• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Brutale/ Blutige Szenen - wie weit würdet ihr gehen?

Begonnen von Darielle, 07. Oktober 2011, 04:26:49

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Steffi

@Aryana: ich hab auch schon schlechteres gelesen ;) Aber mich überkam bei "Shadows Return" das beklemmende Gefühl, dass sich Flewelling diesen abstrusen Plot nur zusammen gesponnen hatte, um einen Vorwand für diese ganzen Folterszenen zu haben, und das hat bei mir einen fahlen Nachgeschmack hinterlassen.


Sic parvis magna

Churke

Ich beobachte da so eine gewisse Manie zu Splatterorgien. Dazu kann man stehen wie man will, aber auf jeden Fall nützt sich der Effekt mit der Zeit ab. Außerdem muss ich sagen, dass Leute, die wirklich Gewalt erfahren haben, die Dinge eher abstrakt und nüchtern beschreiben.

Im Bereich der Heroic Fantasy wird das Zeug gerne verharmlost, vielleicht unter dem Einfluss von Filmen. Ein Schwertkampf endet wahrscheinlich damit, dass einem der Schädel eingeschlagen, das Gesicht weg gestochen, der Kopf abgetrennt wird. Das ist nun mal so, aber ein erfahrener Fechter wird sich da kaum mit langen Beschreibungen aufhalten. Ich weiß nicht mal, ob es da früher brutaler zuging als heute. Wenn ich die Wahl hätte zwischen einem Granatsplitter (Drohnenangriff), einer Tretmine oder einem Schwert, würde ich wahrscheinlich das Schwert bevorzugen.

Zitat von: Darielle am 07. Oktober 2011, 04:26:49
Ich möchte eigentlich gar keine Gewalt reinbringen, ganz im Gegenteil. Ich möchte mit meiner Geschichte auf die Leute zeigen, die Gewalt anwenden, als sei es so normal wie das Schuhe anziehen.

Das klingt für mich so, als ob du von diesen Gewaltanwendern fasziniert wärst.  :) Ein solcher Typ sieht die Sache aber wahrscheinlich nicht als brutale Splatterorgie, sondern eher zielgerichtet. Welche Blüten das treibt, sieht man ja an den Schauermärchen über Gaddafis schwarze Söldner, an die Viagra ausgegeben wurde, damit sie mehr weiße Frauen vergewaltigen können. Nehmen wir mal für eine Sekunde an, diese Geschichte wäre wahr. Aus der Sicht eine Opfers wäre es nur eine *normale* Vergewaltigung. Um deutlich zu machen, worum es hier wirklich geht und wie der Täter tickt, müsste man die Sache m.E. zwingend aus der Sicht des Täters beschreiben. Dem hat man auf die Packung Viagra vielleicht 50 $  drauf gelegt - und noch mal 50 $ geboten, wenn er dem Opfer die Brüste abschneidet. Wie steht er jetzt zu der Sache?

Valaé

Dieses Thema betrifft mich in letzter Zeit ziemlich oft. Ich habe eigentlich früher nie besonders brutale Bücher/Szenen gelesen oder Filme gesehen. Ich tue es sogar heute noch nicht sehr oft. Eigentlich könnte man sagen, dass ich gar nicht dazu in der Lage sein sollte, Dark Fantasy zu schreiben. Und doch habe ich es einfach mal versucht, ich weiß noch nicht einmal woher der Drang kam. Er war einfach da. Wenn ich heute ein paar Szenen aus Schlangenbiss lese, dann wird mir mulmig. Nicht weil die Szenen so wahnsinnig brutal wären dass ich sie nicht lesen kann. Sondern weil ich das geschrieben habe. Weil ich mir so etwas im Leben niemals zugetraut hätte. Und in meinem Kopf bahnen sich für das nächste Dark Fantasy Buch schon wieder neue Szenen an.
Wie weit kann ich gehen, was wird zuviel, woher kommt das alles überhaupt? Das sind also auf jeden Fall Fragen denen ich mich regelmäßig stellen muss. Eines ist mir dabei wichtig: Gewalt nur der Gewalt willen- nein, das möchte ich auf keinen Fall. So etwas würde ich auch nicht lesen wollen. In meinen Büchern geht es nicht zimperlich zu. Da geht es sogar sehr weit. Aber ich schreibe mit Dark Fantasy natürlich auch ein Genre in dem es schwer ohne so etwas geht: Wie will man Horror-Elemente hineinbringen, wenn die Gewalt fehlt? Damit meine ich körperliche und seelische.
Ich persönlich gehe nur so weit, dass sie noch einen Sinn hat. Ein neuer Aspekt an einem Charakter soll gezeigt werden. Ein Charakter erfährt aufgrund dieser Grausamkeit etwas. Sie dient meistens zur Charakterisierung, manchmal zur Erzeugung von Atmosphäre. Natürlich kommt es auch auf das Genre und das Thema des Buches an, ebenso wie auf die Zielgruppe. Weder in einem Jugendbuch noch einem All Ager hätte ich mir so etwas erlaubt.
Aber ich bin auch dagegen, sich vollkommen dagegen zu sträuben sich mit Gewalt auseinanderzusetzen. Sie ist da, sie ist in jedem von uns, in dem Einen mehr und in dem Anderen weniger und sie zu verleugnen bringt uns auch nicht weiter. Meistens sind es die Bücher, die am meisten und stärksten auf die Gewalt eingehen, die ihr eigentlich am kritischsten gegenüber stehen. Denn sie erzeugen eine wirkliche Abwehrhaltung von diesem Verhalten, wollen schockieren und Gewalt als etwas Grausames darstellen - nicht wie die viel genannten Schlachten bei denen Gewalt schon fast als Nebenbei-Unterhaltung verkauft wird. Das finde ich ehrlich gesagt viel makaberer.
Ich habe in meinem Fall übrigens auch den Weg genommen, dass ich erst einmal runtergeschrieben habe. Dann kommt die Rückmeldung der Betaleser und dann kann ich mich immer noch entscheiden, was vielleicht zu hart war. Bisher wurde mir nur gesagt, dass ich bis an die Grenze gehe, sie aber nicht überschreite. Das wäre genau das, was ich als absolut akzeptabel empfinden würde. Den Leser durchaus auch auf die Probe dessen stellen, was er ertragen kann - aber diese Grenze nicht überschreiten. Ich will ja immer noch dass er mein Buch mag und nicht 90% überspringen muss weil es ihm zu brutal ist.
Im Übrigen empfinde ich es als wichtig, dass man, wenn man einen Charakter hat der Gewalt eher positiv gegenübersteht, sie genießt und vielleicht von ihr abhängig ist, dass es dann eine positive Identifikationsfigur für den Leser gibt, die diese Haltung radikal in Frage stellt, schockiert davon ist und allerhöchstens ganz geringes Verständnis dafür entwickelt/entwickeln kann (in wie weit ein solches Verständnis gehen kann, hängt von den Gründen des gewaltliebenden Charakters ab, so zu handeln). Man könnte mir beispielsweise auch vorwerfen, dass mein religiöser Kult der Furien gewaltverherrlichend sei. Denn diese Furien leben von Gewalt, sie brauchen sie und sie lieben sie. Das wird auch entsprechend anschaulich geschildert - aus der Sicht einer Neufurie, die im Laufe der Zeit auch in diese kranken Vorstellungen hineinwächst.
Gleichzeitig wird aber permanent ein gewisser Abscheu den Furien gegenüber aufgebaut. Es wird klar, dass dieser Orden eine gefährliche Sekte mit absolut unhaltbaren Vorstellungen ist - die Sekte ist also durchaus gewaltverherrlichend, aber das Buch richtet sich gegen sie. Unter Anderem auch durch die Existenz eines Charakters, der ganz eindeutig unter den Folgen der Vorstellungen der Sekte leidet. Und er ist der eigentliche Identifikationscharakter. Nicht die Protagonistin, die in die Fänge der Sekte gerät. Die wird dauerhaft mit einer gewissen Distanz betrachtet.

Leider kann ich keine Beispiele aus anderen Büchern bringen weil ich selbst wirklich ganz selten so etwas lese. Aber ich würde es wie eben in meinem eigenen Projekt immer als wichtig empfinden, dass klar wird dass man sich mit der Gewalt auseinandersetzen soll- nicht identifizieren.

Naudiz

#18
Um das Thema muss ich mir - genauso wie Valaé - neuerdings oft Gedanken machen. Zwar schreibe ich keine Dark Fantasy - jedenfalls nicht direkt -, aber ich neige dazu, meinen inneren Bösewicht rauszulassen. Und da ist halt schon jedes Mal die Frage, wie weit ich da gehen kann / darf / muss. Ich sage bewusst "muss", weil von vielen Büchern, besonders in der Fantasy, einfach erwartet wird, dass sie in einem gewissen Grade brutal sind. Ich meine, wer will schon von einem blümchenpflückenden Antagonisten lesen?
Das soll jetzt nicht heißen, dass der Anta zwingend brutal sein muss. Ganz und gar nicht. Aber es wird eben von vornherein angenommen, dass er einiges auf dem Kerbholz hat. Deswegen ist es für mich wichtig, dass der Anta zwar schon "Verbrechen" begeht, aber nicht ohne halbwegs triftigen Grund. "Er hatte halt Lust dazu" ist da für mich keine Erklärung - das Argument, dass ihm als Kind eingetrichtert wurde, dass Gewalt nichts Schlimmes sei, schon.
Noch viel wichtiger ist für mich allerdings, dass nicht nur der Anta, sondern auch der Prota einige Dinge tun, die jenseits von Gut und Böse sind. Das Leben ist nun mal kein Ponyhof, und das sollte man - vor allem in mittelalterlichen High Fantasy-Welten - nicht vergessen. Das Mittelalter war dunkel, dreckig, brutal und grausam. Das ist nun einmal so, und das sollte man nicht - wie diverse erfolgreiche Autoren - vergessen.

Die Frage nach dem Wie ist aber die interessanteste von allen. Ich bin da recht zwiegespalten und lasse in der Regel die Geschichte entscheiden, ob ich detailliert oder eher subtil vorgehe. Was bei mir aber auffällig ist: Gerade in den "sauberen" High Fantasy-Welten neige ich dazu, sehr brutal vorzugehen. Vielleicht, weil mich diese ganzen Heroensachen ziemlich anöden. Also sowas wie Paolini oder so, bei denen die Schlachten immer edelmütig sind, jedenfalls auf Seiten der Helden.

Meine Protas dürfen rauben, brandschatzen, vergewaltigen, foltern und morden, soviel sie wollen. Jawohl, richtig gehört: Meine Protas. Gerade diese sind nämlich nur sehr selten die braven Heldlein mit "richtigen" Moralvorstellungen.
Natürlich sind die Antas nicht unbedingt besser, aber gerade das ist es, was mich so reizt: Wenn nicht mehr ganz klar ist, wer nun eigentlich der Böse ist, weil beide Parteien brutal und grausam vorgehen.

Aber, ich betone es nochmal: Es muss alles zur Geschichte und vor allem in die Zielgruppe passen. Wenn man einen All Ager schreibt, kann man nicht einfach mal jemanden zu Tode foltern. Bei einem Horrorroman erwarte ich sowas hingegen.
Und ganz wichtig ist auch die Dosis. Der exzessive Gebrauch von Gewalt, egal ob physisch oder psychisch, stumpft ab und schockt irgendwann einfach nicht mehr. Man sollte da also vorsichtig sein. Vielleicht ein Grund, warum ich oft genug Gewalt "nebenbei" geschehen lasse - die Ignoranz gegenüber der Gewalt, die ich damit zeige, ist für den Leser oft sehr viel schlimmer als die Gewalt an sich.

Alaun

Hu, interessantes Thema.
Ich kann mit Gewalt nur ganz schlecht umgehen. Im wahren Leben ebenso wie in Literatur und Film. Mir wird tatsächlich ziemlich schnell flau, und das schon bei Dingen, die anderen Leuten wahrscheinlich nur ein gelangweiltes Gähnen abringen würden.
Das hat zur Folge, dass ich immer "zu wenig" brutal schreibe. Und mich richtig zwingen muss, meine Figuren auch mal üble Dinge tun zu lassen. Im aktuellen Projekt foltert der Antagonist einen Jungen- ich drücke mich seit Ewigkeiten vor der Szene.   :versteck:

Tja, wie weit man gehen sollte und kann, ist wahrscheinlich ohnehin bei jedem unterschiedlich. Dann ist die Frage, schreibe ich ein horrolastiges Buch, oder eben doch was anderes. Was den Buchmarkt angeht, so habe ich langsam das Gefühl, Gewalt wird alltäglich. Viel alltäglicher, als mir lieb ist. Das heißt nicht, dass ich nicht denke, man sollte sich mit seinen finsteren Seiten auseinandersetzen. Aber Gewalt zum Selbstzweck ist mir auch in Büchern zuviel.

Nachtblick

Ich habe früher viel unglaublich brutales Zeug geschrieben. Gerade dadurch fällt es mir heute leichter, das ganze in Maßen zu halten.
Scar – wie der Name nahelegt – wurde als junger Mann über Wochen gefoltert, und ich habe diese Geschichte komplett aufgeschrieben. Als ich gemerkt habe, dass es mich irgendwann gelangweilt hat und selbst die Interaktion mit seinem Peiniger langweilig und die starken Szenen immer weniger wurden, habe ich den Text beiseite gelegt.
Aus gegebenem Anlass habe ich ihn noch einmal gelesen. Absolut brutaler, sinnloser Schwachsinn. Es sind durchaus einige sehr gute Szenen dabei, aber das sind Bruchstücke, und ich merke, dass es mir viel leichter fällt, dem Leser selbst zu überlassen, sich zusammenzureimen, woher er die Narben hat. Die erzählen genug, und die wenigen direkten Folterszenen beschränke ich auf die Träume, die Scar hat. Allein, wie sich sein eigenes Schmerzverständnis gewandelt hat, ist schon genug, um deutlich zu machen, was deutlich gemacht werden muss: er wurde gefoltert, es war grauenhaft, sein Peiniger verfolgt ihn noch immer, aber man hat ihm vollstes Verständnis für solches Vorgehen eingeredet, und er hat selbst gemerkt, dass man Leute so einfach am leichtesten zum Reden bekommt. Der Schmerz hilft ihm, weil er etwas Vertrautes ist, und die recht harmlosen Szenen, in denen das klar wird – er verstaucht sich das Bein – sagen so viel mehr über ihn aus als ein detailreiches Folterorgien-Flashback.

Brutalität so schlicht zu schreiben, dass sie zwar abstoßend, aber nicht ekelhaft ist, ist irgendwo eine zweifelhafte Kunst. Ich ekele mich ungern. Der Splattereffekt ist auf Ekel aus und nicht darauf, durch den Akt der Gewalt selbst abzustoßen.

Dämmerungshexe

An sich habe auch ich keine Probleme damit Gewalt zu beschreiben oder zu lesen - ich fürchte da kommt immer ein wenig der kleine Sadist in mir raus. Und als guter Autor muss man sich ja auch in den Antagonisten hineinversetzen können und dessen Grenzen austesten, genauso wie man die Grenzen des Protagonisten auslotet.

Aber irgendwann wird es auch mir zu viel. Diese ganzen Filme wie SAW schau ich mir nicht an, weil es da wirklich nur noch um das WIE  der Gewalt geht und nicht das WARUM.
Das einzige mal, dass ich ein Buch wegen Gewalt weggelegt habe war "Kryson" - die andauernden Vergewaltigungen gingen mir irgenwann nur noch auf die Nerven, zumal ich keinen Sinn darin sah, außer zu zeigen "wie böse dieser Schurke doch ist". Mir kam das ganze ziemlich eindimensional vor (zugegeben, der Anta war auch nicht sonderlich intelligent, aber ich hatte mir trotzdem mehr erwartet). Und auch später waren die Beschreibungen der Grausamkeiten meiner Meinung nach eher Selbstzweck. Irgendwann war es mir dann einfach zu viel und ich habe den zweiten Band nach ca. Seite 20 weggelegt.

Es mag komisch klingen, aber brutale Szenen müssen für mich auch immer eine gewisse Ästhetik haben, so wie alles andere, was ich beschreibe. Ohne das wird beim Leser nur Abscheu ausgelöst. Ich denke dass beim Lesen solcher Szenen auch eine gewisse Faszination ausgelöst werden sollte. Wenn sich der Leser mit einem Schaudern fragt: "Könnte ich so etwas tun? Wie weit würde ich gehen?", dann ist man auf dem richtigen Weg.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Naudiz

Zitat von: Dämmerungshexe am 07. Oktober 2011, 17:16:53
Das einzige mal, dass ich ein Buch wegen Gewalt weggelegt habe war "Kryson" - die andauernden Vergewaltigungen gingen mir irgenwann nur noch auf die Nerven, zumal ich keinen Sinn darin sah, außer zu zeigen "wie böse dieser Schurke doch ist". Mir kam das ganze ziemlich eindimensional vor (zugegeben, der Anta war auch nicht sonderlich intelligent, aber ich hatte mir trotzdem mehr erwartet). Und auch später waren die Beschreibungen der Grausamkeiten meiner Meinung nach eher Selbstzweck. Irgendwann war es mir dann einfach zu viel und ich habe den zweiten Band nach ca. Seite 20 weggelegt.

Kommt mir bekannt vor. Bei "Kryson" war mir das auch zu viel sinnlose Gewalt. Aber ich kam auch generell nicht mit dem Stil und dem Plot klar, von daher hätte ich das Buch eh weggelegt.

Viechi

Ich denke, wieviel Brutalität ein Roman verträgt, misst sich schon am ganzen "Tonfall" des Werkes. Wenn es von Anfang an härter zugeht, die Lebensumstände für die Figuren schwer oder unerträglich sind, wenn man sich in den Abgründen der konstruierten Welt bewegt, dann finde ich, ist eine präzisere Darstellung von brutalen Szenen auch gerechtfertigt, weil es nicht plötzlich wie ein Vorschlaghammer kommt, der schockiert, sondern weil es absehbar war.

Andererseits: Ist ein wirklich extremer Bruch innerhalb eines Romans gewünscht, könnte man auch hier eine bilderreichere Beschreibung der Gewalt nutzen, um den Leser zu irritieren und zu schockieren.

Ich persönlich mag zu ausufernde Gewaltbeschreibungen in Romanen nicht, kann aber mit ihnen leben, wenn ich finde, dass sie zur Atmosphäre des Werkes passen.

Ich schätze, jeder muss für sich selbst entscheiden, was und wieviel in seinen Roman passt. Ich stimme da den vielen anderen Postern zu: Erstmal alles runterschreiben was einem einfällt (und dabei keine Angst vor sich selbst bekommen ;) )... und später in der Überarbeitung prüfen, was wirklich notwendig ist oder was man abspecken oder in Andeutungen verpacken könnte.

Emilia

#24
Zunächst an dich, Darielle: Ich nehme an, du schreibst momentan noch an der ersten bzw. Rohfassung? Dann würde ich dir Sannes Tipp ans Herz legen. Schreib es erstmal so runter, wie es dir aus den Fingern fließt und lege die Szene/das ganze Manuskript für eine Weile zur Seite. Ich habe selbst vor kurzem eine Geschichte gelesen, die ich vor zwei Jahren verfasst habe und dabei gemerkt, dass die Gewaltszenen (und davon gab es einige, hat es sich doch um einen von Saw inspirierten Lost-Verschnitt gehandelt) teilweise too much waren.

Die Frage ist immer auch die, die Dani bereits gestellt hat. Was will man erreichen? Oder noch deutlicher, was will man beim Leser erreichen? Soll er Mitgefühl für das Opfer empfinden? Ekel? Schlicht schockiert sein ob der Brutalität? Willst du ihm eine bestimmte Moral ans Herz legen? Diese Frage sollte man sich m.E. vorher überlegen - und zwar nicht beim ersten Niederschreiben, sondern schon vorher, beim plotten.

Ich denke außerdem, dass man mit seinen potentiellen Lesern behutsam umgehen muss, gerade bei Gewalt. Natürlich gibt es genretypische Standards und diese sind auch immer eine gute Richtlinie, um zu erkennen, ob man zu viel Gewalt beschrieben oder dabei zu sehr ins Detail gegangen ist. Dazu muss man seine Geschichte aber vorher gut kennen, in ein bestimmtes Genre einordnen und die rechte Zielgruppe definieren können.
Okay, ich gebe zu, irgendwo trifft das auf jede Szene einer Geschichte zu, aber gerade bei einem so heiklen Thema, wie (zu viel) Brutalität, sollte man die Zielgruppe im Blick behalten. Ein geübter Thriller-Leser wird um einiges detailiertere Gewalt vertragen können, als jemand, der hauptsächlich Fantasy liest und dieser wiederum wird mehr vertragen, als ein Freund romantischer Frauenromane.
Das ist besonders wichtig, um keinem potentiellen Leser auf die Füße zu treten. Wer Thriller liest, der weiß in der Regel, dass er darin auch mit einer brutalen Vergewaltigungsszene konfrontiert werden könnte. Wer paranormal Romance liest und ein Buch erwischt, in dem eine solche Vergewaltigungsszene enthalten ist, wird im besten Falle überrascht sein, im schlimmsten aber das Buch in die Ecke pfeffern und den Autor oder gleich das ganze Genre meiden.

Zitat von: Naudiz am 07. Oktober 2011, 17:18:45
Kommt mir bekannt vor. Bei "Kryson" war mir das auch zu viel sinnlose Gewalt.
Das ist auch ein sehr wichtiger Punkt: Gewalt sollte nicht sinnlos stattfinden, sondern vom Plot und/oder vom Charakter gefordert werden. Wobei es auch hier wieder Konventionen gibt, die von Genre zu Genre abweichen können.

Andererseits kann gerade sinnlose Gewalt eine grandiose Wirkung entfalten, wenn sie unvermittelt und einmalig erscheint. Wenn beispielsweise ein dem Leser bereits bekanntes Opfer vom Antagonisten regelrecht geschlachtet wird, ohne, dass diese Tat plotrelevant ist, dann wird sie sicherlich einen emotional starken Effekt auf den Leser ausüben.

Derexor

@Kryson-Thema, die Gewalt ist ja nur dazu da gewesen, um zu zeigen, dass Krieg sinnlos und unendlich brutal ist. Mich hat das überhaupt nicht stärker tangiert als andere Sachen. Da fand ich die seelische Gewalt im dritten Buch um einiges heftiger, wo ich dann auch mal Tränen gelassen hab.

@Gewalt, immer Zielgerichtet, nur um etwas auszusagen, nie zur Schau. Action ist ein anderer Punkt, wobei das nicht zwingend mit brutaler Gewalt einhergehen muss.


Erdbeere

Ich finde, man sollte zwischen purem Splatter und subtiler, unterschwelliger Gewalt unterscheiden. Gerade gewisse Thriller zielen mittlerweile nur noch auf die Splatter-Schiene, und die mag ich gar nicht. Kennt jemand den Film "Hostel"? Perfektes Beispiel. Eklig, brutal, unhaltbar und einfach nur übelst kotzwürdig. Und dabei habe ich nur Ausschnitte aus der angeblich zensierten Version gesehen.

Ich bin nicht gerade zimperlich, was Gewalt in Büchern und Filmen angeht. Ich liebe Actionfilme, es darf schön viel in die Luft fliegen und Leuten irgendwelche Gliedmassen abgeschossen werden. Aber dabei wird nicht alles minuziös gezeigt. Das Selbe gilt für historisches wie Braveheart - jeder weiss, wie brutal es damals zuging, im Film wird auch einiges gezeigt, aber eben nicht alles.
Meine beste Freundin ist fundamentalistische Pazifistin (ist das nicht ein Paradoxon?), aber sie liest nichts anderes als Joy Fielding und all diese Skandinavier. Sie sagt von sich selbst, sie bräuchte das irgendwie als Gegensatz. Ich hingegen habe den letzten Krimi vor gut drei Jahren gelesen. Thriller mag ich überhaupt nicht - ich werde schnell paranoid, und wenn ich von Psychopathen lese, die einer Frau nachts auflauern, habe ich die nächsten paar Wochen Panik auf dem Arbeitsweg (jetzt sowieso, wo die Tage wieder kürzer werden). Das geht also gar nicht. Komischerweise liebe ich Steven King, wahrscheinlich aus dem einen Grund, dass seine Bücher Gewalt nicht verherrlichen, sondern weil er sehr subtil schreibt. Sein Under the Dome ist da ein gutes Beispiel, all diese menschlichen Abgründe! Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, so genial ist es, obwohl ich genau wusste, dass alles den Bach runter geht und einige Charaktere sehr viel leiden müssen werden (leiden werden müssen? Ach...)

Es kommt auf das Genre an, in dem man schreibt, und ob man auf Splatter oder subtile Gewalt setzt. Wenn es den Plot und/oder die Figur voranbringt, warum nicht? Ein Antagonist darf böse sein und man darf das ruhig auch zeigen. Aber ganz ehrlich? Es ist doch viel spannender, wenn man als Leser nicht immer detailgenau weiss, wie genau eine Figur reagiert/agiert hinsichtlich Gewalt.

Runaway

Zitat von: Erdbeere am 07. Oktober 2011, 23:07:53
Komischerweise liebe ich Steven King, wahrscheinlich aus dem einen Grund, dass seine Bücher Gewalt nicht verherrlichen, sondern weil er sehr subtil schreibt. Sein Under the Dome ist da ein gutes Beispiel, all diese menschlichen Abgründe! Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, so genial ist es, obwohl ich genau wusste, dass alles den Bach runter geht und einige Charaktere sehr viel leiden müssen werden (leiden werden müssen? Ach...)
Komisch - ich hab da ungefähr auf Seite 500 aufgegeben, einfach weil ich schon genau wußte, was kommt. Ich hab dann irgendwo eine Zusammenfassung gelesen (englische Wikipedia?) und ich hatte recht mit allem, was er sich noch überlegt hatte. Das war etwas ernüchternd.
Bis dahin hat mir diese Subtilität aber auch gefallen. Nur irgendwie hat der Handlung dann das treibende Element gefehlt.

Luciel

#28
Wenn man sich den Buch (und Film)-Markt so anschaut, ist es kein Wunder, dass man sich als Autor mit Fragen über das "wieviel" an Gewalt beschäftigen muss.
Ich gehöre zu der wohl eher unterbesetzten Fraktion derjenigen, denen die meiste Gewalt zu viel ist. Ich mag sie wirklich nur dann, wenn sie ganz ganz eng zum Plott gehört. Stieg Larson ist ein gutes Beispiel dafür, ein Genre, was ich sonst eher nicht lese und wo ich über die Filme zu den Büchern gekommen bin. Stieg Larson schreibt nicht brutal, obwohl seine Handlung oft mehr als abgründig und brutal ist. Wenn man es schafft, so intelligent zu schreiben, so genau zu wissen, was man bei seinem Leser an Gedanken auslöst, dann kann man selbst eine so abgründige Geschichte schreiben und trotzdem von Leuten gelesen werden, die nicht gern über Gewalt lesen.
Gewalt muss nicht immer eklig und körperlich sein. Kennt jemand "The Road" (Film oder Buch), eine Endzeitgeschichte. Eine der brutalsten Szenen zeigt, wie der Vater einen Mann, der sie bestohlen hatte, zwingt, sich mitten im Winter nackt auszuziehen und ihn dann zurück lässt. Erst die Frage seines kleinen Sohnes, ob sie selbst denn nun "die Bösen" sein, bringt ihn dazu, seine eigene Grausamkeit zu erkennen. Eine Szene, in der kaum etwas geschieht und die doch ganze Abgründe offenbahrt. Und die vor allem - und das ist mir am Wichtigsten - die Frage aufwirft: wie würde ich in dieser Situation handeln, wie grausam könnte ich selbst sein?
Ich mag diesen eher subtilen Umgang mit Gewalt und werde mich nicht dem gerade vorherrschenden Mainstream anschließen, möglichst viel Gewalt, Blut und Tod in meinen Plots unterzubringen. Meine Helden leiden auch, oft sogar  ganz furchtbar, doch nicht, weil man ihnen ein Auge ausgestochen hat, sondern, weil ihr Leben sie quält. Da finden sie die Verbindung zum Leser, der solche Moment wahrscheinlich selbst kennt.

Als letztes Beispiel, weil es auch unseren Reihen kommt: Der Kuss des Kjer. Ein fantastisches Buch, das ich wirklich liebe (ich hoffe, es gibt eine Fortsetzung), aber auch dort viel grenzwertige Grausamkeit für meinen Geschmack. Besonders das Ende ... die Beschreibung all dessen, was sie meinem Helden angetan hatten - war das nun wirklich nötig, dem Ende damit noch eine "dramatische" Note zu geben?
Ich hätte es nicht getan, aber ich habe auch keine grausame Ader, die irgendwie raus will. In meinen Geschichten gibt es nicht mal einen Anta, wie meine Beta-Leser staundend feststellen, denn in jedem von uns liegt das Böse und hinter jeder bösen Handlung steckt ein Grund. So sehe ich das jedenfalls und so sieht es in meinen Geschichten aus.

Nocturne

Also ich habe persönlich nichts gegen Gewaltbeschreibung, so lange sie in die Story und zu den Charakteren passen, obwohl ich finde, dass man mit weniger mehr rüberbringen kann, will sagen wenn man sich weniger in blutige Details vertieft sondern eher das Grauen beschreibt, kann der Leser sich die grausigen Details selbst ausmalen, was finde ich meistens mehr Effekt hat.
Worauf man aber vielleicht achten sollte, ist auch wieviel man seinen Helden zumuten kann, ohne das sie "daran zerbrechen". Man lebt nicht ein normales Leben, wird dann 4 Stunden lang gefoltert, und kann dann ganz normal weitermachen. Natürlich gibt es stärkere uns schwächere Charaktere, aber im Endeffekt sind sie alle Menschen (nun ja zumindest im übtertragenden Sinne  ;D ) und können nur ein begrenztes Maß an Gewalt aushalten ohne "kaputt" zu gehen.
Und natürlich muss die Gestalt an das Alter der Leser angepasst sein, wie schon gesagt.
;)
LG
Nocturne