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Zwei oder mehr Ich-Erzähler in einer Geschichte?

Begonnen von Mogwied, 27. April 2009, 14:04:23

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Grey

Das Problem ist ja, dass ein Ich-Erzähler vermutlich ziemlich selten reflektiert, dass er gerade spricht. Daher kann man eine Szene nicht mit einem "Jim lag im spärlichen Schatten eines Riesenkaktus, den Hut in die Stirn gezogen, und döste vor sich hin." anfangen, um darauf hinzuweisen, dass die Szene aus Jims Sicht erzählt wird. Denn Jim wird das kaum so über sich selbst sagen. Und das bedeutet, dass es für den Leser gerade am Anfang des Buches, wenn er noch nicht die Gelegenheit hatte, die Charaktere und ihre Eigenarten kennen zu lernen, deutlich länger dauern könnte, bis er erkannt hat, wenn die Perspektive wechselt. Es sei denn, es sind wirklich sehr sehr unterschiedliche Charaktere.
Und das fände ich als Leser ein bisschen anstrengend, glaub ich.

Churke

Die Erzähler brauchen ja nicht Rambo I und Rambo II zu sein. Man kann sie mit individuellen "Alleinstellungsmerkmalen", ausstatten. I ist ein Mann, II eine Frau; I ist ein Jungspund, II geht am Stock; I ist ein Draufgänger, II ein Feigling; I ist der Fürst, II leert immer die Latrinen... und so weiter.

Coppelia

Ich sehe bis auf das Pronomen kaum einen Unterschied zwischen dem Ich-Erzähler und dem streng personalen Erzähler. Die neuere Erzählforschung gibt mir da Recht (zumindest die, die ich gelesen habe). Die eingeschränkte Perspektive ist gleich und der sprachliche Unterschied macht sich auch bemerkbar. Ich glaube, es würde kaum einen Unterschied machen, ob meine vier Perspektiventräger bei Lotti jetzt "personal" oder "ich" erzählt werden. Ich nutze ja auch das Aus-der-Perspektive-Fallen nicht, das man nur beim personalen Erzähler machen kann. Ich mag das nicht und hoffe nicht, dass ich jemals dazu gezwungen werde. ;) Ich sehe vor allem Vorurteile bei den Lesern gegen die Ich-Perspektive, sonst würde ich die wohl nur benutzen.

ZitatJim lag im spärlichen Schatten eines Riesenkaktus, den Hut in die Stirn gezogen, und döste vor sich hin.
ZitatIch lag im spärlichen Schatten eines Riesenkaktus und blinzelte schläfrig unter meinem Hut hervor in die sinkende Sonne. Wenn ich nur nicht ständig an meine Schwiegermutter denken müsste! Das Wissen, dass sie mich morgen besuchen würde, verdarb mir den ganzen schönen Abend. Ich schob die Gedanken daran so weit wie möglich von mir. Gerade fielen mir die Augen zu, da hörte ich Alices Stimme: "Jim!" Sie klang so erschrocken, dass ich sofort auf den Beinen war. "Was ist los, Schatz?"
Na ja, kein ideales Beispiel, aber ich find, es geht doch gut ...

Kati

Man kann den Text auch einfach in zwei verschiedenen Schriftarten schreiben. Arial und Times New Roman zum Beispiel.
Oder immer im Wechsel: Ein Kapitel aus der Sicht des einen Charakters, das nächste aus der Sicht des anderen.
Ich finde es eigentlich gar nicht so schwer die Charaktere auseinander zu halten, aber ich lese es nicht sonderlich gern. Irgendwie unterbricht dieser Perspektivenwechsel die Geschichte immer so.
Ich habe schon einige Romane gelesen, die auf diese Weise geschrieben waren, auch mal einen, der ganz, ganz viele Ich-Erzähler hatte, nur die Hauptperson an sich ist kein einziges Mal zu Wort gekommen. Las sich ein bisschen wie ein Interview nur ohne die Fragen.  :)

LG,

Kati

Schreiberling

Zitat von: Nightingale am 10. Mai 2009, 13:41:24
Man kann den Text auch einfach in zwei verschiedenen Schriftarten schreiben. Arial und Times New Roman zum Beispiel.

Das erinnert mich an die unendliche Geschichte von Michael Ende. Dort waren die Perspektiven durch verschiedene Farben gekennzeichnet. Also dass die eine Person eine grüne Schrift bekommen hat und die andere eine rote. Ich weiß aber nicht mehr, ob es beide Male ich-Erzähler waren oder nicht und ich fand auch, dass man es auch so gut unterscheiden konnte.

Liebe Grüße,
Schreiberling

Ryadne

Also ich schreibe auch mit mehreren Ich-Perspektiven, muss allerdings zugeben, dass es mich manchmal sogar selbst verwirrt. Ich habe dabei den Anspruch, allen vorkommenden Hauptpersonen ihre persönliche Sichtweise auf die Ereignisse zu gestatten, um so größtmögliche Ambivalenz zu ermöglichen. Und das geht nun mal meiner Meinung nach am besten mit der Ich-Perspektive. Personale Erzählweise ginge wohl auch, aber ich mag den Wechsel von Ich- zu personaler Erzählweise in Büchern nicht.

Habe das Verwirrungs-Problem jetzt erstmal auch dadurch gelöst, dass ich die Namen drüber schreibe. So richtig problematisch wird es aber, wenn ich innerhalb eines Kapitels die Sichtweise wechsel, was aber nur ein Mal vorkam. Da habe ich es dann so gemacht, dass schon im ersten Satz jeweils deutlich wurde, wer nun der Erzähler ist. Trotzdem würde ich das niemandem empfehlen  ;) Ich werde bei der Überarbeitung auch noch versuchen, das zu ändern.

Bücher, in denen das so gehandhabt wird, fallen mir gerade keine ein. Perspektivwechsel mag ich aber außerordentlich gerne in Romanen, es gibt ihnen meiner Meinung nach einfach mehr Tiefe. Schade finde ich aber, wenn eine Perspektive nur ein einziges Mal vorkommt, wie bei "Die Traummeister" von Jo Zybell. Das allererste Kapitel war da meine ich aus der Sicht einer Antagonistin geschrieben, aber sonst keines. Das fand ich seltsam.

Runaway

Zitat von: Ryadne am 21. Februar 2012, 14:51:55Ich habe dabei den Anspruch, allen vorkommenden Hauptpersonen ihre persönliche Sichtweise auf die Ereignisse zu gestatten, um so größtmögliche Ambivalenz zu ermöglichen.
Ambivalenz? Zweideutigkeit? Warum würde man die erreichen wollen? *kratz*

Was Perspektiven angeht, bin ich aber auch ein Anarchist. Da hab ich eben noch drüber nachgedacht - ich nehm immer die Perspektive, die mir am geeignetsten scheint, um das rüberzubringen, was ich sagen will. Das darf auch der Wechsel von einem Ich-Erzähler zur personalen Perspektive sein.
Besser das als zu einem anderen Ich-Erzähler ...
Was mich ein bißchen nervt, ist, daß ich oft innerhalb der Szene die Perspektive wechsle, wenn ich nicht aus der Ich-Perspektive schreibe. Deshalb nehme ich die oft, einfach damit ich mich besser zusammenreißen kann ;D

Aktuell überlege ich, ob ich es in einer Reihe bringen kann, nach allen bisherigen Teilen in Ich-Perspektive jetzt plötzlich in einer neuen Geschichte eine ganz andere Hauptperspektive zu nehmen... daß das klappen kann, kenne ich schon aus Büchern, aber hm... schwierig.

Kati

Es gibt einige Romane mit mehreren Ich-Erzählern. Die Werwolf-Bücher von Maggie Stiefvater, die späteren House-of-Night-Bücher, "Die Magier von Montparnasse", "Breaking Dawn" von Stephenie Meyer, "Steamed" von Katie MacAlister und bestimmt noch viele mehr.  :)

Wie gesagt, ich mag es nicht besonders, weil es immer so ein Bruch ist, wenn der nächste Ich-Erzähler dran kommt, aber gemacht habe ich es inzwischen trotzdem bei einer Geschichte. Man muss das natürlich auch das Buch über durchhalten und aufpassen, dass jeder Erzähler ungefähr gleich viel Text hat, damit es nicht unausgewogen wirkt.

Dani: Ich wäre da vorsichtig mit. Viele Leser (ich zum Beispiel auch) lesen ja Bücher teilweise auch, weil der Charakter, der erzählt ihnen total gut gefällt. Wenn das plötzlich ein ganz anderer ist, ist das wieder so ein Bruch in der Reihe und wird sicher nicht von allen gut aufgenommen.

Runaway

Zitat von: Kati am 21. Februar 2012, 15:14:27
Dani: Ich wäre da vorsichtig mit. Viele Leser (ich zum Beispiel auch) lesen ja Bücher teilweise auch, weil der Charakter, der erzählt ihnen total gut gefällt. Wenn das plötzlich ein ganz anderer ist, ist das wieder so ein Bruch in der Reihe und wird sicher nicht von allen gut aufgenommen.
Richtig. Zumal ich auch die übliche Perspektive eigentlich nicht verlassen will... und es gäbe theoretisch sogar eine dritte, die ich einbringen möchte. Urgs. Das geht nicht...

Nirathina

Zitat von: Dani am 21. Februar 2012, 15:30:57
Richtig. Zumal ich auch die übliche Perspektive eigentlich nicht verlassen will... und es gäbe theoretisch sogar eine dritte, die ich einbringen möchte. Urgs. Das geht nicht...

Doch, das geht. Eines der neueren Beispiele: "Nach dem Sommer" von Maggie Stiefvater - zwei Ich-Perspektiven. Der Nachfolger "Ruht das Licht" arbeitet sogar mit vier (!) Ich-Perspektiven. Das geht, ist aber meiner Ansicht nach zu viel. Zwei Ich-Erzähler sind bei mir das Maximum.

Wobei ich bisher nur in Fanfictions mit Ich-Perspektive gearbeitet habe. Bei komplexen Plots, wo man auch mal hier und da aus der Sicht von Mister Evil Knievel schreiben will, ist Er-/Sie-Erzähler einfach besser/angebrachter. Und ein Mischmasch aus Erster/Dritter Person ... hm, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen.

Ryadne

Zitat von: Dani am 21. Februar 2012, 15:07:20
Ambivalenz? Zweideutigkeit? Warum würde man die erreichen wollen? *kratz*


Also hier meine ich hauptsächlich die Ambivalenz der Figuren. Dass sie eben in einem Kapitel, das aus ihrer Sicht geschildert wird, anders erscheinen als in einem, wo aus der Sicht von jemand anderem erzählt wird. "Anders" im beispielsweise moralischen Sinne.

Rynn

#26
Ja, mittlerweile sind zwei Ich-Erzähler sehr beliebt geworden, vor allem bei amerikanischen Autoren im Young Adult-Bereich.
Was ich wichtig finde: Wenn ich mehrere Ich-Erzähler habe, dann müssen die Stimmen auch unterschiedlich klingen. Ich finde Bücher grauenhaft, die mehrere Ich-Erzähler haben, aber keinerlei Unterschied im Ton. Dafür sind es ja nun einmal Ich-Erzähler: Dass ihre Persönlichkeit den Text extrem färbt, das ist ja das Spannende an der Ich-Erzählung.

Mischung aus erster und dritter Person, puh, das ginge für mich auch gar nicht. Ich gebe es zu, ich bin da eher der konservative Typ (als Leser und Autor); such dir eine Erzählform aus und halt dich dran, mit allen Vor- und Nachteilen, die das eben mit sich bringt. ;D Ich muss ehrlich sagen, ein Buch, in das ich im Laden blättere und dann merke, dass 1. und 3. Person drin vorkommen, das würde wohl schnell wieder im Regal stehen.
Mit mehreren Ich-Erzählern (aber bitte nicht mehr als zwei, bitte! ;D) habe ich mich aber mittlerweile angefreundet. Solange die Stimmen sich unterscheiden!
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Runaway

Also ich hätte echt mit zwei Ich-Erzählern ein Problem. Da fände ich es die schickere Lösung, zwei personale Perspektiven wechseln zu lassen.
Aber ein Wechsel zwischen Ich-Erzähler und aus personaler Perspektive erzählter "Rest", das hab ich jetzt schon oft gemacht. Einmal sogar ganz schräg, wo der Erzähler von sich selbst immer als "du" sprach... die Frau hatte einen Knacks, das wollte ich damit rüberbringen.

Nirathina

Zitat von: Dani am 21. Februar 2012, 16:29:28
Aber ein Wechsel zwischen Ich-Erzähler und aus personaler Perspektive erzählter "Rest", das hab ich jetzt schon oft gemacht. Einmal sogar ganz schräg, wo der Erzähler von sich selbst immer als "du" sprach... die Frau hatte einen Knacks, das wollte ich damit rüberbringen.

Als psychologisch-analytische Grundlage finde ich das durchaus legitim; ich meinte eher bezogen auf die "einfache" Kost der "Sekundärliteratur", wie ein ehemaliger Bekannter es betitelte  :pfanne:

Romy

#29
Zitat von: Dani am 21. Februar 2012, 16:29:28
Also ich hätte echt mit zwei Ich-Erzählern ein Problem. Da fände ich es die schickere Lösung, zwei personale Perspektiven wechseln zu lassen.
Aber ein Wechsel zwischen Ich-Erzähler und aus personaler Perspektive erzählter "Rest", das hab ich jetzt schon oft gemacht.

Also ich habe beides schon gemacht und finde auch beides total okay. Als Schreiber und auch als Leser. ;) Man muss sich da als Leser halt ein bißchen einfinden, aber das geht doch relativ schnell, wenn man sich darauf einlässt. ;)

Also wenn es mehrere Ich-Perspektiven sind, oder sich Ich-und-Personaler-Erzähler abwechseln, schreibe ich in beiden Fällen immer die Namen über die Kapitel, um zu kennzeichnen, wer gerade dran ist.

Für mehrere Ich-Erzähler wurden ja schon mehrere veröffentlichte Beispiele genannt. Der Wechsel von Ich-und-Personal-Kapiteln kam z.B. in zwei Darkover-Romanen von Marion Zimmer Bradley vor: Hasturs Erbe und Sharras Exil. Da standen auch immer die Namen der beiden Protas über den Kapiteln und es wurde wirklich konsequent gewechselt.
Auch Diana Gabaldon hat ab dem zweiten Band ihrer "Highland-Saga" gemischt. Da hat die Ich-Perspektive und der personale Erzähler oft sogar innerhalb eines Kapitels gewechselt. Das fand ich dann auch manchmal etwas verwirrend ... wobei es auch hier ging, nachdem man sich dran gewöhnt hat; dazu raten würde ich aber trotzdem nicht.

Kapitelweise wechseln, egal zwischen was für Erzählweisen, finde ich aber total okay.



EDIT: Witzig, ich hab gerade gesehen, dass ich 2009 schon mal was in diesen Thread geschrieben habe und dass ich damals noch anderer Meinung war, was zwei Ich-Perspektiven in einem Roman angeht. ;D Tja Meinungen ändern sich. Inzwischen hab ich's ausprobiert und finde es gut. ;D