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Soll und muss ein Autor in seinem Genre lesen?

Begonnen von Moni, 05. September 2008, 14:10:11

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Linda

Hi,

naja, wenn man natürlich die Horrorbücher mitzählt, kommt man schnell auf 50  :-X

In diesem Sinne... Stephen King hat nur einen Fantasy-Titel geschrieben: Die Augen des Drachen. Die Reihe um den Schwarzen Turm mag man auch noch zum Genre zählen, viele tun es. Langoliers und Shining aber gewiss nicht.
Frankenstein und Dracula sind Horror-Klassiker.
The Ring, Halloween - kein Kommentar.


Nur so als Anregung, nicht als Streitpunkt: Es gibt einige schöne Threads zu dem Thema: Abgrenzung von Fantasy zu anderen phantastischen Genres.

Gruß,

Linda

Aidan

Ich denke, um zu schreiben, muss man lesen. Und zwar kein bestimmtes Genre, sondern möglichst breit gefächert.

Aber zur Umsetzung einer Idee in einen Roman braucht man nicht nur ein allgemeines Handwerkszeug, sondern auch ein bestimmtes Vokabular. Und gerade bei der Fantasy weiß ich nicht, wo man das lernen will, außer bei den Kollegen und/oder wenn man sich intensiv mit der Epoche auseinandersetzt, in deren "Flair" sie spielt. Mittelalterähnliche Welt sollte auch mittelalterlich aussehen. Vor allem auch von der technologischen Entwicklung. Aber selbst, wenn man sich in der Epoche auskennt, braucht es meines Erachtens, ein spezielles Vokabular, damit es nicht nur ein fantasievoller Mittelalterroman wird. Und das bekommt man, indem man entsprechende Literatur liest, oder auch entsprechende Rollenspiele spielt, wo man aber auch lesen muss - und seien es nur die Regeln - und ähnliches.

Und letztlich sollte man ein paar Grundregeln kennen. Ein Zwerg ist ein Zwerg, weil er wie ein Zwerg aussieht und handelt. Man kann ihn sicher verändern. Ein Zwerg mit Klaustrophobie könnte sicher eine interessante Geschichte geben, aber vor allem deshalb, weil er damit ganz gezielt eine Regel bricht. Wenn die Änderungen zu groß sind, ist es halt kein Zwerg mehr. Ein schlanker Zwerg, der auf Bäumen lebt, spitze Ohren hat, etwas größer oder kleiner als ein Mensch ist, sich in Höhlen unwohl fühlt und Magie liebt ist eher ein Elf oder etwas ähnliches, aber halt kein Zwerg.

Ich weiß nicht, wie man diese Regeln und das Vokabular ohne Recherche = Lesen bekommt. Von daher denke ich, dass man auch sein gewähltes Genre lesen muss. Zumindest ein bisschen.

Ich geb's zu, ich weigere mich, sämtliche Vampirliteratur hoch und runter zu lesen, nur weil Nick sich bei mir eingenistet hat, und mich erst in Ruhe lassen wird, wenn er abgeschlossen zwischen Manuskriptdeckeln steht. Ich mag keine Vampire (außer Nick), aber ich werde bestimmte Werke und Sachliteratur lesen und mich zumindest oberflächlich damit beschäftigen, was es für Themen gibt. Viel ändern wird es an seinem Charakter nicht, aber die Ausarbeitung der Geschichte wird sicher beeinflusst werden. Nebenher muss ich ja noch seine Lebzeit herausfinden und darüber recherchieren, denn es wird ihn geprägt haben.

Ich denke, dass man aber eine gute Idee auch ohne große Vorkenntnisse haben kann. Und sie kann so lebendig in einem sein, dass man sie ohne große Voranstrengungen stimmig und ins Genre passend schreiben kann. Aber das sind Ausnahmen. Hut ab, wem das gelingt.
"Wenn du fliegen willst reicht es nicht, die Flügel auszubreiten. Du musst auch die Ketten lösen, die dich am Boden halten!"

,,NEVER loose your song! Play it. Sing it. But never stop it, because someone else is listening."

Churke

Gargantua & Pantagruel als Fantasy? Genre-Literatur? Gut, wir sind großüzgig  :hmhm?:

Aber das ist ein interessantes Beispiel. Gargantua & Pantagruel ist ein Schlüsselroman der Barock-Literatur. Heute würde sich der Lektor wohl nicht einmal die Mühe machen, einem das um die Ohren zu hauen (wozu gibt's Standardbriefe?  ;D ), aber wir wollen ja auch keinen Barock-Roman schreiben, sondern Honig saugen. Hier begegnen einem für die zeitgenössische Literatur sehr extravagante Formen des Stils und des Aufbaus, die sich durchaus sinnvoll einsetzen und in modernen Stil umfabrizieren lassen. Dafür muss man keine 10 Bücher durcharbeiten, da genügt eins - wenn es das richtige ist.
Das ist allerdings keine Frage des Genres, sondern der Epoche.

ZitatIch weiß nicht, wie man diese Regeln und das Vokabular ohne Recherche = Lesen bekommt. Von daher denke ich, dass man auch sein gewähltes Genre lesen muss. Zumindest ein bisschen.

Wer Fantasy nicht liest weil *gähn*, der wird wahrscheinlich gar nicht erst auf die Idee kommen, über Zwerge zu schreiben. Oder er schreibt über Zwerge, die Tarnkappen tragen und aufrechte Helden betrügen wollen. Die gibt's nämlich auch.  :psssst:

Julia

#33
Darf ich mal eine provokante Frage aufwerfen (sorry, das "Nein" kam nicht schnell genug  ;D ):

Sprechen wir hier eigentlich gerade über das "Schreiben zum Spaß" oder über das "Schreiben, um irgendwann einmal veröffentlicht zu werden"?

Ich werde nämlich das Gefühl nicht los, dass wir ganz unterschiedliche Ziele vor Augen haben ...

Linda

Zitat von: Churke am 06. September 2008, 15:18:01
Oder er schreibt über Zwerge, die Tarnkappen tragen und aufrechte Helden betrügen wollen. Die gibt's nämlich auch.  :psssst:

ja. Aufrechte Helden, die wegen einer kleinlichen Beleidigung gleich alle Zwerge erschlagen ;-) und die Tarnkappe des letzten Überlebenden dann auch noch an sich bringen. Und dann die Warnung des Zwergs in den Wind schlagen und damit den Fluch der Nibelungen über sich bringen.

;)

Gruß,

Linda
(die statt Hanni und Nanni lieber Heldensagen gelesen hat)

Linda

Zitat von: Julia am 06. September 2008, 15:56:16
Darf ich mal eine provokante Frage aufwerfen (sorry, das "Nein" kam nicht schnell genug  ;D ):

Sprechen wir hier eigentlich gerade über das "Schreiben zum Spaß" oder über das "Schreiben, um irgendwann einmal veröffentlicht zu werden"?

Ich werde nämlich das Gefühl nicht los, dass wir ganz unterschiedliche Ziele vor Augen haben ...


ja, ja, das übliche Problem hier im Zirkel.

Für mich gibt es das "Schreiben zum Spaß" einfach nicht. Niemand hackt 300 Seiten in den Rechner, und zeigt sie dann niemandem... Ergo schreibt jeder auch für Leser (und deren Spaß). Und wenn es nur die Oma oder der Lebensgefährte ist... Oder man selbst der einzige Leser bleibt.

Gruß,

Linda

Julia

#36
@ Linda: ... bleibt allerdings die Frage, ob man sich selbst immer der beste Kritiker ist.

Liebe Grüße,

Julia

Taske

#37
Hallo Lomax,

Zitat von: Lomax am 06. September 2008, 10:39:14
Dein Einwand taugt aber nicht als Widerspruch zu meinen Ausführungen - ...

Meine Kritik bezog sich auf Deine These, wonach Literatur aufeinander aufbaut. So in etwa als wären "Faust" ohne "Göttliche Komödie" und Beide ohne die "Iljas" bzw. "Odysee" nicht möglich gewesen. Dem habe ich widersprochen.

Das was Du als Evolution der Literatur betrachtest ist im Grunde nicht mehr, als die Fortentwicklung der Sprache an sich.

Viele Grüße

Taske

Lomax

#38
Zitat von: Taske am 06. September 2008, 16:29:17Meine Kritik bezog sich auf Deine These, wonach Literatur aufeinander aufbaut. So in etwa als wären "Faust" ohne "Göttliche Komödie" und Beide ohne die "Iljas" bzw. "Odysee" nicht möglich gewesen. Dem habe ich widersprochen.

Das was Du als Evolution der Literatur betrachtest ist im Grunde nicht mehr, als die Fortentwicklung der Sprache an sich.
Ich bin mir jetzt nicht so sicher, ob wir hier Wortklauberei um Begriffsdefinitionen betreiben und im Grunde dasselbe meinen, oder ob jetzt hier der Evolutions- vs. Intelligent-Design-Streit auf Literaturwissenschaftlicher Basis Einzug gehalten hat ;D
  Zu den Begrifflichkeiten: Als Fortentwicklung der Sprache würde ich eher Veränderungen vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen und ähnliches bezeichnen - also den diachronen Wandel auf verschiedenen linguistischen Ebenen, der sich natürlich auch in der Literatur niederschlägt und mit ihr in Wechselwirkung steht, aber nicht identisch ist mit der Fortentwicklung des literarischen Erzählens, den ich meine.
  Was diese Fortentwicklung betrifft, bin ich dann eindeutig Evolutionist. Tatsächlich gibt es eine Enwicklungslinie von der Ilias über die Göttliche Komödie und Goethe bis zur modernen Literatur. Die bisherigen literarischen Werke bestimmen den Ist-Zustand des "literarischen Organismus", die jeweilige Zeit, in der Literatur stattfindet, bestimmen die Selektionsfaktoren, die auf diesen Organismus einwirken - und aus beidem zusammen entwickeln sich jeweils die nächsten, aktuellen Formen, die Literatur annimmt.
  Ob Faust ohne die Ilias denkbar wäre ... das ist schwer zu sagen. Denn nicht in jedem konkreten Werk müssen grundsätzlich alle konkreten Vorgänger ihren "genetischen" Niederschlag gefunden haben.
  Aber prinzipiell ist das genau die Art, wie Literatur sich entwickelt: Über viele Zwischenschritte und wechselseitige Beeinflussung zum aktuellen Stand. Von der Ilias über Goethe bis heute. Die Zweige am Stammbaum laufen auseinander und vereinen sich wieder, aber sie sind doch verwachsen und nicht nur ein großes Beet mit vielen Blumen, die je nach Lust und Laune und aktuellem Wetter aus toter Erde sprießen. Kein Faust ohne seine Vorgänger, keine Göttliche Komödie ohne deren Vorgänger - wie auch immer die Entwicklungslinien für die Einzelwerke konkret aussehen mögen.

Linda

Zitat von: Julia am 06. September 2008, 16:29:05
@ Linda: ... bleibt allerdings die Frage, ob man sich selbst immer der beste Kritiker ist.

Liebe Grüße,

Julia

Ganz gewiss nicht. Aber das ist Leuten, die nur für sich selbst und nur zum Spaß schreiben i.d.R. auch schnuppe. Und solange sie es befriedigend finden, nur alleine mit dem Text zu kuscheln, kann es das auch sein. Doch sobald man auch für andere schreibt, ist es denn doch nicht mehr die traute Zweisamkeit und ein Autor muss gewisse "Rücksichten" nehmen. Etwa auf Rechtschreibung, Genrekonventionen ...

Gruß,

Linda

Shay

Ich denke, man sollte sich in dem Gebiet, wo man sich tummelt, halbwegs auskennen und auch eine grobe Ahnung von den Nachbargegenden haben. Aber wenn jemand bei allem, was er an Fantasy-Literatur bis jetzt gefunden hat, nur in Gähnen ausbricht, dann wird er sicher nicht genau so ein Buch schreiben und dann wären die Bücher, die ihn so zum Gähnen bringen, vielleicht sowieso falsch. Fantasy ist für mich phantastische Literatur in einer Welt, deren Technologiestand irgendwo vor der industriellen Revolution liegt (wenn wir mal irgendwelche Parallelwelten a la Harry Potter ausnehmen). Dieses Feld ist um einiges weiter, als was Tolkien, Eragon, Jordan und Konsorten abdecken (um mal wahlweise einige rauszugreifen). Wenn ich ein Buch schreiben will, das in einer magischen Steinzeit spielt, wo es keine Elben, Zwerge und Drachen gibt, dann muß ich nicht Tolkien lesen, sondern sollte mich eher an die Ayla-Bände und den Rulaman halten. Fantasy kann es deswegen trotzdem sein.
Aber wer von sich selbst behauptet, Fantasy zu schreiben, sollte wohl schon wissen, was der Normalmensch darunter versteht. Sonst geht es ihm wie Frau Rowling, die irgendwann mal behauptet hat, sie fände Fantasy doof (ich weiß den genauen Wortlaut nicht mehr).

Tenryu

#41
Zitat von: Churke am 06. September 2008, 15:18:01
Gargantua & Pantagruel als Fantasy? Genre-Literatur? Gut, wir sind großüzgig  :hmhm?:

Da ich es (noch) nicht gelesen habe, habe ich es mal auf Verdacht dem Genre zugeordnet.  :innocent:

@ Shay: Anscheinend hat Frau Rowling dann kaum Fantasy gelesen. Und dennoch es geschafft, einen märchenhaften Erfolg hinzulegen.

Ob man jetzt für sich selber oder für andere schreibt, macht meiner Ansicht nach gar keinen so großen Unterschied. Es gibt Milliarden von Menschen. Und wenn wir zumindest der Hälfte von ihnen eine individuelle Persönlichkeit zubilligen, dann muß es so viele unterschiedliche Geschmäcker und Vorlieben geben, daß auch die ausgefallensten Werke ihre Liebhaber finden werden. Insofern sollte man eher unterschieden, ob man etwas unkonventionelles oder etwas dem Massengeschmack entsprechendes schaffen möchte.

Falckensteyn

Lesen bildet, erweitert den Horizont und schafft Raum für andere Ansichten und Denkweisen. Ich denke schon, dass ein Autor lesen soll und das vor allem auch in seinem Genre tun soll. Es erweitert das Spektrum und gibt vielleicht den einen oder anderen Gedankenblitz.

Klar kann niemand das Rad im Fantasy-Genre neu erfinden, trotzdem tut ein breiter Horizont sicher gut.

Ich für mich selbst jedenfalls versuche, soviel wie möglich zu lesen. Und zwar von Tolkiens Klassiker, über AD&D- oder Warcraft-Werke bis hin zu aktuellen, deutschen Fantasy-Schriftstellern. Das ultimative Aha-Erlebnis hatte ich zwar noch nicht, aber es gab doch immer wieder sehr viel lesenswertes. Und vor allem teilweise auch gute Anregungen für meine eigene Schreibarbeit, insbesondere zum Schreibstil.

Noch einen Denkanstoss zu Miss Rowling. Selbst wenn sie keine oder kaum Fantasy gelesen hat, irgendwas aus dieser Richtung hat sie aus ihrer Kinderstube bestimmt mit auf den Weg gekriegt. Ich selbst unterschätze niemals die Macht der Märchen. Andererseits glaube ich auch an das kollektive Bewusstsein, aus dem ebenfalls Eingebungen, Träume oder Visionen kommen können.


Lomax

Zitat von: Tenryu am 06. September 2008, 19:49:39Anscheinend hat Frau Rowling dann kaum Fantasy gelesen. Und dennoch es geschafft, einen märchenhaften Erfolg hinzulegen.
Für mich klingt das eher so, als hätte sie einfach nur eine Definition von Fantasy, die das, was sie schreibt, nicht mit einschließt. Wobei diese Genregrenzen sowieso immer ein heikles Thema sind, weswegen ich mich dann bei Detailfragen in diese Richtung auch zurückhalten möchte. Also beispielsweise auch bei der Diskussion, was auf deiner Liste nun Fantasy ist oder nicht :)

Churke

#44
Zitat von: Lomax am 06. September 2008, 17:46:52
Was diese Fortentwicklung betrifft, bin ich dann eindeutig Evolutionist. Tatsächlich gibt es eine Enwicklungslinie von der Ilias über die Göttliche Komödie und Goethe bis zur modernen Literatur.

Evolution? Oder vielleicht Zeitgeist? Ich weiß nicht.  :hmhm?:
Bei Heliodor http://de.wikipedia.org/wiki/Heliodoros_(Autor) verblüfft mich immer wieder, wie meisterhaft er alle Tricks der Erzähltechnik einsetzt. Handwerklich ist der den meisten Gegenwartsautoren mindestens ebenbürtig. In der Antike hat man die Romane in Episoden erzählt - wahrscheinlich, weil sie vorgelesen wurden. Und der Plot? Woher kommen die Ideen für einen Plot? Wenn sie gut sind, aus dem Umfeld des Autors.
Umgekehrt ermöglichen die Plots vergangener Epochen aber auch Rückschlüsse auf die Zustände und - wichtiger noch - die moralisch-geistigen Befindlichkeiten jener Zeit. Man hat also sozusagen Primärquellen. Das Mittelalter hat definiert, was einen wahren Ritter ausmacht. Wenn er sich nicht so verhält, ist er kein wahrer Ritter. Das Rittertum kann ich auch 100 Fantasy-Romanen zusammen klauben oder mich mit den Wurzen befassen.

Und, äh, bevor ich für irgendjemanden schreibe, will ich erst mal gut schreiben.   :snicker: