• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Erzählstil in historischen Romanen

Begonnen von Signy, 05. Dezember 2014, 11:38:51

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Churke

Zitat von: DoroMara am 20. Juni 2015, 22:23:28
Hmm, wäre vielleicht mal ganz spannend, aufzuschreiben, was im Kopf einer solchen Frau vorgeht ...

Nicht nur im Kopf. Der Job im Haus ist nicht gerade einfach - und möglicherweise abwechslungsreicher als Männes Arbeit auf dem Feld oder in der Werkstatt. Eine Familie ist eine Wirtschaftsgemeinschaft, und gerade wenn ER auswärts beschäftigt ist, muss SIE im Backoffice ihren Mann stehen  ;) damit der Laden läuft. Das war nichts Besonderes, sondern wurde eher erwartet.

Die Atia in der Serie "Rome" ist offiziell auch nur eine römische Matrone, die sich um den Haushalt und die Kinder kümmert.  ;D

KaPunkt

Muster Beispiel wäre da in meinem Augen Katharina von Bora, die ihrem verkopften Martin Luther den Haushalt geschmissen und daraus ein florierendes Unternehmen gemacht hat (inklusive Studentenwohnheim)
Aber von der gibt es doch bestimmt schon irgendwelche guten Roman-Biographien?  ???
So einen Stoff lässt sich doch keiner entgehen?

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Fianna

Frauen waren aber nicht immer auf den Haushalt beschränkt. Es gab zu verschiedenen Zeiten und Kulturkreisen die Möglichkeit, das Geschäft/Handwerk des verstorbenen Mannes weiter zu führen oder ins Familiengeschäft einzusteigen.

Hinzu kommen Gesetzlose und Militärs, wo es auch erstaunlich viele (bekannte oder verborgene) Frauen gab. Ich wollte mal eine Liste erstellen mit den namenlosen Frauen, deren Geschlecht erst nach ihrem Tod bemerkt wurde - eines war glaube ich in Portugal und im 20. Jh., ein Offizier oder zumindest Unteroffizier der Armee.

Tigermöhre

Ich habe mal einen historischen Krimi gelesen. Da ging es darum, dass ein Arzt einen Mord aufklären sollte, der bei ihm Zuhause passiert ist. Seine Cousine, die seinem Haushalt vorsteht, möchte das auch klären, wobei ihr Cousin nichts davon weiß. Beide laufen unabhängig voneinander herum und befragen Leute. Der Arzt hochoffiziell die Männer, seine Cousine plaudert mit den Frauen, während sie ihren Pflichten als Haushaltsvorsteherin nachkommt. Beide kommen auf unterschiedliche Mörder aus unterschiedlichen Motiven.
Ich fand das Buch sehr faszinierend, da es die Parallelgesellschaften der Männer und Frauen darstellt und die Cousine, trotz ihrer Recherche nicht aus ihrer Rolle der damaligen Frau rausfällt.

Sascha

Zitat von: Fianna am 21. Juni 2015, 01:09:21
Ich wollte mal eine Liste erstellen mit den namenlosen Frauen, deren Geschlecht erst nach ihrem Tod bemerkt wurde - eines war glaube ich in Portugal und im 20. Jh., ein Offizier oder zumindest Unteroffizier der Armee.
So wie in Terry Pratchetts "Weiberregiment"? Ich hab das immer für einen netten Mythos gehalten (siehe auch einige Filme mit Lilo Pulver und so), weil ich mir nicht vorstellen kann , daß sowas nicht auffällt. Also, die wenigsten Frauen (vor allem jüngere) sehen doch wirklich so aus, daß man sie mit Männern verwechseln könnte. Und grad beim Militär gibt es doch Untersuchungen. Faszinierend, daß das nicht aufgefallen ist.

KaPunkt

Als ich vor Jahren 'Die Päpstin' gelesen habe, stand da einiges zu im Nachwort.
So als Recherche Start vielleicht zu gebrauchen.

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Cairiel

Zitat von: Sascha am 21. Juni 2015, 13:03:24
So wie in Terry Pratchetts "Weiberregiment"? Ich hab das immer für einen netten Mythos gehalten (siehe auch einige Filme mit Lilo Pulver und so), weil ich mir nicht vorstellen kann , daß sowas nicht auffällt. Also, die wenigsten Frauen (vor allem jüngere) sehen doch wirklich so aus, daß man sie mit Männern verwechseln könnte. Und grad beim Militär gibt es doch Untersuchungen. Faszinierend, daß das nicht aufgefallen ist.
Na ja, lieber Sascha: Du denkst jetzt vermutlich an Frauen, die es nicht versuchen.

Ich kenne ja einige Transsexuelle, auch solche, die noch ganz am Anfang ihres Weges stehen, und gerade die Sportlichen haben selten Probleme, als Mann durchzugehen, obwohl sie noch keine Hormone bekommen und keine OPs hinter sich haben. Und beim Militär wird man ja tendenziell eher sportlich sein.  ;)  Haare kurz, weniger Speck = kaum Rundungen und die kann man problemlos kaschieren, mehr Muskeln, Stimme verstellen - da kann man einiges machen. Und mit einem selbstsicheren Auftreten stellt es auch keiner infrage, wer man ist.

Sanjani

@Sascha: Ich denk mal, wer nicht sehen wollte, dass da eine Frau vor ihm steht, der hat es auch einfach nicht gesehen.

Offensichtlich zeigt die Geschichte, dass Frauen oft alles andere als gehorsam und unterwürfig waren. Einen Haushalt zu einem Unternehmen anwachsen zu lassen, geht ja auch nur, wenn ich ein Stückweit freie Hand habe und mein Ehemann mir vertraut, dass ich das richtige tue.

VG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Fianna

#68
Zitat von: Sascha am 21. Juni 2015, 13:03:24
So wie in Terry Pratchetts "Weiberregiment"?
Terry Pratchett erfindet nicht, er verqirlt mythologische und historische Fakten. Das macht seine Bücher so reizvoll für mich, es gibt Tausende von Bezügen.

Wenn man die primär wahrgenommenen Merkmale (wie lange Haare, Rundungen, Kleidung und anerzogenes Auftreten) kaschieren kann, hat man vermutlich schon gewonnen. Das Schwierigste dürften Verwundungen sein sowie im nautischen Sinne sexueller Missbrauch; wenn man in einem bestimmten Alter aufs Schiff kam, ist diese Gefahr aber eher im gesetzlochen Bereich gegeben und nicht in der Marine.
Catalina de Erauso (Konquistadorenarmee) verfügt auch von Haus aus über eine ziemlich markante Nase, sowas ist dann natürlich auch immer hilfreich: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/9f/Catalina_de_Erauso.jpg/220px-Catalina_de_Erauso.jpg

Es gibt sogar eine Frau, deren militärische Leistungen anerkannt wurde: sie wurde ehrenhaft mit einer Pension entlassen, nachdem sie ihre Identität offenbarte. Hannah Snell. In Diensten sind ein Dutzend Verwundungen dokumentiert, wobei sie die schwerste wohl an Land auskurierte; es gibt da Spekulationen, dass sie sich von einer einheimischen Frau versorgen ließ.

Für Frauen im nautischen Bereich gibt es ein ziemlich gutes Buch von J.D. Davies.


EDIT:
Eigentlich wollte ich mal eine Liste mit allen Büchern anlegen, die wir so zum schnellen Nachschlagen besitzen (alleine ich habe hundert oder so), dann kann man von einem anderen TiZi erfahren, ob das anvisierte Buch für das zu recherchierende Thema lohnend ist, bevor man es sich umständlich per Fernleihe besorgt - oder kleinere Auskünfte kann man durch einen "Fernblick" vielleicht schon bekommen.

2012 war mal im "Threads die mir noch fehlen"-Thread so eine Überlegung, die abgelehnt wurde, aber ich hatte den Eindruck, inzwischen gibts mehr historisch-phantastische Projekte, die im Tizi bearbeitet werden... Also wer Interesse hat, kann ja mal Laut geben, dan fange ichs an.

Churke

Zitat von: Sanjani am 21. Juni 2015, 13:28:08
@Sascha: Ich denk mal, wer nicht sehen wollte, dass da eine Frau vor ihm steht, der hat es auch einfach nicht gesehen.

Vielleicht ist das auch eine Frage der Erfahrung. Wenn man die Geschlechter stärker trennt und ihnen angestammte Rollenbilder zuweist, fehlt den Leuten möglicherweise der Blick für sowas.
Es gibt da eine orthodoxe Heilige, die in die Armee eintrat, um die Familie vor dem Ruin zu retten. Die Sache kam erst heraus, nachdem man sie wegen einer angeblichen Vergewaltigung  ::) hingerichtet hatte.

Sascha

Schon interessant ... Ja, klar, die Erwartungshaltung macht viel aus. Wenn ich mir das Bild von dieser Hannah Snell anschaue, dann sieht sie schon nach Frau aus. Allerdings wußte ich es ja jetzt. Ansonsten hätte ich womöglich auch gesagt "Na, der Typ sieht aber schon etwas weiblich aus.". Und das denke ich bei Bildern aus dieser Zeit öfter mal, grad bei den "wohlgenährten" Männern höheren Standes. Wobei das nur ein Bild ist, im täglichen Umgang nichts zu merken, finde ich dann doch heftig.
Bei Catalina de Erauso ... naja, wäre als Kerl auch häßlich gewesen. :versteck:

Zitat von: Churke am 21. Juni 2015, 18:46:30
Die Sache kam erst heraus, nachdem man sie wegen einer angeblichen Vergewaltigung  ::) hingerichtet hatte.
Tja, ein weiteres Beispiel dafür, daß die Todesstrafe Quark ist. Klarer Beweis der Unschuld, nur leider zu spät.

Irgendwie ist die Diskussion jetzt ziemlich OT geworden, es ging doch um den Erzählstil.

Franziska

Ich weiß gerade nicht, wie ihr darauf gekommen seit, aber nur, weil mir das gerade einfällt: Fianna hat recht. Es gab immer Frauen, die Männerrollen eingenommen haben. Ich habe mal eine Doku gesehen, da kam eine Frau vor, die als männlicher General oder so an der Entdeckung oder an den ersten Kriegen in Südamerika beteiligt war. Leider erinnere ich mich nicht mehr um die Details.  Ob die Leute das nun bemerkt oder ignoriert haben, das ist nicht unrealistisch. Fast alle Kulturen haben auch Mechanismen, die es erlauben, die Genderrolle des anderen "Geschlechts" anzunehmen.

Moni

Das Thema scheint doch auf Interesse zu stoßen, macht doch damit gerne einen Thread im Workshop auf wenn es um die handwerkliche Umsetzung geht. Aber hier bitte weiter mit dem Erzählstil.  :wache!:
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Sascha

Also, wieder ganz back to topic:
Ich lese seit gestern "Tarean - Sohn des Fluchbringers" von Bernd Perplies. Und ich muß sagen, es ist auf Dauer etwas anstrengend. Jetzt ist das nicht mal wirklich ein historischer Roman, sondern nur ein mittelalterliches Setting mit Burgen und Schlössern, Schwertern und Streitkolben usw. Aber er hat sich redlich Mühe gegeben, eine altertümlich klingende Sprache zu verwenden, was, wie gesagt, auf Dauer recht anstrengend ist. Beispiel für wörtliche Rede:
ZitatUnd eile dich; es könnten viele Leben davon abhängen. Doch vor allem werde keinen Augenblick unaufmerksam. Es heißt, vereinzelte Wolflingbanden streifen seit Kurzem durch die Gemarkung und überfallen Wanderer.
Oder hier:
ZitatGibt es sonst noch etwas, das uns mitzuteilen Euch aufgetragen wurde?
Puh. Richtig ist es, aber ganz schön gedrechselt für meinen Geschmack.

Es geht auch im Erzähltext ein bißchen so weiter, wenn auch nicht ganz so krass. Beispiel:
ZitatSolange er sich erinnern konnte, lebte er schon bei seiner Ahne und ihrem Gemahl Urias auf Burg Dornhall im Almental.
Die Frau ist einfach nur seine Großmutter, wie man später herausfindet. Warum "Ahne"?
Und ein noch dazu grusliger Schachtelsatz (die liebt der Autor):
ZitatDie Waffe war an sich schlicht, aber gut verarbeitet, einem Jungen, der zwar erst in der Ausbildung zum Krieger war, sich andererseits indes in harten Zeiten wie diesen verteidigen und dabei auf sein Handwerkszeug verlassen können musste, durchaus angemessen.
"andererseits indes". Häh? ???

Also ehrlich, dann lieber eine nicht ganz so auf's Setting ausgerichtete, aber dafür leichter verdauliche Sprache.

Churke

Alterthümlich [Hinweis: das ist kein Rechtschreibfehler] klingen sollend ist Käse. Sowas haben die Heimatautoren im Kaiserreich auch gemacht (z.B. Ernst Zahn). Damals hielt man das für Literatur, heute findet man es peinlich. Und das war wahrscheinlich besser gemacht als der Sohn des Fluchbringers.

Sprache ist ein Code und normalerweise klar und einfach. Schließlich soll der Empfänger die Nachricht verstehen. Schwierige Grammatik und komplizierter Satzbau funktionieren nur, wenn sie sich an darin geübte Adressaten richten.

Wenn man also einen Stil importiert, dann muss man auch den Empfängerhorizont mitimportieren, sonst hat das keinen Sinn.
Das klassische Latein zum Beispiel, das in der Schule gelehrt wird, ist eine Kunststprache der senatorischen Oberschicht. So sprach nur, wer dazugehörte oder dazugehören wollte, und das waren nicht besonders viele.