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Own Voices und Chancengleichheit auf dem Buchmarkt [CN Rassismus]

Begonnen von Mondfräulein, 10. Februar 2021, 14:28:36

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FeeamPC

#45
[ARY]  :wache!: CN: unangemessene Relativierung.

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

DunkelSylphe

@FeeamPC: Glaubst du wirklich, ich wüsste das selbst nicht und hätte mich nicht mit dem Thema so weit auseinandergesetzt, dass ich zu entsprechenden Schlüssen gekommen bin? Nichts für ungut.

Für mich (und auch viele Schwarze Menschen) ist es trotz dieser Geschichte unangenehm, eine Angstfigur auf die Farbe "Schwarz" zu reduzieren. Die Verbindung Böses = Schwarz ist eine vielfach produzierte, die Auswirkungen hat auf echte Menschenleben, weil weiße Menschen sie missbrauchen als: "Die Angst vor Dunklem ist natürlich, also ist es okay, wenn Leute sich unbehaglich mit Dunkelhäutigen fühlen." (Nein, ist es nicht.) Das will ich nicht mehr so schreiben, zumal ich Gothic Ästhetik sehr gerne mag. Meine Herausforderung ist also, sollte ich das Manuskript angehen, den Antagonisten anders zu schreiben. Im Nachhinein denke ich mir, dass das eh interessanter ist, weil nur ein gesichtsloser Mann in einem schwarzen Kapuzenmantel ist superlangweilig. Man kann hier viel kreativer werden, was das Thema "Kinderangst" angeht.
Man braucht die Dunkelheit, um stärker leuchten zu können.

Alana

#47
@DunkelSylphe Ich habe in letzter Zeit auch häufiger darüber nachgedacht, dass Dunkelheit, Finsternis etc. losgelöst von der Hautfarbe, sondern bezogen auf die Umwelt, also Nacht o.ä. Dinge sind, die Menschen jedweder Kultur Angst einflößen, zumindest würde ich das annehmen, man dieses Argument aber keinesfalls als Entschludigung für rassistische oder auch nur klischeehafte Darstellung nutzen sollte. Deswegen finde ich es sehr interessant, wie man in der Fantasy damit arbeiten könnte, ohne, wie du sagst, diese Dinge ungewollt in einen rassistischen Kontext zu setzen. Ich habe selbst in meinen Romanen schon versucht, der Dunkelheit auch eine andere Bedeutung zu geben und diesbezüglich Klischees aufzubrechen, wobei Hautfarbe sowieso keine Rolle gespielt hat, weil sich diese Dunkelheit nicht auf eine Person bezog, aber das waren bisher nur kleine Ansätze und man könnte sicher noch viele weiter gehen und tolle neue Wege finden.

Langer Rede kurzer Sinn: da du das selbst schon recherchiert hast, hättest du evtl. eine Leseempfehlung für das Thema? Also Blogs, Bücher o.ä. in denen genau dieser Aspekt thematisiert wird?
Alhambrana

FeeamPC

@DunkelSylphe : Du weißt es, ich weiß es, aber ich kenne erschreckend viele Leute, Autoren eingeschlossen, die es nicht wissen.

Maja

@FeeamPC
Dennoch warst du diejenige, die angefangen hat zu relativieren, als @DunkelSylphe angesprochen hat, wie problematisch das "Schwarzer Mann"-Trope ist, statt einfach zu akzeptieren, dass sie damit recht hat.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

DunkelSylphe

#50
Danke @Maja.

@Alana: Ja, das erfasst es schon gut! Angst vor der Dunkelheit und der Nacht ist ein kulturübergreifendes, viele Menschen verbindendes Thema. Das in der Fantasy zu erörtern, ist total in Ordnung und das mache ich selbst. Es ist nur eben nicht okay, wenn diese Angst als Ausrede für rassistisches Verhalten genommen wird. Und es kann auch problematische Implikationen haben, wenn das Gute ausschließlich hell/weiß und das Böse ausschließlich dunkel/schwarz dargestellt wird.

Mal am Beispiel von Tolkien-Fantasy: Die Guten, gerade die Elfen, sind in vielen Darstellungen nun mal weißhäutig, hell gekleidet, licht und schön dargestellt. Auf der anderen Seite haben wir Orks mit dunklerer Haut, ihre "barbarische Kultur" und meist hässlichen Gesichter. Einzelne Figuren und Aspekte sind kein Problem, die Menge und Verteilung macht's. Ein häufiges Problem, dass ich in dieser Fantasy sehe (und worüber ich demnächst schreiben werde), ist, dass es einerseits kaum bis keine nichtweißen Menschen und guten Figuren gibt, Nichtweißsein aber trotzdem als Coding vorkommt, nämlich auf der Seite der Bösen. Orks haben eine rassistische Coding-Geschichte, beim klassischen Tolkien wird sich an feindlichen Stereotypen von Mongolen bedient, D&D hat das weiterentwickelt zu einem Schwarzen Coding. Zwerge und Goblins wurden immer wieder mal jüdisch und damit antisemitisch gecoded, mit ihrer Goldgier und Hakennasen. Das Bild des "wilden Barbaren" oder Schwarzmagie ausübenden "Schamanen" wird immer wieder mal bedient, und vieles mehr. Und das größte Problem ist natürlich der Völker-Essentialismus, die Idee: Elfen sind so, Zwerge sind so, Orks sind so etc. Das reproduziert die rassistische Idee, dass jemandes Charakter von der eigenen Biologie bestimmt wird. Wenn dann auch noch von "Rassen" statt "Völkern" geredet wird ... uff.

Persönlich denke ich, dass es überhaupt kein Problem ist, das, was wir an klassischer Fantasy mögen, mitzunehmen und gleichzeitig eine zeitgemäße Fantasy zu schreiben, die nicht so rückständig ist, was Ideen über Völker, multikulturelle Konflikte und den Rasse-Begriff angeht. Es würde schon sehr vieles ändern, wenn People of Color auf der Seite der Menschen und Vielfalt bei den jeweiligen Völkern abgebildet werden.

Weil du ja nach Links gefragt hast: Es gibt eine sehr gute Auseinandersetzung von James Mendez Hondes, selbst mixed, bezüglich der Darstellung von Orks als "Kriegerrasse" und was da alles geschichtlich schieflief. Vor allem interessant, weil er darüber spricht, wie schwer es deswegen für ihn war, sich in der D&D-Community wohlzufühlen. Multikulturelle Kinder sind dort nämlich oft nur als Negativ existent, z. B. bei Halborks, die meist Produkte sexueller Gewalt sind. Er hat das nichtweiße Coding bei Orks und Halborks erkannt, eine Verbindung bei ihnen gespürt und sich geweigert, sie als "böse" anzunehmen. Stattdessen hat er gezielt diese Charaktere gespielt, versucht, sie mit seiner eigenen Erfahrung zu füllen und für sich zurückzuerobern.

Den englischen Artikel gibt es hier, eine deutsche Übersetzung ist im Queer*Welten-Zine erschienen.
Teil 1: https://jamesmendezhodes.com/blog/2019/1/13/orcs-britons-and-the-martial-race-myth-part-i-a-species-built-for-racial-terror
Teil 2: https://jamesmendezhodes.com/blog/2019/6/30/orcs-britons-and-the-martial-race-myth-part-ii-theyre-not-human

Auch N. K. Jemisin hat über die Problematik von dem sogenannten Orcing geschrieben: "They are human bodies + bad magic – the essence of humanity, for whatever value that essence might hold: a soul, a mind, aestheticism, whatever. And therefore, in most fantasy settings in which I've seen orcs appear, they are fit only for one thing: to be mowed down, usually on sight and sans negotiation, by Our Heroes. Orcs are human beings who can be slaughtered without conscience or apology." - Den ganzen Artikel gibt es hier: https://nkjemisin.com/2013/02/from-the-mailbag-the-unbearable-baggage-of-orcing

Es gibt auch einen sehr guten Blog, "Writing with Color", wo BI_PoC Schreibtipps für nichtweiße Charaktere geben und erklären, welche Geschichte hinter welchen Tropes steckt: https://writingwithcolor.tumblr.com

Die Lektorin Victoria Linnea hat ein paar Beiträge von ihnen ins Deutsche übersetzt und für unseren Sprachraum kontextualisiert, da sind gerade die Hautfarben-Guides nützlich als erste Anlaufstelle: https://vickieunddaswort.de/hautfarben-guide-farbnamen

Man braucht die Dunkelheit, um stärker leuchten zu können.

Alana

#51
@DunkelSylphe  :o Wow, danke für den genialen Beitrag, ich wollte dir jetzt gar nicht so viel Arbeit machen.  :versteck: Vielen lieben Dank, da werde ich mich mal durcharbeiten. Vielleicht wäre es auch keine schlechte Idee, diesen Beitrag oder zumindest die Links unter Linktipps einzeln noch mal zu posten, damit man ihn sofort sieht? Nur, wenn du das möchtest, natürlich.

Zitat
Und es kann auch problematische Implikationen haben, wenn das Gute ausschließlich hell/weiß und das Böse ausschließlich dunkel/schwarz dargestellt wird.

Ja, das war der Punkt, den ich meinte, und irgendwie nicht richtig in meine Frage gebracht habe.  ::) Da werde ich mich mal einlesen, danke dir.

Für alle Interessierten: In diesem Thread hatten wir bereits einmal eine ähnliche Diskussion geführt:

Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist
Alhambrana

Maja

Danke fürs Raussuchen des Threads, Alana!

Da bei diesem Thema hier der Schwerpunkt auf der konkreten Situation von Own Voice-Autoren auf dem Buchmarkt geht, würde ich gerne für die "Schwarz = Böse"-Diskussion auf den bestehenden Thread verweisen und für die Frage, wie wir selbst inklusiv arbeiten können, auf das Workshop-Board. Vielleicht hat jemand, der schon mal mit Sensitivity Readern gearbeitet hat oder selbst eine*r ist, ein Thema dazu aufmachen? Ich denke, das ist ebenso aktuell wie wichtig, und unter "Buchmarkt" wird vermutlich weniger danach gesucht als im Workshop, wo es um das eigentliche Arbeiten geht.

Danke!
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Mondfräulein

Ich habe heute auch nochmal über einen anderen Aspekt nachgedacht, den ich in diesem Kontext wichtig finde. Auch wieder zum Beispiel Alicia Zett. Ich will nochmal betonen, dass es mir nicht darum geht, sie als Person zu kritisieren, sondern dass ich einfach finde, dass man an diesem Fall exemplarisch viele Dinge beobachten kann, die hier insgesamt schieflaufen. Der Fehler liegt nicht nur bei ihr selbst. Man merkt, dass sie trotz allem, was hier schiefgelaufen ist, die besten Absichten hatte.

Alicia Zett hat heute mit Antonia C. Wesseling in einem Livestream auf der Hugendubel-Instagramseite über ihr Buch gesprochen. Da wurde sehr lange von zwei cis Menschen über trans Themen gesprochen und insgesamt fand ich das einfach unglücklich. Nicht, weil die beiden generell darüber sprechen, denn man merkt, dass sie sich bilden wollen und die besten Intentionen haben. Sondern weil Alicia Zett ein Buch zum Thema veröffentlicht hat und weil damit eben auch einhergeht, dass sie die Plattform bekommt, um über dieses Thema zu sprechen. Ein Livestream auf einem Account mit 100.000 Abonnenten ist eine Plattform, die sie nur bekommt, weil sie das Buch geschrieben und veröffentlicht hat, obwohl ich finde, dass an dieser Stelle eine trans Person über das Thema hätte reden sollen.

Wenn ich über eine Gruppe schreibe, der ich nicht angehöre, und die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ein fundamentales Thema meines Romans und ein fundamentaler Teil seiner Prämisse ist, dann bin ich in gewisser Weise auch Sprachroh für diese Gruppe. Natürlich fragen mich Menschen dann auch in Interviews oder Livestreams danach. Aber bin ich dann wirklich die richtige Person, um über diese Gruppe zu sprechen? Selbst wenn ich klar mache, dass ich nicht für diese Gruppe spreche und versuche, ein guter Ally zu sein, ich begebe mich da in eine Situation, in die ich nicht gehöre.

Wie hier schon von vielen gesagt wurde geht es nicht darum, nicht mehr divers zu schreiben, sondern genau darüber nachzudenken, ob ich die Geschichten erzählen sollte, die ich erzähle. Dazu gehört denke ich auch, darüber nachzudenken, ob mich das Buch in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Sprachrohr für eine Gruppe macht, der ich nicht angehöre. Natürlich ist es dann auch eine Frage, wie ich damit umgehe, ob ich meine Position auch nutzen kann, um denen Gehör zu verschaffen, die es verdient haben, aber der Livestream heute hat mich nachdenklich gemacht und ich wollte dieses Thema hier gerne auch nochmal ansprechen.

(@DunkelSylphe Schön hier von dir zu lesen! Deine Tweets und Gedanken zu diesem Thema fand ich schon auf Twitter wirklich lesenswert. :vibes:)

Elona

Vielen lieben Dank für eure offenen und ehrlichen Ausführungen. Ich fände es auch toll, wenn es noch weitere Beiträge zu diesem Themengebiet geben würde.

@Mondfräulein Da bin ich ganz bei dir. Was man aber grundsätzlich eben hätte machen können, dass dann z.B. eine Person mit entsprechenden Hintergrund dabei gewesen wäre. Wenn man seinen Account und sein Buch eben genau dafür verwendet hätte. Wobei ich auch denke, dass gerade das in diesem Fall aufgrund der Umstände schwierig geworden ist.

[Ergänzend wollte ich auch noch mal sagen, dass ich bei meinen vorherigen Kommentaren immer davon ausgegangen bin, dass man als Autor*in in irgendeiner Form involviert ist, weil man anderenfalls ein solches Themengebiet nicht aufgreifen würde.]

Franziska

#55
So wie ich das mitbekommen habe gab es den Shitstorm zu Alicia Zett ja nur, weil sie sich selbst über die kritische Rezension beschwert hat und der Blogger dann von ihren Fans angegangen wurde. Das geht für mich gar nicht. Ob die Kritik am Buch berechtigt ist oder nicht.

@Krähe Was du zum Thema chinesische Fantasy schreibst beschäftigt mich schon länger. In letzter Zeit konsumiere ich fast nur asiatiache Fantasy. Chinesische Serien, koreanische Serien, Anime, Webcomics... Chinesische Fantasy unterscheidet sich stark von westlicher. Ich finde da viele Aspekte interessant und würde sie gerne für eigene Ideen übernehmen. Aber frage mich dann ob ich das machen sollte. Was ich nicht machen würde ist wohl zu sagen, hier chinesische Fantasy, Wuxia. Und mich genau an die Genre halten. Sagen es spielt in China. Ich würde eher eine eigene Welt erschaffen. Eigene Wörter erfinden. Aber ich weiß nicht, ob das reicht.
Wenn man als deutscher Autor nur in westlicher Tradition stehende Fantasy schreiben sollte finde ich das auch schwierig. Andererseits wie einige schon schrieben ist halt die Frage immer: Bin ich die richtige Person um diese Geschichte zu erzählen.

@DunkelSylphe vielen Dank für deinen Einblick und die Links.


Trippelschritt

#56
Zitat von: Mondfräulein am 11. Februar 2021, 22:04:23

Wenn ich über eine Gruppe schreibe, der ich nicht angehöre, und die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ein fundamentales Thema meines Romans und ein fundamentaler Teil seiner Prämisse ist, dann bin ich in gewisser Weise auch Sprachroh für diese Gruppe. Natürlich fragen mich Menschen dann auch in Interviews oder Livestreams danach. Aber bin ich dann wirklich die richtige Person, um über diese Gruppe zu sprechen? Selbst wenn ich klar mache, dass ich nicht für diese Gruppe spreche und versuche, ein guter Ally zu sein, ich begebe mich da in eine Situation, in die ich nicht gehöre.

(@DunkelSylphe Schön hier von dir zu lesen! Deine Tweets und Gedanken zu diesem Thema fand ich schon auf Twitter wirklich lesenswert. :vibes:)


[ARY]  :wache!: CN: unangebrachter Vergleich mit Romanen aus dem Mafia/Rockermilieu, unangemessene Benutzung des Begriffs "Befindlichkeiten".

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Liebe Grüße
Trippelschritt

Mondfräulein

So wie ich es formuliert habe steht da aber nur "Du solltest dir diese Fragen ernsthaft stellen" und nicht "Das solltest du niemals machen". Eben um Situationen wie den erwähnten Livestream zu vermeiden. Rockstars sind ja auch keine von Diskriminierung betroffene Minderheit. Es geht nicht darum, nicht über Gruppen zu schreiben, denen ich nicht angehöre, sondern genau zu überlegen, über welche Gruppen ich schreibe und ob ich dafür die richtige Person bin. Vielleicht kann ich für ein Buch über einen Rockstar die richtige Person sein, nicht aber für ein Buch über trans Menschen. Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Trans Menschen müssen überall darum kämpfen gehört zu werden. Rockstars haben schon eine große Plattform.

Trippelschritt

Dem kann ich sofort zustimmen  :vibes:

LG Trippelschritt

Maja

#59
Ich versuche, einen Beitrag zu rekonstruieren, den heute Mittag meine abschmierende Browser-App gefressen hat. Sollte mir eine Lehre sein, längere Texte nur am Rechner zu verfassen.


Wenn ihr einer unterrepräsentierten Minderheit eine Platform bieten wollt, ihre Sichtbarkeit erhöhen und sie zu einer Hauptfigur euches Buches macht, um ihr eine Stimme zu geben - dann ist das erst einmal eure eigene Stimme, die da durch die Figur sprecht. Ihr macht euch damit also zum Sprachrohr einer Gruppe, der ihr selbst gar nicht angehört. Das heißt nicht, dass ihr es lassen sollt. Aber es ist dann nötig, mit Betroffenen zu reden, bevor das Buch draußen ist. »Hey, kann ich mal was an dir vorbeitragen - ich würde euch gern zu mehr Sichtbarkeit verhelfen und habe da das-und-das im Sinn. Kannst du mir helfen, die Thematik so aufzubereiten, dass du dich davon repräsentiert fühlst?«

Wenn man über eine Gruppe schreibt, zu der man selbst schon eine Menge Kontakt hatte - zum Beispiel gehe ich davon aus, dass jeder nicht-queere Mensch queere Menschen im Bekanntenkreis hat - dann kann man auf Basis dieser Kontakte, der Erfahrungen, die man selbst miterlebt hat, und dem eigenen Einfühlungsvermögen seine Geschichte schreiben und sie dann im Idealfall von Sensitivity Readern abklopfen lassen, ob die Feinheiten stimmen oder man sogar grobe Patzer eingebaut hat. Es gibt aber genug Fälle, da reicht das nicht aus.

Wenn ihr über eine Gruppe schreibt, die bis dahin wenig Berührungspunkte mit eurer persönlichen Lebenswelt hatte, die es wirklich gibt und die durch eine falsche Darstellung verletzt werden kann (anders als, zb, Elfen - ich bin kein Elf und kenne auch keine, aber ich kann sie so schreiben, wie ich will), dann sollte man nicht drauflosschreiben und denken, dass es reicht, hinterher einmal drüberzulesen. Redet *vorher* mit den Leuten. Tragt eure Idee an ihnen vorbei, holt ihr Input, bevor ihr euch nur einen Satz geschrieben habt, passt euer Konzept entsprechend an, und wenn ihr Glück habt und die andere Person Lust dazu habt, lasst sie euch durch den Schreibprozess begleiten.

Ein Beispiel: Ich habe kein Problem damit, Bücher über queere Leute zu schreiben, auch wenn die auf eine andere Weise queer sind als ich. Ich kann Leute mit psychischen Erkrankungen darstellen, selbst wenn sie nicht die gleiche Krankeheit haben wie ich - ich recherchiere, ich hole mir beim Überarbeiten Hilfe, aber ich kann davon ausgehen, dass ich alle wichtigen Eckpunkte richtig auf die Reihe bekomme. Aber ich habe seit einigen Jahren den Plan für ein phantastisches Jugendbuch, Arbeitstitel "Seelenlos", dessen Hauptfigur von Geburt an Querschnittsgelähmt ist. Und auch wenn ich sehr interessiert Blogs über den Alltag von Rollstuhlfahrern lese, möchte ich mir nicht anmaßen, alle Aspekte vom Leben mit so einer Behinderung zu kennen.

Wenn ich dieses Projekt einmal wirklich in Angriff nehme, hole ich mir die Hilfe vorher, in der Planungsphase, um erstmal zu sehen, ob die Geschichte überhaupt vom Grundkonzept her funktionieren kann. Eine ehemaligere Tintenzirklerin hat ein Jugendbuch geschrieben, dessen Hauptfigur im Rollstuhl sitzt - wenn ich da sehe, dass der Klappentext beginnt mit "Der 13-jährige Nico ist durch einen Unfall an den Rollstuhl gefesselt", weiß ich auf den ersten Blick, dass bei dem Buch kein Rollstuhlfahrer auch nur gefragt worden ist, weder vorher, noch während, noch danach, und dass da eine Mitleidsschiene gefahren wird, die ich um jeden Preis vermeiden möchte.

Das Internet hat die Welt zu einem Dorf gemacht, wo buchstäblich jeder mit jedem reden kann. Tut das dann auch.



NACHTRAG
Zu dem völlig misratenen Kolonialistenroman, den ich da fabriziert habe, habe ich jetzt einen Blogartikel verfasst. Ich denke, es ist wichtig, dass wir auch offen über solche Fehler reflektieren, weil jede*r von uns die eigenen Denkmuster mal kritisch unter die Lupe nehmen sollte, egal für wie aufgeklärt und vorurteilsfrei wir uns auch halten mögen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt