• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

altersgerechtes Verhalten

Begonnen von Rei, 01. Januar 1970, 01:00:00

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Rei

Ich stehe ab und an vor dem Problem, daß meine Charas unterscheidlich alt sind (tjaja, soll vorkommen). Aber da ich keine Ahnung habe, wie sich ein alter, weiser Mann benimmt und nebenbei leider auch vergessen habe, wie sich Zehnjährige benehmen, komme ich immer recht schnell in die Zwickmühle: Würde das ein älterer Mensch jetzt so sagen? Und würde ein Kind diesen Satz genauso verstehen wie ich? Früher habe ich es ja ganz einfach gemacht: Die Hauptperson war so alt wie ich, die anderen wurden nur skizziert und sollten möglichst im Hintergrund bleiben.

Wie bekommt Ihr Charaktere glaubwürdig hin, wenn sie älter / jünger als Ihr seid?

Manja_Bindig

Ich handle weniger nach dem Alter, als nach den bisherigen Erfhrungen - ein recht behütet aufgewachsenes Kind, quirlig, munter, frech...

une naja, ein 18Jähriger, der ziemliche scheiße durchmachen musste. Das beeinflusst manchmal mehr, als das Alter.

Rei

Hmm, ja, klar, das sind Deine Erfahrungen, aber wie stellst Du - sag ich mal - einen erfahrenen Krieger dar, der schon alle Schrecken dieser und jener Welt gesehen hat? Der schon fünfmal gestorben ist und daher weiß, was ihn beim sechsten Mal erwartet?

Was macht einen alten Mann zu einem alten Mann in einem Buch, in einer Geschichte? Wenn ich selbst nicht einmal weiß, wie weh Gicht tun kann, wenn ich selbst keine Ahnung habe, wie schwer es ist, Treppen zu steigen, weil die Beine voller Wasser sind? Wie kann ich glaubwürdig darstellen, daß der, der in der Geschichte agiert, 80, 10, 1300 Jahre alt ist? Wie bekomme ich das hin, daß man mir das Alter der Person abnimmt, wo ich selbst noch nicht die Erfahrung gemacht habe bzw. es wieder vergessen habe?

Astrid

#3
Beobachte Menschen, red mit ihnen, hör ihnen zu. Dann weißt du, was in ihnen vorgeht. Und es ist kein Unterschied, ob jemand 80 oder 1300 Jahre alt ist - alles, was er kannte, hat sich verändert, er ist nirgends mehr zu Hause, alle alten Freunde und alle Verwandten sind tot, die Welt ist fremd und unverständlich geworden, laut und erschreckend und kalt. Das Gefühl kannst du auch selber erforschen - fahre einfach mal an einen Ort, den du früher kanntest. Schon ein neugebauter Supermarkt wird dich erschrecken. Ecken, die du kanntest, sind weg oder verändert. Du kennst kein einziges Gesicht.

Und was ist mit Gicht, Wasser in den Beinen, Schmerzen etc.? Der Körper läßt einen im Stich, man wird unsicher, traut sich nicht mehr viel zu, schont alle unzuverlässigen Körperteile, wird langsamer, bewegt sich unbeholfen, nimmt lieber mal einen Umweg in Kauf, braucht vielleicht Hilfe beim Schuheanziehen oder kann ein Kleid am Rücken nicht mehr selbst zuknöpfen. Man wird vielleicht wütend oder resigniert, und allmählich kommt die Angst vor dem Ende. Die Alten haben Geduld mit der Jugend, die alles noch neu entdecken muß, oder sie sind besonders ungeduldig, weil jemand etwas besonders Hirnrissiges ausprobiert, das NOCH NIE Erfolg gehabt hat. "So etwas kann nicht funktionieren, verschwende doch nicht deine Zeit, hör auf mich, ich habe Erfahrung, du verstehst ja doch nichts davon, du kannst das nicht..." und so weiter.

Und der mehrfach gestorbene Krieger - er hat den Schmerz erfahren, er kennt die Kälte und Dunkelheit des Todes und hat schreckliche Angst davor, weiß aber, daß er wieder und wieder da durch muß. Stell dir einfach deine Angst vor einer besonders ekelhaften Prüfung vor, zB das Abi oder ein Zahnarzttermin. Du weißt, die Prüfung kommt immer näher, du kannst nicht ausweichen, du wirst sogar selber noch hingehen, um sie durchzustehen.

Die Ängste sind dieselben. Es gibt Steigerungsformen von Angst und Entsetzen, aber das Prinzip ist dasselbe. Irgendwann rennst du entweder davor weg, oder du sagst: Ok, jetzt tue ich es, und nach mir die Sintflut. Du mußt nicht dreimal sterben oder 1300 Jahre alt werden, um zu begreifen, wie sich Verzweiflung anfühlt.

Beobachte mal, was dich im Gespräch mit alten Leuten am meisten nervt, und dann versuch, dieses Denken zu übernehmen - woher kommt es, was soll es bewirken - Selbstschutz? Den anderen kleinhalten? Angst wovor?

Ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen. Hör auf meine Stimme der Erfahrung, ich bin alt und weise und sag dir, wo's langgeht und AUAAA!! Nicht schlagen!!!  ;D

Rei

Das hat mir schon sehr weitergeholfen *Stock zum Verprügeln wieder wegsteck*

Mit dem Beobachten haperts bei mir ein wenig, da ich dazu neige eher "Mensch, hat die einen schrecklichen Rock an!" zu sagen, als "Mensch, hinter dem Gesicht verbirgt sich bestimmt ein interessanter Charakter!" *schäm* Aber, was nicht ist, kann ja noch werden. Darf ich Dich, alte, weise Astrid ein wenig begleiten und von Dir lernen? *duck*

Astrid

Lernen von mir du darfst, junge Jedi. *milde, weise und abgeklärt lächel*  ;D

Silberweide

Also zu 10-Jährigen Kindern mal:
Auf unserem Schulhof ist das so:
Sie schreien, machen Krach, rennen einen halb um und entschuldigen sich nicht, denken, man würde ihnen ganz selbstverständlich aus dem Weg gehen, haben keinen Respeckt mehr und auch sonst sind sie seeehr gewöhnungsbedürftig. Falls du nicht mehr auf eine Schule gehen sollten empfehle ich dir, dich mal in den großen Pausen (wenn möglich) zumindest in die Nähe einer Schule zu stellen und die Kiddies zu beobachten...

Zu den anderen kann ich leider nichts sagen=J

Elena

Nun ja, was soll ich sagen... Genaugenommen hatte ich noch nie einen Charakter, der genausoalt war wie ich.

Wie das klappt... beobachten ist schon gut, ansonsten: hineinversetzen. Filme und andere Bücher helfen auch.
Eine 100%ige Übereinstimmung erreicht man nicht, aber etwas annäherndes. Es hängt, wie Manja schon andeutete, auch vom Charakter ab. Ich gestalte nach Charakter, das Alter habe ich dabei im Hinterkopf - und oftmals ist gerade ein Hauptcharakter ja ungewöhnlich, was ich bei Kindern oft habe. Da heißt es dann, dass die Eltern oder sonstwer glaubt, dass sie ein bisschen zurckgeblieben sind...

Im Prinzip ist der Charakter wichtig, und da du ihn als solchen in die Geschichte mithinein nimmst, wird das ganze von selbst kommen, oder? Du wirst doch keinen Charakter eines alten Mannes mit einbringen und dann schreiben: Er war zehn Jahre alt... Charaktere haben ja auch Funktionen.

Ich würde mir da keine Gedanken drum machen, es sei denn, du hast einen wesentlich älteren/jüngeren Hauptcharakter. Da heißt es dann: Wecke das Kind/die Greisin in dir!  ;D

Liebe Grüße,

Elena

Manja_Bindig

Kinder: meist quirlich, frech, respektlos. Des öfteren hören sie doch mal. Bauen immer Scheiße, sind neugierig.

Moni

Wichtig finde ich, das man nicht in Stereotypen verfällt: der weise Alte, das freche Kind etc.

Menschen zu beobachten, mit ihnen zu sprechen - das ist eine sehr gute Methode. Aber letzendlich hängt es immer vom Charakter ab, wie jemand sich gibt, wie er spricht.  Dabei darf man dann den sozialen Zusammenhang nicht außer Acht lassen.Plattes Beispiel: der Barbar aus dem Hinterland spricht anders, als der Gelehrte aus der Stadt...  ;D
Hohes Alter muß auch nicht zwangsläufig mehr Lebenserfahrung bedeuten. Der Alte aus dem Hintertupfinger Bergdorf hat vielleicht mehr Jahre auf dem Buckel, muß aber nicht mehr erlebt haben, als der kleine Straßenjunge aus der Stadt...



Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Linda

#10
Sorry, wenn ich hier hineinplatze, aber zu diesem Thema möchte ich eine Antwort posten, die von der Aussage auch in andere Bereiche hineinragt.
Bsp. die Sprache, angemessene Schimpfworte u. ä.

Vorweg erst mal meine Behauptung: Figuren sind Figuren und keine Menschen. Dazu unten mehr.
  Wenn man Infos über Kinder braucht, dann kann man sich (neben eigenen Beobachtungen und Erinnerungen) aus Sachbüchern schlau machen. Erziehungsratgeber z.B. erzählen viel von kindlichen "Unarten" und Eigenschaften.
Ältere Menschen kann man in Maßen extrapolieren. - Überleg einfach, wie sehr du jetzt schon den Altersunterschied zu, sagen wir mal 16-jährigen, empfindest und rechne das hoch.  :D

Es ist meiner Erfahrung nach leichter, eigene Persönlichkeitsbestandteile in Figuren einfließen zu lassen, und diese auszuleben, als sich etwas "aus den Fingern zu saugen".
Allerdings ist es auch spannend, mal die Gegenposition der eigenen Sichtweise einzunehmen. Auch wenn man dabei manchmal neue Dinge über sich erfährt.

Literatur ist jedoch, im Gegensatz zum Sachbuch, keine 1 zu 1-Abbildung der Realität. Literatur ist Dichtung und Dichtung bedeutet nicht nur verdichtete Sprache, sondern auch verdichtete Realität.
Beispiel Dialog: Gespräche im Geschichten und Romanen sind künstlich, keine Abschrift von echten Gesprächen. Richtige Gespräche sind meist lapidar und plätschern dahin, was ein literarischer Dialog nicht tun sollte.
Literarische Figuren sind also künstlich, sogar das "fiktive, das lyrische Ich" (fast die ausgeprägteste aller künstlichen Wesenheiten) ist eine Fälschung. Es ist alles nur ausgedacht und steht auf gewisse Weise wie ein Symbol für eine umfangreichere Persönlichkeit, die nicht genau ausgearbeitet ist.

Darum müssen Texte in sich logisch sein, aber nicht unbedingt der Realität entsprechen.

Also zum Problem Kinder:
jedes Kind ist anders und auch Altersgrenzen sind schwammig. Wenn man nicht aus der eigenen Erinnerung oder dem täglichen Erleben schöpfen kann lautet mein Vorschlag daher: Man gucke sich ein paar allgemeine Verhaltensweisen an und mache dann einen Typus daraus. Etwa: intelligent/altklug, quirlig /nervig, ängstlich/hysterisch ...
Wollte man einen Charakter wirklich realistisch und umfassend darstellen, müsste man 'Ulisses junior' schreiben. Auch der, hochgradig eine Kunstfigur.

Das soll jetzt kein Aufruf zum Klischee oder zur Verallgemeinerung sein, aber nehmt einfach das, was ihr für eine Figur braucht damit die Geschichte funktioniert und lasst weg, was ihr nicht wisst oder was die Story stört.  (Predigt Ende)

Siehe Bastian aus der "Unendlichen Geschichte". Den finde ich zwar sympatisch und glaubwürdig, aber als besonders superrealistisch ist er bei mir nicht hängengeblieben. Und mal ehrlich, würdet ihr in der Situation des Bastian wirklich ein Buch klauen? Also ich wäre dazu damals in dem Alter, in dieser Lage zu feige gewesen ;-)
Aber es war die Magie des Buches, die ihn verführt hat, sagt ihr. Genau. Und das gehörte einfach zu der Geschichte dazu... und zu den Freiheiten eines Autors.

Eine Figur, ebenso wie eine gute Beschreibung, braucht m. E. genug Platz zur Entfaltung des Lesers. Sie muss, auf gewisse Weise noch unvollkommen und unfertig sein.
Je genauer man eine Figur bis ins kleinste ausfertigt, desto mehr Facetten werden Leser auch u. U. als störend empfinden und sich nicht mehr so gut hineinfinden

Noch mehr: wenn man für Kinder schreibt, schreibt man anders über Kinder, als wenn man allgemein über sie schreibt.
In vielen Kinderbüchern sind Kinder eben die Clerveren, schlauer als die Erwachsenen, besitzen Zauberkräfte  usw.  Die Realität steht ein bisschen Kopf.

Also was ich letztlich sagen wollte, am besten geht man das Problem von der erzählerischen Seite her an und nicht von der "realistischen".

Gruß,

Linda

Manja_Bindig

Jetzt kommen wir wieder zum "Realismus in der Fantasy", stelle ich eben fest... aber Linda hat recht.

Meine göre ist 10. Nervig, munter, laut, altklug, gibt immer Kontra... und hat einige weniger schöne eigenschaften meienr großen Schwester mitbekommen(zum Beispiel, das sie schon mit 10 so herisch ist - von der Mutter abgeguckt).

Tja... ich schätze, manchmal ist es am besten, ein wenig mit lebenden Bekannten zu arbeiten udn sie ein bisschen einfließen zu lassen... obwohl ich meine Sayra keinesfalls mit miener schwester gleichsetze. Dazu mag ich sayra zu sehr und meine Schwester zu wenig.

Lastalda

Wobei ich sagen muss, dass es einen Unterschied in der Perspektive macht. Wenn man z.B. das Kind nur als Nebenfigur hat, reicht es sicher völlig, Kinder zu beobachten. Aber wenn man aus Sicht des Kindes schreibt, ist hineinversetzen wichtiger - auch das nervigste Kind hat Gründe, so zu sein wie es ist. Wenn man genau diese hat, macht das,w as man in einem anderen Alter als nervtötend oder respektlos empfindet, meistens Sinn.

Was für mich die meisten Schwierigkeiten bei Kindern macht, ist ihre Weltsicht. Ein Erwachsener und selbst ein Jugendlicehr nimmt die Umgebung anders wahr als ein Kind. Und das ist beim perspektivischen Schreiben ziemlich schwer... Bis jetzt hab ich es leider noch nicht zufriedenstellend hinbekommen. Vielleicht, weil ich eben echte Probleme habe, mich in Kinder hineinzuversetzen. 10 Jahre geht da schon halbwegs. Aber 4-5 Jährige sind wirklich heftig...

Rei

*immer noch kräftig von Astrid lern* Ich hab mir für den Urlaub vorgenommen, viel zu gucken. Wir fahren nach Holland, da gibts auch Menschen, hab ich mir sagen lassen. In verschiedenen Altersstufen... ;D

Scherz beiseite. Ich war heute in unserem Einkaufszentrum und hab mich einfach auf ne Bank gesetzt, mit nem Block und nem Stift in der Hand. Und hab geguckt. Nicht auf das Äußere (sprich Klamotten, Frisuren, etc.) sondern auf andere Sachen: Wie geht die Mutter, die sich gerade neben mich auf die Bank setzt, mit ihrem Kind um? Was sagt sie zu ihm, woran erkennt sie, was das KLeine braucht? Wann ächzt der alte Mann, der sich neben mich setzt? Was tut er, wenn er sitzt? Guckt er den Menschen nach? Macht er die Augen zu? Das war mal interessant, sage ich Euch, Und wenn man dann noch ein wenig die Phantasie spielen läßt, findet man sogar nebenbei noch viele Geschichten... Oder ein Aufsichtspersonaltyp wird auf einen aufmerksam und fragt, was man da die ganze Zeit treibt und wozu man sich da Notizen macht... *grummel* Spielverderber!

Manja_Bindig