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Haben die Unterhaltungsmedien nachgelassen?

Begonnen von Siara, 27. November 2020, 11:53:57

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Siara

Vorab: Vielleicht ist der Thread hier nicht ganz richtig, weil es auch, aber nicht nur um Fantasy geht. Allerdings habe ich keinen besseren Ort dafür gefunden.

Der Titel ist sehr schwammig gehalten, was darin begründet liegt, dass mir das Thema genau so vorkommt. Gefühlt haben sich Unterhaltungsmedien (Serien, Bücher, etc.) grundlegend verändert, auf eine Weise, die zwar wahrnehmbar ist, auf die ich aber nicht den Finger legen kann. Eine Weile dachte ich, es läge an mir und meinem Umgang mit diesen Medien. Aber inzwischen bin ich nicht mehr sicher.

Es hat damit angefangen, dass Bücher mich nicht mehr so stark eingenommen haben wie früher einmal. Das soll nicht heißen, dass sie nicht spannend geschrieben sein können. Aber die Nachwirkungen sind geringer. Bei guten Thrillern ging es mir immer schon so, dass ich sie zwar beim Lesen kaum aus der Hand legen konnte, den Namen des Protagonisten aber quasi in dem Moment vergessen habe, in dem das Ende kam. Bei Fantasy ging es mir früher anders. Ich weiß heute noch, wie der Mundschenk des Königs in ,,Der Drachenbeinthron" hieß oder wie in bestimmten Szenen die Stimmung war. Die Bücher haben nachgewirkt, sind wochen-, monate- oder teils jahrelang nicht ganz aus dem Kopf verschwunden. Selbiges galt für manche Serien. Inzwischen ist es Jahre her, dass ich ein neuerschienenes Buch gelesen habe, das mich auf diese Weise fesselt.

Bei mehreren Gesprächen im Familien- und Freundeskreis habe ich festgestellt, damit nicht allein zu sein. Viele haben zugestimmt, aber niemand konnte genau beschreiben, was diesen Serien/Büchern/etc. eigentlich fehlt. Sie scheinen gut gemacht zu sein, haben einen ausgearbeiteten Spannungsbogen und durchdachte Charaktere. Das Tempo ist eventuell höher als noch vor zehn Jahren und die Dichte an spannungsgeladenen Szenen höher. Ob das ein Problem sein könnte, weiß ich nicht. Etwas scheint damit jedenfalls nicht zu stimmen.

Eine Überlegung war, dass es nicht an den Werken an sich, sondern am übermäßigen Angebot liegt und dass der übersteigerte Konsum verhindert, sich auf einzelne Werke so einzulassen. Das Problem wäre dann nicht bei den Urhebern, sondern bei den Empfängern zu suchen. Seit einigen Monaten habe ich meinen eigenen Konsum nun stark eingeschränkt: kein Fernsehen (auch keine Streaming-Dienste, höchstens mal zwanzig Minuten am Tag), keine Freizeit am Handy, keine ständige Beschallung mit Musik. Mein eigenes Schreiben hat dadurch tatsächlich Aufwind bekommen, und ich bin so gefesselt von meinen Romanen wie lange nicht mehr. Aber nicht von den kürzlich erschienen Werken anderer. Ich lese gerade ein paar Romane von vor zehn oder zwanzig Jahren noch einmal und habe endlich wieder das Gefühl, mich voll darauf einlassen zu können und mitgenommen zu werden. Neuere Romane schaffen das noch immer nicht. (Bei Serien weiß ich es natürlich nicht, weil ich zur Zeit keine gucke).

Meine Frage ist: Ist es euch aufgefallen oder ist es vielleicht doch nur Einbildung? Und falls es euch ähnlich geht, habt ihr eine Idee, woran es liegen kann? Was genau hat sich geändert, dass die Geschichten zwar kurzzeitig geradezu süchtig machen, langfristig aber flüchtig sind? Und vielleicht noch wichtiger: Wie kann man in seinen eigenen Werken diesen Effekt verhindern?

Edit nach einem Hinweis von Trippelschritt: "In letzter Zeit" bezieht sich in meiner Wahrnehmung auf die vergangenen fünf bis zehn Jahre.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Volker

Ein Problem das mir in letzter Zeit immer wieder auffällt, dass ich in "industriell hergestellten" Werken immer häufiger Standard-Patterns und nur dürftig gewandete Skelette erkenne.

Sehr dünne Motivationen. Plötzlich werden aus jahr(zehnte)langen Erzfeinden beste Freunde, nur weil sie sich in einem Stressmoment mal menschlich zueinander verhalten haben. Der völlig durchsichtige Zwischenstopp beim alten weisen Lehrer (und dessen baldiger Tod - weil Heldenreise). Die dazustoßende, sympatische Kameradin - die in der nächsten Szene brutal sterben muss um zu zeigen wie gefährlich es ist.

Das nervt. Aber keine Ahnung, ob das überwiegend einem Story-nach-Schema-F geschuldet ist, oder aber meiner zunehmend analytischen Autorenbrille.
Ähnlich machen mir Konzerte oder Songs teilweise keinen Spaß mehr, weil mich da technische Fehler oder tiviale Songkonstruktionen anbrüllen - ich mache selber relativ viel Audio-Engineering, live und Aufnahme, und da trainiert man unweigerlich das Gehör auf sowas.

Trippelschritt

Ich versuche es mal mit drei Punkten, die mir ganz spontan eingefallen sind, auch wenn ich nicht so genau weiß, was dich plagt. Auch ist letzte Zeit etwas relativ. Entsprechend relativ ist auch meine Antwort.

1. Der wichtigste Punkt ist für mich das nachlassende Gedächtnis. Das geht seit Kindheitstagen permanent nach unten.

2. Überlagert wird das von der vorhandenen Lebenserfahrung. Als junger Mensch kann man in Unterhaltungsprodukten ungemein viel über das Leben erfahren. Da ging mir in einigen Büchern mancher Seifensieder auf, wie man so schön sagt(e). Das lässt mit zunehmendem Lebensalter nach.

3. Das Angebot ist von wenigen Highlights (Nach der Erfindung des Buchdrucks gab es zunächst einmal nur die Bibel.) zu einer Multimediashow verkommen. In meiner eigenen Jugend gab es nur das Buch und Radio/Schallplatte, wenn ich mal von wenigen Randerscheinungen wie Kindertheater, Kirmessensationen oder ähnlichen absehe. Es gab auch den Film, aber der bis auf das Martinee am Sonntag Vormittag doch schon recht teuer.
Und dann kam das Fernsehen, Tonbandgerät, Kassettenrekorder.
Und das Internet war dann noch einmal ein Quantensprung.
Wie soll da noch etwas wirklich prägend wirken.

4. außer der Reihe
Unterhaltung hat sich immer schon gewandelt. Und immer gab es Qualität und Schund. Heute ist es viele schwieriger als früher Qualität zu entdecken und man selbst hat sich ja auch verändert. Und unser Gedächtnis sortiert und sucht aus.

Es gibt bestimmt noch viel mehr.

Liebe Grüße
Trippelschritt


Linda

#3
Ja, kann ich nachvollziehen. Nicht generell und immer aber ...
Ich gebe auch mal meinen abgehobenen künstlerischen Senf dazu.

Eine Sache ist mir aufgefallen, die sich eher am Filmmedium festmacht, aber für die Buchbranche mit anderen Kriterien wohl ebenfalls gilt. Die finanziellen Erwartungen an die Produkte werden höher, d. h., es muss mehr mit einem Film verdient werden, die Quote muss besser sein etc. Und zwar, weil mehr Leute in der Verwertungskette stecken (nicht, weil der Urheber gierig ist) und es nur noch globalisiertes Business ist.

Filme werden für den internationalen Markt (oder in D. wenigstens noch mit Hoffnung aufs europäische Umland) produziert. Deswegen muss vorab alles aussortiert werden, was den Erfolg gefährdet, irgendwie anstößig, kulturell schwierig, zu kompliziert etc pp ist.
Es wurschteln auch immer mehr Leute am Drehbuch herum (das gilt definitiv auch für D.)

Statt einer künstlerischen Vision, die mit einem möglichst kleinen Team möglichst dicht umgesetzt wird, wird nicht geguckt, "was machen wir Tolles", sondern "was machen wir bloß besser nicht ,weil ..."
  Und jeder, der seine Finger drin hat, verwässert die Grundidee und will dafür noch Geld bekommen. Höhere Kosten, höhere Erwartungen, breit getretener Quark als Ergebnis.
  Sehe ich übrigens bei Verlagen leider ähnlich, es fehlt der Mut zum Risiko. Es geht nur noch ums next big thing, das am besten ein Konglomerat aus anderen vorher erfolgreichen Dingern darstellt. Orginelle Ideen werden solange in Konferenzen zerkaut, bis alles vereinheitlich wurde, mit Ausnahme eines kleinen Elements, das noch neu ist.

Auch das Überangebot tut sein Übriges. Früher musste man einem Fantasy-Ereignis monatelang entgegenfiebern, heute ist es nur ein Film oder Buch unter vielen. Sortiert unter dem Gesichtspunkt des kleinstmöglichen Risikos und trotzdem im harten Konkurrenzkampt um ein paar Stunden deiner Zeit.  Und Zeit ist eben ein rares Gut heutzutage.

Araluen

#4
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es ein Stück weit mit dem Alter zu tun hat. In meinen Teens- und Tweensjahren haben mich Bücher und Serien ganz anders mitgenommen. Da hätte es niemals einen Mittwoch Abend ohne Buffy geben dürfen (ich weiß sogar noch, dass es immer mittwochs war), ich habe teilweise vier Bücher gleichzeitig gelesen und alle vier haben sich gleichsam in mein Hirn gebrannt. Zum einen gaben mir diese Dinge etwas. In dem Alter war ich ncoh großteils frei von Sorgen und auf dem Weg meinen Platz zu finden. Da gabs einfach noch eine Menge zu lernen. Zum anderen war ich (und vermutlich auch viele andere) deutlich eher bereit mich in einen Hype reißen zu lassen. Ich hatte einen Ordner mit gesammelten Fakten rund um die drei Fragezeichen - wer sieht wie aus, wie alt sind sie, wer hat wo welche Narbe und wieso und wie oft wechselt Blacky seine Spezies usw.
Mittlerweile bin ich in den 30ern und würde sagen, die Zeit des Forschens ist vorbei. Ich habe meinen Platz gefunden und es herrscht zunehmend das Gefühl das meiste schon gesehen zu haben (stimmt natürlich nicht) Folglich schaffen es auch Unterhaltungsmedien schwerer bei mir zu punkten. Oft ist das Résumé nur noch ein : Kenn ich schon, war aber nett umgesetzt. Damit bleibt man aber natürlich nicht im Gedächtnis. Und um gehypte Sachen mache ich mittlerweile nahezu aus Prinzip einen Bogen und habe schon selbst lange keinen Hype mehr mitgemacht.

Dann spielt bei mir auch Zeit eine Rolle. Heute bin ich nach 9h plus Arbeit, Familie versorgen und Haushalt schon froh, wenn es abends für eine entspannte Stunde reicht und kürzere oder auch längere Warte- und Fahrtzeiten werden halt doch meist mit dem Smartphone überbrückt. Ich habe den Kopf oft nur selten frei, um mich auf ein Buch wirklich einzulassen. Das wird konsumiert (wenn es denn dafür noch reicht) und dann weggelegt. Früher hatte ich einfach mehr Zeit zur freien Verfügung und damit auch mehr Zeit mich auf Unterhaltungsmedien einzulassen. Da hatte ich noch Zeit mich über den Zeitpunkt des Konsums hinaus damit zu beschäftigen. Oft musste man das ja auch. Streaming Dienste gab es noch nicht. Also musste man eine Woche auf die nächste Folge seiner Lieblingsserie warten und wenn die Staffel zu Ende war, tja, dann erwartete einen die lange Durststrecke der Sommerpause und man wünschte sich inständig Zugriff aufs amerikanische Fernsehen, wo die nächste Staffel bereits ein paar Wochen früher anlief. Bei Büchern verhielt es sich ähnlich. Amazon kam bei mir zwischen 2000 und 2004 irgendwann an. Davor war ich ganz normaler Stammkunde in meinen Lieblingsbuchhandlungen und in der Bibliothek. Wenn ich ein Buch wollte, musste ich dorthin und es suchen oder bestellen und das dauerte. Wenn ich noch nicht wusste, was ich wollte, musste ich vor Ort eben stöbern und nach unentdeckten Schätzen stöbern hat seinen ganz eigenen Reiz. In jedem Fall verging Zeit, bis man ein neues Buch in den Händen hielt. Man konnte sich richtig darauf freuen und ich glaube auch das macht einen Großteil dessen aus, wie wir ein Buch wahrnehmen.
Heutzutage stapeln sich die SuBs in der Regel bis unter die Decke. Will ich einen Titel haben, genügen zwei Klicks und ich habe ihn auf meinem Reader. Bestehe ich auf ein "echtes" Buch muss ich halt 24h warten, aber dann ist es auch da und ich bin dafür keinen Schritt vor die Tür gegangen. Neben dem tatsächlichen SuB, der sich in meinem Besitz befindet gibt es noch eine gut ebensolange Wunschliste bei Amazon. Die werde ich niemals abgearbeitet kriegen und wenn ich ein Buch gelesen habe, wartet bereits das nächste und dahinter das nächste und ich habe gar keine Zeit mich davon fesseln zu lassen.
Mit Serien verhält es sich ähnlich. Wenn ich eine Serie schauen will, dann mach ich das notfalls auch alle 8 Staffeln am Stück. Da gibt es kein Warten mehr, kein hoffen, dass die nächste Staffel auch tatsächlich noch in drei Monaten gesendet wird, keine Spekulationen ob der Prota nun in die Falle tappt oder nicht. Ein Klick und ich werde es erfahren, indem ich einfach direkt im Anschluss die nächste Folge schaue. Hinzu kommt dann noch das Überangebot. Es gibt einfach viel zu viel zu schauen, zu lesen und auch zu hören. Da fällt es schwer die Diamanten herauszupicken. Früher war das auch nicht unbedingt einfacher, aber ich glaube wir waren geübter darin und das Angebot war einfach kleiner.

Abschließend kommt bei mir noch hinzu, dass ich heute mit Autorenerfahrung auf die dinge blicke. Ich durchschaue Plotschemata, halte unbewusst die Schablone über das Buch/die Serie und schnalze genervt mit der Zunge, wenn ich Abweichungen erkenne. Der innere Lektor lässt sich nur schwer abstellen und verleidet oft den reinen Genuss.

Daher glaube ich nicht unbedingt, dass die Unterhaltungsmedien flacher geworden sind, wobei es auch sehr viel mehr Fließbandware nach Schema F gibt, sondern dass es vor allem daran liegt, dass sich unser Konsumverhalten und unsere Lebensumstände verändert haben. Natürlich sind Serien und auch Bücher heute anders konzeptioniert als damals. Früher wurden Serienepisoden entsprechend der Werbeblöcke konzeptioniert, nun konzeptioniert man sie fürs Bingewatching. Früher nahm man sich mehr Zeit für Geschichten. Es wurde deutlich langsamer erzählt. heute gleichen Unterhaltungsmedien oft eher einer Achterbahnfahrt. Ich glaube aber nicht, dass das eine besser ist als das andere. Es ist nur anders.
Man sagt ja auch gern, dass das Kinderfernsehen von heute die reinste Katastrophe ist und pure Grütze und früher war alles besser als es noch die Gummibärenbande gab und eine pummlige Biene Maja. ich finde auch, dass vieles im Kinderprogramm viel zu hyperaktiv ist. Es entspricht absolut nicht meinen Sehgewohnheiten und auch nicht dem, was ich von Kinderfernsehen erwarte (und wir haben auch eine ganze Menge grütze geschaut). Dennoch gibt es auch hier genug, was den Kids von heute eine ganze Menge geben kann und sie begeistert und ja, wenn man sich als Erwachsener die Mühe macht und sich dazu setzt, kann man sogar verstehen wieso.

Mondfräulein

Ich merke das teilweise auch bei mir. Ich glaube aber nicht, dass die Qualität generell nachgelassen hat. Ich persönlich hatte noch nie Zugang zu so vielen großartigen Medien wie jetzt. Netflix und Amazon-Prime haben sehr, sehr viel im Angebot, das mich überhaupt nicht interessiert, aber auch sehr viele gute Serien, die vor fünfzehn Jahren so überhaupt nicht produziert worden wären, und sehr viele gute Filme, zu denen ich vor fünfzehn Jahren nicht so einen Zugang gehabt hätte.

Aber mein Anspruch ist auch stark gestiegen, einerseits durch die sehr guten Filme, Serien und Bücher, die ich in der Zwischenzeit entdeckt habe, andererseits weil ich mich als Autorin selbst weiterentwickelt habe. The Shannara Chronicles hätte ich früher bestimmt geliebt, weil es Fantasy ist und ich mag Fantasy sehr, aber mittlerweile packt mich nicht mehr alles. Mit jedem wirklich großartigen Werk, das ich konsumiere, steigt mein Anspruch. Ich habe mich vor ein paar Jahren ertappt, wie ich durch die Buchhandlung ging und mich vieles nicht ansprach, was mich früher angesprochen hätte, weil ich mir manchmal wirklich denke "das würde ich lieber schreiben als es zu lesen". Twilight habe ich damals mit so viel Eifer gelesen, auch weil ich vorher kaum Bücher mit so prominenter Liebesgeschichte gelesen hatte. Zwischendurch habe ich dann Liebesgeschichten gelesen, die ich noch besser fand, der Markt wurde von ähnlichen Büchern überflutet. Im Moment packt mich eine Liebesgeschichte nur noch, wenn sie wirklich, wirklich gut geschrieben ist. Ich war riesiger Fantastic Four Fan, als der erste Film rauskam, heutzutage würde ich andere Superheldenfilme ganz klar bevorzugen, aber damals gab es in diesem Genre nicht so viel Auswahl. 

Mit steigendem Angebot wird es natürlich schwieriger, die wirklichen Perlen herauszufiltern. Wenn ich mir dann ältere Serien anschaue, dann ist meistens nur das verfügbar, was sich aus irgendwelchen Gründen im Gedächtnis gehalten hat. Vielleicht weil es besonders gut war, vielleicht weil es besonders beliebt war. Aber viele ältere Filme und Serien kann ich mir auch nicht mehr anschauen, weil sie meinem Qualitätsanspruch nicht mehr genügen, auch wenn sie viele in liebevoller Erinnerung halten.

Außerdem sind meine Kapazitäten auch anderweitig besetzt. Heutzutage bin ich viel von meinen eigenen Geschichten in den Bann gezogen. Das ist für mich auch viel befriedigender. Aber wenn ich so viel über meinen eigenen Roman nachdenke, kann ich das nicht auch noch mit dem Buch tun, das ich gerade lesen, auch wenn es wirklich, wirklich gut ist und besser als vieles, was ich vor fünfzehn Jahren so gelesen habe. Ich kann nicht so tief in jeder Geschichte stecken und meistens ist dieser Platz von meinen eigenen Geschichten besetzt. Aber ich will ihn auch lieber mit meinen eigenen Geschichte besetzen.

Siara

#6
@Volker : Danke für den Beitrag. Standard-Pattern an sich wäre ja kein Problem. Aber ich habe auch das Gefühl, dass den Werken zunehmend das Drumrum fehlt, "Skelett" trifft es da ganz gut, finde ich. Dass man mit wachsender Erfahrung immer mehr als Autor und nicht als reiner Konsument liest, kommt sicherlich dazu. Aber da es (zumindest in meinem Umfeld) und nicht-Autoren ähnlich geht, scheint das eher nebensächlich zu sein.

@Trippelschritt : Guter Hinweis, den Zeitrahmen näher zu benennen, hatte ich glatt vergessen. Mir geht es tatsächlich so um die letzten fünf bis zehn Jahre. Das ergänze ich mal im Startpost, damit es nicht für Verwirrung sorgt und wir nicht aneinander vorbeireden.

Zitat von: Trippelschritt am 27. November 2020, 12:58:01
Überlagert wird das von der vorhandenen Lebenserfahrung. Als junger Mensch kann man in Unterhaltungsprodukten ungemein viel über das Leben erfahren. Da ging mir in einigen Büchern mancher Seifensieder auf, wie man so schön sagt(e). Das lässt mit zunehmendem Lebensalter nach.
Besonders das trifft einen Punkt, den ich zwar wahrgenommen, aber nicht wirklich zu fassen bekommen habe. Allerdings ist es auch ein sehr trauriger Gedanke, dass Geschichten einem mit zunehmendem Alter immer weniger zu bieten haben. Ich hoffe jetzt einfach mal, dass es genug herausragende Werke gibt, die da Ausnahmen bilden. Ähnliches gilt für das, was @Araluen gesagt hat. Ich bin jetzt Mitte zwanzig, und bei mir war das mit der fanatischen Begeisterung für manche Werke schon vor fünf Jahren vorbei. Allerdings: "Ältere" Bücher (konkret solche von vor 15-30 Jahren) schaffen es manchmal immer noch, mich zu packen. Das scheint also glücklicherweise nicht der einzige Auslöser zu sein.

Deinen dritten Punkt, Trippelschritt, hatte ich ja auch bereits angesprochen, und ich halte ihn für ein enormes Problem. Die schiere Masse, der Drang andauernd unterhalten zu werden und die Allgegenwärtigkeit und der ständige Zugang zu Medien jeder Art übertönen sich nicht nur gegenseitig, mich persönlich überfordern sie auch. Manchmal, wenn ich auf der Suche nach neuen Büchern (oder vor einiger Zeit noch nach neuen Serien) war und im Onlinehandel oder Streaming-Dienst durchgescrollt habe, habe ich nach einer halben Stunde ohne Ergebnis und müde die Seite wieder geschlossen. Einfach, weil die Auswahl zu groß war. Das Aussuchen war so anstrengend, dass ich auf das Ansehen/Lesen schon gar keine Lust mehr hatte. Seltsam, weil das große Angebot ja eigentlich genau das ist, was beworben wirbt und lockt. Das schlägt wohl auch in dieselbe Kerbe wie das, was @Araluen angemerkt hat. Zum Genießen gehört eben nicht nur das Konsumieren, sondern auch das Vorher und Nachher.

Zitat von: Linda am 27. November 2020, 13:21:26
Höhere Kosten, höhere Erwartungen, breit getretener Quark als Ergebnis.
Das trifft es gefühlt leider sehr gut. Der finanzielle Aspekt ist sicherlich wichtig. Aber ist er wichtiger als noch vor zehn oder zwanzig Jahren? Um das zu beurteilen, stecke ich bei weitem nicht tief genug in der Materie und weiß zu wenig über die hintergründigen Vorgänge am Markt.

Zitat von: Araluen am 27. November 2020, 13:53:21
Früher nahm man sich mehr Zeit für Geschichten. Es wurde deutlich langsamer erzählt. heute gleichen Unterhaltungsmedien oft eher einer Achterbahnfahrt. Ich glaube aber nicht, dass das eine besser ist als das andere. Es ist nur anders.
Der Unterschied zwischen besser und anders ist natürlich ein wichtiger Punkt und außerdem eine Frage, die ich noch gar nicht aufgeworfen hatte. Ich stimme dem auch nicht zu, denn ich sehe das Langsamere, Tiefergehende als besser an als das Schnellebigere. Die auf ältere Weise konzeptionierten Geschichten konnten echte Gefühle wecken und zum Nachdenken anregen, die neuen nur noch ablenken. So zumindest ist meine Sicht darauf.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Yves Holland

#7
In erster Linie halte ich das auch für ein "Problem" beim Empfänger. Man wird halt älter, ist etwas unkonzentrierter, saugt die Geschichten nicht mehr so begierig auf wie früher, als man jünger war.

Doch hin und wieder schafft es ein Hammer-Werk, das zu brechen: Harry Potter hatte mich immens mitgezogen, Der Drachenbeinthron ebenso (ich weiß noch wie heute, dass ich darum gebangt hatte, dass Terry Pratchett nicht von einem Auto überfahren wird, bevor er die vier Bände endlich abgeschlossen hatte. Ich habe nämlich quasi parallel zur Schreibezeit gelesen - jedes Jahr gab es einen Band!  :rofl: )

Auch was Serien angeht, hat mich hin und wieder eine ENORM am Wickel. War bei Twin Peaks so, bei Fringe auch.

Aber ja - das Angebot ist so groß wie nie! Man hat kaum mehr Zeit einer Geschichte über Monate nachzuspüren, weil der Output so schnell getaktet ist. Trotzdem schaffen es immer wieder ein paar Serien, länger nachzuwirken, Dark zB.

Unterm Strich ist es also wohl eine Melange aus allen Gründen - sowohl beim Autor/Produzenten als auch beim älter werdenden Konsumenten.
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Eins und eins ist zwei - von London bis Shanghai!

Araluen

ZitatDer Unterschied zwischen besser und anders ist natürlich ein wichtiger Punkt und außerdem eine Frage, die ich noch gar nicht aufgeworfen hatte. Ich stimme dem auch nicht zu, denn ich sehe das Langsamere, Tiefergehende als besser an als das Schnellebigere. Die auf ältere Weise konzeptionierten Geschichten konnten echte Gefühle wecken und zum Nachdenken anregen, die neuen nur noch ablenken. So zumindest ist meine Sicht darauf.
Langsamer heißt nicht zwangsläufig, dass es tiefer geht. Wenn ich an die ersten Star Trek Filme denke... Zehn Minuten starrte man auf dei Brücke, hörte die "Motoren" im Hintergrund summen. Alle zwei Minuten gab es es einen Schwenk auf die Außenansicht der Enterprise, dann wieder zurück auf die Brücke, wo alle konzentriert aufs Frontfenster starrten. Bis Endlich "Captain, wir empfangen eine Nachricht" (oder etwas ähnliches. Ich weiß nicht mehr, was der erste Satz war) die Stille durchbrach. Das war eine Entdeckung der Langsamkeit, die der Erzählung nicht unbedingt gut getan hat ;) (ich habe den Film nie bis zum Ende gesehen) Aber ich bin ganz bei dir, dass es auch mir mehr gibt, wenn man sich Zeit für die Erzählung nimmt, der Leser oder auch der Zuschauer Zeit hat, sich einfach mal umzusehen und man Gelegenheit hat, die Figuren und Hintergründe wirklich kennen zu lernen. "Rebecca" fand ich total toll erzählt zum Beispiel. Würde man heute so mit Sicherheit nicht machen (wie man schon an der Musical Adaption sieht, die aber an sich sehr gut ist). Ich mag diese hyperaktive Erzählweise auch nicht, wenn alle wie kleine Duracellhäschen durch die Geschichte zu rennen scheinen und von einem Problem ins nächste stürzen. Es kann aber auch sehr gut gemacht sein und manchmal passender als die doch eher ausufernde Erzählweise eines Tolkien oder auch Tad Williams. Ich denke auch, dass viele, die mit der jetzigen (sagen wir die letzten fünf Jahre) Konsumwelt aufwachsen an Erzählweisen, die wir aus unserer Jugend noch gewohnt sind, überhaupt nicht mehr herankommen.
Ein Beispiel davon habe ich sogar zuhause ;) Mein Sohn liebt Glücksbärchis. Aber nur die neu aufgelegte Serie. Die Episoden sind kompakt erzählt, die Zahl der Charaktere verringert (es gibt auch keinen echten Bösewicht mehr) und insgesamt rauscht man doch eher durch den Plot. Ich habe Folgen der alten Serie angeboten, die ich noch aus meiner Jugend kenne und liebe (und mich teilweise davor gegruselt habe). Mein Sohn hat nach fünf Minuten den Faden verloren und fand es langweilig, einfach weil anders und langsamer erzählt wird. Mir selbst gefallen die alten Glücksbärchis immernoch besser, aber auch die neuen Folgen sind schön, haben Botschaft (wenn auch deutlich plakativer formuliert) und geben ein schönes Erlebnis. Daher denke ich, dass man nicht per se sagen kann, dass die eine Erzählweise jetzt unbedingt besser als die andere ist. Es kommt sehr stark auf die Umsetzung und die individuellen Gewohnheiten an.

Mondfräulein

Eine Entwicklung der letzten Jahre ist aber auch der Trend zur Serie. Besonders mit Game of Thrones wurde es sehr beliebt, Handlung und Figuren über viele Folgen und Staffeln hinweg zu entwickeln. Die neuen Star Trek Serien (Discovery, Picard) gehen auch viel eher in die Richtung einer kontinuierlich erzählten Handlung als die alten Serien.

Insofern würde ich überhaupt nicht sagen, dass langsames Erzählen weniger modern ist, im Gegenteil.

Leann

#10
ZitatDer Drachenbeinthron ebenso (ich weiß noch wie heute, dass ich darum gebangt hatte, dass Terry Pratchett nicht von einem Auto überfahren wird, bevor er die vier Bände endlich abgeschlossen hatte
Terry Pratchett hat damit gar nichts zu tun, weil Tad William die Reihe geschrieben hat. Soweit ich mich erinnere lag mehr als ein Jahr zwischen den Veröffentlichungen. War in den Neunzigern.

Zum Thema: Ich glaube nicht, dass die Unterhaltungsmedien nachgelassen haben, sondern dass es einfach zu viel von allem gibt. Heute haben wir sehr viele Möglichkeiten, die es zumindest in meiner Jugend so nicht gab: Internet, Streamingdienste, mehr als drei Fernsehprogramme, Youtube. Durch das Angebot tritt vermutlich eine gewisse Übersättigung ein. Früher hatte man mehr Zeit, sich mit den einzelnen Werken zu beschäftigen. Ein Film war lange im Gespräch, heute ist der ja nach ein paar Wochen schon wieder vergessen. Das gilt auch für Bücher. Was ich nur aus subjektiver Beobachtung so empfinde: Ich habe das Gefühl, dass durch die ständige Medienberieselung die Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen viel geringer ist als noch vor z.B. dreißig Jahren.

Außerdem, da kann ich nur aus eigener Erfahrung sprechen, war für mich als Kind und Jugendliche alles noch neu und aufregend und ich hatte nicht so viele Vergleichsmöglichkeiten wie jetzt. Mal als Beispiel: Neulich las ich bei Instagram, wie sich eine Bloggerin über eine völlig neue originelle Idee in einer Romantasy freute: "Ein unscheinbares Mädchen kommt neu in eine Stadt und trifft einen Jungen mit einem düsteren Geheimnis." Das hab ich z.B. schon viel zu oft gelesen. Gilt auch für die auserwählten Waisen, die sich auf eine abenteuerliche Reise begeben müssen, um die Welt zu retten. Früher war das für mich total neu und superspannend. Heute muss da schon die Umsetzung großartig sein, um mich vom Hocker zu reißen. Es macht schon einen Unterschied, ob ich mit 10 Jahren vielleicht 500 Bücher gelesen hatte oder mit 50 Jahren 5000.

Aber: Ich möchte das Angebot echt nicht missen. Und dass ich mit steigendem Alter eben nicht mehr ganz so leicht zu begeistern bin, trifft auf alles im Leben zu. Hat Vor- und Nachteile und wenn ich es recht bedenke, bin ich immer noch begeisterungsfähig genug, um Spaß an Büchern und Filmen zu haben. Nur weiß ich jetzt besser, was mir gefällt und warum und was eben nicht.

Araluen

#11
Zitat von: Mondfräulein am 27. November 2020, 14:43:15
Eine Entwicklung der letzten Jahre ist aber auch der Trend zur Serie. Besonders mit Game of Thrones wurde es sehr beliebt, Handlung und Figuren über viele Folgen und Staffeln hinweg zu entwickeln. Die neuen Star Trek Serien (Discovery, Picard) gehen auch viel eher in die Richtung einer kontinuierlich erzählten Handlung als die alten Serien.

Insofern würde ich überhaupt nicht sagen, dass langsames Erzählen weniger modern ist, im Gegenteil.
Früher wurden Serien tatsächlich Staffelweise konzipiert wenn überhaupt. Manchmal hat man sich auch einfach von Folge zu Folge gehangelt wie bei Star Trek TOS oder TNG. Da hatte man sich auch selten noch daran erinnert, welche Probleme man hier und da mal aufgeworfen aber nie wieder angesprochen hatte. So werden bei Star Trek sehr gerne die Serienkinder immer wieder vergessen. Dass Deanna Troi eine ältere Schwester gehabt hatte, die im Kindesalter verstorben ist, war ein dramatischer Fakt, der für eine sehr gute Folge gesorgt hatte, aber nie wieder aufgegriffen wurde. Ich bring grad nur so viele Star Trek Beispiele, weil ich gerade DS9 schaue, nachdem ich quasi direkt aus TNG gepurzelt bin.
Bei Buffy lief es ähnlich. Es gab eine große Staffelbedrohung. Auf die wurde hingearbeitet und sie besiegt. Dann kam die nächste Staffel mit der nächsten großen Staffelbedrohung (meist noch schlimmer als vorher, wenn möglich, worüber sich die Serie dann ja auch selbst irgendwann lustig macht). Erst im Verlauf der Staffeln und vermutlich mit der Sicherheit, dass es auch wirklich bis zum bitteren Ende weitergehen würde, kristallisierte sich langsam ein größerer übergeordneter Plot heraus.
Babylon 5 war soweit ich weiß die erste Serie, die von Staffel 1 bis 5 durchgeplant war und einen übergeordneten Handlungsbogen für alle Staffeln hatte. Das war damals ein extrem hohes Risiko, da man nicht wusste, ob man das Geld für so viele Staffeln bekommt und den Cast so lange binden kann. Es wäre auch beinahe schief gegangen, weshalb Staffel 4 und 5 stellenweise etwas unharmonisch wirken, da erst gedroht wurde, die Serie abzusetzen - man also schnell ein befriedigendes Ende schrieb - dann aber doch die Freigabe bekam und irgendwie den Bogen zum ursprünglichen Plan schlagen musste mit leicht verändertem Cast.
Andere durchgeplante Serien wie Ghostwisperer oder auch Ringer versandeten leider, weil keine weitere Staffel genehmigt wurde. Das schmerzt, da dann noch viele lose Fäden übrig bleiben und man einfach kein allumfasend zufriedenstellendes Ende hätte schaffen können (Ghost Wisperer hätte mindestens noch eine Staffel gebraucht, um alle zusammen zu führen). Und auch nicht immer finden durchgeplante Serien höheren Anklang als die alten nach dem Schema "Monster der Woche", die sich halt von Folge zu Folge hangelten ohne signifikaten Handlungsbogen. So war Dark Angel Staffel 1 sehr beliebt. Klar gab es auch hier den Ansatz eines übergeordneten Handlungsbogens, aber letztlich ging es Woche für Woche nur um das "Monster der Woche" und man musste nur wenig Wissen aus der Vorwoche in die Folge der aktuellen Woche mitschleppen. In der zweiten Staffel entschied man sich für ein durchgeplantes Konzept mit einem ordentlichen Handlungsfaden, der sich durch alle Folgen zieht - eine Folge verpassen war also eine blöde Idee, weil einem dann wichtige Infos fehlten. Obwohl ich persönlich die zweite Staffel genau deswegen deutlich stärker als die erste Staffel fand, brachen die Einschaltquoten der vormals doch recht beliebten Serie ein und obwohl auch hier noch nicht alles erzählt war, wurde die Serie eingestellt. Aber zu zeiten von Dark Angel musste man auch noch eine Woche auf die nächste Folge warten. Mediatheken gabs auch noch nicht. wenn man also eine Folge verpasste, hatte man Pech. Heroes krankte glaube ich an einem ähnlichen Problem. Als Netflixserie hätte die zweite Staffel mit Sicherheit wunderbar funktioniert.
Ich sehe den Trend derzeit weniger in Serien mit vielen Staffeln, als in ausgefeilten Miniserien. Vermutlich lassen diese sich besser durchplotten bei vermindertem Risiko, das einem nach der Hälfte der Hahn zugedreht wird. Ich muss sagen, ich mag die Miniserien, da in diesem Format vermehrt Bücher verfilmt werden und das Serienformat ist für die meisten Bücher viel besser als ein Kinofilm, bei dem man trotz Überlänge und Streckung auf einen Mehrteiler wichtige Figurenentwicklungen und Subplots rausstreichen muss. Good Omens und Alias Grace fand ich absolut toll.

Yves Holland

Zitat von: Leann am 27. November 2020, 14:48:24
ZitatDer Drachenbeinthron ebenso (ich weiß noch wie heute, dass ich darum gebangt hatte, dass Terry Pratchett nicht von einem Auto überfahren wird, bevor er die vier Bände endlich abgeschlossen hatte
Terry Pratchett hat damit gar nichts zu tun, weil Tad William die Reihe geschrieben hat. Soweit ich mich erinnere lag mehr als ein Jahr zwischen den Veröffentlichungen. War in den Neunzigern.

::) Natürlich!!
.
Eins und eins ist zwei - von London bis Shanghai!

Sunflower

Ich sehe das tatsächlich ganz anders als viele hier. Ich bin eher so ziemlich dauerbegeistert, wie viele tolle, diverse und komplexe und vor allem nischige Serien es gibt. Ich liebe, dass man durch Streamingdienste auf Produkte aus ganz anderen Ländern in den USA hat, dass ich über Netflix einfach italienische, spanische, usw. Serien schauen kann. Der Oscarfilm dieses Jahr war "Parasite", ein Film, der (fand ich) komplett anders erzählt war als man das aus westlicher Erzähltradition so kennt. Für mich hat der mit vielen klassischen Tropes gebrochen, er war auch relativ langsam erzählt und ich war trotzdem richtig begeistert davon. Keine Ahnung, ob ein Film ohne weiße Menschen und so anders erzählt früher eine Chance auf den Oscar gehabt hätte, das kann ich tatsächlich nicht einschätzen.

Was ich eher merke, ist so eine Müdigkeit gegenüber Büchern, Serien, Filmen, die Anfang der 2000er veröffentlicht wurden. Ich finde, durch Metoo und Diversitätsdiskussionen wirken viele dieser Sachen mittlerweile sehr altmodisch. Alle sind hetero und weiß und natürlich straight und wenn es mal BIPoC oder LGBTQ* gibt, dann erfüllen sie allermeistens sehr schreckliche Klischees, zumindest in den Mainstreamprodukten. Abseits des Mainstreams kann das natürlich ganz anders sein. Aber ich liebe, was für eine wahnsinnige Diversität sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Es ist immer noch ein weiter Weg, aber viele Dinge kann ich einfach viel besser schauen / lesen als die älteren Sachen.

Abgesehen von Diversitätsaspekten finde ich viele Sachen auch einfach deutlich komplexer als früher. Gerade Serien. Game of Thrones hat das Level an erzählerischer Komplexität einfach nochmal total angehoben, finde ich. (Hatte das auch irgendwann mal in der Uni, dass es immer weider so Sprünge im Serien-Erzählen gab und man dem Publikum danach einfach viel mehr zumuten konnte als vorher.) Ich hatte eine ähnliche Diskussion vor kurzem mit meinem Freund, aber ... hätte irgendwer früher so viel Geld in eine Serie wie "Stranger Things" investiert? Das hätte nämlich auch komplett schiefgehen können. Ist es nicht, gut für uns. Oder "Dark"? Eine komplett wirre Zeitreisegeschichte mit viel zu vielen Ebenen und dazu noch in einer deutschen Kleinstadt? International erfolgreich war es trotzdem (und ich mochte die Serie auch sehr). Aktuell wird Leigh Bardugos Grishaverse in eine Netflix-Serie verwandelt, das hätte früher allenfalls einen mäßigen Kinofilm abgegeben und wäre dann nach einem Film abgesetzt worden (denke da an den Shadowhunter-Film).

Klar gibt es auch viel Mist da draußen, aber ich glaube a) das gab es immer und b) wenn mehr Produkte insgesamt erscheinen, ist halt auch mehr Mist dabei.

Bei Büchern fällt mir ein bisschen auf, dass gerade der deutsche Markt schon extrem "ängstlich" ist und gefühlt gerade in den Genres, die ich halt mag (Urban Fantasy, Young Adult) sehr alte und staubige Tropes wieder und wieder aufgewärmt werden. Das finde ich auch ziemlich nervig, aber das ist gefühlt eher so ein deutsches Mainstream-Buchmarkt-Problem und auch da gibt es Ausnahmen. Glaube, das wäre aber eine andere Diskussion.

Insgesamt gab es früher auch mehr Bücher, die mich begeistert haben. Das liegt aber bei mir ganz klar daran, dass ich mittlerweile zu analytisch lese und nur noch "absorbiert" werde, wenn mich was richtig umhaut. Dafür kann ich das dann aber gefühlt auch mehr wertschätzen als früher. Deswegen sehe ich das auch nicht so pessimistisch a la "früher war alles besser", sondern halt als eine Veränderung. Wenn immer alles gleich bleiben würde, wäre es aber auch langweilig.
"Why make anything if you don't believe it could be great?"
- Gabrielle Zevin: Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow

L. F. Montemunion

#14
Ich kenne das Problem leider gerade bei all dem, was ich früher geliebt habe. Serien und Franchises enttäuschen mich schon seit geraumer Zeit immer öfter. Ideen werden geritten und ausgetreten, bis sie tot sind und dann noch ein ganzes Stück länger. Vor allem aber habe ich das Gefühl, dass die Köpfe hinter solchen Projekten oft denken, "wir haben ja jetzt schon den großen Namen, wir brauchen noch ein paar aktuelle Themen und gut". Dabei bleiben gute Plots und glaubhafte Charaktere leider völlig auf der Strecke.

Ganz konkret: Die Hobbit-Filme fand ich furchtbar, Star Trek: Disovery und Star Trek: Picard sind zum Davonlaufen, die neue Star Wars Reihe ist unterirdisch und Game of Thrones hat auf die letzten Meter leider auch arg enttäuscht. Alle haben in meinen Augen ein ähnliches Problem: Da werden ein paar Dinge für die Fans herausgekramt und aufgewärmt, seien es nun Tribbles oder Wookies, und den Rest füllt man mit "tiefgreifenden" Dialogen, die nur hölzern und völlig weltfremd daherkommen, und uninspirierten Geschichten auf. Wenn Charaktere von früheren Werken auftauchen, dann sagen sie in der Regel noch ihre Catch-Phrases, sind aber oft nur noch Karikaturen ihres früheren selbst. Dann (das gilt jetzt nicht mehr für alle, aber für erschreckend viele) verkaufen sie einem eine überemotionale Mary Sue nach der anderen als "starke Frau" und werfen fröhlich mit Repräsentation aller Art um sich. Versteht mich nicht falsch: Ich finde es großartig, einem diversen Cast zuzusehen, aber nicht, wenn ich den Eindruck habe, man hat außer "Repräsentation gut" nichts mehr zu erzählen, und schon gar nicht, wenn ich jedes Mal, wenn der weiße Hetero-Mann ins Bild kommt, schon weiß, dass der dann wohl der neue Bösewicht ist.

Bei Büchern weiche ich der Problematik in der Regel aus, indem ich die nachgeschobenen Ergänzungen zu Werken wie den Hunger Games, der Fließenden Königin und Co einfach nicht mehr lese. Vielleicht tue ich ihnen damit unrecht, aber ich bringe es einfach nicht über mich, mir damit am Ende das wunderbare Bild dieser Welten zu versauen, das ich mir über die Jahre geschaffen habe. Stattdessen gbe ich lieber neuen Geschichten eine Chance. Das klappt nämlich. Unter den neuen Serien, Filmen und Büchern ist vieles dabei, das mich noch genauso fesselt, wie es die oben genannten Franchises früher getan haben. Da werden interessante Charaktere auf interessante Probleme losgelassen und oftmals kommen dabei wirklich gute Geschichten heraus.