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Wenn die Ideologie des Autors Einfluss auf die Kaufentscheidung seiner Werke hat

Begonnen von Nirahil, 02. Dezember 2013, 11:57:22

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HauntingWitch

Zitat von: Nirahil am 02. Dezember 2013, 11:57:22
Stoße ich jetzt also auf solch dubiose Gestalten wie Herrn Card, dann finde ich das, was im Kopf dieses Menschen so vorgeht, erstmal zum ... ihr wisst schon. Ich mag ihn nicht, aber ich mag seine Werke - muss ich mich deshalb entscheiden? Muss ich mir gute Geschichten entgehen lassen, nur weil der Typ, der dahinter steckt, nicht meine Meinung teilt oder so eine bescheidene Meinung hat, dass man, sobald man davon hört, nichts mehr von ihm hält? Ich finde das ehrlich gesagt nicht. Das Werk mag von ihm stammen und er bekommt einen Teil des Verkaufserlöses, ja, aber das bekommt er doch nicht, weil ich seine Meinung gutheiße. Das bekommt er, weil ich seine Geschichte mag.

Grundsätzlich (bis auf einen Spezialfall, siehe weiter unten) stimme ich Nirahil voll und ganz zu, auch mit ihren anderen Aussagen. Besagten Autor kenne ich zwar nicht, aber ich habe dasselbe in der Musik: Müsste ich aus moralischen Gründen Musiker boykottieren, müsste ich auf eine ganz Menge tolle, inspirierende und bereichernde Musik verzichten. Das einzige, was das bringt, ist, dass ich mir das tolle Werk verwehre. Denn: Ja, man schiebt dem Schöpfer des Werkes  Geld zu und das stösst auf. Aber kein Mensch wird seine Ansichten oder seinen Charakter ändern, nur weil sein Werk boykottiert wird. Jemand, der fragwürdige Ansichten hat, wird diese Ansichten auch dann noch haben, wenn sich niemand mehr für sein Schaffenswerk interessiert. Und vermutlich hat er diese Ansichten oder Charaktereigenschaften auch schon gehabt, bevor er berühmt geworden ist. Ganz abgesehen davon, dass es immer Leute gibt, die das Werk toll finden, womit die anderen aus Sicht des Autors wohl keine Relevanz für ihn haben werden.

Mich interessiert zwar auch, wer hinter einem Werk steckt und was er für ein Mensch ist. Aber das wäre für mich kein Entscheidungsgrund. Stören würde es mich, wenn diese fragwürdigen Dinge in das Werk einfliessen, aber dann wiederum deswegen, weil mir das Werk dann deswegen nicht gefällt.

Es kann sein, dass ich eine solche Antipathie für jemanden entwickle, dass ich dessen Werk weniger als zuvor oder gar nicht mehr mag. Weil ich die Sache dann nicht mehr richtig geniessen kann. Das passiert aber unbewusst und die Schmerzgrenze ist da bei mir sehr weit oben, z.B. wenn mich von jemandes Aussagen direkt beleidigt fühle. Aber auch da kommt es auf den Grad an, wie das gemacht wird, in welchem Rahmen es geschieht usw. Zwei Beispiele, ebenfalls aus der Musik: Da gibt es Bands mit frauenfeindlichen Songs bzw. ebensolchen Ansichten, die sie auch freimütig vertreten. Ist aber nun die Musik so toll, dass ich einfach nicht verzichten möchte, sage ich mir, was soll's, ich muss mich ja nicht mit diesen Menschen herumschlagen. Vor einigen Jahren gab es allerdings einen Musiker, ein Metal-Sänger, der damit immer noch sein Geld verdient, der glaubte, in einem offenen Statement Metal und seine Anhänger als schlecht verteufeln zu müssen. Damit habe ich ein so grosses Problem, dass ich die Musik nicht mehr hören kann, weil es mir bei dem Gedanken einfach ablöscht. Der hat sich mittlerweile entschuldigt, daher kann ich mir seine tolle Stimme wieder anhören, aber nicht ohne diesen bitteren Nebengeschmack.

Alessa

Normalerweise interessiere ich mich selten für einen Autor oder einen Schauspieler. In der Regel möchte ich ihre Werke genießen - oder auch nicht - ohne den Hintergrund zu kennen. In ihrer Gedanken- und Gefühlswelt sind sie ebenso frei, wie ich und dieses Recht möchte ich ihnen auch nicht absprechen. Allerdings - und hier kommt der große Haken - kann ich dann auch nicht darüber hinwegsehen, wenn sie ihren Bekanntheitsstatus nutzen, um rechtsradikale oder andere menschenverachtenden Äußerungen in die Massen zu hauen. Wie gesagt, in ihren Gedanken sind sie frei, aber alles was sie verbal oder anderweitig bekannt geben, kann negativ oder positiv beeinflussen, je nachdem, welche Gesinnung der Zuhörer/Leser hat.
Und da kommt der Schlips für mich ins Rad. Insofern der Autor ein kleiner Zeitungsjunge wäre, würde niemanden seine Kommentare interessieren, allenfalls ein paar Freunde/Bekannte. Aber umso bekannter ein Autor/Schauspieler wird, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt er. Und meine entziehe ich ihm in dem Fall, dass er eine Gesinnungen verbreitet, die nach meiner Meinung menschenunwürdig ist.

Churke

Früher wurden falsche Bücher verbrannt. Heute muss man falsche Autoren boykottieren. Schöne neue Welt.

Nirahil

Zuallererst möchte ich euch danken, denn durch euch habe ich gerade eine Menge gelernt. Jetzt verstehe ich besser, wie tief dieses Problem reicht, wie die verschiedenen Beweggründe aussehen und komme auch zu der Erkenntnis, dass das Thema verdammt schwierig ist.

Zitat von: Kati am 02. Dezember 2013, 13:23:37
Und, wenn ich weiß, dass ein Autor zum Beispiel total homophobe Ansichten hat, dann könnte ich von dem nichts lesen. Erstmal würde es mir den Spaß verderben, weil ja doch von jedem Autor ein Stück in seinem Buch steckt. Und Leute mit starken Meinungen schaffen es auch meistens nicht, diese aus ihren Werken fernzuhalten.
Aber ein Mensch ist doch mehr, als seine homophobe Ansicht. Ein Mensch hat mehr Meinungen, mehr Träume, mehr zu bieten, als eine menschenverachtende Art - damit möchte ich jetzt keinesfalls sagen, dass gute Ansichten eine oder mehrere schlechte entkräften würden, aber ich denke, man darf nicht vergessen, dass ein Mensch vielschichtig ist. Wie Malinche schon sagte, sind Menschen komplex. Weil ich Nächstenliebe gut finde, heißt das nicht, dass ich unterstütze, was die Kirche tut (okay, der Vergleich hinkt arg, aber ich kann mich gerade nicht besser ausdrücken). Natürlich kann die negative Meinung in eine Geschichte einfließen, aber sie muss nicht. Für mich ist das der Punkt, wo ich mich selbst davon überzeugen möchte, ob er in seinem Werk quasi propagiert oder nicht. Tut er das, ist es für mich ein Grund, dem aus dem Weg zu gehen. Tut er das aber nicht, sehe ich keinen Grund, ihn zu boykottieren.

Darüber hinaus finde ich allerdings auch, dass manche Meinungen definitiv nicht herum posaunt werden sollten, weil sie argen Schaden anrichten können. Aber der Kerl auf der Bühne wird seine Klappe nicht davon halten, dass ich sein Buch nicht kaufe.  :-\

Ich kann aber deine Beweggründe nachvollziehen, Kati, und ich hoffe, du fühlst dich von meinen Worten nicht angegriffen oder etwas in der Art.

Was den Frontsänger von Lostprophets betrifft: wahrscheinlich bin ich sehr blauäugig, aber ich verbinde auch den nicht mit seiner Musik. Ich weiß nicht, ob das aus Dummheit oder aus Selbstschutz geschieht, aber ich trenne trotzdem seine Musik von seinem Wesen ab. Was er getan hat, ist so furchtbar, dass mir gerade nicht mal mehr einfällt, was ich sagen wollte, weil mir so viele Schimpfwörter durch den Kopf gehen, die er alle verdient hat, aber er hat für mich mit seiner Musik nichts zu tun. Er hat sie komponiert, er hat sie gesungen, er hat sie performt und wahrscheinlich wird er sagen, er ist sie. Aber für mich ist er nicht seine Musik. Würde ich das doch miteinander verbinden, würde ich mit ziemlicher Sicherheit reagieren wie Mogylein.
Ich tanze wie ein Kind im Nebel,
zufrieden, weil ohne Ziel.
Callejon - Kind im Nebel

Kati

Zitat von: NirahilAber ein Mensch ist doch mehr, als seine homophobe Ansicht. Ein Mensch hat mehr Meinungen, mehr Träume, mehr zu bieten, als eine menschenverachtende Art - damit möchte ich jetzt keinesfalls sagen, dass gute Ansichten eine oder mehrere schlechte entkräften würden, aber ich denke, man darf nicht vergessen, dass ein Mensch vielschichtig ist.

Natürlich sind Menschen komplex. Und jetzt? Das ändert nichts daran, dass sie mit dieser einen Facette ihres Seins anderen Menschen Rechte wegnehmen wollen, die jedem Menschen zustehen. "Aber er ist doch nicht nur rassistisch, er ist auch so tierlieb und ein toller Fotograf." Aber seine rassistische Anschauung geht gegen eine ganze Gruppe von Menschen, die am Arbeitsplatz, auf der Straße und sonst überall jeden Tag, jede Minute mit Rassismus und den Folgen konfrontiert werden. Sorry, aber wie ein Mensch sonst drauf ist, ist mir egal, wenn eine seiner Facetten hasserfüllt und menschenverachtend gegen die Grundrechte anderer Menschen geht. Nehmen wir mal Herrn Card. In seinen Geschichten spiegelt sich seine Ideologie nicht wieder. Aber er schreibt Artikel gegen Gay Marriage, er hat aktiv an Prop8 mitgearbeitet, Anfang der 90er hat er sich dafür eingesetzt, aus Homosexualität wieder eine Straftat zu machen. Und das Geld für diese Projekte schmeiß ich ihm nicht hinterher, indem ich seine Bücher kaufe. Und da kann er ansonsten noch ein so toller Mensch sein und tolle Bücher schreiben, er möchte, dass andere Menschen nicht dieselben Rechte haben wie er, bloß, weil sie homosexuell sind. Und das ist eklig.

Angegriffen fühl ich mich nicht, keine Angst.  :) Ich finde bloß, dass man Menschen, die so aktiv versuchen anderen Menschen Rechte wegzunehmen, nicht mit Mitleid, Schutz und "Er ist aber ansonsten ein guter Mensch" entgegentreten muss.

Cairiel

Ich würde niemals das Werk eines Autoren lesen, der z. B. homophob oder frauenfeindlich ist (sofern ich es weiß, versteht sich). Da kann das Buch noch so gut sein, aber andere Autoren haben auch gute Bücher. Wenn ich ein Buch lese, lese ich im besten Fall ein mit Herzblut erschaffenes Werk von ihm, das ganz klar irgendwo seinen ideologischen Fingerabruck hat. Und wenn mir diese Ideologie gelinde gesagt gegen den Strich geht, lasse ich meine Finger davon.

Ich sehe die Sache nichtsdestotrotz ein bisschen wie Malinche: Es ist schwierig und ich würde niemanden verurteilen, der sich das Buch eines solchen Autors kauft.

@ Nirahil, dieses Vielschichtigkeis-Argument halte ich für bedenklich. Das trifft wohl auf fast alle Menschen zu, auch Terroristen, Diktatoren usw.  Um beim Beispiel zu bleiben: Homophobie ist für mich ein No-go. Es zeugt von einem extremen Mangel an Empathie, und mit einem solchen Menschen - oder seinen Werken - will ich nichts zu tun haben. Da kann er noch so ein liebevoller Vater/eine liebevolle Mutter oder guteR AutorIn sein.

Nirahil

Ich verstehe. Vielen Dank für eure Meinungen, das gibt mir definitiv wieder Stoff zum Nachdenken. :)
Ich tanze wie ein Kind im Nebel,
zufrieden, weil ohne Ziel.
Callejon - Kind im Nebel

Jara

Ich halte es da weitgehend wie Kati.
Warum?
Ich suche mir in meinem Privatleben die Menschen, die Teil meines Lebens sein dürfen, sehr genau aus. Dabei muss ich keine Rücksicht auf moralisch abstrakte Konzepte wie Gleichberechtigung nehmen. Versteht mich nicht falsch. Ich halte viel davon, dass jeder Mensch vor dem Gesetz gleich ist, dass jeder prinzipiell die gleichen Rechte hat etc. Aber das heißt nicht, dass jeder Mensch das Recht haben muss, sich mir anzunähern. Ich muss einem Nazi, Homophoben, Rasissten, . . ., nicht das Recht geben, mich davon zu überzeugen, dass er "eigentlich, von dieser einen Sache abgesehen" ein guter Kerl ist. Will ich nämlich nicht. Das sind für mich Ausschlussgründe und ich muss mich nicht rechtfertigen, wenn ich mit so jemandem nichts zu tun haben will.
Warum sollte das für mich dann bei Autoren/ Schauspielern/ Regisseuren anders sein? Ich würde mir selbst scheinheilig vorkommen, wenn ich auf der Straße gegen rechts demonstriere und dann einen Autor aus diesen Kreisen unterstütze. Und dabei macht es keinen Unterschied, ob ich eine rechtsradikale Vereinigung oder ein einzelnes Mitglied einer solchen unterstütze. Ich würde ihm auf er Straße ja auch kein Geld zustecken.
Schwieriger ist es bei einem Autor nur, herauszufinden, dass er eine Gesinnung hat, mit der ich nicht einverstanden bin. Deswegen kann ich seine Werke naürlich auch erst boykottieren, sobald ich davon erfahren habe. Und das ist manchmal erst der Fall, nachdem ich etwas von ihm gelesen habe. Ich werfe die Bücher dann aber natürlich nicht weg. Das würde nämlich auch nichts besser machen.
Ich weiß natürlich auch, dass der betreffende Autor sich nicht ändert, nur weil ich seine Bücher nicht kaufe. Aber darum geht es mir persönlich auch nicht. Ich möchte hauptsächlich, wenn auch nur für mich selbst, ein Zeichen setzen, dass bestimmte Dinge - gelinde gesagt -  nicht ok sind.

Ich finde es natürlich trotzdem in Ordnung, wenn jemand anders das anders sieht und die entsprechenden Bücher trotzdem kauft, weil er einen künstlerischen und keinen morlischen Anspruch an Autoren stellt. Aber die Frage war ja, wie wir das persönlich handhaben ;)

HauntingWitch

Zitat von: Jara am 02. Dezember 2013, 14:41:56
Ich muss einem Nazi, Homophoben, Rasissten, . . ., nicht das Recht geben, mich davon zu überzeugen, dass er "eigentlich, von dieser einen Sache abgesehen" ein guter Kerl ist. Will ich nämlich nicht. Das sind für mich Ausschlussgründe und ich muss mich nicht rechtfertigen, wenn ich mit so jemandem nichts zu tun haben will.
Warum sollte das für mich dann bei Autoren/ Schauspielern/ Regisseuren anders sein? Ich würde mir selbst scheinheilig vorkommen, wenn ich auf der Straße gegen rechts demonstriere und dann einen Autor aus diesen Kreisen unterstütze. Und dabei macht es keinen Unterschied, ob ich eine rechtsradikale Vereinigung oder ein einzelnes Mitglied einer solchen unterstütze. Ich würde ihm auf er Straße ja auch kein Geld zustecken.

Das bringt mich gerade zum Nachdenken.  ;)

Alessa

Zitat von: Churke am 02. Dezember 2013, 13:40:57
Früher wurden falsche Bücher verbrannt. Heute muss man falsche Autoren boykottieren. Schöne neue Welt.
Ein muss gibt es nach meiner Meinung nicht. Jeder hat das Recht, sich frei zu entscheiden, ob er das Werk eines Autors kauft, der seine Bekanntheit als Sprachrohr seiner menschenverachtenden Meinung nutzt.

Ich nehme mir die Freiheit, selbst zu entscheiden, was ich sowohl mit meinem Geld als auch mit meiner Freizeit anfange und da kann ich von niemanden verlangen, sich nach mir zu richten. Und wie gesagt, ich gehe realtiv unbescholten an meine Auswahl der Bücher, die ich lesen möchte. In der abgedruckten Kurzvita wird man selten eine politische Meinung finden, zumindest in der Belletristik. Und solange ich blind im Bezug zur Einstellung eines Autors bin, lese ich sein Werk, wenn es mich anspricht. Und vielleicht würde ich es auch lesen, wenn ich seine Einstellung kenne, ich weiß es nicht, da ich die Wahl noch nie hatte.

Debbie

@Moni: Ich wusste dass Tom Cruise bei Scientology ist - aber ich hab mich da wohl nicht deutlich genug ausgedrückt  ;)

Dahlia

Mir fällt es auch oft schwer, das Buch vom Autor und dessen Ideologien zu trennen.

Wenn ich weiß, dass jemand sexistische, rassistische oder homophobe Ansichten pflegt, dann kann ich das schwer beim Lesen aus meinem Hinterkopf verdrängen, weil es Themen sind, die mir sehr wichtig sind. Auch wenn der Autor die Themen nicht direkt anspricht, sind es doch Sachen, die bei der Konstruktion der Gesellschaft etc. mitschwingen (Diversität wird man da wohl eher weniger vorfinden ::) )
Ich selbst merke ja, wie viel meiner Ideologien in meine Geschichten einfließen und wenn ich sie nicht bewusst thematisiere, dann ist es doch irgendwie unterschwellig dabei.

Wenn ich ein neues Buch lese, recherchier ich aber auch nicht vorher den Autor - wenn der sich dann im Nachhinein als homophob etc. herausstellt, dann schmeiß ich das Buch nicht weg, werde aber auch mit großer Wahrscheinlichkeit keine weiteren Werke des Autors lesen.

Bei Filmen ist das bei mir ein bisschen anders. Da ist es mir dann wichtiger, welche Aussage der Film an sich hat, als wer die Hauptrolle gespielt hat, da ein Film (in der Regel) aus der Leistung von mehr als nur einem Schauspieler besteht und dessen politische/religiösen Ansichten ja auch nicht in seine Darstellung der Figur hinein fließen.

Aber ich denke auch, jeder sollte es so handhaben, wie er es mit sich selbst vereinbaren kann.

TheaEvanda

Ich persönlich trenne Autor und Werk.

Viele hier im Forum nehmen ein Pseudonym, damit von ihrer Schreibarbeit nicht leichtfertig auf ihre persönlichen Überzeugungen zurückgeschlossen wird.
¨Wie, du schreibst Erotik? Man, bist du versaut!¨
¨Wie, du schreibst Urban Fantasy? Ich wusste gar nicht, dass du schwarze Messen abhältst!¨
¨Du schreibst High Fantasy? Dein Hauptcharakter ist ein Dieb? Schämst du dich denn gar nicht, bei anderen Leuten einzubrechen?¨

Das sind jetzt überspitzte Beispiele, aber ich denke, auf der Haben-Seite hat jede(r/s) von uns diese schnellen Aburteilungen schon mal zu hören bekommen. Also trennen wir das ¨normale Leben¨ vom ¨Schreiben¨, um uns davor zu schützen. Wir stehen nicht zu 100% hinter unseren Charakteren, finden nicht alles gut, was sie tun, und wir finden die Welten, in denen wir schreiben, zwar toll aber nicht für uns ¨lebenswert¨. Alles Andere wäre auch angewandter Schwachsinn.

Nun lese ich in diesem Thread aber genau das heraus, vor dem wir uns schützen wollen: Der Autor ABC hat im echten Leben die Überzeugung XYZ. XYZ finde ich hassenswert, also boykottiere ich ABCs Gesamtwerk. Schließlich will ich a) den Menschen nicht unterstützen und b) nicht von seinen schriftlich kolportierten hassenswerten Überzeugungen infiziert werden.

Irgendwie entgeht mir hier die Logik. Oder die Trennung von Autor und Werk, die wir so selbstverständlich für uns selbst einfordern. Weil wir nicht unser Werk sind. Weil unser Werk nicht unser einziger Lebensinhalt ist und wir nicht ausschließlich autobiographisch schreiben (wollen). Weshalb gestehen wir einem Autor, mit dessen Überzeugungen wir nicht übereinstimmen nicht die gedankliche und seelische Größe zu, eine Figur zu entwerfen, die mit seinen Meinungen nicht konform geht?

Auch die Bemerkung, dass man wegen Überzegung XYZ gar nicht wissen wolle, ob Autor ABC sonst ein netter Mensch ist, halte ich für bedenklich. Dieser Gedankengang führt in tiefe Abgründe der Entmenschlichung. Den Feind auf einen eindimensionalen Pappkameraden zu reduzieren macht es sehr einfach, scharf auf ihn zu schießen. Aber es löst das Problem nicht. Es macht nicht den Feind kleiner, sondern die eigene Haltung kleinlicher.

Um konkret zu werden: Orson Scott Card ist ein heterosexueller amerikanischer Mormone und davon überzeugt, dass Homosexualität eine Krankheit ist. Er wendet sich also öffentlich dagegen, den von dieser Krankheit und Seelenschwäche Befallenen Sonderrechte einzuraumen.

Das schmeckt und Deutschen und speziell den nicht-heterosexuellen nicht. Aber in der Diskussion hier vermisse ich die Einsicht, dass die nicht-Heteros durch Card öffentlich geäußerte Polemiken nicht Rechte verlieren (die sie nicht haben), sondern dass er die Opposition ist, die sie überwinden müssen, um sich ihre Rechte zu sichern. Die Homoehe ist in Amerika erst vor kurzer Zeit aufgekommen. Vorher stand eine lange Zeit der Diskussion. Das dürfen wir alle nicht vergessen.

Wir alle müssen damit leben, dass es Menschen gibt, die nicht mit unserer Version der Wahrheit und der richtigen Lebensführung konform gehen. Ihre Arbeit deshalb herabzuwürdigen ist nicht in Ordnung.
Ihnen die Früchte ihrer Arbeit nicht abzukaufen, ist eine persönliche Entscheidung. Allerdings finde ich, dass das Wort Boykott in diesem Zusammenhang überbenutzt wird.

Pandorah

Ich empfinde das als einen ganz gewaltigen Unterschied. Nehme ich ein Pseudonym an, schütze ich mich als Person vor einer Meinung, zum Beispiel "Du schreibst Erotik, also bist du versaut", die mich verletzt und einschränkt.

Schreibe ich ein Werk, in dem unterschwellig oder offen die Botschaft mit einfließt "Homosexuelle sind abartig" und verkünde das auch noch öffentlich als Person, trete ich mit meiner Meinung an die Öffentlichkeit und verbreite etwas, das andere verletzt und einschränkt, umso mehr, je bekannter ich bin.

Herr Card kann "ein heterosexueller amerikanischer Mormone und davon überzeugt [sein], dass Homosexualität eine Krankheit ist", aber das zu verbreiten und mit allen Mitteln gegen die Gleichstellung anzukämpfen und sein Geld in Kampagnen zu stecken, die gegen die Rechte von Homosexuellen eintreten, das ist etwas, das ich nicht akzeptieren will und kann. Daher werde ich mein Geld nicht dafür verwenden, Herrn Card zu unterstützen. Wie jemand schon schrieb, es gibt genug andere gute Autoren.

Kati

Thea, ich glaube, du übersiehst einen ganz wichtigen Punkt: Es geht nicht darum, dass ein Erotikschreiber nicht will, dass sein Umfeld nicht weiß, was er oder sie für Sachen schreibt. Es geht auch nicht darum, dass man manchmal Figuren etwas sagen oder tun lässt, womit man selbst nicht einhergeht. Es geht darum, dass ein Orson Scott Card mit seinen Büchern Geld verdient und dieses Geld nimmt um Organisationen wie Prop8 zu unterstützen, die explizit versucht haben, Gay Marriage zu verbieten. Wenn ich ein Buch von ihm kaufe, bezahle ich indirekt eine Kampagne, gegen die ich sonst protestiere. Wieso es da unlogisch ist, dass ich den Autor boykottiere und ihm mein Geld nicht hinterherwerfe, damit er es für Zwecke einsetzen kann, gegen die ich bin, verstehe ich nicht.

Zitat von: TheaAuch die Bemerkung, dass man wegen Überzegung XYZ gar nicht wissen wolle, ob Autor ABC sonst ein netter Mensch ist, halte ich für bedenklich. Dieser Gedankengang führt in tiefe Abgründe der Entmenschlichung. Den Feind auf einen eindimensionalen Pappkameraden zu reduzieren macht es sehr einfach, scharf auf ihn zu schießen. Aber es löst das Problem nicht. Es macht nicht den Feind kleiner, sondern die eigene Haltung kleinlicher.

Entschuldige bitte Thea, aber ich halte es nicht für kleinlich einen Menschen abzulehnen, der selbst menschenfeindlich ist. Es geht hier nicht um "Oh, Orson Scott Card mag kein Blau, ich liebe aber Blau, ich hasse ihn jetzt". Es geht darum, dass Orson Scott Card glaubt, Homosexualität müsste als Straftat geahndet werden. Es geht darum, dass er MENSCHEN ganz wichtige MENSCHENRECHTE vorenthalten will. Und niemand kann mein Freund sein, der der Meinung ist, andere Menschen verdienen dafür wen sie lieben, welche Hautfarbe sie haben oder so nicht dieselben Rechte wie andere Menschen. Entmenschlichung ist, jemanden als weniger wert zu behandeln, weil er schwarz ist oder schwul oder behindert. Entmenschlichung ist nicht, jemanden zu kritisieren und abzulehnen, weil er versucht, anderen Menschen ihre Rechte streitig zu machen. Ich finde es ehrlich gesagt hart hier einigen Leuten Entmenschlichung vorzuwerfen. Es geht nicht um Lieblingsfarben, Lieblingsfilme oder sonstwas kleines, worüber man mit jemandem nicht konform geht. Es geht um Menschen. Und deren Rechte. Und das Recht jeden Menschens andere Menschen, die die Identität anderer mit Füßen treten, abzulehnen und sich die Freiheit herauszunehmen nicht zu sagen: "Ach, er findet zwar alle Homosexuellen gehören ins Gefängnis, aber er hat nen tollen Humor."

Wo kommen wir hin, wenn wir anfangen Leute zu schützen, die andere Menschen aufgrund von Sexualität, Hautfarbe etc. als weniger wert betrachten? Wie wär's wenn wir mal anfangen dran zu denken, was das mit betroffenen Menschen macht, die jeden Tag unter Diskriminierung leiden durch Menschen wie Orson Scott Card. Ich werde nicht anfangen auf die Gefühle und guten Eigenschaften eines homophoben Idioten zu achten, wenn seine Taten und Worte dafür sorgen, dass Menschen ihrer Rechte beraubt werden.