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Own Voices und Chancengleichheit auf dem Buchmarkt [CN Rassismus]

Begonnen von Mondfräulein, 10. Februar 2021, 14:28:36

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Mondfräulein

[ROSENTINTE] Das Moderator*innenteam des Tintenzirkels hat sich entschlossen, diesen Thread zu schließen. Durch rassistische Aussagen und unangemessene Vergleiche wurden in diesem Thread viel Leid verursacht. Leider haben wir als Team in diesem Moment nicht eingegriffen, wofür wir uns noch einmal entschuldigen möchten. Wir werden diesen Thread nicht ins Archiv verschieben, da er einige sehr wichtige und konstruktive Beiträge zum Thema Own Voices und Rassismus enthält. Wir denken aber auch, dass anschließend an die Beiträge in diesem Thread keine Diskussion des eigentlichen Themas mehr möglich ist. Da wir das Thema Own Voices und Repräsentation am Buchmarkt für sehr wichtig erachten, haben wir einen neuen Thread für diese Diskussion eröffnet. [/ROSENTINTE]

Wir haben im Forum schon an anderer Stelle darüber gesprochen, ob ich Protagonisten authentisch schreiben kann, wenn sie Minderheiten angehören, denen ich selbst nicht angehöre. In letzter Zeit bin ich auf einen anderen Aspekt dieser Debatte gestoßen, den ich wirklich wichtig finde und über den ich hier gerne mit euch sprechen würde: Nehme ich Minderheiten die Chance, ihre eigenen Geschichten zu erzählen, wenn ich meine Bücher veröffentliche?

Ich bin zuerst auf das Thema aufmerksam geworden, als ich ein Video von Xiran Jay Zhao gesehen habe, in dem sie darüber spricht, dass sie fast keinen Vertrag für ihr Buch bekommen hätte, weil ihr gesagt wurde, dass es schon zu ähnliche Bücher auf dem Markt gibt. Repräsentation ist zwar wichtig, aber ist es möglich, dass ich Angehörigen der Gruppen, über die ich schreibe, damit auch Chancen wegnehme und es ihnen noch schwerer mache, ihre eigenen Geschichten zu erzählen? Helfe ich der repräsentierten Gruppe mit meinem Buch, weil sie sich selbst darin wiederfinden können, oder nehme ich ihnen die Chance, ihre Geschichten selbst zu erzählen?
Das Video ist sehr lang (aber sehenswert!), die Stelle, in der sie über dieses Thema spricht, beginnt ungefähr bei 52 Minuten: https://www.youtube.com/watch?v=x8MD8U1Ilwc

Ein anderer wichtiger Tweet zum Thema kommt von Moniza Hossain:
ZitatI know white writers write poc main characters because they want poc readers to see themselves in books, but here's what happens when you do that: publishers end up acquiring books written by white people instead of books by pocs because they find the former easier to relate to.

https://twitter.com/moniza_hossain/status/1358522821815640064

Hier geht es jetzt erstmal um den amerikanischen Buchmarkt, aber letztens wurde ich an die Diskussion erinnert, als Not Your Type von Alicia Zett herausgekommen ist. Soweit ich weiß, ist es das zweite Romance-Buch auf dem Markt, in dem der Love Interest trans ist, aber das erste, in dem das für den Leser von Anfang an klar ersichtlich ist. Die Autorin ist cis und ich habe mich gefragt: Wenn eine trans Person nun ein ähnliches Buch anbietet, wird es vielleicht abgelehnt, weil es schon ein Buch auf dem Markt gibt, dessen Prämisse zu ähnlich ist? Kann es auf dem deutschen Buchmarkt also zu genau demselben Problem kommen? Vielleicht sogar viel eher, weil der Buchmarkt hier generell kleiner ist?

Und ja, das erscheint mir wirklich sehr einleuchtend. Wenn ich als weiße Autorin eine moderne Neuerzählung von Mulan schreibe und dann ein chinesischer Autor mit einer ähnlichen Idee an den Verlag herantritt, dann könnte das Buch abgelehnt werden, einfach weil es meinem schon veröffentlichten Buch zu ähnlich ist. Die Geschichte stammt aus seinem Kulturkreis, aber er kann sie nicht mehr erzählen, weil ich das als weiße Autorin schon getan habe. Ich denke im Moment beim Schreiben wenig darüber nach, ob es Bücher auf dem Markt gibt, die meinem zu ähnlich sein könnten, vielen anderen Autoren geht es bestimmt auch so. Aber ich denke Verlage haben da schon ein genaues Auge drauf und beziehen das in ihre Entscheidungen mit ein.

Natürlich ist Repräsentation wichtig und niemand sagt, dass ich sie nicht mehr schreiben soll, aber in welchen Fällen könnte ich Own Voices Autoren auch Chancen wegnehmen? Wann schade ich mehr als dass ich helfe? Wenn die Marginalisierung einer Gruppe oder die Zugehörigkeit einer Figur zu dieser Gruppe zur Prämisse meines Romans wird, sollte ich das Buch dann noch veröffentlichen, wenn ich der Gruppe selbst nicht angehöre?

Ich hoffe, das ist das richtige Board für diesen Thread, aber mir geht es hier eben nicht darum, wie gute Repräsentation aussieht und wie authentisch ich über andere Gruppen schreiben kann, sondern wirklich konkret um die Probleme, die hier auf dem Buchmarkt insgesamt entstehen können und wann eine Veröffentlichung eine andere verhindern kann.

Alana

#1
Ich möchte noch anfügen, dass ich ein großes Problem darin sehe, dass Shitstorms zu Büchern Verlage dazu verleiten könnten, marginalisierte Themen gar nicht mehr zu verlegen. Hätte es um eines der Bücher nicht so einen Shitstorm gegeben (dabei möchte ich absolut keine Aussage über die Validität der Kritik am Buch machen, sondern es geht mir rein um den Veröffentlichungsaspekt), gäbe es mittlerweile vielleicht viel mehr Bücher mit transgender Hauptfiguren und damit eben gerade mehr Chancen für Own Voice Autoren. Das besagte Buch war exrem erfolgreich und hätte hier als Marktöffner fungieren können.

Ich sehe ein Problem darin, dass es häufig keinen Raum für Fehler zu geben scheint, und für alle Beteiligten keinen oder nur sehr wenig safe space, um über diese wirklich wichtigen Dinge zu diskutieren. Jedenfalls ist das mein Gefühl bei den Diskussionen, die ich verfolge. Und dabei will ich niemanden kritisieren, denn ich kann jeden Betroffenen verstehen, der es nicht als seine Aufgabe sieht, Außenstehende weiterzubilden und dabei noch gute Miene zu machen. Deswegen bin ich gerade auch unsicher, wie wir das lösen könnten. Vielleicht muss es eine Zeitspanne wie diese geben, eben damit Verlage darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie solche Themen bzw. Bücher, die Probleme marginalisierter Menschen thematisieren, besser von Own Voice Autoren einkaufen und dass es natürlich besser ist, wenn ein Own Voice Autor mit seinem Werk den Markt öffnet.

Alhambrana

Mondfräulein

Was du ansprichst ist glaube ich auch wieder Teil einer komplexeren Debatte. Auf der einen Seite ist es natürlich überhaupt nicht, was irgendwer erreichen will, wenn Verlage aufgrund so eines Shitstorms keine ähnlichen Bücher mehr verlegen. Auf der anderen Seite müssen gerade Angehöriger der repräsentierten Gruppen ihre Kritik äußern können. Die beiden Bücher mit trans Hauptfiguren wurden ja auch nicht wegen Kleinigkeiten zerrissen sondern wegen Dingen, von denen viele schon lange sagen, dass sie so etwas nicht lesen möchten. Das nicht zu kritisieren könnte auch dazu führen, dass weiter Bücher veröffentlicht werden, die dieselben Fehler wiederholen. Im Gay Romance Genre sehe ich, wozu das führen kann, denn hier werden haufenweise Bücher von nicht-Betroffenen für nicht-Betroffene geschrieben. Frauen schreiben für Frauen über schwule Männer. Kritik von schwulen Männern an ihren Büchern wollen sie nicht hören. Ich will hier niemanden im Forum ansprechen, der Gay Romance schreibt, es gibt definitiv Ausnahmen. Aber das Problem ist ja auch nicht unbekannt.

Die Lösung liegt finde ich auch darin, dass Verlage mehr darauf achten sollten, solche Bücher von Sensitivity Readern gegenlesen zu lassen. Nicht nur Freunde der Autorin, die zufällig auch betroffen sind, sondern Menschen, die sich mit dem Diskurs in der Szene wirklich auskennen und ihre Meinung kritisch äußern. Darüber hinaus ist das vielleicht auch ein strukturelles Problem in der Branche allgemein. Wenn im Verlag vor allem Menschen arbeiten, die keiner marginalisierten Gruppe angehören, dann fehlt da vielleicht auch das Verständnis und Feingefühl.

Ich sehe total, was du meinst, aber es ist eben alles nicht so einfach.

Araluen

#3
Ich sehe die Verantwortung da eher bei den Verlagen als bei den Autoren. Denn ich fürchte, dass man da als Autor viel machen kann, außer sich bei dem, was man schreibt einzuschränken. Ich weiß nicht, ob dieser Schuss dann nach hinten losgehen würde und wir stattdessen nicht noch weniger Geschichten bekämen oder gar keine mehr. Nicht, weil ich glaube, dass Angehörige von Minderheiten nicht in der Lage wären eine Geschichte zu schreiben, sondern weil ich glaube, dass die Gründe einer Ablehnung nicht nur darin liegen, dass "es sowas schon gibt"(das ist eher die schnelle und bequeme Ausrede fürchte ich), sondern dass Andersartigkeit welcher Art "in diesem Haus nichts zu suchen hat" - bezogen auf die reale Person. Aber das ist nur eine ins Blaue geschossene Vermutung.
Ich stimme dir zu: Wenn ich als weiße Autorin eine Adaption zu Mulan schreibe, dann kann das dafür sorgen, dass ein chinesischer Autor mit einer Mulan Adaption keine Chance mehr hat, weil es sowas ja schon gibt. Das ist nicht gut. Aber der Fehler liegt nicht bei den beiden Autoren, die zufällig zum gleichen Thema eine Geschichte geschrieben haben, sondern bei den Verlagen, die den weißen Autor bevorzugen und den chinesischen ablehnen, statt die Chance zu nutzen, ein Pferd, das einmal gut gelaufen ist, ein zweites Mal ins Rennen zu schicken und es zusätzlich noch mit dem Label Own Voice versehen, was in meinen Augen den Roman durchaus pushen könnte.
Eigentlich ist es doch ein ganz normaler Vorgang, das gut laufende Pferd so oft ins Rennen zu schicken, bis es nicht mehr gewinnt. Sonst gäbe es nicht so viele Twillightklone usw.

Edit: Ich möchte damit nicht sagen, dass wir Autoren die Füße hochlegen und nichts tun sollen. Das Problem muss angesprochen werden, damit die Verlage es auch hören. Ich fürchte einfach nur, dass wir am falschen Ende der Kette hängen, um die Wende einzuleiten.

Alana

#4
Natürlich ist es nicht so einfach, genau das wollte ich eigentlich ausdrücken.

Ich weiß aber, dass für eines der Bücher mehrere Sensitivity Reader engagiert wurden, die nicht mit der Autorin befreundet waren, und dennoch gab es den Shitstorm, damit ist es also für die Verlage auch nicht getan. Mir geht es auch nicht darum, dass man Kritik nicht äußern soll, ganz im Gegenteil, wie soll man sonst dazu lernen? Ich sauge das alles auf und versuche, dazu zu lernen, weil ich möchte, dass meine Bücher für alle Menschen ein schönes Leseerlebnis sind. Mir geht es definitiv um Shitstorms, nicht um berechtigte Kritik. Ich habe auch bisher noch nie erlebt, dass Verlage sich von offener oder auch emotionaler Kritik einschüchtern lassen. Eher im Gegenteil, man möchte dort eigentlich auch immer dazu lernen, denn dort sitzen auch Menschen, die andere Menschen nicht verletzen wollen. Klar gibt es auch andere, aber ich habe Lektoren bisher immer als Menschen erlebt, die einfach schöne Bücher mit tollen und wichtigen Themen für andere Menschen herausgeben wollen. Und genau deswegen können Shitstorms eben leider dazu führen, dass Verlage solche Themen erst mal lieber nicht mehr verlegen.
Alhambrana

Maja

Wenn man darauf wartet, dass Minderheiten nur von entsprechenden Minderheiten geschrieben werden, erhöht man nur ihre Unsichtbarkeit. Und spricht gleichzeitig Autoren, die keiner Minderheit angehören, komplett ihre eigene Empathie ab. Würde ich nur Bücher über mich selbst schreiben, sie wären strunzlangweilig. Auch wenn ich selbst sogar mehreren Minderheiten angehöre - ich möchte nicht darauf reduziert werden, Bücher über nonbinäre Leute mit Schizophrenie zu schreiben, um die Sichtbarkeit für Nonbinäre und Schizophrene Menschen zu erhöhen.

Wir sind Autoren. Wir sind in der Lage, uns in Menshcen hineinzuversetzen. Mit ihnen zu reden, ihre Geschichten und Sichtweiten zu erfahren, und in Bücher einfließen zu lassen. Ich habe vor Jahren in einer Rezension dem Buch "Maze Runner" vorgeworfen, dass dort nach dem Schlumpfinchenprinzip auf vierzig männliche Figuren eine einzige weibliche kommt, und die das Buch auch noch überwiegend im Koma verbringt, und fing mir den Kommentar ein, das wäre doch völlig normal, weil der Autor eben ein Mann ist und man nur über das schreiben soll, was man auch selbst erfahren hat. Sprich, männliche Autoren dürfen nur über Männer schreiben, weibliche nur über Frauen, und nur wir Nichtbinären dürfen überhaupt mit männlichen und weiblichen Figuren arbeiten. Klingt bescheuert? Ist es auch.

Als Angehöriger einer Minderheit freue ich mich, wenn meine Stimme gehört wird. Aber ich freue mich auch, wenn ein nichtmarginalisierter Autor nach Recherche und vor allem Dialog mit Betroffenen jemanden wie mich glaubwürdig in einem Buch unterbringt, weil es meine Sichtbarkeit erhöht. Die Argumentation scheint sich ja in erster Linie auf PoC zu beziehen - nur haben wir als Autoren auf dem deutschen Buchmarkt, insbesondere in der Phantastik, die Situation, dass so ziemlich alle Autor*innen weiß sind. Es sind sicher eine Reihe von ihnen queer, aber ich will wirklich nicht Queerness für mich pachten, ich will Sichtbarkeit in der breiten Masse - und umgekehrt, wenn ich sage, man muss queer sein, um über queere Lebenswelten zu schreiben, ergibt sich daraus, dass man als queerer Autor dann auch nicht über Heteros schreiben darf.

Recherchiert eure Figuren. Sprecht mit Betroffenen. Lasst sie eure Geschichten probelesen, um Feedback zu bekommen, wie gut ihr euch in ihre Situation versetzt habt oder wo ihr nochmal ran müsst. Aber denkt nicht, ihr dürft nur und ausschließlich über das Schreiben, was ihr selbst erfahren habt. Es das Ende unseres Genres, der Fantasy.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Mondfräulein

@Maja Ich denke in der Debatte geht es gar nicht darum, dass man nur noch schreiben darf, was man selbst erlebt hat. Das sagt niemand. Es geht eher darum, sich zu fragen, wann ein Buch anderen die Chance nimmt, veröffentlicht zu werden. Wenn ich wieder Not Your Type als Beispiel nehme: Niemand sagt, dass cis Autoren keine trans Personen schreiben können. Es sagt auch niemand, dass sie keine trans Hauptfiguren schreiben können. Das Problem entsteht dann, wenn die Prämisse meines Buches "Mädchen verliebt sich in Jungen, aber er ist trans" ist und nicht zum Beispiel "Junge muss den bösen Zauberer aufhalten und den letzten Drachen retten" und der Junge ist eben auch trans, aber das ist nicht das Hauptthema des Buches. Es geht also nicht nur darum, dass meine Hauptfigur einer marginalisierten Gruppe angehört, sondern dass die Angehörigkeit der Figur zu dieser Gruppe das Hauptthema und die Prämisse des Buches ist.

Alana

#7
ZitatEs geht also nicht nur darum, dass meine Hauptfigur einer marginalisierten Gruppe angehört, sondern dass die Angehörigkeit der Figur zu dieser Gruppe das Hauptthema und die Prämisse des Buches ist.

Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, der bei vielen nicht betroffenen Autoren nicht richtig ankommt, und ich befürchte, wie Maja indirekt adressiert, dass viele sich einschüchtern lassen und gar nicht mehr repräsentieren, aber das wäre definitiv der falsche Weg. Deswegen finde ich solche Stimmen aus der Community auch super wichtig, die einfach mal Mut machen. Online kann nämlich oft der Eindruck entstehen, dass die jeweilige Community da sehr einer Meinung ist, was meistens gar nicht stimmt.

Ich gehöre auch zu den Menschen, die immer alles richtig machen wollen und ich möchte wirklich niemanden verletzen und ich möchte mir auch nichts aneignen, was mir nicht gehört. Deswegen (ich zitiere mich mal selbst) habe ich für mich entschieden, dass ich versuche, gut und viel zu repräsentieren, jedoch ohne Probleme anzusprechen, von denen ich nichts verstehe, und einfach Geschichten zu schreiben, die auch für queere und marginalisierte Menschen schön zu lesen sind, weil es Repräsentation ohne Problemthematisierungen gibt. Ich hoffe sehr, dass das so auch klappt und jeder meine Bücher lesen kann, ohne verletzt zu werden.

Abgesehen davon wäre es glaube ich auch eine gute Idee, zu überlegen, wie wir Own Voices nicht nur nicht behindern, sondern vielleicht sogar unterstützen könnten, abgesehen davon, die entsprechenden Bücher zu kaufen und zu posten.
Alhambrana

Elona

@Mondfräulein und wie würdest du es bewerten, wenn dieses Buch es geschafft hätte, eben diese Prämisse sehr gut umzusetzen und es damit dazu beigetragen hätte, mehr Verständnis zu schaffen?

Das Problem entsteht erst dann bzw. liegt in meinen Augen darin, wenn genau das nicht passiert und nicht in der Konstellation als solche.

Angela

Lehnen sie nicht eher ab, wenn der Text zu 'fremd' ist für die 'normalen' Lesegewohnheiten, egal aus welcher ursprünglichen Kultur jemand stammt?
Ich rede nicht von äußerem Erscheinugnsbild, eher von kulturellem Umfeld, in dem jemand aufgewachsen ist.
Momentan finde und lese ich in meinen beiden kanadischen Büchereien sehr viel von Menschen, die laut Namen/Aussehen Vorfahren aus einer anderen Gruppe als meiner haben. Arabische/persisches/chinesische Variationen von Fantasy, sozusagen, aber amerikanisiert sind sie schon.
Teilweise merke ich es beim Lesen, teilweise auch nicht. Es gab einige wenige Bücher, die ich abgebrochen habe, weil sie mir zu fremd/zu anstrengend formuliert waren.

Mondfräulein

Zitat von: Elona am 10. Februar 2021, 15:15:48
@Mondfräulein und wie würdest du es bewerten, wenn dieses Buch es geschafft hätte, eben diese Prämisse sehr gut umzusetzen und es damit dazu beigetragen hätte, mehr Verständnis zu schaffen?

Das Problem entsteht erst dann bzw. liegt in meinen Augen darin, wenn genau das nicht passiert und nicht in der Konstellation als solche.

Ich stelle mir die Frage auch schon seit einer Weile. Auf der einen Seite hat Alana schon angesprochen, dass Bücher als Türöffner fungieren können. Es wäre schön, wenn so ein Buch helfen könnte. Auf der anderen Seite kann das eben auch dazu führen, dass ich durch Türen schreite, die Own Voices Autoren dann nach mir verschlossen bleiben, weil der Raum dahinter eben schon voll ist. Gerade deshalb habe ich den Thread auch eröffnet, weil es mir darum ging, die Balance zu finden und darüber nachzudenken, wann ich mehr Schaden anrichte als zu helfen und wann ich einen wertvollen Beitrag leiste.

Das sind auch zwei Themen, von denen ich nicht sicher bin, wie gut man sie voneinander trennen kann. Einerseits die Kritik an diesen zwei Büchern, andererseits die Frage, ob sie nicht anderen auch Chancen wegnehmen könnten. Kann man das gut getrennt voneinander diskutieren? Oder geht es, wie du hier sagst, Hand in Hand?

Alana

#11
Ich habe sehr lange überlegt, ob ich für mein nächstes Buch bei Knaur eine PoC als Hauptfigur nehmen könnte. Ich hätte es sehr gerne gemacht, aber Bauchmscherzen hatte ich dabei, weil Diskiminierungserfahrungen durch die Anlage der Geschichte zwanghaft eine Rolle hätten spielen müssen und ich gerade das auch gern offen verarbeitet hätte. Ich habe darüber viel mit mehreren WoC gesprochen und mir haben folgende Fragen an mich selbst sehr geholfen:

- Warum will ich das so erzählen?
- Bin ich der richtige Mensch, um diese Geschichte genau jetzt zu erzählen?

Ich habe mich letztlich dagegen entschieden, eine PoC als Hauptfigur für diese Geschichte zu wählen, weil es sich für mich wie Aneignung angefühlt hätte und weil ich definitiv nicht die richtige Person bin, um eine Geschichte zu erzählen, in der Diskriminierung einer Minderheit, zu der ich nicht gehöre, eine große Rolle gespielt hätte. Ob ich es handwerklich könnte, spielt dabei überhaupt keine Rolle.

ZitatAuf der anderen Seite kann das eben auch dazu führen, dass ich durch Türen schreite, die Own Voices Autoren dann nach mir verschlossen bleiben, weil der Raum dahinter eben schon voll ist. Gerade deshalb habe ich den Thread auch eröffnet, weil es mir darum ging, die Balance zu finden und darüber nachzudenken, wann ich mehr Schaden anrichte als zu helfen und wann ich einen wertvollen Beitrag leiste.

Mir stellt sich auch die Frage, ob ich mich gut damit fühlen würde, so ein Türöffner zu sein und dafür vielleicht gefeiert zu werden, ohne zu der betreffenden Community zu gehören. Damit will ich nicht sagen, dass die entsprechenden Autoren diese Hintergedanken hatten, im Gegenteil glaube ich das tatsächlich nicht, aber ich würde mich in so einer Situation extrem unwohl fühlen.

Wenn ich mir die Frage stelle, wie ich einen wertvollen Beitrag leisten kann - das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Ich persönlich weiß, dass der Wunsch nach Geschichten mit Figuren aus Minderheiten immer lauter wird, in denen es eben gerade nicht um Probleme mit Coming Out etc. geht. Eben weil viele es müde sind, über Probleme definiert zu werden, die nur einen Teil ihrer Identität betreffen, und beim Lesen immer wieder darüber zu stolpern. Deswegen denke ich, jeder von uns, der nicht zu einer Minderheit gehört, kann auf jeden Fall einen wertvollen Beitrag leisten, indem er genau solche Geschichten schreibt und dabei natürlich immer um gute und richtige Repräsentation bemüht ist.

Alhambrana

Elona

Meine persönliche Meinung dazu: Wenn es ein/e Autor*in wirklich schafft mehr Sichtbarkeit und Verständnis für eine Gruppe zu schaffen, dann ist es das alle Male wert. Die/der Betroffene könnte erst in vierzig Jahren kommen (wenn überhaupt) und in der Zeit zwischen drinnen haben Personen davon profitiert. Natürlich könnte derjenige die Idee auch zeitgleich haben. Aber auch da sehe ich das nicht als Chance "wegnehmen" an. Im Gegenteil. In meinen Augen ist das ein Türöffner, den das andere Buch eventuell nicht geschafft hätte (das ist ja auch immer von vielen Faktoren abhängig). Und sobald das Interesse erst einmal geweckt ist, wollen die Leser*innen doch in der Regel mehr.

Gut umgesetzte Bücher sind da in meinen Augen immer eine Bereicherung.

Edit: Mit Alana überschnitten.

Alana

#13
ZitatDie/der Betroffene könnte erst in vierzig Jahren kommen (wenn überhaupt) und in der Zeit zwischen drinnen haben Personen davon profitiert.

@Elona Aber da stelle ich mir die Frage, wenn du wirklich helfen willst, warum dann ein Buch schreiben?

Wäre es nicht deutlich mehr Hilfestellung, sich darum zu bemühen, dass ein entsprechendes Buch eines Own Voice Autors verlegt wird? Das ist auch einer der Punkte, die mir bei meiner Entscheidung geholfen haben. Dass sonst niemand dieses Buch schreibt, empfinde ich mittlerweile eher als Ausrede. (Und das meine ich nicht als Angriff auf dich.) Wenn es einem wirklich um das Thema und um die Sensibilisierung dafür geht, wäre es besser, Own Voice Autoren zu fördern, statt ihnen ihre Themen wegzunehmen.
Alhambrana

Maja

Own Voices sind im Moment ein so wichtiges Schlagwort auf dem Buchmarkt, dass ich nicht denke, dass ausgerechnet jetzt dann Own Voice-Autoren diese Türen versperrt werden, aber man andere Autoren dann über genau diese Themen schreiben lässt. So wie ich das wahrnehme, geht der Trend ganz klar in Richtung Own Voices, das ist etwas, das wir vor zwei, drei Jahren in dieser Form überhaupt noch nicht hatten. Wenn, dann sind die Chancen jetzt besser als deswegen.

Ich habe im vergangenen Jahr mit der Agentin über zukünftige Projekte gesprochen, und dazu gehörte auch eine Idee für einen Neuaufguss einer sehr alten unfertigen Geschichte von mir, Klagende Flamme, was in einer geographisch an afrikanische Steppen erinnenden Fantasywelt spielt, in der die Menschen dunkelhäutig sind - also nicht echtes Afrika, auch nicht fiktives Afrika à la Wakanda, sondern ein komplett eigenes System, aber in einer entsprechnden Klimazone angesiedelt. Die Agentin war sehr angetan von der Idee, weil das Setting neu und unverbraucht ist - ich habe aber gebeten, falls wir da wirklich etwas draus machen, auf keinen Fall Jemisin oder andere Own Voice-Autoren als Vergleichstitel ranzuziehen, weil ich wirklich nicht mit denen konkurrieren will.

Agentin meinte, sie würde das für die an Verlage gerichteten Infomaterialien vermutlich trotzdem tun, weil sie sonst nichts mit ähnlichem Setting kennt und die Vergleichstitel eben wichtig sind, aber es wäre etwas anderes ist, wenn die Verlage selbst das als Marketing für Leser verwenden würden. Ich habe da mehr Bauchschmerzen, vermute ich, aber es sind ungelegte Eier, ich müsste das Buch überhaupt erst schreiben, und das kann bei mir diverse Jahre dauern - bis dahin haben wir vielleicht längst eigene Titel zum Vergleichen.

Sicher sind die Own Voice Autor*innen Wegbereiter, die helfen, dass solche Themen auch in der Masse angekommen - aber dass man am Ende die Own Voices selbst nicht mehr zu Wort kommen lässt, das sehe ich nicht. Ich verstehe auch meine Agentin, wenn sie die Lage auf dem deutschen Buchmarkt im Auge hat und ich da mit anderen deutschsprachigen Autoren um die Verlagsplätz konkurriere, nicht mit Auslandslizenzen, und wir in Deutschland bislang keine Own Voices für ein vergleichbares Setting haben. Aber wenn, dann würde eher ich den kürzeren ziehen, weil Own Voice wirklich so ein starkes Verkaufsargument ist.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt