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Alles zur Perspektive

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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0 Mitglieder und 3 Gäste betrachten dieses Thema.

Cailyn

#225
Malinche,
Thanks ! Interessant ist es allemal, einen 43-jährigen Thread wiederzubeleben  ;) ;) ;)

Christopher,
Das mit dem Teufel war ja jetzt nur ein Beispiel. Ich würde wohl weniger einen Bösewicht nehmen, der das Buch "kommentiert". Aber es ist ohnehin mehr eine Gedankenspielerei. Ich müsste da arg lange darüber nachdenken, überhaupt sowas in Erwägung zu ziehen.

Interessant wäre doch jetzt noch, warum ihr eine bestimmte Perspektive gewählt habt...
Entscheidet ihr zu Gunsten des Lesers oder schreibt ihr so, wie ihr es am besten könnt oder geht ihr nach Wünschen der Verlage?

Christopher

So wie ich es am besten kann und wie es meiner Erzählung am besten dient. Der zweite Punkt ist da etwas schwierig. Manchmal wäre eine Ich-Perspektive deutlich einfacher um Gedanken, Gefühle und Eindrücke zu vermitteln. Dabei muss ich mich dann aber darauf beschränken, das Geschehen aus der Sicht der Figur zu schreiben ohne Ich-Perspektive. Denn das wäre ein zu krasser Bruch wie ich finde.
Be brave, dont tryhard.

Nirahil

Ich habe bisher nur die personale und die Ich-Form versucht - die Ich-Form war noch relativ einfach, aber beim personalen Erzähler bin ich grundsätzlich immer wieder an einigen Stellen ins auktoriale abgerutscht. Ich finde es irgendwie schwer, beides zu trennen. Oder ich bin noch nicht genug darin geschult, es sofort zu erkennen. Mir mussten erst Betaleser die Passagen anstreichen, weil ich selbst immer wieder darüber gestolpert bin, ohne den Erzählstilbruch selbst zu bemerken. Aber: ich für meinen Teil finde einen Mix aus Personal und Auktorial nicht grundsätzlich schlimm. Ich kann mir vorstellen, dass es verwirrend ist, wenn der auktoriale Erzähler ständig Erwähnung findet, aber ich finde auch, in Maßen kann das sehr viel aus einem Text heraus holen. Was Verlage am Ende sehen wollen, steht aber natürlich auf einem anderen Blatt.
Ich tanze wie ein Kind im Nebel,
zufrieden, weil ohne Ziel.
Callejon - Kind im Nebel

Malinche

Zu dem erzählenden Teufel fällt mir irgendwie gerade noch Zusaks »Bücherdiebin« ein, wo ja aus der Sicht des Todes erzählt wird. Das ist eine sehr interessante Perspektive, und in meiner Erinnerung wird der Autor ihr das ganze Buch über gerecht und der Fokus bleibt trotzdem auf der Geschichte und ihren Figuren. :)

Zitat von: Cailyn am 09. September 2013, 13:09:02
Interessant wäre doch jetzt noch, warum ihr eine bestimmte Perspektive gewählt habt...
]Entscheidet ihr zu Gunsten des Lesers oder schreibt ihr so, wie ihr es am besten könnt oder geht ihr nach Wünschen der Verlage?

Ich habe meistens zwei bis drei (selten mehr) personale Perspektiven, die je nach Kapitel/Handlungsstrang wechseln. (Auktorial finde ich persönlich sehr, sehr schwierig und wage mich da selbst nicht ran). Meine Überlegung bei der Perspektivenwahl ist vorher meistens, welche Figuren sich rein dramaturgisch dafür eignen (durch ihren Anteil am Plot oder auch aufgrund ihrer eigenen Erzählstimme).

Es ist mir auch schon passiert, dass ich mich quasi selbst schachmatt geschrieben habe und bei einer bestimmten Szene merke, dass ich das nur über einen anderen Perspektivträger lösen kann. Meistens mache ich mir aber schon im Vorfeld Gedanken, wer da jetzt am besten in Frage kommt, und wenn in einer Szene zwei Perspektivträger aufeinander treffen, gucke ich eben, wer von beiden mehr Dynamik in die betreffende Szene bringen kann. Ein Stück weit schwingt da sicher auch die Überlegung mit, was dann für den Leser interessanter ist: Der strahlende Held, der voller Siegessicherheit in die Szene kommt und alles durch die Linse seiner Überlegenheit betrachtet? Oder sein gebeutelter Gegner, der voller Wut im Bauch und mit einer gewissen Düsternis erzählt? Beides kann spannend sein, das muss dann jeweils auch im Kontext des restlichen Buches abgewogen werden (geht mir zumindest so).

Und ich denke auch, dass ein Autor dafür ein immer besseres Gefühl entwickeln kann. In der Rohfassung meines ersten Romans hatte ich ein Kapitel, dessen Perspektivträgerin eine Figur war, die an der wesentlichen Handlung erstmal gar nicht beteiligt war, und die ließ sich dann alles von einer anderen Figur erzählen, die es selbst erlebt hatte. Das Kapitel haben mir meine Betas zu Recht um die Ohren gehauen, es war zu distanziert und schwerfällig, und in der Überarbeitung habe ich die Perspektiven getauscht und die zweite Figur nicht erzählen, sondern erleben lassen. Das hat es um Welten besser gemacht, und das merkte ich beim Schreiben auch selbst.

Mit Verlagswünschen zur Perspektive habe ich noch keine Erfahrung. Aber ich meine, z.B. auf Danis Blog gelesen zu haben, dass sie auf Wunsch ihrer Agentur die Perspektive in ihrer Thriller-Reihe verändert hat und damit dann wohl auch selbst zufriedener war. :)
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Kati

ZitatSofern du nicht die hardcore Ich-Perspektive gewählt hast (wo wirklich NICHTS ausser den fünf Sinnen der Figur erzählt wird) hast du doch immer den Freiraum etwas abzuschweifen, den Körper der Figur zu verlassen und die Umgebung ein wenig zu beschreiben.

Als Autorin, die bisher bloß in Ich-Perspektive geschrieben hat, möchte ich dazu mal sagen, dass es zwar möglich ist, auch aus der Ich-Perspektive heraus ganze Welten zu beschreiben, aber es ist schwer. Es schränkt ein und man hat immer bloß den Blick der einen Figur auf alles und dadurch ist sicherlich einiges nicht so objektiv, wie bei einem auktorialen Erzähler. Aber das muss auch am Ende gar nicht mal etwas Schlimmes sein. Man kann die Umgebung auch aus der Ich-Perspektive beschreiben, allerdings hat man dann natürlich eher "Wie sieht meine Figur den Marktplatz" und nicht "Wie sieht der Marktplatz wirklich aus". Abwechslung kann man trotzdem reinbringen, indem zum Beispiel eine andere Figur den vom Ich-Erzähler als hässlich und blöd beschriebenen Marktplatz in den höchsten Tönen lobt.

Allerdings gibt es wohl einen Grund, weshalb High Fantasy mit eigenen Welten und drum und dran immer eher aus der personalen oder auktorialen Perspektive geschildert wird. Ich lese nicht viel High Fantasy, aber ich kenne zwei gute Bücher, in denen die Beschreibung der fremden Welt trotz Ich-Perspektive ziemlich gut gelungen ist. Es ist also möglich, aber ich stimme zu, dass es definitiv schwerer ist, als aus der auktorialen Perspektive einfach runterzuschreiben, wie es dort aussieht.

ZitatInteressant wäre doch jetzt noch, warum ihr eine bestimmte Perspektive gewählt habt...
Entscheidet ihr zu Gunsten des Lesers oder schreibt ihr so, wie ihr es am besten könnt oder geht ihr nach Wünschen der Verlage?

Für mich fühlt sich alles, was nicht Ich-Perspektive ist, beim Schreiben irgendwie nicht richtig an. Das liegt sicherlich daran, dass ich seit ich angefangen habe, nie eine andere Perspektive ernsthaft in Betracht gezogen habe. Ich habe in letzter Zeit hin und wieder mal einen personalen Erzähler ausprobiert, nur so zum Spaß, und es fühlte sich für mich falsch an. Ich schreibe also aus ganz eigennützigen Gründen immer aus der Ich-Perspektive. ;D Wie ich es mit der Perspektive dem Leser recht machen sollte, verstehe ich auch nicht ganz. Ich kenne viele Leser, die eine bestimmte Perspektive bevorzugen, aber die lesen trotzdem auch andere Perspektiven ganz gern. Und ich denke, Verlagen ist die Perspektive egal, wenn der Inhalt stimmt. Oder irre ich mich da? Gibt es Fälle, in denen der Verlag deutlich um eine andere Perspektive gebeten hat?

Valaé

ZitatAllerdings gibt es wohl einen Grund, weshalb High Fantasy mit eigenen Welten und drum und dran immer eher aus der personalen oder auktorialen Perspektive geschildert wird. Ich lese nicht viel High Fantasy, aber ich kenne zwei gute Bücher, in denen die Beschreibung der fremden Welt trotz Ich-Perspektive ziemlich gut gelungen ist. Es ist also möglich, aber ich stimme zu, dass es definitiv schwerer ist, als aus der auktorialen Perspektive einfach runterzuschreiben, wie es dort aussieht.

Einspruch  ;D. Ich wage zu behaupten, dass es hier keinen "einfachen" Weg gibt. In der auktorialen Erzzählperspektive unterhaltsam, nicht trocken, ansprechend und interessant eine Welt zu beschreiben ist verdammt schwer. Das wird so schnell zum ausschweifenden "Wikipdedia-Artikel" (ich klau das mal von , der Vergleich ist genial!), wie man nicht mal "auktorial" sagen kann. Das richtig gut zu machen ist möglich, aber es erfordert so viel Fingerspitzengefühl ... dass es auch nicht einfach ist. Personal wiederholt sich das Problem auf einer anderen Ebene: Man neigt dazu, das, was ein auktorialer Erzähler sagen würde einfach in Figurenrede oder in ausschweifenden Grübeleien unterzubringen - die oft nicht weniger trocken sind. Auch hier ist es nicht einfach, das so zu verpacken, dass es interessant wird. Zudem ist man in der personalen Perspektive ja durchaus auch eingeschränkt.
In der Ich-Perspektive fällt es leichter, nicht so auszuschweifen, aber dafür ist man sehr, sehr eingeschränkt und ausführliche Weltenbeschreibungen, die über das Personenwissen hinaus gehen, werden unmöglich. Sowieso muss man da dann irre aufpassen, dass man Figurenwissen und Autorwissen nicht über einen Haufen schmeißt und das man sich bewusst ist, nur ein subjektives Bild zu vermitteln.
Ich denke, es ist eine Frage dessen, was man selbst einfacher umschiffen kann. Bin ich gut darin, mich selbst vor Ausschweifungen abzuhalten? Dann eignet sich für mich die personale oder die auktoriale Perspektive möglicherweise besser, oder sie kommt mir einfacher vor.
Bin ich gut darin, Figuren- und Autorwissen zu trennen und kann ich wirklich mit einer Figur verschmelzen? Dann kommt mir die Ich-Perspektive sicher einfacherer vor.

Natürlich ist das nicht der einzige Grund, weswegen man diese oder jene Perspektive wählt, aber es spielt mit hinein. Ich denke, dass die Fantasy so oft in der auktorialen oder personalen Perspektive erzählt wird, hat vor allem einen Grund: Gerade in der Zeit der Entstehung der modernen Fantasy waren ausschweifende Beschreibungen weit anerkannter als heute und daher weniger als Problem empfunden. Dazu kommt, dass die großen, gewaltigen Welten in dieser Zeit eigentlich so etwas wie der "Verdienst" der Fantasy war, das "Neue" - somit waren sie besonders wichtig und man war eher bereit, sich ausschweifende Erklärungen durchzulesen. Heute ind so viele Welten schon beschrieben worden, das viele Leser mehr an der Geschichte, oder an einer guten Mischung aus Welt und Geschichte interessiert sind und sie verzeihen den Autoren weniger Ausschweifungen. Die Perspektivenvorlieben haben sich aber noch nicht ganz an diese Entwicklung angepasst - sie sind allerdings gerade dabei.
Zumindest ist das mein Empfinden.

ZitatInteressant wäre doch jetzt noch, warum ihr eine bestimmte Perspektive gewählt habt...
Entscheidet ihr zu Gunsten des Lesers oder schreibt ihr so, wie ihr es am besten könnt oder geht ihr nach Wünschen der Verlage?
Zuallererst: Ich habe jetzt noch nie von einem Verlag gehört, der diese oder jene Perspektive bevorzugt, also zumindest sind mir solche Wünsche nicht bekannt, ich kann mich also auch nicht nach ihnen richten.
Ich richte mich auch nicht wirklich direkt nach dem Leser ... auch wenn er durchaus mit hinein spielt.
Meine Perspektivenwahl funktioniert auf verschiedenen Ebenen:
1. Persönliche Vorliebe: Wie Kati liebe ich die Ich-Perspektive und zu dieser Vorliebe stehe ich. Es ist jedoch nicht eine am häufigsten benutzte Perspektive - das ist die personale. Das zeigt, dass ich zwar meine Vorliebe habe, sie aber nicht endgültig ausschlaggebend ist. Die persönliche Meinung ist jedoch ausschlaggebend, bei meiner Hassperspektive: Ich schreibe sehr sehr ungerne auktorial. Dementsprechend nutze ich sie nur sehr, sehr selten weil ich mich nicht wohl mit ihr fühle. Es ist also hier nicht so, dass ich eine andere Perspektive lieber mag, sondern ich fühle mich regelrecht unwohl in der auktorialen Perspektive und baue auch oft Fehler rein, indem ich in eine andere hineinrutsche - ich muss sie also durchaus auch noch üben, beherrsche sie nicht richtig. Bei jeder ach so kleinen Gelegenheit werden meine Gedanken von alleine in eine andere Perspektive rutschen.

2. Die Figur und ihre Rolle: Nicht jede Figur eignet sich für jede Perspektive. Das fängt schon einmal bei der auktorialen Perspektive an: Wenn man einen Perspektivträger will, kann man auktorial vergessen oder man wählt einen der Geschichte übergeordneten Erzähler wie einen Gott, einen Chronisten der wirklich alles weiß, einen Autor, der die von ihm geschriebene Geschichte erzählt (dessen Allwissenheit ich dann aber aus eigener Erfahrung anzweifeln würde!) oder sonst eine allwissende Macht. Ansonsten hat man eben keinen Perspektivträger sondern einen Erzähler, der selbst nicht auftaucht.
Fast alle Figuren eignen sich für die personale Erzählperspektive, zumindest ist mir noch keine untergekommen, die es nicht würde. Bei manchen muss man mehr aufpassen als bei anderen, aber mit ein wenig Fingerspitzengefühl gehen sie alle - ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, wenn jemand eine Figur hat, die sich nicht für eine personale Perspektive eignet.
Manche Figuren eignen sich nicht für die Ich-Perspektive. So zum Beispiel Figuren, die zu viel wissen. Da die Ich-Perspektive stark in den Kopf eintaucht, kann zu viel Wissen in dieser Perspektive sehr sehr fatal werden, da es entweder nicht mehr möglich ist, die Ich-Perspektive gut auszuführen, oder man spoilert den Leser. Dann habe ich noch Figuren gehabt, die von ihrer Denkart einfach so andersartig und anstrengend waren, das zu viel Zeit in ihrem Kopf Leser und Autor durchaus kirre machen können - Verrückte sind da immer ein Kandidat für, aber auch andere Charaktere mit sehr starken, dominanten Zügen neigen dazu, so anstrengend zu denken und zu fühlen, dass ein dauerhafter Aufenthalt in ihrem Kopf der Geschichte und/oder dem Empfinden des Lesers schaden kann. Diese Figuren eignen sich nicht oder nur bedingt für eine Ich-Perspektive.

3. Die Form und der Inhalt der Geschichte
Ich muss wissen, was ich erzählen will und nicht jede Perspektive eignet sich für jede Geschichte. Schreibe ich ein episches, breit angelegtes Abenteuer, in dem die Welt mit ihren Besonderheiten eine große, vielleicht sogar die tragende Rolle spielt und die Handlung selbst etwas weniger wichtig, die Charaktere noch weniger wichtig sind, so brauche ich eine Perspektive mit möglichst viel und auführlicher Außensicht. Die Innensicht kann vernachlässigt werden. Das Erzähltempo ist hier meistens eher träge und daher ist Dynamik zwar durchaus auch an bestimmten Stellen wichtig, aber die Perspektive muss nicht auf Dynamik ausgelegt sein, sondern lediglich fähig, sich dorthin zu entwickeln. Für solche Geschichten ist die Ich-Perspektive auf keinen Fall zu wählen, weil sie nicht die Möglichkeit der breiten Weltdarstellung hat und viele Informationen so nicht geliefert werden können. Die personale Perspektive ist möglich, aber sie hat Einschränkungen und ist nicht optimal. Hier bietet sich die auktoriale Perspektive wirklich an, weil sie alle Vorraussetzungen für eine solche Geschichte erfüllt. Ebenso eignet sie sich gut für Märchen, Sagen oder Chronistenberichte. Da kommt man sogar meistens gar nicht ohne sie aus.

Wenn ich eine "plot-driven Story" erzählen möchte, bei der die Handlung im Vordergrund steht und Welt und Charaktere zwar nicht unwichtig sind, aber zumindest geringer gewichtet bei ihrer Rolle für den Plot, dann brauche ich eine Perspektive, die viel Dynamik von allen Seiten zulässt und sich nicht zu sehr auf eine Figur konzentriert. Innensicht und Außensicht können beide wichtig sein, meistens halten sie sich hier sogar die Waage, das Erzähltempo ist meistens schneller und es gibt viel Handlung, die szenisch dargestellt werden sollte. Je nach Gewichtung ist die Ich-Perspektive hier zwar durchaus möglich, aber sie verschiebt das Augenmerk der Geschichte ein wenig zugunsten des Charakters. Dessen sollte man sich dann bewusst sein. Ansonsten ist die personale Erzählperspektive hier sehr gut geeignet. Sie ist nicht so träge, wie auktorial gerne wird, näher an der Figur und erlaubt dadurch eine direktere Vermittlung der Handlung. Zudem ist die personale Perspektive sozusagen ein Mittelweg zwischen auktorial und Ich-Perspektive. Sie kann alle Vor-und Nachteile beider Perspektiven haben, denn je nachdem, wie sie genutzt wird, kann sie sehr nah an einer Ich-Perspektive sein (wenn man enorm nah an den Charakter herangeht) oder sehr nah an einer auktorialen (wenn man sich sehr weit von den Figuren entfernt) - sie ist damit die flexibelste der Perspektiven, muss nicht immer einen Schwerpunkt haben und kann auch schwanken. dafür ist sie nicht gut brauchbar, wenn man in die Extrembereiche hinein muss (detaillierte Weltbeschreibung mit Wissen, das keine Person haben kann oder totaler unvermittelter Inneneinblick in eine Figur).

Die Ich-Perspektive eignet sich gerne bei dem Protagonisten einer "character-driven Story", die hauptsächlich durch den spezifischen Charakter einer Figur vorangetrieben wird. Da sie die engste Sicht an den Charakter aufweist und sozusagen den totalen Blick in den Kopf ermöglicht, kann man so den Charakter gut ausleuchten und die Beweggründe deutlicher machen. zudem erzeugt es eine enorme Nähe an der Figur, die oft schneller zu Sympathien oder auch Antpathien seitens des Lesers führt - eine Identifizierung mit oder zumindest eine Gefühlsentwicklung für eine bestimmte Figur ist bei solchen, auf den Charakter fokussierten Geschichten, ja meistens essentiell wichtig und dazu braucht man eine tiefe Innensicht, eine beschränkte oder bewertete Außensichtdurchaus auch gerne mit limitierter Glaubwürdigkeit, sowie eine möglichst große Nähe am Charakter. Daher eignet sich die Ich-Perspektive hier mit am Besten.

Natürlich sitze ich nicht da und ordne meine Geschichten einem der drei Schemata zu und entscheide dann kategorisch. Was ich sagen will ist: Jede Perspektive hat ganz spezifische und deutliche Vor- und Nachteile und eignet sich aus genau diesem Grund analysierbar besser für diesen oder jenen Zweck. Daher kann es ganz pragmatische, handwerkliche Gründe haben sich für eine Perspektive zu entscheiden. Das tue ich meistens allerdings unterbewusst, weil ich ja instinktiv weiß, welche Geschichte ich erzählen will, zu welchem Zweck, ob die Figur sich hierfür oder dafür eignet und am Ende führt dann der Weg meistens nur zu einer bestimmten Perspektive, die für dieses Buch und/oder diese Figur die Richtige ist. Aber wenn ich später darüber nachdenke, warum ich jene oder diese Perspektive gewählt habe, stellt es sich immer heraus, dass die instinktive Entscheidung im Sinne der oben genannten Kriterien geschehen ist. Man kann daher wahrscheinlich auch umgekehrt gehen und sich im Zweifelsfall die Fragen stellen: Was will ich erzählen und wo liegt mein Fokus? Was brauche ich dafür? Welche Perspektive liefert das? Ist die gewählte Figur (falls es eine gibt) in der Lage, diese Perspektive zu tragen oder handle ich mir damit Probleme ein? Meistens bleibt ganz schnell nur eine Perspektive übrig.

Ich bin auch allgemein der Meinung, dass es eigentlich keine "bessere" oder "schlechtere "Perspektive gibt, weder für einen Verlag, noch für einen Leser, noch für einen Autor. Es gibt persönliche Vorlieben, das ist eine Sache, legitim und wir alle haben welche. Aber vollkommen unabhängig davon gibt es auch das Zusammenspiel zwischen Form und Inhalt. In diesem Fall ist die Form die Perspektive. Passt die gewählte Perspektive nicht zum Inhalt, passieren schneller Fehler - so neigen Fantasy Autoren, die eine auktoriale Perspektive für eine Geschichte, deren Fokus auf der Handlung liegt, schnell dazu, unnötig zu "Schwafeln". Weil die auktoriale Perspektive einfach mehr Fokus auf das Außenrum legt und zu Weltenbeschreibungen verleiten kann. Genauso schleichen sich in Weltenbeschreibungen mit personaler Perspektive, oder Ich-Perspektive schneller Fehler, weil die Perspektiven sich nur bedingt für diese Beschreibungen eignen und man aufpassen muss, dass man nichts durcheinander wirft. Das ist kein Fall von "jene Perspektive ist schlecht(er)", sondern ein Fall von: Die Form passt nicht zum Inhalt, was ein handwerklicher Mängel ist.

Daher bin ich immer wieder gezwungen, mich gegen meinen Liebling zu entscheiden, weil die Ich-Perspektive sich nicht für alles eignet. Auch bin ich nicht zufrieden damit, dass mir die auktoriale Perspektive Probleme bereitet, da ich denke, um alle Fälle als Autor abdecken zu können, muss ich auch alle Perspektiven beherrschen. Ich darf Vorlieben haben. Aber ich muss mir bewusst sein, dass ich unter Umständen gezwungen sein kann, entgegengesetzt meiner Vorlieben zu handeln, um der Geschichte einen Gefallen zu tun. Meistens klappt das dann auch und die eigentlich verhasste Perspektive wird beim richtigen Inhalt leichter und schöner.

Das ist zumindest meine Erfahrung und bisher hat diese "Methode" auch immer funktioniert.

FeeamPC

@Kati:
Ich habe einen Verlag, und ich habe schon mal dem einen oder anderen Autoren nahegelegt, die Perspektive zu ändern, weil die Geschichte sonst nicht richtig zog.
Der Leser braucht immer eine Perspektive, bei der er richtig mitfiebern kann, und die ihn etwas fühlen lässt. Auktorial geht das natürlich auch. Aber der Stil muss zur Geschichte und zum Zielpublikum passen. Ich würde sagen, je jünger das Zielpublikum, desto wahrscheinlicher braucht die Geschichte eine personale Perspektive.

Churke

Zitat von: Valaé am 09. September 2013, 14:30:24
In der Ich-Perspektive fällt es leichter, nicht so auszuschweifen, aber dafür ist man sehr, sehr eingeschränkt und ausführliche Weltenbeschreibungen, die über das Personenwissen hinaus gehen, werden unmöglich.
Unmöglich? Weshalb? Ich kann dem Erzähler jedes Wissen über die Welt geben, das ich brauche. Wenn die Geschichte im Präteritum geschrieben ist, kann er dieses Wissen auch außerhalb der Handlung (also nachträglich) erworben haben.
Dabei wäre es sogar absolut plausibel, dass der Erzähler aus dramaturgischen Gründen nur einen Teil seines Wissens offenbart.

Valaé

#233
@ Churke: Nein, man kann dem Ich-Perspektivenerzähler nicht jedes Wissen über die Welt geben, das man braucht. Ja, er kann Wissen außerhalb der Handlung erworben haben, aber er kann beispielsweise Veränderungen innerhalb der Welt, die während der Geschichte passieren, währenddessen er eindeutig an einem anderen Ort ist, wo er davon nichts mitbekommen haben kann, nicht wissen. Zum Beispiel. Ich sagte ja, Wissen, das über das Personenwissen hinaus geht, kann man in dieser Perspektive nicht beschreiben. Wie man das Personenwissen dann aber anlegt, ist eine andere Frage. Natürlich kann der Charakter Dinge vor der eigentlichen Handlung erfahren haben. Anders als beim auktorialen Erzähler ist es jedoch dann oft vonnöten, zu erklären, wie eine Person, die nicht eindeutig bereits die Voraussetzungen mitbringt, um gewisse Dinge zu wissen, an jenes Wissen kam, sonst leidet die Glaubwürdigkeit. Deswegen werden enorm ausführliche Weltenbeschreibungen bei vielen Ich-Perspektiventrägern unmöglich, da für die ganz spezifischen Details von x Ländern und Städten, ihrer Vergangenheit, Bräuche etc. etc. eine so umfassende Bildung vonnöten wäre, die die meisten Ich-Perspektiventräger innerhalb von Fantasy nicht haben.

Aber das Argument an sich ist richtig, deswegen habe ich ja gesagt, Beschreibungen die über das Figurenwissen hinausgehen. Wenn man eine Figur mit sehr großem Figurenwissen hat sind ausführliche Weltenbeschreibungen natürlich möglich. Die Frage ist jedoch, ob ich einen solchen Charakter in meiner Geschichte habe und wenn nicht, wie viel Wissen ich einer Figur andichten kann, ohne unglaubhaft zu wirken.

Edit: Ich habe vorhin etwas überlesen. Was du ansprichst ist ein Ich-Erzähler, der im Präteritum erzählt, also rückblickend auf eine Geschichte, die er selbst erlebt hat. Ja, dann ist eine zusätzliche Aneigung nach der eigentlichen Handlung auch möglich, aber auch dann ist er eben nicht allwissend und es wird Bräuche und Dinge in der Welt geben, über die er nicht gestolpert ist, oder von denen er nicht wissen kann. Die ganz genauen Handlungen des Antagonisten beispielsweise wird ein Ich-Erzähler vermutlich auch später nie wieder ganz genau so rekonstruieren können, wie sie waren, nicht in allen Details. Versucht er es, ist er ein wenig unglaubwürdig, womit man spielen kann, aber die wenigsten Fantasyromane gehen so weit.
Es gibt Mittel und Wege, wie bei jeder Perspektive, die Mittel der Perspektive zu dehnen. Aber man sollte sich dann bewusst sein, das die Perspektive normalerweise nicht so gut für solche Dinge zu gebrauchen ist und um die Gefahr wissen, dass man dabei schnell unglaubwürdig wird. Ein Ich-Erzähler, auch wenn er erst nach der Handlung erzählt, der wirklich über jedes kleinste Detail Bescheid weiß, sei es innerhalb der Welt, der Handlung oder gar den inneren Beweggründen anderer Charaktere ist für mich unglaubwürdig und strapaziert das Figurenwissen zu sehr - immerhin ist ja gerade das, dass der Ich-Erzähler nicht alles weiß ein Gewinn dieser Perspektive.
Ausnahme besteht dann, wenn der Ich-Erzähler selbst irgendein allwissendes Wesen sein sollte. So was soll es auch geben. Aber auch dann stimmt der Satz: Jede Beschreibung über das Figurenwissen hinaus ist unmöglich. Ein allwissener Ich-Erzähler hat ein allwissendes Figurenwissen. Ein sehr umfangreich informierter hat ein sehr umfangreiches Figurenwissen. Aber dann muss die Figur entsprechend konzipiert sein und das auch rüberbringen. Die wenigsten Ich-Erzähler in Fantasyromanen sind jedoch allwissend oder sehr umfassend informiert, genauso wie die wenigsten eindeutig aus der Vergangenheit erzählen.

Malinche

Zitat von: Valaé am 09. September 2013, 16:12:53
@ Churke: Nein, man kann dem Ich-Perspektivenerzähler nicht jedes Wissen über die Welt geben, das man braucht. Ja, er kann Wissen außerhalb der Handlung erworben haben, aber er kann beispielsweise Veränderungen innerhalb der Welt, die während der Geschichte passieren, währenddessen er eindeutig an einem anderen Ort ist, wo er davon nichts mitbekommen haben kann, nicht wissen. Zum Beispiel. Ich sagte ja, Wissen, das über das Personenwissen hinaus geht, kann man in dieser Perspektive nicht beschreiben. Wie man das Personenwissen dann aber anlegt, ist eine andere Frage. Natürlich kann der Charakter Dinge vor der eigentlichen Handlung erfahren haben.

Churke erwähnte ja außerdem die Möglichkeit, dass der Ich-Erzähler Dinge auch nachträglich erfahren haben kann. Also nach und nicht vor der Handlung. Wenn er die Geschichte überlebt und sie zehn Jahre später erzählt, kann man es also schon legitim hinbekommen, dass er uns auch über etwas informiert, das zu einer Zeit an einem anderen Ort passiert und wovon er damals nichts mitbekommen hat. In dem Sinne von: Erst später erfuhr ich, dass die Korsaren von Hayabiti in die Stadt vorgedrungen waren, während wir noch in der Oasenfestung picknickten ...

Ich glaube, das wird auch tatsächlich öfter mal so gemacht (dieses Erzählen. Nicht das Picknicken), aber ich stimme dir auf alle Fälle zu, dass es sowohl zur Geschichte als auch zur Figur passen muss. Glaubwürdigkeit ist ein großer Faktor. Aber: Es lassen sich schon Wege finden, wie ein Ich-Erzähler Dinge wissen und erzählen kann, die er nicht selbst miterlebt hat.
Reizvoll ist es sicher auch, ihn mit bruchstückenhaftem Wissen zu versehen, das er vielleicht mal aufgeschnappt hat, oder ihm Schwierigkeiten beim Erinnern anzudichten. Ich schreibe selten in der Ich-Perspektive, aber ich denke, da gibt es viele spannende Kniffe, mit denen man die Möglichkeiten der Perspektive ausloten und den Erzähler gleichzeitig glaubwürdig und authentisch wirken lassen kann.
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Kati

Zitat von: ValaéIch wage zu behaupten, dass es hier keinen "einfachen" Weg gibt.

Oh, ich wollte keineswegs behaupten, dass es leichter wäre aus einer auktorialen Sicht zu schreiben. Ich meinte bloß diese Art von Buch, in der seitenlang die Welt erklärt wird, so frei nach dem Motto: "Bevor die Geschichte anfängt, erzähl ich mal genau, wie da alles aussieht und funktioniert." Das ist aber sicher kein Problem der auktorialen Perspektive, wie mir gerade einfällt, theoretisch könnte ich das auch einen Ich-Erzähler machen lassen. Ich glaube ich meinte: In der auktorialen Perspektive fällt es leichter, es sich leicht zu machen und einfach alles im Wikipedia-Stil runterzuschreiben. Ob das spannend oder flüssig zu lesen ist, steht auf einem völlig anderen Blatt.  :) Es ist natürlich nicht leichter aus der auktorialen Perspektive zu schreiben, ich könnte das überhaupt gar nicht. Jede Perspektive hat ihre Tücken und ich glaube nicht, dass eine leichter ist, als die andere.

FeeamPC: Das finde ich jetzt interessant, ich habe sowas noch nie gehört. Aber so, wie du es beschreibst, klingt das alles ziemlich logisch. Passiert das oft, oder ist es öfter, dass Stil, Perspektive und Geschichte harmonieren?

Zitat von: ChurkeUnmöglich? Weshalb? Ich kann dem Erzähler jedes Wissen über die Welt geben, das ich brauche. Wenn die Geschichte im Präteritum geschrieben ist, kann er dieses Wissen auch außerhalb der Handlung (also nachträglich) erworben haben.

Da ist auch wieder was dran. Es bleibt aber das Problem, dass ein Ich-Erzähler immer wertet. Ein völlig objektiver Ich-Erzähler, der dem Leser bloß erzählt, wie alles aussieht, ohne seine Meinung dazu zu sagen, liest sich sehr kalt und emotionslos. Da man sich natürlich immer wünscht, dass der Leser emotional in die Geschichte eintaucht, wäre das kontraproduktiv, weil es abblockt. Wenn ein Ich-Erzähler ganz objektiv keine seiner Emotionen preisgibt, fällt es umso schwerer mit ihm mitzufühlen und in die Geschichte einzutauchen.

Ein Ich-Erzähler kann natürlich jedes Wissen über die Welt haben, die man braucht, aber man kann mit einem Ich-Erzähler dieses Wissen nur sehr schwer für den Leser objektiv vermitteln. Wenn man natürlich gar nicht will, dass der Leser sich von Anfang an selbst eine Meinung bildet (was meistens der Fall ist), ist das natürlich auch kein Problem. Aber ich glaube, ein sachliches Bild von Orten, Personen oder Begebenheiten zu malen, ist aus dem Kopf einer Figur heraus schwer. 

Valaé

Hm ich werde das Gefühl nicht los, missverstanden zu werden.

Also noch mal: Ich habe nie behauptet, dass ein Ich-Erzähler Dinge, die er nicht selbst erlebt hat, nicht wissen kann. Ich habe lediglich gesagt, es ist in der Ich-Erzähler Perspektive unmöglich, Beschreibungen zu bringen, die über das Figurenwissen hinausgehen. Oder schlicht gesagt: Ein Ich-Erzähler kann nicht erzählen, was er nicht weiß. Aber er kann wissen, was er nicht erlebt hat.

Natürlich gibt es da Mittel und Wege, das habe ich doch auch nirgendwo bestritten  :hmmm:?

Das mit dem hinterher erfahren haben hatte ich beim ersten Mal überlesen, ja, aber trotzdem ist das hinterher etwas Erfahren ein Erweitern des Figurenwissens, das klar gemacht sein muss und dann ist es möglich, aber dann liegt das Erzählte doch wieder im Bereich des Figurenwissens.

Ansonsten bezogen sich meine Einschränkungen, was er vielleicht nicht wissen kann, auch weniger auf wirkliche Plotstränge, die er hinterher erfahren haben kann, sondern auf kleinste Details.
Beispielsweise wird er wohl kaum später noch erfahren, wie das Badewasser des Anführers der Korsaren von Hayabithi gerochen hat, bevor er das Bad verlassen hat und in die Stadt vordrang.
Ebenso wage ich zu bezweifeln, dass er, auch Jahre später noch, von jeder Stadt in der Welt jede kleine Gasse, die gesamte Vergangenheit dieser Gasse und jeden hohen Herren kennt, der einmal einen Fuß in diese Gasse gesetzt hat - wohlgemerkt von jeder Stadt. Auch ginge es mir schon zu weit, wenn eine Geschichte einer High Fantasy Welt eine Reise durch 5 Länder unternimmt, er den Ursprung jeder einzelnen Sprache kennt, den Urvater jedes Volkes, alle Städte in diesen Ländern, ihre Währungen, Bräuche etc.
Wenn er ein Universalgelehrter ist, dann ja. Aber nicht, wenn er das nicht ist.
Und diese Details sind es, auf die sich meine Einschränkung für die Ich-Perspektive bezieht. Nicht die groben Handlungsstränge. Die kann er mitbekommen, die kann er später erzählt bekommen, keine Frage.
Es gibt Mittel und Wege, ja. Das habe ich nie bestritten. Alles was ich abstreite ist: Das man einem Ich-Erzähler ohne Einschränkung jedes Wissen über die Welt geben kann. Also mit allen Details. Nur, wenn es zur Person passt und klar ist, woher er das Wissen hat. Es gibt also Einschränkungen durch den gewählten Erzähler und durch die Glaubwürdigkeit, was er noch wissen kann und was nicht. Ein Ich-Erzähler kann die Welt nicht so umfassend kennen wie ein auktorialer Erzähler, sonst wäre er allwissend. Es kennt ja auch kein Mensch jede Blume und jedes Staubkorn auf der Erde.

Darüber hinaus habe ich nur gesagt, dass ein Ich-Erzähler nicht erzählen kann, was er nicht weiß. Das er nicht erzählen kann, was er nicht erlebt habt, legt ihr mir jetzt ein wenig in den Mund, denn es steht nicht im Zusammenhang mit meiner Behauptung.

Malinche

Ich glaube, mein Post hat sich einfach mit deinem Edit überschnitten. Mich hatte es irritiert, dass du nur auf die Möglichkeit "Wissen vor der Handlung erwerben" eingehst, deswegen habe ich Churkes Beispiel noch ein wenig näher ausgeführt. :) Jenseits davon wollte ich dir nichts in den Mund legen. Dass ein Ich-Erzähler nicht erzählen kann, was er nicht weiß, da sind wir uns einig, aber ich sehe es eben als relativ gut machbar an, dass man als Autor dafür sorgt, ihn alles wissen zu lassen, was er erzählen soll - eben, indem man es zum Figurenwissen macht.

Das mit den Details stimmt natürlich auch - größtenteils. Wobei man da z.B. wiederum damit arbeiten kann, dass die Figur eine blühende Phantasie hat, eine Szene ganz oft im Traum erlebt hat oder sie ihr so oft erzählt wurde, dass sie schon selbst meint, dabei gewesen zu sein - und dann hat der Ich-Erzähler vielleicht wirklich den Badezusatz des Korsaren von Hayabiti (;D) in der Nase, während er diese Szene beschreibt, obwohl er gleichzeitig klar machen kann, dass er es so genau gar nicht weiß. Klingt jetzt ein wenig konfus, aber ich denke, es gibt Möglichkeiten, mit Details und Sinneseindrücken zu erzählen, dass der Leser intensiv miterlebt - selbst, wenn es sich nicht um die reale Erinnerung des Ich-Erzählers handelt. Deswegen schrieb ich auch noch von Möglichkeiten wie:

]quote]Reizvoll ist es sicher auch, ihn mit bruchstückenhaftem Wissen zu versehen, das er vielleicht mal aufgeschnappt hat, oder ihm Schwierigkeiten beim Erinnern anzudichten. Ich schreibe selten in der Ich-Perspektive, aber ich denke, da gibt es viele spannende Kniffe, mit denen man die Möglichkeiten der Perspektive ausloten und den Erzähler gleichzeitig glaubwürdig und authentisch wirken lassen kann.[/quote]

Auch hier gilt natürlich, da stimme ich dir uneingeschränkt zu, es muss zur Welt, zur Geschichte und zur Figur passen.
Und jetzt habe ich Lust, eine Geschichte mit badenden Korsaren zu schreiben ...  :hmmm:
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Valaé

Hm und ich war einfach ein wenig enttäuscht, dass ich mir so viel Mühe mache, zu betonen, dass alles Einschränkungen sind und das nichts davon wirklich ein Paradigma ist, das es x Möglichkeiten gibt, aber das man dann eben aufpassen muss, die nicht zu sehr zu dehnen weil man sonst nicht glaubwürdig ist und dann eben (gefühlt) darauf festgenagelt zu werden, ich hätte gesagt, dass Weltenbeschreibung in der Ich-Perspektive nicht anständig möglich ist. Ist sie, nur eben mit Einschränkungen verbunden, die man beachten muss. Und wenn es nur die Einschränkung ist, das man irgendwie klar machen muss, ob es Wissen oder Vermutung ist und wenn Wissen, woher das Wissen stammt.

Ah, mit der blühenden Fantasie machst du aber ein ganz anderes Fass auf  ;). Das ist ja dann kein Wissen mehr. Ich habe spezifisch nur über Wissen gesprochen und auch wiederum nie erwähnt, dass er das Badewasser und das darauf schwimmende Entchen nicht beschreiben kann - nur dass er darum wohl nie wissen wird und wenn er es beschreibt, ist es Vermutung oder Fantasie - das wiederum gibt einen ganz anderen Ton in die Erzählung und bringt wieder andere Einschränkungen, Möglichkeiten usw. mit sich.
Natürlich gibt es Möglichkeiten, mit einem Ich-Erzähler Details, Sinneseindrücke etc. zu erzählen, auch die, die er nicht wissen kann. Wie gesagt, ich sage nur, man kann einem Ich-Erzähler nicht ohne Einschränkung jedes Wissen über die Welt mitgeben. Mann kann ihm sehr viel Wissen mitgeben. Und man kann ihn ohne Einschränkung erzählen lassen. Nur ist seine Erzählung dann nicht mehr von der gleichen Glaubwürdigkeit wie die eines auktorialen Erzählers, der vermutlich sogar weiß, dass zusammen mit dem Kommandanten der Korsaren auch sein Stellvertreter im Bad saß, welche Seife der benutzt hat und seit wann sich beide nicht mehr gewaschen hatten. Der Ich-Erzähler kann das auch erzählen - ob es sich dann aber so wirklich zugetragen hat ist wieder eine andere Frage.

Bruchstückhaftes Wissen und auch die Fantasie sind unglaublich wertvolle Mittel der Ich-Perspektive, die große Vorteile von ihr ausmachen, gar keine Frage. Ich schreibe ja sehr sehr oft in ihr und verwende da auch ganz gerne solche Kniffe. Oben ging es bei mir ja nur um die Einschränkungen, wann sich eine solche Perspektive eher nicht eignet.
Andere Vorteile der Ich-Perspektive liegen in ihrer ganz spezifischen Subjektivität oder auch ihrer Beirrbarkeit. Man kann einem Ich-Erzähler von einer anderen Figur einreden lassen, Dinge seien so oder so geschehen und dann waren sie ganz anders. Man kann den Ich-Erzähler auch nach genau den Details, die er nicht wissen kann, suchen lassen und seine eigene Unwissenheit damit thematisieren. Nur um kurz anzudeuten, dass wir bezüglich der Kniffe, die du da erwähnst, durchaus einer Meinung sind. Ich halte nicht umsonst die Ich-Perspektive ganz persönlich für eine der spannendsten.
Nur all die Details die viele Fantasyautoren zum Beschreiben ihrer Welt nutzen, wirklich als Figurenwissen darzustellen um der Anforderung: Mein Ich-Erzähler weiß alles, wass ich für diese Schilderung brauche - gerecht zu werden, übersteigt zumindest die Qualitäten der meisten Ich-Erzähler. Sie können es sich vorstellen. Sie können davon hören (aber auch dann ist es ein anderes Wissen, nämlich ein vermitteltes, das durchaus auch trügen kann). Sie können danach forschen. Aber kompromisslos wissen? Eher wenige.

Wie gesagt, das heißt überhaupt nicht, dass sich daraus Einschränkungen in der Ausführlichkeit der Darstellung ergeben müssen. Man hat dann nur die Wahl: Schränke ich die Ausführlichkeit ein? Oder die Glaubwürdigkeit meines Erzählers? Die allerdings ist bei einem Ich-Erzähler wiederum sowieso nie 100%, allein durch seine subjektive Erzählhaltung.

;D Das kann ich irgendwie verstehen.

FeeamPC

@Kati:
Ich kenne derartige "Regieanweisungen" der Verlage besonders aus den Genre-Romanen, z.B. Romanzen aller Art möglichst aus der Perspektive der Frau, möglichst in der 3. Person Vergangenheit, und die Perspektive wenn möglich strickt durchgehalten.
Urban Fantasy wird vom Publikum gerne mit Ich-Erzähler akzeptiert, Historisches nicht so gerne. usw.
Beim Krimi geht beides, auch Gegenwartsform, beim Thriller personal, aber in der 3. Person,. usw.

Zusätzlich haben natürlich manche Verlage noch eine eigene Hausordnung für bevorzugte Erzählformen.