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Eindeutschungen: Gräuslich oder sinnvoll?

Begonnen von Luna, 19. März 2012, 10:48:12

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Pestillenzia

Zitat von: Maran am 19. März 2012, 21:25:34
Ich muß gerade an Lord Peter Wimsey denken. Glücklicherweise wurde dieser Name - soweit mir persönlich bekannt - nicht verdeutscht. So wird einigen englisch Ungebildeten zwar zumindest eine humoreske "Erklärung" entgehen, aber für die Ehrlichkeit und Tiefe des Charakters ist es nur von Vorteil.

Ich muss zugeben, dass der von mir kursiv markierte Satzteil mich gerade ein wenig verärgert, weil er in meinen Augen - um es direkt zu sagen - ziemlich hochnäsig daherkommt. Ich habe mein Englisch-Abi mit 13 Punkten, also einer 1,3 gemacht und darf wohl davon ausgehen, dass ich - zumindest vor über 20 Jahren - die englische Sprache einigermaßen leidlich beherrscht habe. Trotzdem sagt mir das Wort "wimsey" nichts. Bin ich nun englisch ungebildet? Bin ich ungebildet, weil ich einige (oder auch viele) Wortwitze oder Anspielungen im englischen Original nicht verstehe?

Manchmal habe ich den Eindruck, dass vergessen wird, dass das Bildungsniveau hier im TiZi sehr hoch ist, dass dieses Niveau aber keineswegs dem Durchschnitt der Bevölkerung entspricht. Ich will hier gar nicht die Extreme beschwören und hier die Kluft zwischen Akademikern und den viel zitierten Kevins anführen. Englisch ist für uns alle zwar selbstverständlich, aber dennoch beherrscht sie der größte Teil doch nur in eher rudimentärem Umfang, egal ob Fremdsprachen nun schon im Kindergarten oder spätestens der Grundschule eingeführt werden oder nicht. Bei vielen reicht es weder, um (einfache) Liedtexte zu übersetzen noch um sich halbwegs zu verständigen.

Übersetzungen werden nicht für Gebildete gemacht, die kein Problem damit haben, englische/französische/koreanische Originale zu lesen sondern hautpsächlich für Ungebildete, die eben nicht in der Lage sind, Originaltexte zu verstehen (oder denen es zu mühsam ist und denen das Lesen dann einfach kein Vergnügen bereitet).

Dass manche Übersetzungen sich seltsam anhören oder manchmal aufgrund mangelnder Kenntnis des Übersetzers auch in die Hose gehen, daran besteht kein Zweifel. Eindeutschungen deshalb generell zu verteufeln liegt mir aber fern.

Zitat von: Ratzefatz am 08. November 2012, 21:42:38
Ich persönlich finde auch, dass sich "Theon Graufreud" merkwürdig anhört, aber vermutlich klingt "Theon Greyjoy" für einen englischen Leser genauso eigenartig.

Genau das habe ich mir auch oft gedacht. Wer kann wirklich berurteilen, wie sich manche Originalnamen in den Ohren eines Muttersprachlers anhören?

Snöblumma

#31
Zitat von: Pestillenzia am 09. November 2012, 05:16:44
Genau das habe ich mir auch oft gedacht. Wer kann wirklich berurteilen, wie sich manche Originalnamen in den Ohren eines Muttersprachlers anhören?

Ich glaube, das ist bei Eindeutschungen ein wichtiger Punkt. Wenn im englischen Original Wortspiele entstehen, dann ist es Sinn und Zweck dieser Wortspiele in Namen, dass der Leser sie auch mitbekommt. Greyjoy mag für uns ungewöhnlich und gut klingen, für den englischen Muttersprachler ist es dagegen lediglich die Verbindung aus grey und joy - mit einer entsprechenden Bedeutung. Wieso nicht im Deutschen diesen Effekt ebenfalls nachahmen? Wenn die Übersetzung gut gemacht ist, habe ich dagegen nichts einzuwenden. Genauso mit all den anderen Beispielen, die hier gegeben wurden. Ironforge ist einfach Eisenschmiede, punkt aus. Nur weil wir es gewohnt sind, dass englische Namen englisch bleiben, muss das ja nicht unbedingt so sein.

Und Pestis Punkt, den Leser und seinen Verständnishorizont zu betonen, finde ich auch ganz wichtig. Ich spreche fließend englisch, habe kein Problem, mich auch in Fachkreisen zu bewegen - aber alle Wortspiele und Feinheiten werde ich im Leben nicht beherrschen. Ich bin einfach kein Muttersprachler, und jeder, der etwas anderes behauptet, überschätzt seine Fähigkeiten meiner Meinung nach gewaltig. Übersetzer und allgemein Anglisten verstehen mehr - aber wer eine Sprache nicht von Kindesbeinen an gelernt hat (und zwar in einer natürlichen Umgebung), wird niemals alle Feinheiten verstehen. Es hängt ja so viel mehr dran als nur die Bedeutung der Wörter alleine. Wenn eine Übersetzung also gut gemacht ist durch jemanden, der sich intensivst mit der Fremdsprache beschäftigt hat und nahezu alle Wortwitze, Andeutungen, kulturellen Feinheiten etc. in meine Sprache übertragen kann, finde ich das a) bewundernswert und b) einen Gewinn für mich. Weil ich dann eben diese Feinheiten auch mitbekommen werde. Dazu gehören dann eben auch Abwandlungen, wenn mir Redewendungen nichts sagen, wenn ich mit bestimmten Städten nichts anfangen kann, wenn manche Sitten mir unbekannt sind - der hier schon zitierte Arno Schmidt hat es meisterlich vorgemacht. Dass so etwas Geld kostet, ist klar, dass es daneben gehen kann, auch.

Klar ist es eine Umstellung, wenn nun in den neuen Übersetzungen von Song of Ice and Fire plötzlich Graufreud steht statt Greyjoy - aber auch nur, weil ich mit der alten Übersetzung angefangen habe. Wenn es von Anfang an Graufreud geheißen hätte, hätte ich das irgendwie sogar gut gefunden, glaube ich :D.

Ary

Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Snöblumma

Uuuups.  :-[ Ich gehe mal ausbessern. Umso besser für die Übersetzung :D.

Churke

Zitat von: Pestillenzia am 09. November 2012, 05:16:44
Übersetzungen werden nicht für Gebildete gemacht, die kein Problem damit haben, englische/französische/koreanische Originale zu lesen sondern hautpsächlich für Ungebildete, die eben nicht in der Lage sind, Originaltexte zu verstehen (oder denen es zu mühsam ist und denen das Lesen dann einfach kein Vergnügen bereitet).

Aber muss man alles verstehen?
Wie viele Anspielungen sind in einem Text versteckt, die den meisten Lesern entgehen? Das ist wie die "Lenina Huxley" in "Demolition Man". Wer "Brave New World" gelesen hat, weiß Bescheid. Wer nicht, der hat eben Pech gehabt.  Ich finde es auch nicht schlimmt, wenn es eine zweite Ebene gibt. Das kann man auch als "Tiefgang" und "Anspruch" verkaufen.

Pestillenzia

Zitat von: Churke am 09. November 2012, 13:16:16
Aber muss man alles verstehen?
Wie viele Anspielungen sind in einem Text versteckt, die den meisten Lesern entgehen?

Mit "verstehen" meinte ich nicht die Anspielungen, die in einem Text enthalten sein können, sondern das grundsätzliche Verstehen bzw. Beherrschen einer Fremdsprache. Wie gesagt: der Großteil der Bevölkerung ist nicht in der Lage, Bücher im Original zu lesen, weil es einfach an den entsprechenden Kenntnissen mangelt. Und genau für diese Leute sind in meinen Augen in erster Linie Übersetzungen gedacht. Und auch für Leute wie mich, denen es zu mühsam ist, Bücher im Original zu lesen, weil ihre Sprachkenntnisse eingerostet sind.
Manchmal kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich in den Augen mancher zu Lesern zweiter Klasse gehöre, weil ich nur die Übersetzungen lese.

(Wobei das Beherrschen einer Fremdsprache keine Frage der Intelligenz an sich ist. Eine Mitschülerin im Gymnasium war ein absolutes As in Mathe und Physik. 15 Punkte waren bei ihr die Regel, eine klassische Einser-Schülerin, die sich überhaupt nicht dafür anstrengen musste. Aber mit Englisch stand sie vollkommen auf dem Kriegsfuß. Ein Buch im Original zu lesen, wäre für sie der Horror.)

Churke

Johnny Gutaussehend ritt mit Billy das Kind nach Grabstein, um mit Doc Urlaub abzurechnen.

Pestillenzia

Zitat von: Churke am 09. November 2012, 16:45:46
Johnny Gutaussehend ritt mit Billy das Kind nach Grabstein, um mit Doc Urlaub abzurechnen.

???

Kati

Churke: Das sind ja nun aber historisch belegte Eigennamen. Tombstone, Doc Holliday, Billy the Kid... das sind alles Namen, die Leute, die sich mit dem alten Westen auskennen, kennen. Würde man die eindeutschen, würde das selbst bei mir erstmal ein großes Fragezeichen hervorrufen, obwohl ich mich mit der Zeit mal sehr stark auseinandergesetzt habe. Es HAT auch ein großes Fragezeichen bei mir ausgelöst, als ich deinen Satz gelesen habe.

Da nun aber die Figuren aus Martins Büchern keine historisch belegten Persönlichkeiten sind, die niemand wiedererkennen soll oder muss, kann ich da schon leichter damit umgehen, dass sie eingedeutscht wurden. Gut finde ich das auch nicht, weil es ja irgendwo noch Eigennamen sind, die zur Atmosphäre oft stark beitragen, aber ich finde es mittlerweile in Ordnung. Können sie ruhig machen, müssten sie aber meiner Meinung nach nicht.

Luna

#39
Zitat von: Pestillenzia am 09. November 2012, 05:16:44
Manchmal habe ich den Eindruck, dass vergessen wird, dass das Bildungsniveau hier im TiZi sehr hoch ist, dass dieses Niveau aber keineswegs dem Durchschnitt der Bevölkerung entspricht. Ich will hier gar nicht die Extreme beschwören und hier die Kluft zwischen Akademikern und den viel zitierten Kevins anführen. Englisch ist für uns alle zwar selbstverständlich, aber dennoch beherrscht sie der größte Teil doch nur in eher rudimentärem Umfang, egal ob Fremdsprachen nun schon im Kindergarten oder spätestens der Grundschule eingeführt werden oder nicht. Bei vielen reicht es weder, um (einfache) Liedtexte zu übersetzen noch um sich halbwegs zu verständigen.

Übersetzungen werden nicht für Gebildete gemacht, die kein Problem damit haben, englische/französische/koreanische Originale zu lesen sondern hautpsächlich für Ungebildete, die eben nicht in der Lage sind, Originaltexte zu verstehen (oder denen es zu mühsam ist und denen das Lesen dann einfach kein Vergnügen bereitet).
Danke Pesti :knuddel:. Du hast mir da gerade aus der Seele gesprochen. Ich habe auch Englisch als Leistungsfach gehabt, war da zwar eher schlecht als recht. What shells ;D. Hat mir immer Spaß gemacht zu sprechen und nach über 20 Jahren ohne großartige Praxis ist mein Englisch auch leider sehr eingerostet. Wie gesagt, zum Bierbestellen und Überleben reichts meist noch, aber nicht, um hochphilosophische Konservationen zu führen. Verstehe die meisten Wortspiele auch nicht, bis auf Count Count, auf deutsch Graf Zahl ;D aus der Sesamstraße. Finde es nur leider immer schade, wenn Leute alles dann nochmal auf englisch übersetzen müssen, weil sie meinen, die meisten im Netz verstehen sie dann nicht. Und wer übersetzt für mich das ins Deutsche :brüll:? Ich meine, wenn mich mal irgendwas brennend interessiert, dass ich mir das übersetzen muss, dann krame ich meine eingerosteten Kenntnisse aus irgendwelchen Hirnwindungen hervor oder frage Leo oder ein urbanes Wörterlexikon im Netz oder ich frage herum.

Edit: Hat mich auf jeden Fall jede Menge Nerven und Mühe gekostet, endlich herauszufinden, was cold robbies aus dem Originaltext, der den Begriff Mary Sue prägte, herauszufinden :brüll:. Ein Wortspiel. Cold Robbies sind wohl Kohlrabies, nach allem, was meine mühseligen Recherchen ergeben haben, aber noch nicht mal da bin ich mir so 100 % sicher. Hört sich auf jeden Fall gut an.
Kann man denn dann von anderen verlangen, bei brennendem Interesse, sich da auch um Recherche und Übersetzungen zu bemühen?

Churke

Zitat von: Kati am 09. November 2012, 18:53:33
Churke: Das sind ja nun aber historisch belegte Eigennamen.
Historisch belegt oder nicht ist nicht der Punkt. Es sind Namen. Sogar Spitznamen, bei denen man um so mehr argumentieren könnte, dass eine Übersetzung dem Leseverständnis zuträglich wäre.  :engel: Aber selbst wenn man diese Namen vorher noch gehört hat, ist Johnny Handsome ritt mit Billy The Kid nach Tombstone, um mit Doc Holiday abzurechnen auch atmosphärisch eine ganz andere Hausnummer als die Eindeutschung. Mein Beispiel ist ins Groteske überzogen, aber die Frage, ob etwas atmosphärisch past, stellt sich immer.

Bei vielen Übersetzungen kommt es auch zu Bedeutungsverschiebungen.
Zum Beispiel hat man bei BattleTech aus dem "Draconis Combine" das "Draconis Kombinat" gemacht. Kombinat klingt zugebenermaßen gut, ist aber was anderes als "Combine" und außerdem nach Duden falsch.
Oder in Catherine Asaros "Skolia"-Space Opera: Das "Eubian Concord" wird zur "Eubischen Harmonie". Das klingt lächerlich und ist höchstwahrscheinlich auch nicht gemeint.

Man kann schon eindeutschen (die gelungenen Beispiele spare ich jetzt mal), aber man muss sich das vorher genau überlegen.

Feuertraum

Ich kann Pestilenzias Einwand zum Thema Bildung und Fremdsprachen sehr gut verstehen. Ich selber bin jemand, dessen Englisch gerade so eben ausreicht, um ein Verkaufsgespräch zu stammeln (und selbst da bitte ich den Kunden, dass er bewusst langsam spricht).
Als ich die Trilogie (damals noch wirklich Trilogie) "Per Anhalter durch die Galaxis" ausgelesen hatte (auf Deutsch), rümpfte ein ehemaliger Arbeitskollege die Nase und empfahl mir, die Reihe auf jeden Fall auf Englisch zu lesen, weil viele der Witze und Anspielungen nicht übersetzt werden können.
Ich erklärte, dass mein Englisch dafür nicht gut genug sei und bekam als lapidare Antwort "Dann müssen Sie es halt lernen!"

Der meiner Ansicht nach intelligenteste Weg ist jener, den "The Big Bang Theory" geht. Diese Serie ist so konzipiert, dass Menschen, die nicht so die Ahnung von Physik haben, über viele der Sprüche und Situationen lachen können und jene Zuschauer, die ein As in der Physik sind, noch ein kleines bisschen mehr, weil sie die Hintergründe verstehen. Dabei ist das ganze so geschickt miteinander verwoben, dass man als Physikwenigwissender keine Wut verspürt, weil man es nicht versteht - man bekommt es halt nur nicht mit.

Sehr mit dem Thema Eindeutschung setzt sich übrigend die band "Welle:Erdball" auseinander. Sie sehen sich als deutschsprachige Künstler (auch wenn sie auf der neuen Scheibe zwei englischsprachige Lieder gepackt haben, was mich sehr wundert) und sprechen deshalb auch Deutsch.
Darum heißt es bei ihnen nicht "Internet", sondern "Internetz"
Und ganz ehrlich: auch wenn es in unserer Zeit sehr gewöhnungsbedürftig klingt: irgendwo gefällt es mir.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Ratzefatz

Da ich "Song of Ice and Fire" nur auf Englisch gelesen habe: Wie wurde denn zB gelöst (in "Storm of Swords", denke ich - das müsste dann der fünfte oder sechste deutsche Band sein), dass ein Mitglied der "Brotherhood Without Banners" einen gelben Mantel trägt und daher "Lemoncloak", kurz "Lem", heißt? Heißt der dann "Gelbmantel", kurz "Gelbi"? "Zitronenmantel", kurz "Zit"? Würde mich einfach interessieren.

LG
Ratzefatz
,,Dein Name ist Venko", raunte Zoya in sein Ohr. ,,Venko, Venko, Venko." Sie gab ihm für jedes ,,Venko" einen Kuss und ermahnte ihren Mann: ,,Vergiss deinen Namen nicht!"
,,Wie könnte ich ihn vergessen, meine Zoya", raunte er zurück, ,,wenn ihn vergessen auch dich vergessen hieße?"

Judith

Der heißt in der Tat Zit Zitronenmantel (und zwar schon seit der alten Übersetzung).

Ryadne

So wurde das auch beim "Mitternachtszirkus" gemacht; da wurde dann aus Desther Tiny (also für "Destiny) Salvatore Schick. Fand diese Lösung an für sich gut, wobei ich es in diesem Fall glaube ich eher so gelassen hätte, da
1. die Bücher im englischen Sprachraum spielen und sowohl der Nachname "Schick", als auch, dass der Protagonist auf den versteckten Namenshinweis kommt, dann ein wenig seltsam erscheinen
und
2. das Wort "Destiny" ja schon relativ geläufig ist und da die Figur meist eh nur "Des" genannt wird; wenn da dann ein Kerl rumläuft, der mit Vornamen "Des" heißt und mit Nachnamen "Tiny" - naja, das ist schon ein deutlicher Hinweis.

Aber da nie explizit gesagt wird, dass die Reihe in Amerika oder Großbritannien spielt, ich es nur aufgrund der Namen und Stadtbeschreibungen stark vermute und die Reihe darüber hinaus ja eher für Jugendliche konzipiert ist, ist die Lösung in meinen Augen im Grunde schon in Ordnung.