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Historisch vs. fiktiv: Die Rolle der Recherche

Begonnen von Coppelia, 25. November 2013, 17:02:02

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Valaé

#15
ZitatValaé, ich frage mich, ob du da nicht weit über das Thema hinaus schießt. Man erfindet ja eigentlich keine enzyklopädische Welt, sondern beschränkt sich auf das Plotrelevante. Wenn eine Geschichte im Reedermilieu in Hamburg spielt, was kümmert mich dann das Berchtesgadener Land? Natürlich ist die Welt dann nicht "vollständig", aber ohne Schnittmenge mit dem Roman braucht sie das ja auch gar nicht.
Erst einmal: Schieße ich über das wirklich Notwendige hinaus? Sicher. Ich sagte ja, dass man es nicht muss und das es weder Standard ist, noch in irgendeiner Weise zwangsläufig notwendig, um einen Fantasyroman zu schreiben.
Alles, was ich sage ist: Es ist notwendig, um einen Fantasyroman zu schreiben, den ich guten Gewissens auf den Markt geben würde. Also ein rein persönlicher Anspruch, alles was weniger wäre, würde mir selbst einfach nicht reichen. Aber genau darum geht es ja auch: Um den eigenen Anspruch, denn davon ist die Recherchelastigkeit abhängig.

Aber:
ZitatMan erfindet ja eigentlich keine enzyklopädische Welt, sondern beschränkt sich auf das Plotrelevante.
Wer sagt das? Du formulierst das wie eine allgemein anerkannte Regel, das wage ich nun aber doch zu bezweifeln. Sehr viele Weltenbastler die ich kenne haben durchaus bei weitem mehr Material, als sie für den Plot theoretisch bräuchten, sonst wäre es auch schwer, "Weltenbastler" zu sagen, denn um eine Welt zu basteln braucht man doch etwas mehr als das, was im Plot steht. Zumal es ja gerade im Fantasybereich viel um Atmosphäre und Hintergründe geht und da kann etwas nicht im Plot stehen, sich aber dennoch relevant sein, da man eine Kultur darstellen muss/will und da sind eben auch Dinge notwendig, die nichts direkt mit dem Plot zu tun haben. Oder um es mit deinen Worten zu sagen:
ZitatWenn eine Geschichte im Reedermilieu in Hamburg spielt, was kümmert mich dann das Berchtesgadener Land?
Wenn ich einen Protagonisten habe, der ursprünglich aus dem Berchtesgadender Land kommt, kann es durchaus enorm wichtig werden.
Mal ganz davon abgesehen, dass ich jetzt von High Fantasy Romanen ausgegangen bin und die folgen da doch anderen Regeln, die wenigsten High Fantasy Romane beschränken sich darauf, nur eine Kultur zu beleuchten, sondern ein spezielles Element in vielen High Fantasy Romanen ist ja das Reisen - und das führt bekanntermaßen durch ziemlich viele Landstriche und verschiedene Kulturen - da ist einiges an Vorwissen und Detailwissen notwendig und je nach Anspruch auch durchaus auf wissenschaftlichem Niveau.
Man darf eben auch nicht vergessen, dass es eben die Frage ist, was man darstellen will und was man schreibt: Eine Geschichte mit Haupftokus auf Plot? Eine mit Hauptfokus auf Charakterentwicklung? Eine mit Hauptfokus auf der Welt? Viele High Fantasy Romane sind eher weltbasiert und gar nicht wirklich plotbasiert. Daher finde ich die Aussage, man braucht doch nur, was im Plot steht für High Fantasy doch etwas arg kurz gegriffen - das mag aber auch daran liegen, dass ich selbst Geschichten mit Hauptfokus Plot oft nicht ausstehen kann und selbst auch nicht schreibe. Ich schreibe allerdings auch nicht (mehr) mit Hauptfokus Welt.

Aber ganz unabhängig davon, selbst bei einer plotbasierten Welt, trifft mich deine Kritik zwar durchaus, weil man es eben wirklich nicht auf so einem wissenschaftlihen Niveau braucht, aber das ist ja gar nicht das, was du wirklich kritisierst, oder besser gesagt: Deine Kritik trifft nicht den Kern dessen, was ich gesagt habe. Denn mir ging es weniger darum, ob man jetzt die ganze Welt in ihrer Breite ausrecherchieren muss, sondern bei Dingen, die man ganz klar recherchieren muss, in welcher Tiefe man das muss und ob man jetzt pauschal sagen kann, dass eine Recherche, die auf jeden Fall nötig ist, per se für historische Romane tiefer zu gehen hat und/oder schwerer ist. Die Breite ist dann ja noch einmal eine ganz andere Frage.


Debbie

#16
Als bekennender Recherche-Junkie will ich nur auch nochmal ganz kurz meine Meinung einwerfen ...


Ausschlaggebend ist für mich, wie schon erwähnt wurde, v. a. tatsächlich der Anspruch an Authenzität, den man an seinen Roman und die Welt darin stellt. Es gibt Fantasy-Romane, denen man den nicht ganz so hohen Anspruch an Authenzität anmerkt - das muss nicht einmal unbedingt negativ sein, die Autoren legen einfach nur mehr Wert auf Plot und Charakterentwicklung (J. K. Rowling, Steven King), während andere geradezu besessen von Recherche und Weltenbau (Tolkien) sind. Ich denke, es ist unbestreitbar, dass ein Tolkien weit mehr Zeit (und Recherche) in die Entwicklung seiner Welt investiert hat als eine Mrs. Rowling, die bereits schon beträchtliche Recherchearbeit für HP geleistet hat. Das fällt mir gerade dann immer wieder auf, wenn ich in einem meiner Bücher über die Bedeutung und die Herkunft der Namen Albus, Scamander oder Fortuna Major lese. Ich glaube nicht, dass viele Menschen die Bedeutung hinter diesen Begriffen kennen, aus welchen Magiesystemen sie stammen, oder dass man, um darauf zu stoßen, schon einigermaßen tief graben muss ...

Ich für meinen Teil, habe tatsächlich den irren Anspruch, dass meine Welt (und die Geschicht darin) auf der "echten" traditionellen Magie beruht. Zu diesem Zweck habe ich ca. 200 Bücher, von denen sich ungefähr 20 ausschließlich mit Magie und Zauberei beschäftigen. Aber da hört es dann ja noch lange nicht auf - hinzu kommen noch 3 Bücher über die magischen Eigenschaften von (Halb-)Edelsteinen und Metallen, 5 Bücher über die traditionelle magische Verwendung von Pflanzen und 10 Bücher über Bäume und Wälder der Erde, ihre magischen Eigenschaften und ihre Verbindung zur Mythologie.

Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs - in der kompletten Geschichte, die auf sieben Bücher verteilt ist, spielen 10 Mythologien eine Rolle, zu denen ich jeweils auch wieder 10 - 15 Bücher habe, zu denen noch einmal spezielle mythologische Themen, wie die Entstehung des Todes, Jenseitsvorstellungen in der Mythologie, Mondmythen, etc. kommen.

Und weil auch die Geschichte (von Entstehung der Erde bis heute) eine Rolle spielt, wälze ich mich durch ca. weitere 20 Bücher zur Entstehung des Universums, der Erde, der Lebewesen, Archäologischen Funden, geschichtlich relevanten Ereigenissen der letzten ca. 4000 Jahre, etc..

Dazu kommt, dass meine Figuren um die ganze Welt reisen, und sich auch in Sphären bewegen, in denen noch die alten Städte der Azteken, Maya, Griechen, etc. stehen. Also gibt es nochmal ungefähr 25 Bücher über die Architektur und Stadtplanung antiker Städte, sowie über heilige Stätten auf der ganzen Welt, Orte des Weltkurlturerbes, Ley Lines, verschiedene Länder und dergleichen.

Achso ja, Dämonen und die Hölle spielen auch eine Rolle. Also nochmal ungefähr 15 Bücher zu Dämonen, Geistern, Teufel und Hölle. Und nochmal ca. 20 zu Fabelwesen.


Und wenn ich das alles durchgeackert, relevantes in selbsterstellten Lexika festgehalten und in an den passenden Stellen in den Plot verwoben habe, bleibt ja noch der kleine Bruchteil vom "Erfinden" des Fantasy-Teils meiner Welt, die Löcher in der geschichtlichen Überlieferung logisch, und sich unterstützend in den Plot einfügend zu füllen und die Charakterentwicklung und -definition von rund 200 erfunden Figuren und mythologisch überlieferten Göttern zu erstellen.


Also nein, ich glaube nicht, dass ein historischer Roman, der sich oftmals nur auf einen Teil/Epoche, vielleicht sogar auf wenige Jahre innerhalb dieser beschränkt, mehr Arbeit macht. Aber ich lasse mich natürlich gerne eines Besseren belehren  ;)




Coppelia

#17
Danke für eure Beiträge. Da besteht ja offenbar doch noch Diskussionsbedarf. :)

Erstmal hoffe ich, dass ich klarstellen konnte, dass ich niemandes Leistung beim Fantasyschreiben herabsetzen wollte oder sagen wollte, man müsse für Fantasy wenig recherchieren. Was genau ich meinte, als ich das mit dem "leichter" geschrieben habe, habe ich unten an einem konkreten Beispiel noch einmal ganz genau dargelegt.

Valaé, ich finde es sehr beeindruckend, was für einen Arbeitsaufwand du in deine Fantasyromane hineinsteckst (und du auch, Debbie. Dein Beitrag wurde gepostet, während ich den hier getippt habe). Mir persönlich klingt das gar nicht so sehr nach Fantasy wie tatsächlich nach historischen Romanen. Du (Valaé) schreibst auch z. B., dass in Gesellschaften, die real existiert haben, jedes Detail seinen Grund hatte. Das ist sicher richtig. Allerdings waren viele Ereignisse auch bis zu einem gewissen Grad zufallsabhängig, beruhen auf Traditionen, religiösen Überzeugungen u. ä. Man kann leicht die Voraussetzungen ändern, Freund Zufall ins Spiel bringen und dann eine fiktive Gesellschaft, die auf einer realen beruht, verändern. Ich stimme dir aber vollkommen zu, dass diese Veränderungen mit der Mentalität und den sonstigen Voraussetzungen der Gesellschaft und natürlich der Welt überein stimmen müssen.

Ich muss ehrlich sagen: Ich habe nicht denselben wissenschaftlichen Anspruch an meine Fantasyromane wie an meine wissenschaftliche Arbeit. Meine Romane sind meine Spielwiese.

Ich sage gern: Ich erfinde alles erst von außen nach innen und dann von innen nach außen. Das bedeutet folgendes: Ich sammle viele Informationen sehe mir das an, was ich weiß. Dann überlege ich, welche Mentalität sich hinter dem, was ich weiß, verbirgt, wo der Kern steckt. Wenn ich glaube, das zu verstehen, kann ich, von dieser Grundlage ausgehend, vieles erfinden. Normalerweise benutze ich diese Arbeitsweise für Figuren, aber ich glaube, man kann sie auch für Gesellschaften benutzen, allerdings mit viel mehr Arbeitsaufwand.

Ich versuche mal zu erklären, wie ich vorgehe, aber dazu muss ich etwas weiter ausholen.
Ich hatte 12 Semester Latein studiert und dabei vieles gelernt. Mich hat auch alles interessiert, und ich hatte schon immer eine Vorliebe für antike Epik und Mythologie. Aber ich konnte mir die Personen, die diese Texte geschrieben hatten, nicht recht vorstellen. Ich habe nicht verstanden, wie sie dachten. Ich habe nicht begriffen, wie die Ereignisse der römischen Geschichte zusammenhängen oder was sie bedeuten. Ich kannte viele Fakten, aber sie waren wie lauter kleine Puzzlestücke, ohne dass sich ein Gesamtbild ergab. Damals war mir das aber überhaupt nicht klar, oder ich hielt es für normal. Kurz vor meinem Examen las ich zufällig ein Buch über Sulla. Und dann ging es mir ungefähr so, wie sich Frankensteins Monster gefühlt haben muss, als sein Schöpfer den Strom angeschaltet hat: All die Bruchstücke setzten sich plötzlich zu einem Gesamtbild zusammen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, die Menschen zu verstehen, die diese Texte geschrieben haben. Ich konnte mir vorstellen, was die geschichtlichen Ereignisse für sie bedeutet haben. Es war, als hätte sich eine Tür in eine andere Welt geöffnet, und alles, was ich sehen konnte, war unfassbar spannend. Von diesem Zeitpunkt an wollte ich in Latein promovieren.

Etwas später, 2007, habe ich angefangen, mein Kessel-Setting zu entwerfen, das ans antike Rom angelehnt ist und in vielem, aber längst nicht allem übereinstimmt. Weil ich eine bestimmte Vorstellung von der Mentalität, Gesellschaft, Geschichte, Religion u. ä. der Kessler hatte, konnte ich auf dieser Grundlage Geschichten entwickeln, die sich an historische Vorfälle anlehnen, sich aber nicht mit ihnen decken. Ich konnte Traditionen, Verhaltensweisen, Protokolle und was-weiß-ich-nicht-alles entwickeln, ohne jede Einzelheit haarklein mit der römischen Realität abzustimmen, weil ich ein grundlegendes Konzept im Kopf hatte. Vieles wollte ich auch absichtlich anders machen. Es ging mir ja auch gar nicht darum, ein römisches Setting zu erschaffen, sondern nur ein an Rom angelehntes, mit dem ich Spaß haben kann. 
In diesem Setting laufen auch eine ganze Menge quasi-historische Personen herum. Aber nicht, weil ich der Meinung bin, sie müssten dort zwangsläufig existieren, sondern weil ich Lust darauf habe und weil es mir Freude macht.
Wenn ich etwas für Kessel dazu erfinden will, ist es inzwischen schon richtig schwierig. Die politischen, gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge sind mittlerweile sehr komplex geworden. Ich könnte wahrscheinlich schon ein fast wissenschaftliches Buch über Kessels Geschichte schreiben. ;)

Seit meinem Aha-Erlebnis damals habe ich jeden Tag dazu gelernt, und ich habe seitdem den Eindruck, mein weiteres Wissen an schon vorhandenes anclustern zu können. Trotzdem bleibt das Gefühl, nur wenig zu wissen von der riesigen Menge an Dingen, die ich wissen könnte.

In meinem NaNo-Roman schreibe ich über den Kessler Politiker Lukial. Lukial ist sehr stark an Cicero angelehnt. Mit Ciceros Leben kenne ich mich recht gut aus. Daher versuche ich an diesem Beispiel mal zu erläutern, was ich an historischen Romanen schwieriger finde.
Ich möchte also eine Geschichte darüber schreiben, wie Lukial und sein bester Freund Urlaub machen. Kein Problem! Ich muss eine Möglichkeit finden, Lukial aus seinen komplizierten politischen Verpflichtungen loszueisen, und auf geht's.
Cicero soll Urlaub machen? Herrje, dann muss ich jetzt aber jeden Tag seines Lebens genau analysieren, ob er vielleicht irgendwann tatsächlich Urlaub gemacht hat und am besten, ob auch sein bester Freund dabei war. Hm, soweit die Briefe erhalten sind, sieht es eher schlecht aus. Vielleicht vor dem erhaltenen Briefwechsel? Oder gibt es irgendwo eine Lücke im Briefwechsel, wo es passen könnte?
Eine Person soll Lukial einen Brief seines politischen Gönners geben. Ich weiß natürlich, wer sein Gönner ist, und die Person denke ich mir grad mal eben aus. Sie könnte aus einer Familie stammen, mit der Lukial schon häufiger zusammengearbeitet hat, oder ist ein Gefolgsmann von ihm, dem er mal vor Gericht geholfen hat.
Eine Person soll Cicero einen Brief bringen. Folgende 53 Personen kommen im Jahr xy dafür infrage ...
Lukial soll zur Entspannung abends etwas lesen. Da schenke ich ihm doch mal die Abschrift des Epos über den Kampf von Lelva, das ich ohnehin schon erfunden habe. Beleuchtung, Papier: Recherchiert. Schönes Lesen, Lukial.
Cicero soll zur Entspannung abends etwas lesen. Na ja, ein Text wird sich schon finden lassen, mal sehen, womit er sich zu dieser Periode seines Lebens so befasst hat. Beleuchtung, Papier: Recherchiert. Ach ja: Wie hat man in der Antike überhaupt gelesen? Mein alter Prof sagte, halblaut, aber mein Kollege sagt, dafür gibt es keine Beweise. Wo finde ich denn bloß etwas dazu? Und wenn es widersprüchliche Theorien gibt, welcher kann ich denn am ehesten glauben? Hm, er könnte sich auch von einem Sklaven vorlesen lassen. Mal sehen, ist da ein Name überliefert?
usw. Ich gebe zu, der Fall Cicero ist besonders krass, weil sein Leben sehr genau überliefert ist dank des erhaltenen Briefwechsels. Ich denke, das Beispiel sollte aber gezeigt haben, warum ich es für einfacher halte, über Lukial zu schreiben, als über Cicero.

Es kann übrigens gut sein, dass mein Eindruck, die römische Mentalität zu verstehen, falsch es. Es kann sein, dass meine Änderungen in Hinblick auf Kessel keinen Sinn ergeben und die Kessler Gesellschaft so nicht funktionieren könnte. Aber ich bin da ziemlich gelassen. Es ist nämlich kein historischer Roman, und solange ich den Eindruck habe, dass alles Sinn ergibt, bin ich zuversichtlich.

Valaé

ZitatErstmal hoffe ich, dass ich klarstellen konnte, dass ich niemandes Leistung beim Fantasyschreiben herabsetzen wollte oder sagen wollte, man müsse für Fantasy wenig recherchieren.
Also zumindest ich hatte das nie so verstanden, nein - ich habe zugegebenermaßen auch nur einen kleinen Teil dessen verstanden, was du mit schwieriger meinst. Nämlich beispielsweise die Tatsache, dass man nur wenig Material hat und dass es schwerer ist, an eine für uns heute lesbare Quelle aus gewissen Jahrhunderten zu kommen, wie z.B. an eine geschichtliche Zusammenstellung und da wollte ich nur klar machen: Diese Quellen brauche ich auch.
Ebenso hatte ich verstanden, dass man einwenden kann, dass es manchmal widersprüchliche Theorien gibt - dau wollte ich dann nur sagen dass solche widersprüchlichen Theorien mir natürlich bekannt sind, aber zumindest mir ist selten eine Fantasywelt untergekommen (unter meinen eigenen Federkiel), in der nicht eine Vielzahl widersprüchlicher Theorien recherchiert und dargestellt wurden, aber gut ich musste mich nicht zwangsläufig für eine entscheiden und wenn doch, dann kann die keiner anfechten, weil: Meine Welt, meine Theorie. Solange plausibel habe ich da also durchaus eine gewisse Freiheit, die man in  historischen Romanen nicht hat (den Aspekt habe ich in meinem Halbroman da vorhin ganz vergessen  ;D).

Wo es ein Missverständnis gab ist bei dem Verständnis über historische Romane - ich hatte nicht auf dem Schirm, dass der Plot dann quasi auch um historische Persönlichkeiten gehen soll. Ich hatte jetzt tatsächlich und ihr dürft mich dafür steinigen ausschließlich historische Romane mit fiktiven Persönlichkeiten im Sinn - also ein vollkommen historisches Setting und eine Art Beispielplot um ein tatsächliches historisches Ereignis herum aber mit einer fiktiven Person als Prota, die maximal am Rande realhistorische Persönlichkeiten streift. Das liegt glaube ich daran, dass ich einen Heidenrespekt vor historischen Persönlichkeiten habe und die Finger davon lasse, irgendeine davon als Protagonist in einen Roman zu stellen - persönliche Vorliebe. Ich verdränge dann einfach auch ganz gerne, dass es so etwas natürlich gibt. Und dass es das sicher auch ganz gut gemacht gibt, nur ... mir widerstrebt es in meinem Grundwesen irgendwie, eine fiktive Erzählung über eine historische Persönlichkeit zu lesen oder zu schreiben und hatte das deswegen verdrängt. Ich kann noch nicht einmal erklären, wieso.
Wie gesagt, dieses Detail hatte ich vollkommen vergessen und ja, unter diesem Blickpunkt stimme ich dann zu - man könnte also sagen: Was das Setting angeht, nehmen sich die beiden Bereiche wahrscheinlich nichts, aber im Plot ist die Fantasy eindeutig freier - dann sollte man aber auch den Teil historischer Romane, der eine fiktive Persönlichkeit als Prota hat erwähnen, der es nahezu genauso frei in der Gestaltung des Plots hat - gut, man muss vielleicht recherchieren, was damals der entsprechenden Gesellschaftsschicht an Unterhaltung zur Verfügung stand, aber so etwas recherchiere ich bei der Fantasy eben auch - sobald es an spezifische Lebensläufe geht, sieht es anders aus.

Nur noch nebenbei:

ZitatDu (Valaé) schreibst auch z. B., dass in Gesellschaften, die real existiert haben, jedes Detail seinen Grund hatte. Das ist sicher richtig. Allerdings waren viele Ereignisse auch bis zu einem gewissen Grad zufallsabhängig, beruhen auf Traditionen, religiösen Überzeugungen u. ä.
Natürlich ist dem so, aber dann muss ich doch die Traditionen, die religiösen Überzeugungen und was auch immer kennen, um zu verstehen, warum diese Ereignisse so sind, wie sie sind. Ganz vollommen Zufall ist ja doch das wenigste, auch wenn der Zufall überall seine Finger im Spiel hat.

Ansonsten muss ich kurz klarstellen:
ZitatIch muss ehrlich sagen: Ich habe nicht denselben wissenschaftlichen Anspruch an meine Fantasyromane wie an meine wissenschaftliche Arbeit. Meine Romane sind meine Spielwiese.
;D Soll ich dir was sagen? Ich auch nicht. Ich habe an meine High Fantasy Romane und meine High Fantasy Welt diesen Anspruch.  Aber du schreibst gerade ja auch NaNo und hast ein paar meiner Romanthreads gelesen ... fällt dir etwas auf? Keine High Fantasy. Keine Historie.
Dystopien und ein Urban Fantasy Projekt.
Warum? Weil auch ich kein durch und durch nur wissenchaftlicher Mensch bin. Weil ich auch eine Spielwiese brauche. Und weil ich gelinde gesagt nur wenig Dunst von Technik habe. Das macht es einfacher, auszublenden, was ich alles nicht weiß. Ich recherchiere gründlich für Dystopien. Aber nicht ... übverdimensional. Für NaNo-Dystopien recherchiere ich je nach Zeit und hole es dann nach. Auch für mich sind Romane meine Spielwiese. Allerdings Dystopien. Warum? Weil sie so weit weg sind von meiner wissenschaftlichen Arbeit wie irgendwie möglich. Und das hilft gegen diesen Anspruch, der dazu führt das man so viel Arbeit hinein steckt. An meiner Welt arbeite ich, wenn mich mal wieder der Rappel packt. Vielleicht wird sie nie fertig. Auch in Ordnung, gehts mir wie Tolkien, der hat auch nie alles von Mittelerde aufschreiben können. Habe ich kein Problem mit  ;D.

Was ich mit dem letzten Teil sagen will ist: Ich habe vermutlich deswegen so einen Anspruch an High Fantasy Romane weil ich Mediävistin bin - ich kann einfach nicht etwas "erfinden" in einem Zeitalter, in dem ich normalerweise recherchiere und Thesen abwiege und ähnliches ... es geht einfach nicht, ich schäme mich in Grund und Boden wenn ich es versuche und merke, ich bewege mich auf dünnes Eis. Und so viel recherchieren wie ich müsste, so viel Zeit habe ich gar nicht - das oben ist eine Zusammenstellung dessen, was ich tue, wenn ich daran arbeite, aber ich bin ja noch lange, lange nicht fertig (im Übrigen schreibe ich hin und wieder einen Roman darin, aber ausschließlich für mich - da schraube ich den Anspruch dann ein paar tausend Meilen runter und gut ist  ;), solange es niemand außer mir liest komme ich damit klar). Du hast auch durchaus meinen Respekt, dass dir das gelingt mit deinem Kessel Projekt ... wie gesagt, bei mir springt einfach der Wissenschaftler an, sobald etwas im Mittelalter spielt, oder auch nur in einer angelehnten Zeit. Und obwohl ich daran immer noch furchtbar gerne arbeite, fehlt mir die Zeit es so perfektionistisch durchzuziehen. Und ich brauche eben auch etwas zum Entspannen. Deswegen schreibe ich vornehmlich Anderes und recherchiere in der Zeit, die sonst so anfällt. So wie du ja auch noch an deinem historischen Roman recherchierst. Da werden wir beide sicher noch eine Weile dransitzen - und nebenbei Projekte schreiben, die mit weniger Anspruch angegangen werden.

Soll heißen: Ich finde es absolut in Ordnung eine Spielwiese zu haben. Nur deine Spielwiese ist für andere Autoren vermutlich das akkurat ausgerichtete Feld, in dem sehr viel Präzision steckt. Aber so wie ich das lese, ist dir das auch bewusst und das Meiste in Sachen "schwieriger" bezog sich auf eben die Nachrecherche von Lebensläufen wenn nötig - da kann ich sogar zustimmen. Aber wie gesagt, diesen Fall hatte ich auch gar nicht auf dem Schirm, die meisten historischen Romane, die ich gelesen habe, hatten keine historische Person als Prota, sondern eine fiktive im historischen Setting.
Daher gilt das "schwierigere Recherche" vielleicht nicht für den Historien-Roman per se, sondern es kommt auf die Art an - und dann kommt natürlich noch die Frage, wo man welche Grenze zieht. Du sagst ja, dir kommt was ich schreibe nicht mehr wie Fantas vor. Ich kann dir aber vergewissern, dass es das ist - ich habe eine volkommen eigenständige Welt, selbst entwickelte Rassen etc. etc. ... nur eben durchaus gebildet nach realen Vorbildern, denn ich habe irgendwann festgestellt dass es nahezu unmöglich ist eine Gesellschaft zu entwickeln, die nicht irgendwie in gewissen Zügen schonmal real existiert hat - jede Fantasie wurzelt in der Realität, das ist ganz normal. Die meisten Fantasy-Gesellschaften sind verschiedene reale Kulturen einmal zusammengeschmissen und durch den Mixer gedreht - mache ich auch gerne, erfordert aber für mein Empfinden eben quasi so viel Recherche, als würde ich einen historischen Roman für jede Kultur, die im Mixer ist, schreiben.

Coppelia

#19
Dann bin ich froh, dass wir uns doch noch verständigen konnten. :knuddel:

Übrigens kann ich "Römermissbrauch" auch am wenigsten ausstehen. :rofl: Es fällt mir sogar schwer, Dokumentationen übers alte Rom anzuschauen. Sogar dann, wenn sie gut gemacht sind.

Valaé

Daran habe ich ehrlich gesagt nie gezweifelt *re :knuddel:*. Habe auch nie gedacht, dass irgendwer von uns den anderen abwerten will - eher eine theoretische Diskussion, es haben ja auch immer beide Seiten betont, wo es subjektiv wird  ;).

Debbie

@Coppi: Dein Beispiel mit Cicero unterscheidet sich nicht so sehr von dem was ich in meiner Fantasy-Geschichte mache:

Übernehme ich Aphrodites Herkunft von Homer oder Hesiod? Muss ich mich dann auch in den anderen Überlieferungen, v. a. den Verwandtschaftsverhältnissen, auf einen von beiden festlegen?
Ist die Ähnlichkeit zwischen slawischer und nordischer Mythologie so groß, dass ich sie eigentlich nicht getrennt behandeln kann?
Ist Od jetzt Odin, und sind Freyja und Frigg deshalb eigentlich identisch?
Würde Zeus so etwas sagen, wie ich ihm in den Mund legen will?
Nehme ich den ägyptischen Schöpfunsmythos aus Heliopolis, Hermopolis oder Memphis?
Was bedeutet das für mein Pantheon?
Ist Ra noch das Oberhaupt der Götter? Oder ist er, nach dem er ja bereits gealtert war, inzwischen vielleicht sogar schon gestorben?
Sind die Götter eigentlich in allen 10 Mythologien sterblich? Was, wenn nicht? Woran kann das liegen?
Kann diese und jene Pflanze in dem entsprechenden Klima wachsen?
Welche Baumart kommt für welche Region in Frage? Passen die Eigenschaften des entsprechenden Baums zu den Eigenschaften des Volkes?
Kann ich den Diamant als Quelle der Kraft nutzen, oder hat er in anderen Regionen, Mythologien eine andere Bedeutung? Vielleich sogar unheilvoll?
Usw.

Ich denke, wenn man sich an mythologische Vorgaben halten will, oder an Überlieferugen generell, muss man genau so gründlich sein, wie bei historischen.

Coppelia

#22
Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist dein Roman ein Fantasyroman, aber die Details, die du hier ansprichst, stammen aus der Realität oder zumindest aus Forschungsfeldern, die auch in der Realität untersucht werden.
Wenn du in diesem Fall den Anspruch hast, diese Aspekte entsprechend abzubilden, ist das natürlich tatsächlich mit historischer Recherche vergleichbar. Ist denn der Roman selbst auch in der "realen" Welt angesiedelt oder in einer Fantasywelt? Im letzten Fall könnte das ein Unterschied zu historischen Romanen sein.

Jedenfalls finde ich die gründliche Beschäftigung mit Mythologie super - die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass es überhaupt verschiedene Überlieferungen gibt! Freiheiten könnte man sich bei der Mythologie meiner Meinung nach durchaus nehmen, wie es auch schon die antiken Autoren getan haben. Aber genau dazu ist die Kenntnis der unterschiedlichen Überlieferungen hilfreich.

Ich fang allmählich an mich zu fragen, was die Frei-von-der-Leber-weg-Schreiber über uns denken! ;D Wozu ich sagen muss, zu dieser Sorte Schreiber gehöre ich bei manchen Romanen auch.

Judith

Zitat von: Valaé am 27. November 2013, 15:35:29
Vor allem, weil gerade in diesem Zusammenhang gerne Äpfel mit Birnen verglichen werden. Legt man einen historischen Roman zugrunde, der mit einem wissenschaftlichen Anspruch recherchiert wurde und vergleicht ihn mit einem handelsüblichen Fantasyroman - der Vergleich hinkt gewaltig. Ja, hier stimme ich absolut zu, dass der historische Roman mit wissenschaftlichem Anspruch mehr Recherche erfordert als der Fantasyroman, der sich seine Welt hinbiegt, wie es ihm passt, grob den Regeln der Logik und Vorbildgesellschaften folgend - wie es die allermeisten Fantasyromane nun einmal tun. Mir (und so wie ich es verstehe auch Fianna) kräuseln sich aber gelinde gesagt die Zehennägel bei derartigen Welten - genauso wie bei mittelmäßig recherchierten Historienromanen. Worauf ich hinaus will ist der Anspruch, mit dem geschrieben wird. Man kann einen wissenschaftlich recherchierten historischen Roman vom Aufwand nicht mit einem mittelmäßig gebauten Fantasyroman vergleichen.
Ich möchte hier kurz anmerken, dass ich nicht von einem mittelmäßig gebauten Fantasyroman ausgehe!
Ich bastle an meiner Fantasywelt, die bislang fast allen meinen Romanen zugrunde liegt, inzwischen seit mehr als 10 Jahren und habe immer noch nicht das Gefühl, sie auch nur annähernd "fertig" entwickelt zu haben. Der Anspruch, mit dem ich daran herangehe, ist sehr hoch und durchaus wissenschaftlich.
Trotz der jahrelangen Arbeit stoße ich trotzdem immer noch (eigentlich permanent) beim Schreiben an Grenzen, muss permanent die Welt weiterentwickeln und betreibe einen enormen Rechercheaufwand.

Trotzdem finde ich das alles viel einfacher als die Recherche für einen historischen Roman. Ich denke, das liegt an mangelndem Mut und an meinem Perfektionismus. In meiner Fantasywelt fühle ich mich sicher, da niemand sie so gut kennt wie ich. Das schützt einen bei weitem nicht vor Logiklücken, aber es schützt mich davor, dass jemand kommt und sagt "Hör mal, dass dies oder jenes passiert, kann aber nicht sein, da belegt ist, dass ..." Und ich würde im Erdboden versinken und mir denken "Oh mein Gott, wie konnte ich diese Quelle nur übersehen?"
Leider habe ich nicht den Mut zur Lücke, der beim Schreiben von historischen Romanen wohl unbedingt notwendig ist. Ich würde für alles, was ich schreibe, Belege haben wollen, damit das auch nur ja "stimmt" - Coppis Cicero-Beispiel ist da für mich ein sehr gutes.

Bei meiner Fantasywelt brauche ich diesen Mut zur Lücke zumindest nicht auf diese Weise. Wenn ich mich frage, ob es in meiner Welt in der Stadt Leza im Jahr 1424 bereits Fensterglas in Privathäusern gegeben hat, dann muss ich nicht im schlimmsten Fall wochenlang recherchieren und danach vielleicht noch immer ohne wirkliche Antwort dazustehen. Dann überlege ich stattdessen, seit wann man Glas verwendet, wo und wie es hergestellt wird, untermauere das alles durch Recherche und schaffe auf diese Weise die Grundlagen dafür, dass mein Privathaus verglaste Fenster haben kann. Möglicherweise habe ich nun auch Wochen zur Recherche verbracht, um mich etwa mit allen Details der Glasherstellung vertraut zu machen und für meine Welt eine geschichtliche Entwicklung des Glases zu überlegen, aber wenigstens kann nun niemand zu mir sagen: "Was du da schreibst ist Unsinn, es gibt nämlich eine schriftliche Quelle dafür, dass 1430 in Leza zum ersten Mal Fensterglas verwendet wurde."
Das war jetzt natürlich ein völlig willkürliches und teils unsinniges Beispiel, aber genau das ist eben für mich der Punkt, der für mich Fantasy "einfacher" macht als historische Romane. Auch nach Jahren des Weltenbastelns und des Recherchierens über alle möglichen Themen fühle ich mich noch nicht einmal annähernd einem historischen Roman gewachsen, weil ich dafür schlichtweg nicht mutig genug bin.

Valaé

Und ich möchte kurz klarstellen dass ich nie behauptet habe, dass eine eurer Welten mittelmäßig recherchiert sei. Es stand lediglich vor meinem Beitrag ausschließlich im Bezug auf die historischen Romane der Ausspruch, dass es einen wissenschaftlichen Anspruch dort gibt und ich wollte nur zeigen, dass man diesen Anspruch auch im Fantasybereich haben kann.

Der Kern, den du aussagst, dass es eben spezifisches Wissen für ganz spezifische, reale Städte gibt, das möglicherweise nicht oder so schwer recherchierbar ist, dass man es bei der Recherche schnell übersieht, leuchtet mir ein. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mehr Angst und Respekt davor habe, irgendeinen Vorgang falsch zu verstehen und deswegen falsch darzustellen, als einen Fakt nicht zu finden. Finde ich einen Fakt nicht, dann weiß ich einfach, dass jeder Mensch auch mal etwas nicht finden kann, gerade wenn ich mein Bestes getan habe. Aber wenn ich irgendwelche Zusammenhänge aufgrund einer fehlenden allgemeinen Information falsch darstellen würde, würde ich mir das nie verzeihen. Dementsprechend empfinde ich Fantasy Welten insofern als schwieriger, als das man hier eben nicht sagen kann: Es gibt eine Quelle aus dem Jahr xy, da ist die Existenz von Glasfenstern belegt, sondern ich muss mich, um festzustellen ob es in meiner Stadt solche Fenster gab, so genau mit allen Zusammenhängen auseinandersetzen, dass ich den ganzen Prozess verstehe und daraus folgern, ob es möglich wäre - Unlogik bekomme ich definitiv weniger gerne vorgeworfen als einen übersehene Kleinstquelle - denn meistens sind es Kleinstquellen, in denen man solche Informationen findet. Es kommt also auch etwas auf die Quellenlage an - natürlich ist es ein riesiges Problem, wenn man gar keine Quellen findet - die Gefahr eine übersehen zu haben ist riesig. Auf der anderen Seite würde es mir im historischen Roman, wenn ich nur wissen muss, ob es solche Fenster gab, der Beleg reichen, ohne mich gleich in die Herstellung und den Produkionsprozess einzufuchsen, wenn ich den gar nicht brauche - in der Fantasy komme ich nicht da herum, weil ich aus der Logik heraus schließen muss, ob es geht. Es ist also eine Frage dessen, wie einfach man an die Informationen kommt. Und wo man mehr Mut zur Lücke hat: Bezüglich Zusammenhänge oder bezüglich Fakten? Ich habe durchaus einen gewissen Mut zur Lücke was Fakten angeht, die ich trotz bester Recherche einfach nicht finde. Aber einen Zusammenhang falsch zu verstehen oder darzustellen, was eben auch immer mal passieren kann, würde ich mir nie verzeihen - allerdings findet man Zusammenhänge meistens durchaus einfacher als den einen Fakt, den man braucht.

Ich denke wirklich, es ist eine Frage des Standpunktes.


Debbie

Zitat von: Coppelia am 27. November 2013, 20:33:24
Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist dein Roman ein Fantasyroman, aber die Details, die du hier ansprichst, stammen aus der Realität oder zumindest aus Forschungsfeldern, die auch in der Realität untersucht werden.
Wenn du in diesem Fall den Anspruch hast, diese Aspekte entsprechend abzubilden, ist das natürlich tatsächlich mit historischer Recherche vergleichbar. Ist denn der Roman selbst auch in der "realen" Welt angesiedelt oder in einer Fantasywelt?

Die Handlung spielt sich sozusagen auf verschiedenen Ebenen der realen Welt ab, was auch wieder schwierig detailgetreu umzusetzen ist - welcher Weltaufbau kann und soll als Vorlage dienen? Kann ich die anthroposophischen Sphären mit den neun Welten von Yggdrasil vereinbaren? Welche Parallelen gibt es zu den anderen Götterhimmeln und auf welcher Ebene siedle ich deren Wohnstätten und heilige Orte an?


ZitatFreiheiten könnte man sich bei der Mythologie meiner Meinung nach durchaus nehmen, wie es auch schon die antiken Autoren getan haben. Aber genau dazu ist die Kenntnis der unterschiedlichen Überlieferungen hilfreich.

Freiheiten muss man sich nehmen, wenn verschiedene Quellen Unterschiedliches berichten. Und im Gegensatz zu Judith, ist mir jede Lücke recht, weil ich dann endlich mal ein klein wenig Spielraum habe ... Im Allgemeinen verfahre ich in diesen Fällen so, dass ich versuche aus den diversen Möglichkeiten einen logisches "Mittelding" zu kreieren, dass sich möglichst gut mit anderen Vorstellungen und Mythologien deckt und sich hilfreich in den Plot einfügt. Wichtig ist eigentlich nur, dass es eine Quelle gibt, die meine Variante als Möglichkeit anführt. Eines der schwierigsten Dinge ist z. B. einen einheitlichen Schöpfungsmythos zu schaffen, der sich mit möglichst vielen Mythologien "vereinbaren lässt" und die Dinge, die nicht explizit Teil des Mythos sind, zumindest in symbolischer Form irgendwie enthält - und das Ganze dann mit der wissenschaftlich belegten Erdentstehung zu verbinden ...


ZitatIch fang allmählich an mich zu fragen, was die Frei-von-der-Leber-weg-Schreiber über uns denken!

Dass wir keine Konkurrenz für sie sind, weil wir niemals fertig werden?!  :hmhm?:

Fianna

#26
Valae hat es fast perfekt zusammen gefasst, was ich meine (ich komme eher von der Low als High Fantasy).

Das Zitat von Coppi, sie habe einfach mehr Ansprüche an einen historischen Roman als andere Schreiber, hat Valae ja schonmal hervorgehoben (ich kann mit Smartphone nämlich nicht zitieren :D ).

Ehrlich gesagt fand ich diese Aussage irritierend, da ich ja in diesem Thread schon an anderer Stelle schrieb, wieviele Fachbücher ich kaufe und dass ich schon Amazon-Listen für zukünftige Projekte zusammen sammel. Daraus hätte man ja ableiten können, dass ich ähnliche Ansprüche habe ;)

Wie bei Valae beruht meine ganze Diskussionsfreude also nicht darauf, dass ich historische Romane schludriger behandeln würde (ich recherchiere schon viel für historische Kurzgeschichten, die dann - leider - nur in der Schublade liegen), sondern dass ich mir einfacehr Arbeit mit der Fantasywelt mache.

Ich bin jedoch nicht so ein Weltenbastler wie Valae und Jilia. So habe ich zwar angefangen vor 10 Jahren, da verstand ich aber zum Glück noch nicht viel vom Weltenbasteln (sonst säße ich immer noch dran).
Inzwischen hat mich eine wahre Ideenflut heimgesucht (weswegen ich das Kurzgeschichten schreiben aufgegeben habe), so dass ich 4 verschiedene Welten habe und es schon eine schwere Entscheidung wäre, welcher ich beim Basteln den Vorzug gebe.
Als Low Fantasy Schreiber ist das aber ohnehin nicht erforderlich.
Wobei dieser Satz vielleicht jetzt einen falschen Eindruck hervorruft: ich verwehre mich stark der Ansicht verwehre, dass Low Fantasy keine komplexe Welten haben kann (spätestens seit Martins Popularität sollte das Vergangenheit sein).

Ich habe zwei Kontinente, auf denen mehrere plotrelevante Länder liegen. (Meine "4 Welten" sind so gesehen 4 Kontinente - bei zweien bin ich jedoch nicht sicher, ob sie auf derselben Welt liegen sollen. Das hängt von dem Magiesystem ab, ob sie in derselben Welt angesiedelt werden).
Da nur 1 Land pro Plot eine Rolle spielt und da es wesentlich kleinteiliger also zu recherchieren ist (und eben Low Fantasy ist), arbeite ich etwas anders als Valae.

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Aber um ein realistisches Land zu erschaffen, das trotzdem den Plotvorgaben "sehr sehr klein" überein stimmt, habe ich mit Jilia und einigen anderen Leuten in einem anderen Forum
Rechnungen zur Grösse von Bevölkerung und Landwirtschaft angestellt.
Wir sagen uns also nicht "Och, das Gebiet hat mal so... 1.200 Einwohner (um tausend herum ist ja eine schöne Zahl) und x ha an Feldern" sondern wir berechnen sowas.
Mit verschiedenen Ansätzen, und schauen, ob eine dieser Theorien in etwa mit dem hinkommt, was praktisch für den Plot wäre.
Ich benötigte beispielsweise eine bestimmte Menge an Leuten in bestimmten Alter. (Ja, es geht um einen Krieg und die nahezu absolute Mobilmachung.) Anstatt einfach willkürlich Zahlen festzulegen, habe ich mich also damit auseinander gesetzt, in welchem Verhältnis zu den Kämpfern die gesamte Bevölkerung steht (Geschlecht und Alter, der Einfachheit halber habe ich erstmal mit Männern gerechnet) und verschiedene Thesen dazu gelesen und vor mich hin gerechnet.

Das würde bei einem historischen Roman entfallen - ich schaue "einfach" nach, wieviel Einwohner es gab. Wenn das nur für die Zeit vor oder nach der Handlung belegt ist, muss sich der Autor natürluch auch mit Schätzungen und Rechnereien beschäftigen - grundsätzlich hat er aber einen Vorteil gegenüber einer freihändig erschaffenen Welt.

Eine ganze Reihe von Bezugsgrössen oder Umständen werden "einfach" recherchiert, wo der Weltenbastler im Regen steht. Umgekehrt gibt es natürlich (wie in Deinem Briefbeispiel) Situationen, wo der Fantasyschreiber einen wesentlichen Vorteil geniesst.

Allerdings folge ich Valaes Ansicht, dass man nur gleichwertige Ansprüche vergleichen sollte und wer mit hohem Anspruch eine Fantasywelt freihändig erschafft (also nicht einfach ein Land oder eine Kultur zum Vorbild nimmt und leicht abwandelt), hat ebenfalls viel Recherche vor sich und in etwa den gleichen Zeitaufwand.


Das hat nichts mit einer Abwertung oder einem anderen Anspruch unsererseits an historische Romane zu tun, sondern eine von Deiner derzeitigen Diskussionsbasis abweichenden Auffassung vom Fantasy-Weltenbau.


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Um das ganze etwas abzukürzen, pflege ich übrigens (etwas unregelmäßig) meinen "Weltenbaukasten". Das ist eine Karteikartenbox, die ursprünglich historische Fakten und Literaturhinweise erfassen sollte, mein "externes Gehirn" während des Studiums.
Als ich jedoch in einem sehr akkurat recherchierten historischen Roman mit der keltisch-mittelalterlichen Methode, eine Tür zu verschliessen, vertraut gemacht wurde, musste ich das direkt rausschreiben. (Nicht zuletzt, weil ich einige Zeit brauchte, um zu verstehen, wie es funktioniert - trotz Tremayne genauer Beschreibung).
Solche interessanten historischen Informationen sammel ich also, in der Hoffnung, dass mein Weltenbaukasten mir die Recherche eines Tages erleichtert.

Würde ich z.b. in einem Roman mal Wert auf das Verschliessen einer Türe legen, würde ich also erstmal die historischen Beispiele recherchieren. (Z.b. gab es auch Schlüssel im pharaonischen Ägypten.)
Das heisst, während des Schreibens würde ich mir entsprechende fachwissenschaftliche Aufsätze bestimmter Fachbereiche besorgen (ich hoffe, diesen wissenschaftlichen Kopierdienst kann man auch als Nicht-Universitätsangehöriger nutzen), und irgendwann, wenn ich einen guten Überblick habe, auf Grundlage der historischen Informationen etwas Eigenes entwickeln - oder die perfekte Methode übernehmen - und im Manuskript zurückblättern und die Beschreibung ändern.
(Und idealerweise enthielte der Weltenbaukasten die erforderlichen Informationen und Literaturhinweise oder zumindest einen Großteil).



Und deshalb habe ich die Meinung, das beides denselben Zeitaufwand sowie extrem viel Recherche erfordert. Wenn mans mit einem bestimmten Anspruch an die Logik und Stimmigkeit einer Fantasywelt betreibt jedenfalls.


Fianna

Zitat von: Valaé am 27. November 2013, 21:58:08
Es ist also eine Frage dessen, wie einfach man an die Informationen kommt. Und wo man mehr Mut zur Lücke hat: Bezüglich Zusammenhänge oder bezüglich Fakten? Ich habe durchaus einen gewissen Mut zur Lücke was Fakten angeht, die ich trotz bester Recherche einfach nicht finde. Aber einen Zusammenhang falsch zu verstehen oder darzustellen, was eben auch immer mal passieren kann, würde ich mir nie verzeihen - allerdings findet man Zusammenhänge meistens durchaus einfacher als den einen Fakt, den man braucht.

Ich denke wirklich, es ist eine Frage des Standpunktes.
Bei mir trifft beides nicht zu (man kann sich auch das Leben so schön erschweren), allerdings hoffe ich, dass die erforderlichen Informationen finden könnte.

Übrigens: es gibt eine Historikerin, die mit einem Recherchedienst für Autoren sich selbstständig gemacht hat. Man kann sie mit Detailfragen beauftragen oder aber eine Literaturliste kaufen.
Vieles macht sie individuell, aber von den festpreisen, die ich fand, war das günstigste Angebot "100 Titel zu Ihrem Thema, die sie noch nicht kennen, 100,- €".

Also sollte ich eines Tages mal mit einem historischen Roman eine Chance haben, der "quasi fertig" ist, aber es fehlt etwas an Fakten - würde ich sie beauftragen.
Grundsätzlich finde ich, dass so etwas sein Geld schon wert ist, aber ohne entsprechenden Zeitdruck würde ich es nicht in Anspruch nehmen, ich habe zuviele kostenintensive Projekte am Start, so dass mir meine Bequemlichkeit nicht soviel Geld wert ist.

Außerdem gibt es ja auch eine Internetseite (Nationaler Biobliotheksdienst?*grübel*), wo man Rechercheanfragen stellen kann.

Churke

Zitat von: Valaé am 27. November 2013, 21:58:08
Es gibt eine Quelle aus dem Jahr xy, da ist die Existenz von Glasfenstern belegt, sondern ich muss mich, um festzustellen ob es in meiner Stadt solche Fenster gab, so genau mit allen Zusammenhängen auseinandersetzen, dass ich den ganzen Prozess verstehe und daraus folgern, ob es möglich wäre - U

Warum so kompliziert?
Wenn man sich die Schauplätze anschaut, wird einem vieles auf Anhieb klar. Zum Beispiel zeigen die großen Fensterbögen der Trierer Kaiserthermen, dass die Fenster verglast gewesen sein müssen. Daraus ergibt sich relativ zwanglos, dass die Häuser jener Zeit wahrscheinlich bis zur Mittelschicht Glasfenster hatten.
Umgekehrt kann man in Spanien heute noch maurische Häuser mit hölzernen Fenstergittern statt Glas besichtigen. Die Stuckaturen, die man aus der Alhambra kennt, waren knallbunt bemalt. Die Farbreste kann man im Museum sehen.
Sehr interessant fand ich auch das Dürer-Haus in Nürnberg, das ist ein Museum, das im Stil eines Bürgerhauses um 1500 eingerichtet ist. Da spaziert man durch, zieht sich die Drucke rein und weiß dann, wie man sich das Haus eines reichen Nürnberger Bürgers aus jener Zeit vorzustellen hat.

Fianna

Ich habe als eines meiner vielen Projekte einen Roman, der ausschließlich aus unterschiedlichen Quellen besteht  :D Für die Identifikation des Lesers wird es 2 Protagonisten geben, die ziemlich persönliche Dokumente überliefert haben --> damit der Leser eine emotionale Beziehung zu den Figuren aufbaut.

Die übrigens sind jedoch distanzierter geplant, und besonders eines stellt sich am Ende als höchst subjektiv heraus (~ die Sieger schreiben die Geschichte).