Handlung aus der Sicht des entsprechenden Charakters. Somit wird sie für dich besser nachzuvollziehen. Für jeden Hauptcharakter schreibe ungefähr eine Seite, für Nebencharaktere reicht ein halbe Seite. Wenn sich Änderungen ergeben, arbeite sie auch diesmal ein. Lass dir dazu einen oder zwei Tage Zeit.

Schritt 6:
Nimm die aus Schritt 4 geschriebenen Absätze und erweitere jeden Absatz zu ein kompletten Seite. Das kann ruhig eine Woche dauern. Du wirst sehen, deine Geschichte wird immer detaillierter und nimmt Gestalt an, sollten sich logische Fehler einschleichen, wirst du sie jetzt früh genug bemerken. Du kannst frühzeitig reagieren und Änderungen nach wie vor einarbeiten.

Schritt 7:
Lass dir eine weitere Woche Zeit und kümmere dich nun um die Charakterbeschreibung aus Schritt 3. Verwandel sie in ein vollständiges Charakterblatt und erweitere sie um alle Details, die dir über diesen Charakter bekannt sein. Das können Aussehen, Geburtsdatum, Vergangenheit etc. sein. Lege besonderen Wert auf die Veränderungen, die der Charakter vom Anfang der Geschichte hin zum Ende durchmacht.

Schritt 8:
Die Handlungszusammenfassung aus Schritt 6 unterteilst du jetzt in Szenen und arbeitest sie in eine Tabelle um. Lege jeweils eine Spalte für den Charakter an, aus dessen Perspektive du erzählst und eine für die Handlung. Du kannst noch mehr erstellen, zum Beispiel für den Ort der Handlung, die Zeit, das Ziel der Szene, die Motivation ... . Leg so viele Spalten an wie du brauchst! Jetzt sollte die Handlung überschaubar vor dir legen und Änderungen lassen sich durch verschieben der Szenen einfach bewerkstelligen. Änderungen kannst du nach wie vor einarbeiten.

Schritt 9:
Öffne für jedes Kapitel, das du schreiben willst ein neues Dokument und schreibe für die Szenen aus Schritt 8, die darin enthalten sein werden, einen Absatz. Hier kannst du auch schon coole Dialoge einfügen, wenn sie dir durch den Kopf schwirren, füg hinzu, was dir einfällt ... Wichtig ist: jede Szene sollte Konfliktpotenzial haben, tritt kein Konflikt auf oder bahnt sich wenigstens an, arbeite die Szene um oder streiche sie komplett!

Schritt 10:
Jetzt geht es mit der eigentlichen Schreibarbeit los! Du hast jetzt einen Plan, ausgearbeitete Charaktere, eine Übersicht über jede Szene und jedes Kapitel. Leg dir alles zurecht und fang an, das Buch zu schreiben!

Wer jetzt denkt, die Planung würde die Kreativität töten, nein, das ist nicht der Fall. Zumindest wenn du nicht schon jedes Detail in deiner Handlung ausgearbeitet hast. Klar, du weißt, in der dritten Szene in Kapitel 4 wird der Held gefangen genommen und kann erst am Anfang des nächsten Kapitels fliehen. Aber WIE er das anstellt, hm, keine Ahnung bis hierhin ... finde es heraus! Die Methode soll dir nur einen möglichst genauen Überblick über den Handlungsverlauf verschaffen und verhindern, dass du dich während des eigentlichen Schreibprozesses verzettelst und nicht weißt, wohin der Weg dich führt.
Natürlich ist diese Methode nicht die ultimative Wahrheit und jeder muss selbst herausfinden, ob sie ihm hilft oder nicht. Selbst wenn das Endprodukt anders ausfällt als geplant, so hat man sich schon in einem sehr frühen Stadium mit der Geschichte auseinandergesetzt und intensiv mit der Handlung auseinandergesetzt. Hat man erstmal 500 Seiten geschrieben und dann gemerkt, dass nichts zusammenpasst und große Logiklücken im Text sind, ist es schwieriger, alles nachträglich anzupassen als ,,nach Plan" zu schreiben.

Wer will, kann diese Methode seinen eigenen Bedürfnissen anpassen und abwandeln, immerhin gleicht keine Schneeflocke der anderen und jeder kann (oder sogar muss) seine eigene Schneeflocke gestalten.

Viel Spaß beim Ausprobieren!

Judith

Es gibt hier übrigens auch eine vollständige Übersetzung der gesamten englischen Beschreibung:
http://www.lennstar.de/wortschmiede/wbblite/thread.php?threadid=66

Abakus

Sehr interessant. Ich glaube, dass ich von der Schneeflocken-Methode bislang noch nicht gehört hatte. Ist mir jedenfalls nicht bekannt erschienen. Vielleicht probiere ich es mal bei einer meiner nächsten Kurzgeschichten aus. :)

Gruß,
Markus

Wilpito

Hallo Zusammen.

Ich finde die Methode hoch interessant. Bisher habe ich mir den roten Faden für meine Bücher nur im Kopf vorgestellt und dann versucht mich daran entlangzuhangeln. Bei mindestens 2 Büchern blieb dann die Handlung ab der Hälfte des Werkes auf der Strecke. **Reißwolf***

Ich werde es auch mal ausprobieren und damit versuchen ein noch nicht fertiggestelltes Werk zu vollenden.

Wilpito


Wieoderwas

Ich kann dem nur zustimmen: hoch interessant. Vielleicht ist diese Methode der Schlüssel, der mir die Tür zu meinen Ideen öffnet. Im Moment weiß ich gar nicht, wohin mich meine Geschichte führt. Ich werde mal versuchen, das zu ändern.
Herzlichen Dank.

Miltan Stil

Coppelia

#5
 Wenn mir jemand erklären will, wie man eine Geschichte "richtig" schreibt, werde ich ja immer etwas stinkig. ;D Aber wenn ich mir das so ansehe, klingt es nicht dumm. Wenigstens ist mir die Struktur meines fertigen Romans anhand des Beispiels mit dem Prinzen klar geworden. Ich habe offenbar dieses oder ein ähnliches Schema unbewusst angelegt. Ich versuch das mal ins Exposé einfließen zu lassen ...
Na ja, ich versuche auch mal, ob es mir beim Plotten meines Epos hilft, bei dem ich sehr große Schwierigkeiten habe. :( *sich gleich mal dranmacht*

Moni

Zitat von: Coppelia am 09. Juni 2008, 17:53:42
Wenn mir jemand erklären will, wie man eine Geschichte "richtig" schreibt, werde ich ja immer etwas stinkig. ;D
Geht mir auch so.   8)

Aber ich werde das auch mal probieren, muß ja eh neu plotten. Vielleicht komme ich so über die Hürden, die mir mein bisheriges plotten immer selber gebaut hat.
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Coppelia

Hmmmm, ich hab es jetzt für mein Epos (Teil 1 von 4 ;D) bis Schritt 3 gemacht und muss sagen, es ist schon irgendwie erstaunlich, was dabei herauskommt. Ich habe definitiv einen Spannungsbogen für all meine Perspektiventräger bekommen. Natürlich war er die ganze Zeit da, aber ich habe ihn nun wirklich gefunden.
Nur einen der Perspektiventräger muss ich wohl streichen. Na ja. :) Hab ja mehr als genug. Wenn seine Geschichte nicht spannend genug ist, darf er die Perspektive eben nicht bekommen, auch wenn er mein Lieblingsstinker ist. ;D
Und man kann auch recht gut plotten, wie sich die Figuren allmählich verändern, nämlich in den einzelnen Teilen dieses dicken Schinkens.

Hr. Kürbis

Da bin ich ja froh, mir die "Mühe" gemacht zu haben.
Ich hab auch mal Mr. Ingermanson geschrieben, ob wegen des Copyrights eine Verwendung seiner Idee in diesem Forum überhaupt erlaubt ist. Er hat nett geantwortet und nichts dagegen einzuwenden. Meinen nächsten NaNo werde ich auf jeden Fall mal mit der Methode versuchen, dieses mal will ich ausreichend vorbereitet sein. :jau:

Beate

Was mich am meisten an dieser Methode stört:

Mal angenommen man hat 10 wichtige Charaktere und 5 weniger wichtige, die man aber dennoch ausformuliert, weil sie mehrmals auftreten und manchmal Schlüsselreize geben: Dann hat man nach Schritt 5 schon 12,5 Seiten, nach Schritt 7 so grob geschätzt 25-30.

Die Handlung selbst: Angenommen man macht nach den diversen Schritten 25 Kapitel. Dann gibt das nochmal 25 Seiten.

Ganz davon abgesehen von den diversen Seiten, die dazwischen schon geschrieben und wieder verworfen wurden, weil sie nur in Schritt 1 sinnvoll waren und in Schritt 4 hinfällig sind.

50 bis 60 Seiten - das reicht schon für eine kleine Novelle. Und das alles nur als Vorbereitung zu einem Roman? Mal davon abgesehen, dass es nichts ist mit schnell nachschauen, weil alles schön brav ausformuliert wurde.

Ich denke, um sich über die Handlung und die Charaktere klar zu werden, ist die Methode durchaus gut - aber sehr sehr aufwändig, da man alles ausformuliert. Für mich ist bei Plots und Char-Übersichten wichtig, dass ich genau weiß, was wann kommt und wie der Charakter zu Beginn ist, aber auch, dass ich schnell in dieser Übersicht nachsehen muss. Was hilft es mir, wenn ich meinen roten Faden suche und dann erstmal 30 Seiten Text lesen muss?

Für mich wirkt das Endergebnis irgendwie sehr unübersichtlich und monströs.

Coppelia

Das hab ich auch schon gedacht und mir überlegt, den Schritt mit den Figuren zu überspringen, es sei denn, mir ist bei der jeweiligen Figur etwas unklar (wie z. B. bei der aus meinem letzten Thread  :seufz:). Ansonsten hab ich meine Charaktere so ausführlich im Kopf, dass ich diesen Schritt wohl nicht brauchen würde.

Hr. Kürbis

Ich hab die Methode noch nicht so ausprobiert, aber ab Punkt 8, der Tabelle, sollte doch eigentlich alles schön übersichtlich sein, oder? Die ganzen vorherigen Schritte dienen doch nur dazu, sich selbst über den Handlungsverlauf klar zu werden. Da muss man, vermute ich mal, nur im Zweifelsfall nachschauen...
Ich werde es jedenfalls mal so probieren. Klar, es ist viel Arbeit, aber ich würde mich lieber mehr Vorabreit machen, als nachher ein Flickwerk da zu haben. Ich hab mittlerweile 3 solcher Dinger liegen, die mir über den Kopf zu wachsen drohen ...
Aber im Endeffekt muss ja eh jeder die Methode finden, mit der er klar kommt ...  :winke:

Shay

Da ich noch nie Probleme hatte, mir eine Geschichte auszudenken, und mir die Ideen sowieso schneller kommen, als ich sie aufschreiben kann, interessiert mich so eine Methode eher weniger. Ich hab aber sehr schmunzeln müssen, daß ein Autor seine Methode nach der Schneeflocke benennt und dann immer nach FÜNF Unterpunkten fragt, wo doch das einzige gemeinsame an allen Schneeflocken ist, daß sie SECHS Arme haben. Ich weiß, daß ist Pillepalle, aber irgendwo halt doch eine sauber daneben gegangene Metapher  ;D

zDatze

Mir gefällt generell die Idee, die hinter der Schneeflocken-Methode steckt.
Nimm eine Handlung, die in einen Satz passt - spalte sie in Konflikte auf - definier die Konflikte und Handlungen genauer - usw.usw.usw.

Besonders geeignet, um Schwachstellen des Plots im Vorhinein schon zu erkennen und neu zu überdenken. Ich habs selber schon vor einer Woche probiert und es ging ganz flott dahin. Leider hab ich jetzt grade zu wenige Zeit um die Idee weiter auszureifen, aber das kommt dann noch. Mal sehen was da am Schluss herauskommt.  :D

Lavendel

Heute ist mir eingefallen, was mich an dieser Methode wirklich stört. Sie bietet keinen Platz für 'poetischen Ballast'. Ballast ist schlecht, das haben wir gelernt. Wirf ihn weg, tritt ihn tot, klopp ihn in die Tonne, das interessiert keinen. Allerdings sind wir ganz ohne diesen Kram bei einem Stil ala Agatha Christie. Schlicht, präzise, schnörkellos, nichts, was nicht relevant wäre für die Handlung (bis hin zu kleinen Details der Körpersprache).
Und diese Methode lässt sehr wenig Platz für solchen 'Schnickschnack', der eine Geschichte aber auch das gewisse Etwas geben kann. Ich kann mir durchaus eine Szene vorstellen, in der jemand (um mal auf das alte Beispiel zrückzukommen), in der Sonne liegt und sich wohlfühlt, ohne dass jemand etwas tut, das ihn/sie dabei stört. Vielleicht, nach einem actionreichen Plotteil.