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Akzeptierte Standards für Fantasywelten

Begonnen von Maubel, 19. April 2016, 09:09:42

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Maubel

Ich schleppe mich seit einiger Zeit mit einer interessanten Fragestellung herum und der Diversitätsthread hat mich nun noch mal dazu angeregt, diese zu diskutieren. Und zwar geht es darum, welche Kulturkreise als Standards für Fantasywelten akzeptiert werden und in welchem Maße.

Dazu eine kleine Einleitung:
Ich habe letztes Jahr den ersten Lotus-Krieg von Jay Kristoff gelesen, japanischer Steampunk, und von dem Buch völlig abgesehen, haben mich die Rezensionen stark verwundert. Das Buch wird nämlich geradezu verrissen, weil es offensichtlich an die japanische Gesellschaft angelehnt ist, aber diese nicht 100% perfekt wiedergibt. Titel werden falsch benutzt, Wortsilben erst recht und generelle Strukturen anscheinend auch.
Nun mag das alles richtig sein, aber der Lotus-Krieg spielt in seiner eigenen Welt. Es ist nicht Japan. Stark angelehnt ja, aber nicht Japan. Woher kommt also dieser Anspruch, dass es dennoch 100% wie Japan zu sein hat? Warum darf der Autor nicht die Inspiration so abwandeln, wie sie ihm gefällt und daraus seine eigene Welt schaffen? Und die größte aller Fragen, warum wird derselbe Standard nicht auf die abertausenden europäisch inspirierten Welten angewandt, die auch munter ihre Lords durcheinander schmeißen etc.? (Und ja, der Mann hätte gewisse Sachen besser umsetzen können)

Viele Welten ähneln dem europäischen Mittelalter oder anderen wohl anerkannten Epochen. Dabei werden jedoch munter Aspekte aus allen Epochen zusammen gemischt, z.B. wenn Frauen emanzipiert sind, was sie in der Vergangenheit ja nicht waren. Egal wie anachronistisch das Werk ist verglichen mit den Geschichtsbüchern, niemand macht daraus einen Aufstand und das ist auch richtig so. Aber sollte das nicht für alle Welten gelten, egal von welchem Kulturkreis sie abgekupfert werden? Und damit meine ich nicht einzelne Länder in diesen Welten, da gibts gut und gerne Japaner, Araber, Ureinwohner.

1. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Akzeptanz von nicht-europäischem Weltenbau gemacht?
2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?
3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?
Schlussendlich, eine Frage als Leser: 4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?

Nycra

Ich glaube, Lesern kann man es nur bedingt recht machen. Für meine Höllenjobs habe ich bewusst kirchliche Themen so verdreht und abgewandelt, dass selbst der Blinde sehen musste, dass das weder ernstgemeint noch bibelgetreu wiedergegeben war. Trotzdem kamen ständig Beschwerden darüber, ich hätte nicht gut genug recherchiert. Fakt war jedoch, dass ich sogar sehr intensiv recherchiert, die entsprechenden Passagen der Bibel gelesen und stellenweise mit bibelfesten bzw. gläubigen Personen darüber gesprochen habe. Wer ein Haar in der Suppe sucht, findet eines.

Als Autor denke ich, sollte man das Recht haben, seine Welt den eigenen Anschauungen anzupassen. Wenn Jay Kristoff vorgehabt hätte, einen historischen Roman mit Bezug zu unserer Welt zu schreiben, der alle Eventualitäten berücksichtigt, hätte er das getan. Als Autor muss man über solchen Dingen stehen, das habe ich im Laufe der Zeit gelernt.

Tigermöhre

Ich kann mir vorstellen, dass es daran liegt, das die Leute, die japanische Fantasy lesen wollen ein großes Interesse an der japanischen Gesellschaft haben. Dadurch haben sie auch mehr Ahnung von der Gesellschaft, und merken die "Fehler" stärker. Bei europäischer Fantasy sind wir einfach so daran gewöhnt, dass die historischen Begriffe und Begebenheiten sehr frei interpretiert sind. Und viele schnappen halt nur das auf, was in den Romanen steht, und merken die "Fehler" dadurch nicht.

Ich selber störe mich nicht daran, wenn die Anlehnung relativ frei ist, wobei es mich etwas nervt, wenn die Titel "falsch" sind. Ich bin halt daran gewöhnt, dass ein König höher ist, als ein Herzog. Wenn es andersrum wäre, würde ich einfach darüber stolpern.
Zu der Frage, wie groß die Anlehnung sein darf, wenn ich die Vorlage deutlich rauslese, nervt es mich deutlich mehr, als wenn es sehr frei interpretiert ist. Ich las z.B. letzten den 1. Teil der Sturmwelten von Hardebusch, und ich muss sagen, es störte mich, dass ich durch die Namen und die Gesellschaftsstruktur die verscheidenen Länder und Kulturen so deutlich rauslesen konnte. Das reißt mich noch viel mehr raus, als ein zu freie Interpretation.

Mondfräulein

Schwieriges Thema. Ich glaube, eine an Japan angelehnte Welt in der die Titel und Anreden durcheinander geworfen werden, würde mich auch stören, wenn es mir denn auffallen würde, sofern es keinen guten Grund gibt, das zu ändern. Das ist vergleichbar mit Herzogen und Königen - warum sollte ich auf einmal den Herzog über den König stellen? Wenn ich allerdings eine Backstory erfinde, in der die Herzoge vor hundert Jahren eine Revolution vom Zaun gebrochen und sich über die Könige gestellt haben, macht es wieder Sinn und wird sogar spannend. Der Unterschied ist glaube ich, ob ich einfach etwas ändere, weil ich entweder zu faul bin zu recherchieren ("Ist ja meine eigene Welt, da ist das halt anders."), weil ich anders und fancy sein will ("In meiner Welt stehen Bauern über Königen, aber ich denke nicht darüber nach, was das für Gründe oder Auswirkungen haben könnte.") oder weil ich mir wirklich etwas dabei gedacht habe ("Meine Frauen sind emanzipiert, das hat die und die Auswirkungen auf die Gesellschaft, die und die Konsequenzen und die und die Folgen für den Plot.").

Insofern verzeihe ich auf der einen Seite wirklich viel, weil ich auch mit Anachronismen gut leben kann, wenn sie Sinn machen, zum Beispiel, weil der Autor lieber die Atmosphäre einer Epoche einfangen will als dass er alles korrekt wieder gibt. Mich überzeugen erstmal alle Veränderungen, solange sie Sinn machen und gut durchdacht sind. Auf der anderen Seite verzeihe ich wirklich wenig. Mir stehen auch bei vielen Fantasy-Welten die Haare zu Berge, weil ich das Gefühl habe, viele Autoren sind einfach zu faul, zu recherchieren, basteln deshalb ihre eigene Welt und denken, das ist dann einfacher. Gerade die Obsession mit dem Mittelalter verstehe ich nicht, sie stört mich richtiggehend, weil das Mittelalter in den meisten Fällen nur auf Mythen und Halbwissen basiert, weil da jemand zu faul war, fünf Minuten zu recherchieren. Das fängt schon an, wenn der Held ein Gericht mit Kartoffeln gibt (gab es im Mittelalter nicht). Schlimm wird es, wenn Autoren den Fehler machen, das alles mit Kolonialismus zu mischen - natürlich passiert das leicht, weil der Kolonialismus zwischen uns und dem Mittelalter lag, aber es ist auch einfach wirklich falsch.

Ich finde, besonders, wenn es um Kulturen geht, die nicht unsere eigene sind, hat es etwas mit Respekt und Respektlosigkeit zu tun, sich nicht einfach auf irgendwelche Mythen, Klischees und Vorurteile zu verlassen sondern die Kulturen wirklich gründlich zu recherchieren. Wenn ich dann weiß, wie es im alten Japan wirklich ausgesehen hat, kann ich natürlich auch beliebig viele Dinge verändern, weil ich es dann bewusst tue und nicht aus Faulheit, weil ich mir denken kann, welche Auswirkungen und Bedeutungen das gehabt haben könnte. Aber von der "Das ist meine Fantasy-Welt, ich kann mchen, was ich will, ich muss nicht recherchieren"-Mentalität bin ich absolut kein Fan. Auch in einer Fantasy-Welt macht einfach nicht alles Sinn und bestimmte Strukturen funktionieren aus guten Gründen nicht.

Fianna

Ich bin da etwas zwie gespalten: wenn man bewusst eine Kultur als Leitkultur nimmt oder bestimmte Ereignisse, dann soll man da auch bewusst mit umgehen. Also entweder recherchiert haben oder wie Nycra schrieb, Sachen absichtlich verdrehen.
Sachen wild überall her zusammen klauen, sowas mag ich nicht - es sei denn, man trennt das sehr räumlich (so dass man praktisch viele Leitkulturen hat).
Aber wenn man sich eh nicht drum schert, soll man doch bitte kein historisches Setting wählen oder sich zumindest nicht wundern, wenn die Leute dann rum moppern.

Fantasy mit deutschen Adelstiteln fällt mir gar nicht als Beispiel ein, also mit starken Unterscheidungen und falsch verwendeten Zwischenstufen  :hmmm:

Ich selbst mache es so, dass ich mir zwar bestimmte Prinzipien abgucke (beispielsweise in der Architektur: ein stringenter Aufbau, in den immer weniger Leute vordringen dürfen, weol es immer "privater" wird), diese lassen sich aber auf keine Kultur zurück führen vom Leser (in meinem Beispiel das pharaonische Ägypten).

Es ist zwar alles schonmal dagewesen und erfunden worden in Hunderttausenden von Jahren Menschheitsgeschichte, deswegen ist das in meinen Augen kein Grund, einfach eine Kultur abzukupfern, wenn man nicht explizit historische Phantastik schreiben will.
Und wenn man historische Hintergründe nachlässig verwendet, darf man sich nicht über Kritik wundern.

Schneerabe

Zur ersten Frage fällt mir jetzt leider nicht so viel ein, aber dafür zu den restlichen drei Fragen.

2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?

Ich denke schon, dass man für 'exotischere' Vorlagen für seine Welt mehr recherchieren muss, vor allem, weil man zum Standard der ja eine mittelalterlich angehauchte Welt wäre, einfach mehr laienhaftes Hintergrundwissen hat, da es einen selbst in Film und Buch mehr umgibt als anderes. Man hat schon ein gewisses 'Bild' davon, anders als wenn man sich zum Beispiel sagt, man will einen die Kultur eines Landes von den Mongolen inspirieren lassen - was weiß man denn schon von den Mongolen? Pferde, irgendwo weiter im Osten...
Also ich denke weniger, dass es Recherche für den Leser wäre, sondern für den Autor um mit seiner Welt vertraut zu werden, alles zu verstehen und vielleicht um den Leser schließlich mit nutzlosen Details der Kultur zu erfreuen die das ganze ein wenig Lebendiger machen. Davonabgesehen bekommt man bei so einer Recherche ja auch unheimlich viel Input der zu allem möglichen von Plot bis Charakter inspirieren kann.

3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?
Mhm das ist eine interessante Frage, ich denke man kann viele Kulturen ohnehin nicht 1zu1 in Fantasy übernehmen - da es in vielen Phantastischen Welten Magie gibt, die vieles einfach verändert. Wenn man es trotzdem tut, wenn man eine Kultur nur abschreibt, wäre das für mich nichts eigenes, aber ich hätte auch nichts dagegen. Ich denke da an die Percy Jackson Reihe (Ok es ist keine Fantasy mit einer eigenen Welt aber) dort wurden die griechischen Götter und Sagengestalten ja auch nur übernommen und in die Handlung eingewebt - das gute daran war das ich verdammt viel über die griechische Götterwelt gelernt habe in diesen Fünf Büchern, einfach weil das stöbern in dem Glossar hinten auch so viel Spaß machte. Also selbst wenn ein Autor eine Kultur oder ähnliches nur übernimmt, kann der Leser dafür viel daraus mitnehmen.  :)
Aber zurück zu deiner Frage, ich finde es schwierig, dass festzumachen... Manch einer lehnt sich vielleicht nur grob an einigen realen Dingen an und ein anderer lässt sich für seine Welt stark von einer Kultur inspirieren und wieder ein anderer mischt mehreres zusammen. Ich glaube letztlich merkt man es selbst, ob die Welt die 'eigene' Welt ist, oder eine mongolische/byzantinische... Welt. Wenn sich eigene (globale) Konflikte aus den Interessen und der Geschichte der Völker ergeben und man die nicht erst von realen Kriegen abgucken muss, dann würde ich sagen funktioniert die Welt für sich und ist damit definitiv eine Kreation des Autors. Ich hoffe das ist irgendwie verständlich  ;D

4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?
Im Grunde so gar nicht, sobald ich mit dem Lesen anfange, gehe ich quasi willentlich in eine andere Welt und erwarte gar nicht dort Analogien zu unserer zu finden. Es muss nicht den realen Gegebenheiten entsprechen, aber es muss innerhalb der Welt Sinn machen und logisch aufgebaut sein, dass ist mir viel wichtiger.
"To hell or to Connacht."

Lothen

#6
Zitat von: Fianna am 19. April 2016, 10:31:30Es ist zwar alles schonmal dagewesen und erfunden worden in Hunderttausenden von Jahren Menschheitsgeschichte, deswegen ist das in meinen Augen kein Grund, einfach eine Kultur abzukupfern, wenn man nicht explizit historische Phantastik schreiben will. Und wenn man historische Hintergründe nachlässig verwendet, darf man sich nicht über Kritik wundern.
Ich weiß nicht, ich sehe das anders. Ich denke, es macht schon einen gravierenden Unterschied, ob ich Historisches (oder historical Fantasy) oder reine Fantasy schreibe.

Warum sollte eine Fantasy-Kultur, die Ähnlichkeit mit einer irdischen hat, denn mit dieser identisch sein oder z.B. dieselben kulturelle Standards haben? Das ergibt doch gar keinen Sinn. Der Grund, warum man sich für ein bestimmtes Setting entscheidet, liegt ja oft auch in der Atmosphäre begründet. Ich will ein gewisses Flair schaffen, eine gewisse Stimmung erzeugen - und das funktioniert einfach sehr gut mit den entsprechenden Begrifflichkeiten.

Vielleicht kurz an einem eigenen Beispiel, weil ich es da am besten erklären kann: Mein letzter Nano-Roman sollte ein 1001-Nacht-Märchen werden, allerdings angesiedelt in einer völlig fiktiven Welt (mit Magie und allem Drum und Dran).

Sicherlich hätte ich den Schah in der Geschichte auch "König" nennen können, den Wesir "Berater" und die Satrapien "Provinzen" - das hätte aber beim Leser mit Sicherheit nicht dieselben Aladdin-Prince-of-Persia-Konnotationen ausgelöst. ;) Ebenso wenig, wenn ich dafür eigene, selbsterdachte Titel verwendet hätte. Weder die Gesellschaftsordnung noch die kulturellen Standards entsprechen allerdings dem alten Persien, schon allein deshalb, weil ein ganz anderes Glaubenssystem vorherrscht. Ganz ehrlich, da kann mir gerne jemand vorwerfen, das sei historisch inkorrekt, das ist mir vollkommen wumpe. ;D

Ich könnte mir vorstellen - ohne den Roman zu kennen! - dass Jay Kristoff auf ähnliche Weise gearbeitet hat und würde ihm das auch nicht vorwerfen wollen. Als Autoren arbeiten wir mit Bildern, und die erzeugt man am Besten, indem man bestehende Assoziationen ausnutzt. In der Fantasy halte ich das für absolut legitim.

ZitatWie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?
Ich finde, das Wichtige ist die innere Logik. Wie Schneerabe schon sagte, wenn eine Welt Magie beherrscht, dann muss sie zwangsläufig gewisse Entwicklungen durchgemacht haben, die es in der realen Welt nicht gibt. Glaubenssysteme spielen eine große Rolle, sodass z.B. sexuelle Aufklärung in einem Fantasy-Mittelalter ohne die katholische Kirche durchaus anders ablaufen könnte, als im realen MA, auch die Medizin könnte ganz anders entwickelt sein, wenn Leichenöffnungen erlaubt sind. Das, finde ich, sind die spannenden Fragen daran.

/EDIT: Gerade noch vergessen: Relevant ist für mich vor allem die Frage, ob man wirklich eine reine Fantasy-Welt hat oder schon so nah an der irdischen Realität ist, dass man eher von historical Fantasy oder einer alternativen Realität sprechen kann (z.B. ein barockes Frankreich, in dem es Magie gibt). Da gelten für mich dann schon noch einmal andere Maßstäbe.

Valkyrie Tina

Ich denke, eine Fantasywelt muss in sich stimmig sein, und angemessen für die Art der Geschichte: bei einer Parodie lege ich ganz andere Maßstäbe an als für ein High Fantasy-Konzept.

Ich denke, man muss für eine nicht-europäische Welt mehr recherchieren, aus 2 Gründen. Erstens, sie ist nicht vertraut, man muss sich mehr Mühe geben, um die unvertrauten Konzepte vertraut zu machen. Und zweitens ist es einfach ein Zeichen von Respekt.
Beispiel: in meinem Fantasyland darf ich machen, was ich will, aber wenn meine Geschichte in Iberistan spielt, wo Leute mit Stieren kämpfen, und Frauen Flamenco tanzen, und wo Palmen stehen und man Serrano-Schinken isst, werden die Leute nicht sagen "was für eine völlig neue Welt". Und wenn ich dann noch reinschreibe, dass die Bewohner von Iberistan alle drei Stunden Siesta machen, weil sie so faul sind, dann brauche ich mich nicht wundern, wenn diverse Spanienliebhaber angepisst sind.

Ich denke, das konkrete Problem mit diesem Buch von Kristoff ist einfach schlechtes Worldbuilding. Wenn ich haufenweise Fremdwörter in eine Geschichte schmeiß,  muss ich das so tun, dass die Leute nicht drüber stolpern. Wenn sie stolpern, und dann googlen müssen, um die Geschichte zu verstehen, und DANN merken, dass der Autor das Wort falsch verwendet, ist das schlechtes Worldbuilding.
Ich hab mir mal ein paar Rezensionen angesehen, und es hört sich fast an, als hätte der Gute in seinem Manuskript "ersetze 'sir' durch 'shogun' " gemacht. Und "ersetze Wirtshaus durch Pagode. Und da stolpern die Leute drüber, und das kann ein Buch unlesbar machen.

Ich hoffe, mein Gedankensermon ist halbwegs verständlich.

Guddy

#8
Na wenn schon so schöne Fragen gestellt werden, beantworte ich sie auch mal genau so! ;D

1. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Akzeptanz von nicht-europäischem Weltenbau gemacht?
Spontan fallen mir nur afrikanisch angehauchte Settings ein - und damit habe ich in letzter Zeit eher negative Erfahrungen gemacht. (explizit ausgenommen ist ein gewisses naNo Projekt, das ich zauberhaft verschnipselt fand!) Ich persönlich sehe diese Form der Auseinandersetzung mit dem "Orient" eher kritisch, da mir zu oft mit Klischees, Vorurteilen und vor allen Dingen auch dem Gefälle gespielt wird, die sich durch solche Settings leider noch weiter in den Köpfen zu verankern drohen.
Die Akzeptanz gerade des orientalischen Settings ist jedoch allgemein sehr hoch, da romantisch verklärt. An sich ist das nichts Schlechtes, ich persönlich mag Aladdin und Co, aber es hat für mich einen faden Beigeschmack gewonnen, irgendwie.
Ich schätze, dass die Akzeptanz, was an Japan, Amerika etc. angelehnte Settings betrifft, geringer ist, da das Bild, das die meisten haben, noch ein Stück abstrakter ist und diejenigen, die sich auskennen, gefühlt richtige Kenner sind. Und Leuten vom Fach/mit entsprechend hohem Interesse fallen dann auch die falschen Punkte vermehrt und vor allem sauer auf, wohingegen bspw. der Orient und das mitteleuropäische Mittelalter als Setting klarer erscheinen(Auch wenn es auch nicht so klar ist, wie es erscheint ;) Da kursiert einiges als Falschwissen und viele glauben aufgrund von etlichen Filmen, Büchern etc., dass sie sie sich auskennen.).

2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?
In gewisser Weise, aus oben genannten Gründen, schon. Allerdings sollte man für sich selber überlegen dürfen, wie historisch korrekt man wirklich sein muss. Am Ende ist es eben auch "nur" Fantasy und kein historischer Roman. Was die innere Logik betrifft, schließe ich mich da gerne Mondfräulein an.

3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?
Schwierig. Ich persönlich bin da glaube ich recht kritisch, denn unter "eigener Welt" fällt für mich kein mittelalterliches Setting, dem man ein paar Fabelwesen und Völker beigemengt hat. Es muss für mich wirklich eigenständig sein, mit eigenen Kulturen, Geschichten usw. Die dürfen sich natürlich an bereits Gegebenes anlehnen, schließlich ist die reale Menschheitsgeschichte voller Kulturen, Eigenheiten etc.pp., dass es schwer fallen dürfte, auch nur irgendetwas Neues zu erfinden.
Damit meine ich nicht, dass mittelalterliche Fantasywelten doof sind - sie fallen für mich nur nicht unter "eigene Welt".
Ich mag mittelalterliche Fantasy nämlich meistens gerne. ;) (Und erschaffe selber auch keine supidupitollen, einzigartigen und nie dagewesenen Kulturen ;D )


Schlussendlich, eine Frage als Leser: 4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?
Logisch muss sie sein, ansonsten begrüße ich es bzw. finde es einfach spannender, wenn eine Welt eben nicht zu sehr an reale Begebenheiten angelehnt ist.

Maubel

#9
Zitat von: Valkyrie Tina am 19. April 2016, 11:35:31
Ich denke, das konkrete Problem mit diesem Buch von Kristoff ist einfach schlechtes Worldbuilding. Wenn ich haufenweise Fremdwörter in eine Geschichte schmeiß,  muss ich das so tun, dass die Leute nicht drüber stolpern. Wenn sie stolpern, und dann googlen müssen, um die Geschichte zu verstehen, und DANN merken, dass der Autor das Wort falsch verwendet, ist das schlechtes Worldbuilding.
Ich hab mir mal ein paar Rezensionen angesehen, und es hört sich fast an, als hätte der Gute in seinem Manuskript "ersetze 'sir' durch 'shogun' " gemacht. Und "ersetze Wirtshaus durch Pagode. Und da stolpern die Leute drüber, und das kann ein Buch unlesbar machen.

Ja, genau, er hat eben die Titel, die im Japanischen an den Namen ran gehängt werden, alleinstehend gemacht, was so eben nicht richtig ist (also: sensei, statt Maubel-sensei). Dazu kam dann noch die Übersetzung von hai als einfach ja oder okay, aber das geht wohl auch nicht so einfach. Aber um das Buch selber will ich gar nicht diskutieren, ich mochte es aus anderen Gründen nicht so sehr.

Edit: Danke dir @Sipres, da habe ich zu schnell getippt, statt noch mal in Ruhe nachzuschauen. Sensei ist natürlich in Ordnung und es war tatsächlich Sama, das eigenständig benutzt wurde.

Mir geht es tatsächlich darum, dass meiner Meinung nach vielen europäischen Werken ähnliche Patzer verziehen werden und ich denke, das liegt wirklich daran, dass es eben der Standard ist und schon so viele Verunstaltungen gab, dass vieles akzeptiert wird, zumal viele Leser gewisse Anachronismen auch schon erwarten. Wenn ich mir da manchmal durchlese, wie sozialkritisch die Bauern sind, obwohl doch damals eine gottgegebene Ordnung vorherrschte, dann fang ich auch ein wenig an zu meckern.
Die Heftigkeit der Rezensionen, die mit der Geschichte gar nichts mehr zu tun hatte, hat mir aber bewusst gemacht, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird. Ja, in europäisch zentrierten (und häufig auch Wüstenvölker) werden solche Ungereimtheiten leichter verziehen, will mir scheinen. Bei einem exotischeren Setting wird da plötzlich ein anderer Maßstab angelegt. Wie ihr selber sagt, erwartet ihr da auch eine bessere Recherche. Gleichzeitig möchte man natürlich auch gerne von anderen Kulturkreisen inspirierte Welten haben. Was mir eben aufgefallen ist, ist, dass schlechtes Worldbuilding im Europa-zentrischen Roman deutlich eher abgenickt wird als im speziellen Setting und das ist natürlich eine Unverhältnismäßigkeit.
Guddy gibt dafür denke ich schöne Gründe, die ich so auch unterzeichnen mag. Es hat eben etwas mit der Häufigkeit und der Leserbildung zu tun.

Mondfräulein

Ich bin nicht sicher, inwiefern ich ein Buch schreiben kann, das losgelöst vom Vorbild ist. Wenn ich zum Beispiel ein Buch schreibe, das sich ganz klar an das alte China anlehnt, dann wird der Leser entweder nicht mehr erkennen, dass ich mich am alten China orientiere, und dann habe ich auch die Ästhetik nicht mehr, die ich wollte, oder aber man erkennt es eben und dann muss ich einfach aufpassen, was ich verändere und vor allem, dass ich respektvoll damit umgehe und vielleicht auch keine rassistischen Stereotypen bediene. Das ist das eine. Aber wenn ich einen Schritt weiter gehe - welche Konzepte kann ich denn überhaupt noch losgelöst von einem bestimmten Setting verwenden? Selbst wenn ich versuche, möglichst weit von irgendeinem Setting weg zu gehen, ist doch alles immer noch aus einer realen Welt entlehnt. Konzepte wie Religion, Priester, Adel, Militär können schlecht neu erfunden werden. Wo fängt dann also die wirklich eigenständige Welt an und wo hört die Assoziation mit einem realen Setting auf? Vor allem - wo liegen die Grenzen für jemanden, der häufig Fantasy liest und wo für einen Durchschnittsleser, oder gar jemanden, der sonst wenig Fantasy liest?

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 12:05:35
Was mir eben aufgefallen ist, ist, dass schlechtes Worldbuilding im Europa-zentrischen Roman deutlich eher abgenickt wird als im speziellen Setting und das ist natürlich eine Unverhältnismäßigkeit.

Wie du schon sagst, ich denke, da gab es einfach schon so viele mittelalterlich angehauchte Bücher, die so viel falsch gemacht haben, dass man sich schon daran gewöhnt hat. Ich habe eine Zeit lang in einem Museum gearbeitet, das sich aufs Mittelalter spezialisiert hat, und es ist teilweise echt unglaublich, mit welcher Überzeugung manche Menschen offensichtlich falsche Dinge für wahr halten. Vielleicht ist gerade das so tückisch - die Menschen glauben, sich auszukennen, glauben fest daran, und nehmen falsche Informationen deshalb eher hin, wenn sie zu ihren eigenen falschen Informationen passen. Da muss man nur mal zählen, wieviele Sklavenmärkte es in mittelalterlichen Settings gibt. :wart:

Ein Problem ist vielleicht auch, dass es eben so wenige Fantasyromane gibt, die sich nicht am europäischen Mittelalter orientieren. Wenn es dann mal unter 1000 Romanen einen einzigen findet, der sich mit Japan beschäftigt und dann ist der auch noch schlecht recherchiert und ein kompetter Reinfall... da würde ich mich, wäre ich Japan-Fan, auch mehr ärgern, als würde ich gerne europäisches Mittelalter lesen. Beim europäischen Mittelalter habe ich immer noch genug Alternativen und kann ein anderes Buch lesen, das besser recherchiert und konzipiert ist. Das ist mit den meisten anderen Settings nicht so einfach, weil man sich da vielleicht schon freut, wenn man überhaupt ein Buch findet, das sich damit beschäftigt.

Malinche

Das ist mal ein interessantes Thema!

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
Das Buch wird nämlich geradezu verrissen, weil es offensichtlich an die japanische Gesellschaft angelehnt ist, aber diese nicht 100% perfekt wiedergibt. Titel werden falsch benutzt, Wortsilben erst recht und generelle Strukturen anscheinend auch.
Nun mag das alles richtig sein, aber der Lotus-Krieg spielt in seiner eigenen Welt. Es ist nicht Japan. Stark angelehnt ja, aber nicht Japan. Woher kommt also dieser Anspruch, dass es dennoch 100% wie Japan zu sein hat?
Hm, ich kenne weder das Buch noch die Rezensionen, aber instinktiv würde ich in eine Richtung tendieren, die Mondfräulein und Valkyrie Tina auch schon angesprochen haben. Es ist – jedenfalls in meinen Augen und vom Gefühl beim Lesen her – ein Unterschied, ob jemand erkennbar bewusst verfremdet und abwandelt oder scheinbar willkürlich und oberflächlich exotisiert. Das hat jetzt auch viel mit Bauchgefühl auf meiner Seite zu tun, sodass ich schwer deutlich machen kann, wo da für mich eine Grenzlinie verläuft. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Reaktionen auf das Buch auch damit zu tun haben.

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
Und die größte aller Fragen, warum wird derselbe Standard nicht auf die abertausenden europäisch inspirierten Welten angewandt, die auch munter ihre Lords durcheinander schmeißen etc.?
Auch eine gute Frage. Instinktiv würde ich sagen: Weil diese europäische Inspiration etwas weitergefasst ist. Das »europäische Mittelalter« ist räumlich und zeitlich ja ein ungeheuer komplexes Konzept, und es ist zumindest für High und Low Fantasy bereits so sehr Topos geworden, dass es wirklich mehr als Flair und Idee wahrgenommen wird denn als Anlehnung an eine Epoche, die historisch akkurat sein will. Umgekehrt stimmt es aber natürlich, dass man einem Autoren dann auch zugestehen kann, mit einer solchen »Idee« einer anderen Kultur zu arbeiten.

@Lothen macht das ja im Prinzip mit ihrem Orientsetting, ich denke, da sieht man es noch einmal besonders schön: Das ist ja explizit nicht die Arbeit mit einem konkreten historischen Vorbild, sondern mit einer »Idee« von Orient, die bestimmte Konnotationen hervorrufen soll, mit denen man dann arbeiten kann. In dem Fall ist das für mein Empfinden auch so klar, dass niemand kommen und sagen wird: »Ey, aber das passt so nicht, denn im echten Orient ...« (weil eben auch klar ist, dass dieser »echte Orient« auch nicht existiert, sondern ein Konstrukt aus unseren märchenhaften Vorstellungen ist). :)

Ich denke aber, die Trennlinie zwischen der »Idee« und dem konkreten historischen Vorbild ist eben oft eine dünne, und umso schwerer zu ziehen, je weniger gängig das Setting ist. Wenn sich jemand jetzt auf Japan (in einer bestimmten Zeit) als Vorbild bezieht, ist das für mich zum Beispiel auch schon mal eine konkretere Ansage, und ich denke, dann möchte ich auch bei einer lediglich japanisch inspirierten Fantasywelt das Gefühl haben, dass der Autor sich mit dem Vorbild tiefgehend genug auseinandergesetzt hat, um eine gute Abwandlung zu schaffen. Vor allem, wenn mir vielleicht durch bestimmte Details suggeriert wird, dass es um mehr geht als die bloße »Idee« Japan. Und wenn ich dann beim Lesen das Gefühl habe, hier ist keine Sorgfalt auf stimmigen Weltenbau verwandt worden, dann bin ich sicher auch erstmal angepisst.

Von Japan habe ich persönlich in dem Zusammenhang keine Ahnung, aber wie schon jemand schrieb, gerade bei dem Setting gibt es ja eine enorme Leserschaft, die sich mit den Hintergründen beschäftigt hat und Abweichungen dann schwerer verzeiht, wenn sie nicht stimmig erklärt sind. Insofern muss man vielleicht wirklich mehr recherchieren, einfach weil solche Settings noch nicht als bloße »Idee« etabliert sind wie die Schablone »europäisches Mittelalter« und man darum vielleicht in der Leserschaft eher auf unversöhnliche Experten stoßen wird, die vieles verzeihen, aber keinen schlampigen Umgang mit der Vorlage.

Mir persönlich geht das so mit Lateinamerika – ich habe vor einer Weile auf einem Buch, das in Peru spielen soll, eine Maya-Pyramide entdeckt und fast in die Tischkante gebissen (das war aber außerdem noch eine Ausgabe als Schullektüre, was es für mich noch heftiger machte). Das war natürlich keine Fantasy, aber ich denke, dass ich eine Fantasywelt nicht mögen würde, in der süd- und mittelamerikanische Kulturen bunt durcheinandergeworfen werden, ohne dass für mich erkennbar dahinter mehr steht als die Freude am exotischen Touch (wie Valkyrie schon schrieb, kommt es da aber auch wieder auf die Story an – es kann natürlich auch passen).

Persönlich schreibe ich ja eigentlich immer im nicht-europäischen Setting, nämlich in Lateinamerika. Mein ehemaliger Agent regte da letztes Jahr genau das Gedankenspiel an, doch mal etwas in einer eigenen, lediglich lateinamerikanisch inspirierten Welt zu machen. Ich fand das auf den ersten Blick total spannend und merkte dann, als ich mich an den Weltenbau setzen wollte, dass ich es einfach nicht konnte. Für mich fühlte es sich unfassbar falsch an, mir Bausteine aus dem Gesamtkontext zu lösen und neu zu arrangieren, Dinge anders zu nennen, von denen wirklich jeder wissen würde, wo sie eigentlich herkamen.

Womit ich auf keinen Fall sagen will, dass solcher Weltenbau nicht auch funktionieren und ziemlich cool sein kann. Ich habe nur in dem Moment gemerkt, wie schwer ich es für mich selbst finde, das gut zu machen. Für mich persönlich ist es eine noch größere Herausforderung als historisch »akkurate« Fantasy, bei der ich die phantastischen Aspekte in das realistische Setting einflechte. Es kommt sicher noch dazu, dass ich in der Hinsicht einiges an Diskussionen aus meinem Studium mit mir herumschleppe, wo postkoloniale Ansätze und die Frage nach Machtverhältnissen eine Rolle spielen. Möglicherweise sind das auch noch Aspekte, die in der Wahrnehmung nicht-europäischer Settings eine Rolle spielen, aber das finde ich dann auch wahnsinnig schwierig zu diskutieren.

Fazit: Ich denke, es ist möglich und auch ungeheuer spannend, historische Settings und Epochen als Vorlage für die eigene Welt zu nutzen und gezielt zu verfremden. Aber es kann auch ein ziemlicher Balanceakt sein, das stimmig und überzeugend hinzubekommen.

[EDIT] ... und jetzt lese ich mal, was in der Zwischenzeit alles geschrieben wurde. Ihr seid zu schnell für mich. :rofl:
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Denamio

#12
Zu dem Thema kann ich nicht viel beitragen, nicht zuletzt weil meine Fantasy entweder im europäischen Raum spielt oder extrem weit weg von europäischer Fantasy ist, weil ich bewusst das Irland/Mittelalter Klischee vermeiden will. Was ich aber an der Diskussion interessant finde ist vor allem ein Punkt, der sich mit einem Beispiel verdeutlichen lässt: Man kann es nie wirklich richtig machen.
Und das Beispiel wäre Science Fiction oder besser Space Opera. Unendliche Weiten, wunderbare außerirdische Welten und seit ein paar Jahren ist es einfach wahnsinnig in Mode, die Werke mit schlechten Benotungen abzustrafen. Die große "Schuld": Der Überlichtantrieb ist nach aktuellem Stand nicht möglich, also sind Bücher die Überlichtflug enthalten grundlegend unrealistisch - damit schlecht. Ein Kollege von mir geht sogar hin und stellt in Buchhandlungen Bücher mit Überlichtflug zur Fantasy und beschwert sich sogar bei den Mitarbeitern darüber. Das zeigt doch eine recht absurde Spielweise in dem ganzen Diskurs (und das mein Kollege einen Knall hat ;D).

Tatsächlich aber glaube ich, dass es in jedem Szenario etablierte Bilder gibt. Ja in europäischer Fantasy verzeiht man viel Unsinn, aber tut man das bei fernöstlicher Fantasy nicht? Stichwort Ninjas? Fantasy Bild: Super akrobatische Zauberkiller in nachtschwarzen Klamotten. Realität: Unter anderem rebellische Bauern mit versteckten Waffen. Fantasy: Weg des Samurai, Ehrenkodex, Schwert so toll. Realität: Pffft, Pustekuchen, ein Kunstgebilde, als die Briten längst mit Pengpengs unterwegs waren.
Diese festen Erwartungen an ein Genre gibt es allerdings auch bei west-europäischer Fantasy, beispielsweise gibt es eine Erwartungshaltung beim Begriff Adel. Wenn jemand hingeht und in einem Irland/Mittelalter Szenario den Adel als Feldarbeiter hinschreibt, wo der König den Bauern mit gediegener Herr anspricht, dann wird sich auch darüber aufgeregt. Vor ein paar Wochen hatten wir ja auch eine Diskussion über Pferde in Fantasy, die ähnlich zum Thema passt.

Also besondere Angst hätte ich bei exotischen Szenarien nicht. Man sollte die typischen Konventionen aber schon kennen. Dazu braucht es aber nicht sehr viel Recherche. Die Hardcore Puristen werden auf jeden Fall meckern, die Cultural Appropiation Typen per Definition. Allerdings muss ich dabei aber auch sagen, dass viel Potential verschenkt wird, wenn man nicht richtig recherchiert. Robert Charette schrieb einige Battletech Bücher über das Kurita Kombinat, eine Art Samurai Zukunfts Ding und dort hat er sehr zentral die Begriffe des Ninjō und Giri aufgegriffen.
Ohne diese Konzepte, wären die Bücher ungleich schwächer gewesen. Und wenn man eine fremde Kultur benutzen möchte, warum nicht auch Bräuche aufgreifen, sich reinlesen in faszinierende fremde Welten? Praktisch als Nebeneffekt lernt man dann auch viel über die typischen Konventionen und baut keine Sensei-Sempai Schnitzer.

Sipres

#13
Da das Thema Japan ja hier recht häufig mit angesprochen wird, möchte ich auch mal kurz meinen Senf dazu geben. Es stimmt, man verzeiht mehr "Fehler" im europäischen Mittelalter und auch im orientalischen Raum, zumindest hier bei uns. Aber ich finde es nicht schlimm, wenn sich jemand mal was anderes traut und auch dort Fehler einbaut. Gerade im Zusammenhang mit Japan sind die Japaner sowieso ziemlich krass, was Fehler in ihrer Kultur angeht. Wenn man sich japanische Werke genauer anschaut, also Bücher, Filme, Animes, Mangas (die beiden letzteren haben in Japan einen wesentlich höheren Stellenwert als z.B. in Deutschland, weshalb sie erwähnt werden müssen), wird dort oft nur ein sehr verzehrtes Bild der japanischen Kultur dargestellt. Warum also dürfen es die Japaner, aber wenn es ein Ausländer macht, drehen die Menschen durch? Das ist irgendwie unfair, oder? Man sollte sich also nicht so sehr daran aufhängen.

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 12:05:35Ja, genau, er hat eben die Titel, die im Japanischen an den Namen ran gehängt werden, alleinstehend gemacht, was so eben nicht richtig ist (also: sensei, statt Maubel-sensei).

Bei vielen Titeln/Suffixen hätte ich dir zugestimmt, zum Beispiel -sama, -san, -chan, -kun, etc. Aber sensei ist eine denkbar schlechte Wahl für dein Argument, da sensei wie kohai, senpai, tenno, ojou, etc. allein stehen kann.

Kati

Zitat von: MaubelStark angelehnt ja, aber nicht Japan. Woher kommt also dieser Anspruch, dass es dennoch 100% wie Japan zu sein hat?

Ich glaube, ein großes Problem vieler Leute mit den Lotus-War-Büchern ist, dass es wie eine schlecht durchdachte, sehr verklärte Version des antiken Japans wirkt. Eine Fantasywelt muss nicht 1:1 wie die echte Welt, an die sie angelehnt ist, sein, aber ich finde persönlich auch, dass man, wenn man Titel und Wörter verwendet, die aus der echten Welt stammen, diese korrekt verwenden sollte. Allein schon, um Verwirrung bei den vielen Lesern vorzubeugen, die die richtige Bedeutung der Wörter kennen und voraussetzen. Ich lese in den Rezensionen viel, dass er einerseits korrekt Shinto-Mythologie einbaut und umsetzt, andererseits aber einfach nachzuschauende Begriffe falsch benutzt. Weshalb das so ist, sei mal dahingestellt, aber die Frustration kann ich verstehen und finde es einen ziemlich interessanten Aufhänger für einen Thread. So gern ich Jay Kristoff nämlich mag ("Illuminae" ist großartig), die Kritik an der Lotus-War-Reihe kann ich gut nachvollziehen.

Ich bin schon der Meinung, dass man in High Fantasy grundsätzlich erstmal alles machen kann, wie man will, solang es in sich selbst schlüssig ist. Aber darüber hinaus existiert ja High Fantasy trotzdem im Kontext zur richtigen Welt und auf ein paar Dinge sollte man achten. Der Unterschied zwischen emanzipierten Frauen und falsch verwendeten japanischen Begriffen in einer phantastischen Welt ist für mich persönlich, dass die Frauen zum World Building gehören - ich mache mir die Geschichte und Gesellschaft meiner eigenen Welt so, wie ich sie haben will und das ist ja auch der Sinn von High Fantasy. Die falsch verwendeten Begriffe aber sind eben einfach falsch, wenn sie nicht in einer selbst ausgedachten Sprache daherkommen, sondern in echtem Japanisch. Ich habe da auch schon sehr viel Kritik an Werken gesehen, die englische und französische Titel falsch benutzen, daher glaube ich, dass das nicht unbedingt am Setting liegt, sondern eher an der Erwartenshaltung des Lesers Begriffe, die aus einer echten Sprache übernommen werden, auch richtig verwendet vorzufinden, was ich verstehen kann. Wenn in einem Roman mal übertrieben ausgedrückt eine Figur, die nach meiner Kenntnis ein Kammerdiener ist, ständig mit "Prinz" angesprochen würde, wäre ich auch irritiert.

Ich hatte bisher das Gefühl, dass besonders Wüstensettings, oft arabisch angehaucht, in letzter Zeit total im Kommen sind und auch akzeptiert werden. Asiatische Settings scheinen durchzugehen, solang sie japanisch oder chinesisch inspiriert sind und nicht von weniger bekannten asiatischen Kulturen. Da setzen Autoren und Verlage vielleicht wirklich viel darauf, dass eine Kultur gewählt wird, die dem Leser schon ansatzweise bekannt ist - und eben auch den Klischees entspricht, die man gleich im Kopf hat. Das trifft auf das europäische Mittelalter allerdings auch ein gutes Stück weit zu. Man liest mehr Welten, in der das Mittelalter schmutzig, archaisch, brutal und generell total unfair ist und seltener welche, die differenzierter mit dem Mittelalter umgehen und diese Klischees aufbrechen. Sind nicht-europäische Settings trotzdem weniger anerkannt? Ich denke ja. Es gibt zwar mittlerweile einiges an asiatisch und orientalisch angehauchter Fantasy, aber verglichen mit den unzähligen an europäische Geschichte angelehnten Welten ist es natürlich trotzdem wenig.

Ob man jetzt stark an historische Epochen anlehnen sollte oder lieber komplett frei arbeiten sollte.. ist bestimmt auch Geschmackssache. Ich kann beidem etwas abgewinnen. Wichtig ist mir, wie auch schon öfter gesagt wurde, dass es in sich schlüssig ist, dass die Gesellschaft und Welt gut durchdacht und in sich logisch wirkt. Eine Welt zum Beispiel, in der Bauern und generell Menschen niederer Gesellschaftschichten immer nur geknechtet und ausgebeutet und schlecht behandelt werden, kann ich nicht mehr sehen, nicht nur, weil es in so vielen High Fantasys vorkommt, auch, weil so eine Gesellschaft nicht funktionieren würde. Wenn man ein Volk immer nur malträtiert und ausbeutet, gibt es eine Revolution. Niemand lässt sich das gefallen, wenn es keine guten Gründe gibt, es sich gefallen zu lassen. Das ist zum Beispiel so ein Ding, bei dem es mich stören würde, wenn es nicht "historisch korrekt" umgesetzt würde, einfach, weil ich es unlogisch finde, wenn mir erzählt wird eine Gesellschaft funktioniert, die niemals wirklich funktionieren könnte. Ich brauche in einer phantastischen Welt, egal wie abgefahren und verrückt sie ist, eine innere Logik, die auch standhält, wenn man etwas genauer hinschaut. Mehr eigentlich nicht.

Zitat von: MondiVielleicht ist gerade das so tückisch - die Menschen glauben, sich auszukennen, glauben fest daran, und nehmen falsche Informationen deshalb eher hin, wenn sie zu ihren eigenen falschen Informationen passen.

Das ist glaube ich ein richtig wichtiger Punkt hier. Ich denke nämlich, dass ein 1:1 korrektes Mittelalter von einem Großteil der Leser als "falsch" empfunden werden würde, einfach, weil man die klischeebelasteten Darstellungen des Mittelalters mittlerweile gewohnt ist. Gutes Beispiel ist da der Umgang mit Frauen, der in vielen Mittelalterwelten eher viktorianisch wirkt, was aber angenommen wird, weil man es eben so kennt. Schreibt man in einem mittelalterlichen Setting (auch im historischen Roman natürlich) eine selbstbestimmtere Frau wird das als falsch empfunden, selbst, wenn es historisch möglich gewesen wäre. Oder eben die allseitsbeliebte Hexenverfolgung im Mittelalter, die ja eigentlich in die frühe Neuzeit gehört. Das wird angenommen, weil man es eben so kennt und für richtig hält.

Ansonsten wurde von Guddy, Tina, Mondi und Malinche auch viel gesagt, dass ich genauso empfinde.  :)