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Urheberrecht läuft aus: Verlage stürzen sich auf Krieg der Welten

Begonnen von Kaeptn, 30. November 2016, 13:59:15

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Kaeptn

Vor kurzem kündete der Mantikore Verlag eine Neuauflage von H.G. Wells Klassiker "Krieg der Welten" an. Hintergrund: Wells starb 1946, das Urheberrecht auf seine Werke läuft also ab.

Im Falle von Mantikore finde ich den Schritt nachvollziehbar, Neuauflagen von Klassikern sind ein Teil ihres Kerngeschäfts (u.a. Starship Troopers, Soylent Green, Der ewige Krieg, da leben die Autoren aber überwiegend noch und sind jedenfalls nicht 70 Jahre tot, also normales Lizenzgeschäft). Aber als ich dann mal schaute, ob es "Krieg der Welten" nicht noch gibt, fand ich heraus, dass Mantikore nicht die einzigen sind, die das Urheberrecht-Ende ausnutzen.

S.Fischer bringt das Buch am 26.1. http://www.fischerverlage.de/buch/der_krieg_der_welten/9783104036700
DTV am 13.1. als Buch, eBook und als Hörbuch
Und die Ausgabe von Diogenes ist auch noch lieferbar
(beides siehe Amazon)

Das ist doch total absurd. Statt deutschen Autoren eine Chance zu geben, veröffentlichen drei Verlage einen Klassiker neu (noch dazu jeder in eigener Übersetzung), den man (sofern man des Englischen mächtig ist) ab 1.1. sowieso überall kostenlos runterladen kann und den es sowieso noch zu kaufen gab. Wenn wenigstens eine Verfilmung anstünde oder es ein Jubiläum gäbe (Buch erschien 1898), aber ich sehe nicht, wo da nun auf einmal tausende von Interessenten herkommen sollen.

Ist das ein Einzelfall? Stehen bald weitere 70. Todestage berühmter Autoren an? Rege ich mich unnötig auf?

Evanesca Feuerblut

Warte es nur ab, bald gibt es auch eine Ausgabe von Anakonda mit hübschem Hardcover oder in Leinen gebunden ;-).

Nein, genau wegen des "Deutsche Autoren haben so große Schwierigkeiten, überhaupt irgendwo unter Vertrag zu kommen, aber es werden laufend Lizenztitel eingekauft" habe ich mich erst gestern aufgeregt.
Das, was du beschreibst, ist dann... nun, gerade bei Autoren mit ausgelaufenem Urheberrecht bleiben den Verlagen ja im Prinzip "nur" die Kosten für die Übersetzung und die Produktion des physischen Buches. Es ist ein sicheres Geschäft und es wird auch immer Leute geben, die es kaufen.
Ich würde es ja nicht kritisch sehen, wenn es die üblichen Verdächtigen täten, die ausschließlich von urheberrechtsfreien Titeln in schöner Aufmachung leben (eben Reclam, Anaconda und ähnliche Verlage) und eben der von dir erwähnte Verlag
ZitatIm Falle von Mantikore finde ich den Schritt nachvollziehbar, Neuauflagen von Klassikern sind ein Teil ihres Kerngeschäfts
, wegen des von mir fett Markierten, aber bei Verlagen wie S. Fischer und Co. habe ich auch ein wenig Bauchweh...

Und bedanke mich für den Tipp, dass ich mir das Buch ab 2017 kostenlos herunterladen kann. Hoffentlich ist Amazon auch wirklich so schnell und stellt ein kostenloses eBook bereit, ich wollte es ewig schon lesen :D.

Kaeptn

Was das "nur die Kosten der Übersetzung" angeht - (Cover auch noch) - würde ich dir ja recht geben, wenn EINER es machen würde. Aber wenn es schon eine Ausgabe gibt und dann gleich 3 Verlage auf den Zug aufspringen, bezweifle ich, dass da noch der große Reibach bei rumkommt.

@Mantikore:
Der ganze Verlag ist dadurch entstanden, dass der Gründer, der bei eBay mit allen RPGs handelte, Joe Dever (Einsamer Wolf-Spielbuch Reihe) kennenlernte und auf die Idee kam, die Reihe in Deutschand neu aufzulegen. Von daher liegt die Idee ja nahe, dann auch Romanklassiker neuaufzulegen, die hierzulande vergriffen sind.

Aphelion

Um deine Fragen zu beantworten:

Nein, das ist kein Einzelfall.
Jedes Jahr läuft das Urheberrecht an irgendwas aus.
Ja, du regst dich unnötig auf.

Bei dem Titel hatte ich erwartet, dass du wirklich eine ungewöhnliche Flut von Neuauflagen entdeckt hast – aber das, was du beschreibst, ist wirklich vollkommen normal.

Der Witz daran ist, dass Texte, die nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind, nicht zwingend öfter gelesen werden. Du findest im Internet massenweise Bildungsangebote und regelrechte Kulturschätze, welche von den meisten schlicht nicht genutzt werden. Abgesehen von ein paar Hordern und Interessierten, die das Buch ohnehin lesen wollten, lockt das kaum jemanden hinter dem Ofen hervor.

Eine Ausnahme sind besonders gut aufbereitete Ausgaben, die sich tatsächlich besser verkaufen, sich den Mehrwert allerdings auch etwas kosten lassen. vorleser.net produziert sogar Hörbücher mit professionellen Sprechern zu Erzählungen, Märchen, Kurzgeschichten und kompletten Romanen und stellt diese kostenfrei zur Verfügung. Rennen die Leute den Seitenbetreibern die Bude ein? Nein. Obwohl das Angebot legal, kostenfrei und qualitativ weitestgehend sehr hochwertig ist.

Kurz: Das ist nicht nur normal, sondern auch gar nicht sooo gewinnbringend, wie du dir das vorstellst. Müssten Verlage für solch alte Texte auch noch Autoren bezahlen, würden die Geschichten im Lauf der Zeit vermutlich verlorengehen. Vielleicht abgesehen von +/- 10 Topsellern.

Schwarze Schafe sind schwarze Schafe, aber auslaufende Urheberrechtsfristen haben damit relativ wenig zu tun.

Kaeptn

Ich stelle es mir ja eben NICHT gewinnbringend vor, gerade deshalb verstehe ich es ja nicht, warum die Verlage da Ressourcen verschwenden und andererseits immer behaupten, deutsche Autoren zu fördern wäre zu teuer.

Mich würde ein konkretes Beispiel für ein anderes bekanntes Werk interessieren, das nach Ablauf des Urheberrechts gleich mehrfach neu aufgelegt wurde, mir ist das so noch nie aufgefallen.

Aphelion

Es rechnet sich unterm Strich – und mehr muss es eben nicht.

Die Frage ist eher umgekehrt: Von welchem Klassiker, dessen Urheberrecht ausgelaufen ist, gibt es denn nur eine einzige Ausgabe bei einem einzigen Verlag? Das dürfte die Suche nach der Nadel im Heuhaufen werden.

Ich suche aus Prinzip keine Zahlen mehr für andere heraus, wenn sie diese auch einfach selbst recherchieren können, sorry.

Steffi

Zitat von: Kaeptn am 01. Dezember 2016, 07:46:47

Mich würde ein konkretes Beispiel für ein anderes bekanntes Werk interessieren, das nach Ablauf des Urheberrechts gleich mehrfach neu aufgelegt wurde, mir ist das so noch nie aufgefallen.
Wirklich nicht? Man muss sich doch nur die Literatur des 19. Jahrhunderts ansehen: Tom Sawyer, Huckleberry Finn, Bram Stokers Dracula, alle Jane Austen und Bronte-Romane, um nur einige zu nennen. Von denen gibt es unzählige Ausgaben, sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch.
Sic parvis magna

Tigermöhre

Vor Kurzem ist eine Neuübersetzung vom kleinen Prinzen veröffentlicht worden.
Meine Schwiegereltern hatten nicht darauf geachtet (woher sollten sie das auch wissen?), und jetzt fliegt das hier herum.
Furchtbar, muss ich sagen. Die ganze Poesie, die geflügelten Worte, die in unserer Sprache Eingang gefunden hatten, alles futsch. Aber es ist ja jetzt nur der Originaltext gemeinfrei. Darum darf man bei einer Neuauflage nicht zu nah an der ersten Übersetzung bleiben. Aber man will ja an dem Klassiker mitverdienen ...

Zit

Ja, der kleine Prinz war in diesem Jahr dran gewesen, und da haben sich auch alle drauf gestürzt. Bei den Übersetzungen scheiden sich ja auch die Geister, welche jetzt diejenige ist, die näher am Original ist.

Ich denke nicht, dass die Verlage solche Sachen in Auftrag geben, um den großen Reibach zu machen sondern um ihre Leser bei sich zu halten bzw. einfach ihr Portfolio günstig auszubauen. S. Fischer hat ja auch viele andere Klassiker, da bleiben die Leute dann einfach bei der Reihe anstatt sich irgendwo das 0EUR-E-Book zu kaufen.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Kati

Zumindest bei Fischer erscheint der Roman in der hauseigenen Klassikerreihe und DTV ist auch dafür bekannt, viele neu übersetzte Klassiker im Programm zu haben. Ich denke also nicht, dass hier ein Verlagsplatz für einen deutschen Debutautoren verloren geht, da es den zumindest im Falle von Fischer nie gab - wie gesagt erscheint der Roman innerhalb der Klassikerreihe, die ständig erweitert wird und die mit den Verlagsplätzen für neue Literatur ja nicht so viel zu tun hat. Ich denke, auch DTV setzt schon länger eher auf Neuauflagen von Klassikern und Diogenes ja ganz eindeutig auch, was ich auch in Ordnung finde. Die Verlage, die du aufführst, sind also eigentlich genau die Verlage, die sowieso viele Klassiker im Programm führen und nun eben eine Neuübersetzung eines weiteren Klassikers ins Programm aufnehmen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches.

Maja

Als Anfang des 20. Jahrhundert in England das Urheberrecht für "Alice im Wunderland" auslief (damals noch nicht auf 70 Jahre ab Exitus festgelegt, Carroll war erst 1898 gestorben), haben sich alle Verlage auf Neuauflagen gestürzt. Das Ergebnis? Die wunderbarsten neuen Illustrationen, die man sich nur vorstellen kann. Ohne diese Flut an neuen Büchern hätte sich das Buch nie als Klassiker durchsetzen können, und wir hätten bis heute nur die (von mir nicht sonderlich geliebten) Tenniel-Illustrationen.

Jede Neuausgabe eines Klassikers ist eine Chance auf ein schön gemachtes Buch, auf tolle Illustrationen (gerade "Krieg der Welten" bietet da viel Potenzial) und auf interessante neue Übersetzungen. Und keines dieser Bücher nimmt uns die Butter vom Brot, weil wir nicht mit den Klassikern konkurrieren. Wir sollten uns freuen über das, was auf uns zukommt: Schöne Ausgaben von einem Titel, der es wirklich verdient hat.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

FeeamPC

Es gibt einige Bücher, die lange schon nicht mehr auf dem Markt sind, deren Urheberrecht aber noch etliche Jahre oder sogar Jahrzehnte läuft, und bei denen ich es total traurig finde, dass man sie nicht einfach neu verlegen kann. Zumal bei vielen dieser Bücher der Rechteinhaber nicht mehr ausfindig gemacht werden kann (ich habe es bei einigen Büchern versucht), und die Texte damit nutzlos auf Halde liegen und für viele Leser einfach nicht mehr zugänglich sind. Da ja auch die öffentlichen Bibliotheken solche alten Schätze selten in ihren Beständen bewahren, weil sie Platz für neue Bücher brauchen.

treogen

Zitat von: Kaeptn am 30. November 2016, 13:59:15
Das ist doch total absurd. Statt deutschen Autoren eine Chance zu geben, veröffentlichen drei Verlage einen Klassiker neu (noch dazu jeder in eigener Übersetzung), den man (sofern man des Englischen mächtig ist) ab 1.1. sowieso überall kostenlos runterladen kann und den es sowieso noch zu kaufen gab. Wenn wenigstens eine Verfilmung anstünde oder es ein Jubiläum gäbe (Buch erschien 1898), aber ich sehe nicht, wo da nun auf einmal tausende von Interessenten herkommen sollen.

Ist es eigentlich nicht.
Klassikerausgaben sind auch für Kleinverlage eine Chance, in den Buchhandel zu kommen. Denn wenn Buchhändler ihre Klassiker-Regale füllen, schauen sie in erster Linie nach Autor, Titel und Verfügbarkeit bei den Barsortimentern.
In einer Zeit, in der immer noch 60% und mehr über den stationären Buchhandel laufen, ist das ein Argument, das zieht.
Gleiches passiert mit Amazon. Klassiker werden auch heut noch gekauft, auch wenn das Urheberrecht abgelaufen ist. Denn mal ganz ehrlich ... die Masse hat nicht die geringste Ahnung von Urheberrecht. Genausowenig, wie sie sich Gedanken darüber machen, ob etwas kostenfrei verfügbar sein könnte.
Und ja - man kann es mittlerweile kostenlos als EBook bekommen und im Falle der abgelaufenen Urheberrechte sogar ganz legal.
Nur ... wen schert das?
Das Ebook ist heute - im Jahre 6 des Kindle, im Jahre 18 des physikalischen Ebookreader, im Jahre 31 des Ebooks an sich - bei lächerlichen 5% des Gesamtbuchhandelsumsatzes und hat auch nicht zu den megagroßen Einbrüchen bei den Lesewilligen geführt.

Im Vergleich dazu ist das Lektorat mit einem deutschen Debüt-Autoren, der vielleicht sogar auch noch recht streitwillig ist (was ein Toter ja nun nicht mehr ist) und der auch noch umfangreich beworben werden muss und am Ende doch nicht bei Amazon gefunden und im Buchhandel aufgestellt wird, relativ aufwendig und teuer.
www.verlag-torsten-low.de

Phantastik vom Feinsten

Maria

@Fee: Das kenne ich. Ich habe mir im Internet die Finger wund gesucht nach der Urheberin einer uralten märchenhaften Geschichte, die ich in einem Buch fand, das meiner Mutter gehörte.
Wie ich herausfand, war diese wunderbare Geschichte nach Grundlage eines (norwegischen? - so genau weiß ich es nicht mehr) Theaterstücks entstanden. Die Autorin dessen wird in ein paar Jahren erst so lange verstorben sein, dass die Geschichte frei wird.
Ich habe nicht herausfinden können, wie man ihre Erben um Erlaubnis fragt, die Geschichte neu zu erzählen. Da ich das Theaterstück ja nicht kenne, wäre es wirklich eine sehr freie Nacherzählung.

FeeamPC

Was dem Irrwitz die Krone aufsetzt, ist die Datenbank von Gutenberg.de.
Genauso wie die amerikanische Datenbank Gutenberg.org sammelt Gutenberg.de gemeinfreie Texte oder Texte, die von den Autoren ausdrücklich in die public domain gegeben wurden. Nur eben weitgehend auf deutsch.
Aber -
und das ist ein ganz dickes, fettes aber:
Im Gegensatz zu Gutenberg.org darf man über die Texte von Gutenberg.de nicht frei verfügen, weil die "Macher" sagen, dass ihre Datenbank eine schützwürdige Schöpfung ist, ihrerseits somit dem Urheberrecht unterliegt und die Bücher dort eben nicht mehr frei genutzt werden können (außer, am lädt sie rein privat herunter).
Schließlich wären die Texte ja auch bearbeitet, da nach dem Scannen Korrekturgelesen.
Auf der Webseite steht das etwas freundlicher, aber bei Anfragen sagen die das schon deutlich, damit sie Geld bekommen. Und  sagen wir mal so, ich würde mich ungerne mit dem Spiegel-Konzern anlegen.
Nach unseren Gesetzen sind die sogar im Recht.
Nur, dass die Korrekturleser überwiegend wohl ehrenamtliche Helfer sind, die meinen, auf diese Weise dem Volk gratis Literatur zur Verfügung stellen zu können.

Also darf ich dort (wenn ich möchte) gratis helfen, die Datenbank aufzubauen, aber die Texte nicht gratis nutzen, wenn ich sie selbst verlegen will. Somit muss ich, als deutscher Verlag, wenn ich deutsche, gemeinfreie Texte verlegen will, auf eine amerikanische Datenbank zurückgreifen oder mir andere Quellen suchen.
Irgendwie paradox.