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Alles zur Perspektive

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Rotkehlchen

Hallo Leute,

ich bin noch recht neu hier in diesem Forum und bin unsicher, ob meine Frage hier richtig untergebracht ist, falls nicht, bitte ich um Nachsicht 😊

Ich habe eine Frage an diejenigen, die schon gewisse Erfahrung mit den Schreiben haben. Die Frage bezieht sich auf die Gestaltung und Wirkung von Erzählperspektiven.

Ich persönlich schreibe meine Geschichten aus der der Perspektive eines allwissenden / neutralen Erzählers. Aber ich gestalte die Szenen so, dass die Erzählweise die Wahrnehmung einer einzelnen bestimmten Person darstellt. Ich beschreibe das, was diese Person fühlt, denkt und von der Umgebung wahrnimmt (auch wenn der Leser weiß, dass noch andere Dinge passieren / zu sehen sein könnten).
Mein Ziel ist, dass der Leser möglichst in diese Person "eintaucht", sehr nah an ihr ist und Emotionen entwickelt.

Falls eine weitere Person in der Szene anwesend ist, meide ist es tunlichst, die Perspektive zu wechseln. Ich würde einen Perspektivwechsel erst immer am Ende des Kapitels oder eines Abschnittes machen. Aus meiner Sicht ist das schlechter Stil.

Was ist eure Meinung? Was haltet ihr von Perspektivwechsel?
Vielen Dank im voraus! :)



,,Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge."
Kurt Marti

Maja

Wir haben schon einen langen Thread zum Thema Perspektiven, deswegen habe ich das mal drangehängt. :) Darf trotzdem gern wieder und weiter diskutiert werden!
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Yamuri

Früher einmal habe ich mir gar keine Gedanken zu dem Thema Erzählperspektiven gemacht. Ich habe einfach geschrieben. Mein bester Freund, der mein Fan der ersten Stunde ist, hat mir mal gesagt, er hätte meine Texte immer als auktorial wahrgenommen. Ich hatte eine Phase in der ich sehr verunsichert war, als ich begann mich ernsthafter mit dem Schreiben auseinanderzusetzen und nicht mehr nur Fanfictions zu schreiben. Ich stieß auf unterschiedliche Definitionen und Herangehensweisen in Bezug darauf was es für Erzählperspektiven gibt und bis heute habe ich den Eindruck es ist ein flexibles System und je nach Schule/Ratgeber können sich die Herangehensweisen unterscheiden. Es kann also sein, dass meine Herangehensweise an die Unterscheidung der Perspektiven sich von deiner unterscheidet, weil ich mich auf andere Ratgeber/Schulen beziehe.

Was du beschreibst @Rotkehlchen wirkt auf mich auf den ersten Blick so, als würdest du drei Erzählperspektiven mischen. Den allwissenden Erzähler (auktorial), den neutralen Erzähler und den personalen Erzähler.

Wenn ich den allwissenden Erzähler richtig verstanden habe, so ist er in der Lage in einer Situation die Innensicht aller beteiligten Personen zu zeigen und zusätzlich eigene Kommentare abzugeben. Der neutrale Erzähler hingegen baut Distanz auf und berichtet als unbeteiligter Beobachter, der die Innensicht der Beteiligten nicht kennt. Der personale Erzähler kennt nur die Innensicht von ausgewählten Personen, die die Perspektiv-Träger:innen werden. Dann gäbe es noch den Ich-Erzähler als Sonderform des personalen Erzählers oder die Multiperspektive bei der es mir schwer fällt sie vom allwissenden Erzähler zu unterscheiden.

Ich selbst habe früher wohl auktorial geschrieben. Zwischenzeitlich dachte ich, dass ich multiperspektivisch schreiben würde, das schlechter Stil sei und habe mich daraufhin gezwungen streng personal zu schreiben und Perspektiven nur Kapitelweise zu wechseln. Das fühlt sich allerdings für mich bis heute wie ein enges Korsett an zu dem ich mich teils zwingen muss und das mich beim schreiben auch etwas hemmt. Nicht immer, aber manchmal fühlt es sich erzwungen für mich an, wenn ich nur in der Innensicht einer Person bleibe und nicht die Innensicht aller Beteiligten zeige. Zweiteres würde sich bisweilen natürlicher anfühlen beim Schreiben.


"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Rotkehlchen

Ah danke! Mir war nicht bewusst, dass es diesen Thread schon gab. Ich habe ihn mit großem Interesse gelesen und für mich festgestellte, dass ich nicht so viel falsch mache. :)

Mir waren aber tatsächlich die  korrekten Begrifflichkeiten in Sachen Erzählperspektive noch nicht bekannt (ich bin ein Autodidakt).
Was ich meinte, war der personelle Erzähler.

Mir ging es sehr ähnlich wie dir, Yamuri. Ich habe mir zu Beginn auch keine Gedanken über die Erzählperspektive gemacht und habe vielfach die auktoriale Erzählperspektive benutzt. Im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, dass die Gefühle der Protagonisten glaubhaft rüberkommen und wie wichtig es ist, dass der Leser sich mit den Figuren identifizieren kann, dass er mit den Figuren mitfiebern kann.

Über die Zeit habe ich dann angefangen, aus der personellen Perspektive zu schreiben (ohne zu wissen, dass das die Bezeichnung für diese Erzählweise ist).

Nachdem ich ein bisschen im Thread gelesen habe, scheint es unterschiedliche Meinungen zu geben, ob  es guter Stil ist, inmitten eines Absatzes oder Kapitels die Erzählperspektive zu wechseln.

,,Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge."
Kurt Marti

Yamuri

Ja, es gibt dazu unterschiedliche Meinungen.

Neulich habe ich mit einer Rollenspiel-Freundin gesprochen, die auch sehr gut schreibt, meiner Meinung nach und sie meinte zu mir - wenn nicht in der Kunst, wo dann, kann man einfach Neues ausprobieren? Sie wechselt die Perspektiven meist Kapitelweise, aber hat eine große Szene, in der sie es einfach wichtig findet, dass innerhalb der Szene die Innensicht aller Beteiligten gezeigt wird. Sie hat mir den Text gezeigt und ich fand ihn auch gut zu lesen. Ich glaube, dass im Zeichen der Diversität auch die veralteten und verhärteten Meinungen aufgebrochen werden. Warum nicht auch divers sein, was den Erzählstil anbelangt? Also warum nicht das Handwerk selbst divers gestalten?

Bei auktorial gibt es aber halt auch zwei unterschiedliche Herangehensweisen: eine die so beschrieben wird, dass auktorial sehr wohl die Innensicht und Gefühle beschreibt, also nah an alle Figuren ranzoomt und eine, die eher dem entspricht, was man den neutralen, distanzierten Erzähler nennen würde. Bei der ersten Herangehensweise kann man aber von einer Überschneidung sprechen mit der Multiperspektive. So eindeutig scheint das irgendwie alles nicht mehr zu sein und vielleicht ist das aber gar nicht so schlimm, solange man weiß was man tut?
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Sturmloewin

Ich glaube nicht, dass es in der Kunst, und somit auch im Schreiben, ein Richtig oder Falsch gibt.

Früher habe ich mir ebenso wie ihr keine richtigen Gedanken darüber gemacht, mit welcher Perspektive ich schreibe, sondern das gemacht, was sich richtig anfühlt. Und das tue ich auch heute oft noch. Ich finde, die Perspektive muss zur Geschichte passen. Und so verwende ich in meiner Fanfiction beispielsweise einen allwissenden Erzähler, der zwar kapitelweise auf personaler Ebene berichtet, an passenden Stellen jedoch auch allwissende Kommentare und/oder Einsichten in andere Charaktere einwirft. Diese Einwürfe kommen nicht oft vor und erscheinen mir doch in den jeweiligen Momenten richtig.

Damit will ich sagen @Rotkehlchen : Versuch, dich nicht darauf zu konzentrieren, was schlechter Stil ist oder nicht. Schau, was sich für dich gut anhört und gib deine Texte eventuell auch Testpersonen zum Lesen, die ihre Meinung dazu sagen können. Jede Geschichte ist anders und will anders erzählt werden.
So when the world knocks at your front door
Clutch the knob tightly and open on up
And run forward and far into its widespread, greeting arms
With your hands outstretched before you
Fingertips trembling, though they may be
--- Anis Mojgani "Shake the Dust"

Rotkehlchen

@Yamiri, @Sturmloewin,

ich danke euch für eure Meinung! Ich denke, in der Kunst und Literatur wird man immer auf Kritiker stoßen, die den eigenen Stil für unpassend finden.
Ich merke das bei meinen Testlesern. Person A findet den Text großartig und kann kaum genug begonnen, während Person B bereits nach 2 Seiten völlig frustriert ist.
Wichtig als Autor ist es wohl, genug Selbstwertgefühl zu besitzen und sich nicht verunsichern zu lassen. Und niemals nur eine Person um ihre Meinung zu fragen.
,,Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge."
Kurt Marti

Paka

@Rotkehlchen
Es kommt auch ein bisschen darauf an, was dein Ziel ist. Die meisten Verlage würden sich mit Perspektivwechseln innerhalb einer Szene eher schwertun. Die verlangen manchmal sogar von Autorinnen, dass das gesamte Buch umgeschrieben wird zu nur einer Perspektive statt Multi.
Und es kommt, denke ich, auch sehr darauf an, wie man es macht. Wenn ich als Lektorin das Gefühl hätte, du weißt, was du da tust (und es sieht nach Absicht aus), würde ich es eher durchwinken als wenn es sich liest, als ob du dir noch nie Gedanken zur Perspektive gemacht hast.

Die auktoriale Perspektive kann von weit her berichten, aber genauso gut auch reinzoomen. Das macht es manchmal sogar ziemlich schwer, herauszufinden, ob es personal oder auktorial geschrieben ist. Stephan Waldscheidt behauptet ja sogar, dass Harry Potter auktorial geschrieben ist. Ich würde eher sagen: Es ist personal geschrieben, mit auktorialen Einschüben. Aber darüber lässt sich streiten.

Ich bin gerade dabei, für meinen Blog eine Reihe von Artikeln zu den verschiedenen Perspektiven zu schreiben. Bisher gibt es da Neutral, Auktorial und Personal (3. Person). Wenn du Lust hast, kannst du da ja mal reinschauen. Vielleicht hilft es dir weiter.

Insgesamt ist Perspektive aber einfach schwierig, finde ich.
Gerade eine Liste von acht der am häufigsten aus US-Bibliotheken verbannten Bücher gesehen. Fünf davon stehen in meinem Regal. 👍🏻😇

Derufin Denthor Heller

Ich finde die Unterscheidung der Perspektive auch manchmal sehr schwierig. Ich denke sogar, dass es nur sehr selten Roman gibt, die in ausschließlich einer einzigen Perspektive geschrieben sind.

Ich selbst schreibe in einer mulitpersonalen Perspektive. Ich vermeide den Wechsel von Perspektiven innerhalb von einzelnen Szenen, wechsle jedoch munter von Szene zu Szene zwischen verschiedenen Figuren hin und her. Dagegen spricht eigentlich ja nichts. Selbst Perspektivwechsel innerhalb von Szenen habe ich schon in vielen Büchern gefunden.
Viele Leserinnen und Leser finden das mitunter schwierig, weil sie immer wieder aus der Figur herausgerissen werden. Allerdings ist es nur so möglich, die Gedankenwelt und Beweggründe mehrerer Figuren genau zu schildern. Vielleicht liegt es aber auch, wie bei Vielem daran, dass bestimmte Trends der letzten Jahre auch Schreibstil und bevorzugte Perspektiven beeinflussen.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich mich auch an bereits angesprochenen auktorialen Einschüben bediene.
Abschließend muss man wohl sagen, dass die Wahl der Perspektive schon einen starken Einfluss auf die Geschichte hat und zum Roman und der jeweiligen Zielgruppe passen muss.

 

Paka

Zitat von: Derufin Denthor Heller am 02. Mai 2023, 19:23:16Allerdings ist es nur so möglich, die Gedankenwelt und Beweggründe mehrerer Figuren genau zu schildern.
Die Frage ist, ob man die  Gedanken und Beweggründe ALLER Figuren JETZT SOFORT kennen muss. Wenn man sich darauf einlässt, ist es meistens spannender, wenn man nicht alles mitteilt, sondern den Lesenden Spielraum lässt. Im Notfall kann der Prota aber auch immer noch Vermutungen anstellen, was sein Gegenspieler wohl gerade denken könnte.
Gerade eine Liste von acht der am häufigsten aus US-Bibliotheken verbannten Bücher gesehen. Fünf davon stehen in meinem Regal. 👍🏻😇

Rotkehlchen

@Paka
Ich habe tatsächlich das Ziel bzw. die Hoffnung, irgendwann zu veröffentlichen (hoffe, das klingt nicht naiv). Bis dahin ist es sicherlich noch ein weiter Weg, aber ich bin immer fleißig am Schreiben und Lernen. 😉

Liebend gerne würde ich die von dir erwähnten Artikel zum Thema "Perspektive" lesen. 😊
Vllt. magst du den Link teilen?

Und ich stimme dir auf jeden Fall zu. Es fällt nicht immer leicht zu bestimmen, wo die Grenze zwischen auktorial und personal liegt.
,,Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge."
Kurt Marti

Paka

Zitat von: Rotkehlchen am 02. Mai 2023, 20:39:37Liebend gerne würde ich die von dir erwähnten Artikel zum Thema "Perspektive" lesen. 😊
Vllt. magst du den Link teilen?.
Ah, ich hatte schon einen Link auf das Wort ,,Blog" gesetzt, aber die Links sind anscheinend nicht besonders gut zu erkennen. Hier nochmal: https://www.lektoratte.net/category/kreatives-schreiben/ 😇
Gerade eine Liste von acht der am häufigsten aus US-Bibliotheken verbannten Bücher gesehen. Fünf davon stehen in meinem Regal. 👍🏻😇

Rotkehlchen

#537
Vielen lieben Dank!

@Paka: Ich habe die Verlinkung in deinem vorigen Beitrag nicht gesehen. Die war sehr unscheinbar.

Deine Artikel habe ich nun gelesen. Sie sind super gut und anschaulich geschrieben.
Einmal mehr wurde mir vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für das Schreiben die richtige Perspektive zu wählen.

Ich muss sagen, ich habe in den letzten Tagen sehr viel über die unterschiedlichen Perspektiven gelernt und ich fühle mich nun viel sicherer beim Schreiben.
Habt Dank für eure Hilfe.

PS: Die Ratten im Blog sind wirklich süß, @Paka.
,,Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge."
Kurt Marti

Paka

Zitat von: Rotkehlchen am 03. Mai 2023, 09:12:05PS: Die Ratten im Blog sind wirklich süß, @Paka.
Du solltest erst mal die echten Ratten sehen, die bei meiner Tochter im Zimmer wohnen. 😍

Zitat von: Rotkehlchen am 03. Mai 2023, 09:12:05Deine Artikel habe ich nun gelesen. Sie sind super gut und anschaulich geschrieben.
Da steckt auch jedes Mal irre viel Recherche drin. 🥵 Ich schreibe die eigentlich hauptsächlich, damit ich selbst besser durchsteige. 😆
Gerade eine Liste von acht der am häufigsten aus US-Bibliotheken verbannten Bücher gesehen. Fünf davon stehen in meinem Regal. 👍🏻😇

Rotkehlchen

@Paka :  Das glaube ich! Ich fand den Vergleich mit der Krähe (ich bin ein Vogelliebhaber), die z. B. den personellen Erzähler spielt und auf der Schulter des Protagonisten sitzt, echt süß. Ich habe diesen Vergleich gleich am darauffolgenden Tag benutzt, als ich meinem Kollegen erzählt habe, was ich über die unterschidlichen Perspektiven gelernt habe.

Mir hat vor allem die Zettel-Strategie deiner Tochter gefallen, um die Ratten zu bekommen. :) Echt süß.
,,Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge."
Kurt Marti