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Wir basteln einen Krieg

Begonnen von Koboldkind, 18. August 2018, 17:26:53

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Lothen

#30
Zitat von: Silvasurfer am 23. Juni 2019, 22:31:24
Beispiel (Für Mittelalterliches Fantasy): Ist es überhaupt realistisch dass vermeintlich schwache Charaktere mit Pfeil und Bogen kämpfen? Nein, einen Bogen zu spannen erfordert Kraft, vor allem, wenn der Pfeil ordentlich wums haben soll, da macht Armbrust für jene, die nicht besonders viel Kraft in den Armen haben auch einfach mehr sinn.
Da gebe ich dir absolut recht, allerdings kommt es dann wieder darauf an, ob es berittene Schützen sind (dann sind Armbrüste oder schwere Langbögen unsinnig) oder solche am Boden. ;)

Zitat von: FeeamPCDas heißt, man darf nicht über die ganze Schlacht reden, sondern nur über den winzigen Ausschnitt schreiben, den der Held gerade mitbekommt, und immer daran denken, dass der bestimmt nicht stundenlang kämpft, das hält nämlicch der stärkste Held nicht aus, sondern nur höchstens minutenlang hektische Aktivität entwickelt. Danach ist er entweder verwundet oder tot oder erschöpft und braucht eine Pause (wenn er noch lebt).
Oja, das finde ich auch wichtig. Gerade der emotionale Aspekt muss rüberkommen, das ist mir 100 mal wichtiger als die genaue Aufzählung der Schlachtreihen und die detailierte Schilderung von Bewaffnung oder Schlachtplänen. Wie wirkt das Heer, das Manöver, der Gegner auf die/den Prota? Was macht das mit ihr/ihm? Wie reagiert er/sie? Was passiert um sie/ihn herum?

Tatsächlich merke ich oft, dass Pen&Paper-Rollenspiel eine gute Hilfe ist, wenn es um Schlachten geht, weil man dort schöne Anregungen kriegt, wie man Einzelpersonen gut in Szene setzt und ihnen etwas mehr Handlungsfreiheiten geben kann, ohne dass es unrealistisch wirkt. Kommt aber natürlich auch auf die Position innerhalb der Armee an (ist der/die Prota Offizier*in, Fußvolk, Trossvolk etc.).

Fianna

Ich suche mir für Schlachtszenen immer ein oaar Personen raus (einige Statisten, die noch nie auftraten), die den Leser durch die Schkacht begleiten. Es gibt ein Gesicht, ein paar Brocken Virgeschichte und dann wirkt es direkt ganz anders, wenn der Feldherr die vorderste Schlachtreihe in einem Manöver opfert als bei einer taktischen Beschreibung usw.

Beim Plotten der Szene weise ich allen eine Aufgabe zu, und dann erst plane ich den detaillierten Kampfverlauf.

Strategie, eine gewisse Portion Recherche, ein wenig Realismus im Ablauf* und so weiter sind wichtig - aber die Leser brauchen Namen, Gesichter und Emotionen der Teilnehmer, um wirklich mitzufiebern.
Ich nehme mir dann auch eine Seite Zeit um etwas zu beschreiben, was sich in wenigen Sätzen abhandeln ließe (siehe Beispiel oben), weil das einfach stärker wirkt.




* Damit meine ich sowas wie "Meldereiter brauchen Posten, um das Pferd zu wechseln", keiner fällt in meinem Lager vom Pferd und behauptet, er wäre 3 Tage auf demselben Gaul durchgallopiert usw. Grundsätzliche Regeln von Physik und Biolohie, die durch die Wahl der teilnehmenden Lebewesen und Waffen unserer Welt entsprechen.


Gizmo

#32
Ich finde wie Coppelia, dass man mit den Kommandanten ebenfalls mitfiebern kann. Gerade, wenn ein Kommandant eben nicht oben auf dem Hügel stehen und alles sehen kann, finde ich das sehr spannend.

Als die Schlacht von Austerlitz begann, herrschte z.B. dichter Bodennebel. Im amerikanischen Bürgerkrieg waren die "Schlachtfelder" bereits so weitläufig und die Zahl der Truppen z.T. so hoch, dass der Befehlshaber unmöglich alles selbst überblicken konnte. Stattdessen war er auf Boten angewiesen, die sich verspäten / verirren / gefangen genommen werden konnten, oder deren Informationen vielleicht falsch oder veraltet waren.
Im Ersten Weltkrieg konnte ein General, der hinter der Front sein Hauptquartier hatte, die Truppen nur bis zu dem Zeitpunkt befehligen, bis sie ihren Graben verließen. Danach gab es keine Telefonverbindung mehr, und teilweise konnten die zurückgebliebenen Offiziere nicht einmal ausmachen, was ein paar hundert Meter von ihnen entfernt vorging.
Wie soll man da eine Entscheidung treffen? Wenn man z.B. mehr Soldaten nach vorn schickt, sichert man dann den Sieg? Oder erhöht man einfach nur die Verluste, weil der Angriff längst zusammengebrochen ist? Kann man es riskieren, sich zurückzuziehen? Welche Auswirkung hätte dies auf die Moral der Soldaten, die dann 'umsonst' gekämpft hätten? Und wie wird das zuhause aufgenommen?

@Coppelia
Zitat von: Coppelia am 24. Juni 2019, 11:34:14
Pompeius beobachtet die Schlacht von Pharsalus; wir alle wissen, was danach mit ihm passiert ist, oder?
Er kam zurück nach Rom in einem gigantischen Triumphzug, umjubelt von den Volksmassen, und konnte sich als hochgeehrter Feldherr zur wohlverdienten Ruhe setzen! Ähm ... das war doch er, oder? ;D
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

Churke

Zitat von: Oneira am 23. Juni 2019, 21:43:40
Wie bringt man es fertig, dass der Leser richtig mitfiebert und die Schwertwunden der Charaktere beinahe selbst spürt?

Da gibt's nicht viel zu spüren. Ein Schwerthieb fühlt sich an wie ein stumpfes Trauma. Danach hast du eine offene Wunde und dann fängt es an weh zu tun. Wenn du voll auf Adrenalin bist, kann sich der Schmerz auch länger Zeit lassen.
Außerdem ist der menschliche Körper ziemlich stabil. Da muss man richtig zuhauen, damit was ankommt. Deshalb ist Stoßfechten auch um einiges riskanter als Hiebfechten.


Zitat von: FeeamPC am 24. Juni 2019, 10:33:40
Das heißt, man darf nicht über die ganze Schlacht reden, sondern nur über den winzigen Ausschnitt schreiben, den der Held gerade mitbekommt,

Der begrenzte Ausschnitt ist möglicherweise nicht repräsentativ. In Gaugamela waren die Perser auf dem rechten Flügel bis zuletzt am Gewinnen.
Mir persönlich ist auch wichtig, dass man die Strategien und Pläne ausarbeitet. Klingt jetzt blöd, aber auf dem Schlachtfeld offenbart sich der Charakter eines Mannes. Wer sich nur darauf verlässt, dass er doppelt so viele Männer hat, ist kein großer Stratege.

Im Gegenteil, vom Hügel aus sieht der Feldherr seinen strategischen Fehler und den Wendepunkt der Schacht. In Cinemascope.

Zitat von: Lothen am 24. Juni 2019, 14:06:10
Wie wirkt das Heer, das Manöver, der Gegner auf die/den Prota? Was macht das mit ihr/ihm? Wie reagiert er/sie? Was passiert um sie/ihn herum?

Ehrlich gesagt neige ich zu der Auffassung, dass sich eine gute Schlachtbeschreibung eher nicht aus der Nähe liefern lässt. Die meisten guten Manöver beruhen auf Täuschung. Der kleine Soldat in Reihe 1 kann die Täuschung weder erkennen noch irgendwas dagegen unternehmen. Für mich geht es darum, der Schlacht einen Plot zu geben.


Oneira

Zitat von: Churke am 24. Juni 2019, 15:59:52

Da gibt's nicht viel zu spüren. Ein Schwerthieb fühlt sich an wie ein stumpfes Trauma. Danach hast du eine offene Wunde und dann fängt es an weh zu tun. Wenn du voll auf Adrenalin bist, kann sich der Schmerz auch länger Zeit lassen.

Das habe ich nicht gemeint. Es ging eher um die Aufregung in der Schlacht, das Bestreben, immer schneller zu sein als sein Gegner. Wie beschreibt man glaubhaft, wenn der Schwertarm langsam müde wird? Oder die aufkommende Verzweiflung des Charakters, wenn die Schlacht einfach nicht aufhört?
Und wie man den Schmerz einer Wunde richtig gut beschreibt, muss ich wohl auch noch ein bisschen üben.

Aber vielen Dank für eure ganzen Ideen und Kommentare, die haben mir schon geholfen  :)

Gruß - Oneira
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Lothen

#35
Zitat von: Churke am 24. Juni 2019, 15:59:52Ehrlich gesagt neige ich zu der Auffassung, dass sich eine gute Schlachtbeschreibung eher nicht aus der Nähe liefern lässt. Die meisten guten Manöver beruhen auf Täuschung. Der kleine Soldat in Reihe 1 kann die Täuschung weder erkennen noch irgendwas dagegen unternehmen. Für mich geht es darum, der Schlacht einen Plot zu geben.
Das kommt jetzt auf die (literarische) Perspektive an. Ich schreibe charakter-zentriert, also ist die Charakterentwicklung "der Plot". Du hast recht, die großen Entwicklungen kann der kleine Bauer in Reihe 1 nicht sehen, umgekehrt hat der Feldherr auf seinem Hügel aber keine Ahnung davon, wie der kleine Bauer in Reihe 1 gerade mit seinen inneren Dämonen und seiner Todesangst ringt.

Das ist ja auch das, was @Oneira meinte: "Wie gebe ich die Empfindungen eines Individuums in der Schlacht glaubwürdig wider?"

ZitatDer begrenzte Ausschnitt ist möglicherweise nicht repräsentativ.
Genau das ist der springende Punkt: Muss es auch nicht. Wenn es nicht darum geht, eine Schlacht möglichst komplex in ihren Schachzügen und Einzelheiten und strategischen Finessen zu beschreiben, muss der Ausschnitt nicht repräsentativ sein, im Gegenteil, er muss möglichst "menschlich" sein. Wenn die objektive Beschreibung des Geschehens und die taktischen Wendungen hingegen die Zielsetzung sind, dann brauche ich natürlich auch eine*n Prota, die*der in der Lage ist, das zu erfassen.

Trippelschritt

Ich habe noch nie einen Krieg thematisiert und werde es wohl auch nicht mehr tun. Ich habe auch noch nie eine Schlacht beschrieben, aber das könnte mir noch passieren. In diesem Fall würde ich aus der Erzähler- oder Feldherrposition die Schlacht distanziert beschreiben mit dem Schwertpunkt auf der Schlachttaktik. Das ist alles recht analytisch und unterkühlt.

Kampfszenen habe ich en masse geschrieben. Entweder steht die psychologie Auseinandersetzung zweier Kämpfer im Mittelpunkt oder das Erleben unter Adrenalin. Ein gutes Beispiel für so etwas liefert Martin in dem Kampf des Zwerges gegen einen überlegenen Ritter und Getöse überall um ihn herum.

Bei der Schlacht wie im Kampf ist es wie an den meisten Stellen. es ist ein mosaikstein innerhalb eines vorgegebenen Plots oder vorgegebener Figuren. Alles ist möglich.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Churke

Zitat von: Lothen am 24. Juni 2019, 16:44:39
Genau das ist der springende Punkt: Muss es auch nicht. Wenn es nicht darum geht, eine Schlacht möglichst komplex in ihren Schachzügen und Einzelheiten und strategischen Finessen zu beschreiben, muss der Ausschnitt nicht repräsentativ sein, im Gegenteil, er muss möglichst "menschlich" sein.

Da muss man dann aber aufpassen, dass man sich nicht in Allgemeinplätzen à la "die Sinnlosigkeit des Krieges" verliert. Krieg ist nie sinnlos. Diejenigen, die ihn angefangen haben, wissen genau, warum sie ihn führen. Beim Bauern in Reihe 1 ist das nicht so klar. Seine Motivation entscheidet aber darüber, ob er 100 % gibt, 80 % oder vielleicht nur 50 %. Ein Soldat, der auf 100 % gebürstet ist, kennt keinen Zweifel und wird sich viele Fragen gar nicht erst stellen.   

Gizmo

#38
Zitat von: Churke am 24. Juni 2019, 20:24:44
Krieg ist nie sinnlos. Diejenigen, die ihn angefangen haben, wissen genau, warum sie ihn führen. Beim Bauern in Reihe 1 ist das nicht so klar. Seine Motivation entscheidet aber darüber, ob er 100 % gibt, 80 % oder vielleicht nur 50 %. Ein Soldat, der auf 100 % gebürstet ist, kennt keinen Zweifel und wird sich viele Fragen gar nicht erst stellen.   

Meinst du mit "Beim Bauern in Reihe 1 ist das nicht so klar", dass er nur nicht weiß, warum er den Krieg führt, oder dass der Krieg für ihn sinnlos sein kann? Letzteres halte ich nämlich absolut für möglich. Für den einzelnen Soldaten kann der Krieg objektiv sinnlos sein, auch wenn er für die politische / militärische Führung sinnvoll ist. Das halte ich nach wie vor für eine wichtige Botschaft und keinen Allgemeinplatz. Es ist aber wichtig, die Sinnlosigkeit des Krieges nicht einfach nur zu nennen, sondern darzustellen und entsprechend zu belegen.
Denn letztlich geht es auch darum, das erkennen zu können und sich eben nicht so leicht auf eine 100%-ige Motivation bürsten zu lassen, die einen davon abhält, Fragen zu stellen.
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

Oneira

Auf jeden Fall ist ein Krieg immer ein erschreckendes und prägendes Erlebnis für alle Beteiligten.
Ich halte mich auch eher an die Sichtweise, dass Krieg zwar nicht sinnlos ist, aber allen viel Leid bringt. Manchmal so viel, dass vielleicht sogar der Feldherr beginnt, an seinen Motiven zu zweifeln, obwohl er ja seine Gründe am besten kennt.

Zitat von: Gizmo am 24. Juni 2019, 23:23:46
Es ist aber wichtig, die Sinnlosigkeit des Krieges nicht einfach nur zu nennen, sondern darzustellen und entsprechend zu belegen.

Und genau deshalb bin ich ja auf der Suche nach Beschreibungen, die so unter die Haut gehen, dass man die Gedanken des Charakters im Kampf gar nicht aufschreiben muss und sie trotzdem deutlich klar werden aus dem, was er oder sie da erlebt.
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

FeeamPC

Krieg ist schlecht. Darin sind wir uns einig, denke ich. Aber nicht jeder Krieg ist deswegen sinnlos. Hängt immer von der Perspektive dessen ab, der den Krieg führt, egal, ob freiwillig oder nicht. das reicht in unsere früheste Vorzeit zurück. Der eine oder andere Primatenstamm der frühen Menschheit dürfte nur überlebt haben, weil er einem anderen in einem Krieg die arg begrenzten Ressourcen während der Eiszeit wegschnappte.

Trippelschritt

Ob Krieg schlecht ist, ist eine Frage der Perspektive.
Schlecht ist er für den Verlierer, aber nicht unbedingt für den Gewinner.
Schlecht ist er auf der individuellen, persönlichen Ebene, wenn es in der eigenen Familie Tote, Verletzte oder traumatisierte Personen gibt.
Krieg ist immer schlecht für jeden Humanisten.

Aber wenn eine Population immer weiter wächst, dann fehlt ihm die Nahrung und die Population hungert, wird krank, muss eine hohe Sterblichkeit ertragen. Ein gewonnener Krieg hat zwei Vorteile. Der eine ist Beute, der andere ist eine Verkleinerung der eigenen Population. Dann bleibt mehr für die anderen.

Aus ethischer Sicht ist so etwas schwer zu schlucken, aus populationsdynamischer Sicht sieht es ganz anders aus. Es gibt nicht viele Möglichkeiteneine Population zu begrenzen. Verhütungsmittel und eine Altersversorgung sind die besten Wege. Aber welcher Staat kann sich so etwas leisten. Unsere Rentenversicherung kam erst mit Bismarck - glaube ich - und führt mal eine Rentenversicherung in Indien ein.

Liebe Grüße
Trippelschritt
(hat auch mal Populationsökologie gemacht)

Churke

Zitat von: Oneira am 25. Juni 2019, 07:19:52
Ich halte mich auch eher an die Sichtweise, dass Krieg zwar nicht sinnlos ist, aber allen viel Leid bringt. Manchmal so viel, dass vielleicht sogar der Feldherr beginnt, an seinen Motiven zu zweifeln, obwohl er ja seine Gründe am besten kennt.

Dachte ich auch, bis zur Feldpost eines Generals der Infanterie aus dem 1. Weltkrieg. Soldaten sind entbehrliches Menschenmaterial und Ostfront ist scheiße, weil schlechtes Essen und kein Champagner. Für den Typ war der Weltkrieg die Party seines Lebens. So jemand hat auch überhaupt kein Interesse, mit dem Krieg aufzuhören.
Ich halte das für repräsentativ. Die Feldherren spielen Tabletop mit echten Armeen, weil sie es geil finden.   

Oneira

Zitat von: Churke am 25. Juni 2019, 19:33:21
Dachte ich auch, bis zur Feldpost eines Generals der Infanterie aus dem 1. Weltkrieg. Soldaten sind entbehrliches Menschenmaterial und Ostfront ist scheiße, weil schlechtes Essen und kein Champagner. Für den Typ war der Weltkrieg die Party seines Lebens. So jemand hat auch überhaupt kein Interesse, mit dem Krieg aufzuhören.
Ich halte das für repräsentativ. Die Feldherren spielen Tabletop mit echten Armeen, weil sie es geil finden.

Ja, solche Leute gibt es leider Gottes auch, aber ich denke, der Unterschied zwischen 1. Weltkrieg und einem Gefecht á la Herr der Ringe ist groß genug, damit ich auch mal einem von mehreren Feldherren ein schlechtes Gewissen andichten kann. Und aus der Sicht so eines Generals wie du ihn beschrieben hast, traue ich mich ohnehin nicht zu schreiben, denn wie könnte ich glaubhaft so jemanden schreiben, wenn mir seine Art zu denken einfach nur zuwider ist?
Und selbst im 1. Weltkrieg kann ich mir nicht vorstellen, dass ausnahmslos alle Befehlshaber so gedacht haben. Aber keine Ahnung, das ist nicht mein Fachgebiet.

Wie kommt man eigentlich dazu, die Feldpost eines Generals im 1. Weltkrieg zu lesen? Solche Sachen habe ich noch nie zu Gesicht bekommen, glaube ich  ;)
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Aphelion

Zitat von: Oneira am 25. Juni 2019, 07:19:52
Und genau deshalb bin ich ja auf der Suche nach Beschreibungen, die so unter die Haut gehen, dass man die Gedanken des Charakters im Kampf gar nicht aufschreiben muss und sie trotzdem deutlich klar werden aus dem, was er oder sie da erlebt.
Das Folgende ist kein Patentrezept, aber vielleicht kannst du einige Anregungen für dich herausfischen.

Mitten im Kampfgeschehen:

  • kaum Nebensätze
  • Ellipsen
  • kurze Sätze oder Aneinanderreihungen von (unvollständigen) Hauptsätzen mit Komma (muss jeweils passen – gilt auch für den Rest; Komma-getrennte Reihungen passen gut zu Überforderung der Figur, wird aber schnell anstrengend für die Leserin)
  • Ein-Wort-Sätze
  • kurze Absätze
  • aussagekräftige, aber geläufige Verben
  • Rhythmus beachten
  • erlebte Rede statt wörtliche Gedanken (ich neige allerdings generell zu erlebter Rede), aber selbst das maximal punktuell
  • "kräftige" sensorische Eindrücke
  • nur absolut notwendige Adjektive/Adverben (wird oft als pauschaler Schreibtipp für alle Arten von Szenen gegeben, halte ich aber so pauschal für falsch – sogar hier: als Ein-Wort-Satz sind Adjektive in Kampfszenen toll, wenn sie z.B. Sinneseindrücke wiedergeben)
  • Balance zwischen Wortwiederholungen und Synonymen (gilt auch immer, wie vieles hier, aber in Kampfszenen verschiebt sich das Gewicht leicht in Richtung Wiederholungen, in Kombination mit Anaphern etc. – sprich: keine achtlosen Wiederholungen, sondern gezielte)
Erschrecken, Überraschung etc.:

  • allgemein: plötzliche Wechsel in der Form (andere Stilmittel, anderer Satzbau usw.)
  • Rhythmus plötzlich unterbrechen
  • Absatz mit einem einsamen Ein-Wort-Satz
  • Gedankenstrich, auch mal ein Ausrufezeichen
  • Satz unterbrechen + neuer Absatz (mache ich ganz selten, halte ich an einigen Stellen aber für effektiv)
Wenn ich ein Kochrezept für Kampfszenen schreiben müsste, würde ich als Mengenangabe angeben: Eine Tasse Liste #1, ein Teelöffel Liste #2.

Natürlich macht es einen Unterschied, ob die Figur überfordert-hektisch oder analytisch-kaltblütig vorgeht; ob sie Kampferfahrung besitzt oder nicht; ob sie im Adrenalinrausch ist oder dissoziiert etc. pp. "Rausch" verlangt nach einem Rhythmus, der sich schnell lesen lässt. Wenn die Figur ausgelaugt ist und ihr alles zäh vorkommt, brauchst du das genaue Gegenteil. In beiden Fällen macht die Dosis das Gift, aber die lethale Dosis (=das Buch landet in der Ecke) für zähe Passagen ist natürlich geringer.

Über die Konnotation von Wörtern lassen sich Gefühle und Einstellungen der Figuren gut ausdrücken, v.a. wenn der Text aus personaler Perspektive geschrieben ist: Wenn du negative Wörter verwendest, musst du nicht dazuschreiben, dass deine Figur das Geschehen negativ sieht. Metaphern sind dabei für mich unverzichtbar – aber keine ellenlangen schwülstigen Beschreibungen! Manchmal passt es, bewusst vulgäre oder umgangssprachliche Begriffe zu verwenden; einzelne bildungssprachliche Wörter und abwertende Begriffe für einfache Soldaten/Feinde können die Überheblichkeit einer Figur ausdrücken usw.

Obwohl ich die Konnotationen für wichtiger halte, ist der Klang der Worte nicht zu verachten (v.a. weiche vs. harte Konsonanten, helle vs. dunkle Vokale). An dieser Stelle könnte ich weitere Stilmittel nennen, aber die meisten davon sind wahrscheinlich zu spezifisch für meinen eigenen Stil. Ganz allgemein gesprochen: Trau dich ruhig, zu experimentieren und mehr in deine Texte zu stecken! :)

Jammerhaftes Blabla:

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Der Leser soll sich während Kampfszenen nicht wohlfühlen, deshalb dürfen die Stilmittel nicht zu gleichförmig sein. Ich versuche, ein Schema aufzubauen und es dann zu brechen – manchmal nach einem Satz, manchmal nach drei oder vier Sätzen. Die Verteilung der Absätze ist dabei relevant (neuer Absatz = neuer inhaltlicher Aspekt). Letztlich orientiert sich alles am Inhalt.

Stilmittel sollten nie zum Selbstzweck eingebaut werden, aber ich bin durchaus der Überzeugung, dass du dich trotzdem stilistisch in Kampfszenen austoben kannst. Ich schreibe aktuell an einem Projekt, in dem ich, gemessen am Mainstream, mit Stilmitteln ziemlich weit gehe, und ja: auch in Kampfszenen. Aber ich mag das. Die Stilmittel dürfen den Rest nur nicht ausbremsen.




Das soll keine Anleitung zum genauen Nachmachen sein, sondern einfach nur ein paar Beispiele, wie ich Kampfszenen angehe. Auf drei Punkte runtergebrochen halte ich Satzbau, Rhythmus und Wortwahl für die wichtigsten Dimensionen. Diese drei Aspekte sind zwar auch in allen anderen Szenen bedeutsam, aber bei Kampfszenen kannst du mMn allein durch diese drei Dinge viel bewirken.

Warum?

Die Durchschnittsleserin setzt sich nicht hin und analysiert die Stilmittel, aber die Stilmittel wirken unbewusst trotzdem. Wenn du einem Leser z.B. ein schnelles Lesetempo ermöglichst, suggerierst du ihm damit: "Oh, das muss wohl gerade spannend sein, sonst würde ich nicht so schnell lesen." Dieses unbewusste Phänomen gibt es in vielen Kontexten (Beispiele im Spoiler).

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Unser Gehirn treibt dauernd solche Spielchen mit uns – und genau das kannst du als Autorin natürlich nutzen.

Gehirnwäscheanleitung für Autoren:

  • Was will ich als Autorin beim Leser auslösen (bestimmte Gefühle, einen gespannten Zustand etc.)?
  • Wenn ich mein Ziel erreiche, was passiert dann beim Leser? (Beispiel: Wenn der Leser den Text als spannend empfindet, liest der Leser schneller)
  • Wie kann ich diesen Effekt "vortäuschen" – d.h. durch Stilmittel herbeiführen – oder unterstützen? (Beispiele: siehe erste Liste)
Der Inhalt muss natürlich passen. Meiner Meinung nach scheitern Kampfszenen aber öfter am Stil als am Inhalt.