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Erzählstil in historischen Romanen

Begonnen von Signy, 05. Dezember 2014, 11:38:51

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Belle_Carys

Ich denke es gibt immer Dinge, über die man potentiell stolpern kann. Es wird auch immer Leser geben, die mehr wissen als du, und irgendetwas finden was vielleicht anders war.  Eine solide Recherche ist wichtig, aber es gibt einen Rahmen, über den das oft einfach nicht hinaus gehen kann, wenn man irgendwann zum Schreiben kommen will.

Was für mich grundsätzlich sehr wichtig ist, ist dass ein Offizier in WW I zum Beispiel nicht spricht wie ein Captain der Army zur heutigen Zeit. Dass der Umgang zwischen Männern und Frauen nicht ganz so auf (relativer) Augenhöhe war wie heute, und sich das vermutlich auch in der Sprache ausdrückt. Dass der Respekt vor Autorität, die teilweise auch schlichtweg durch das Alter des Gegenüber gegeben war, damals eine größere Rolle gespielt hat als heute, was sich wiederum ebenfalls auch und gerade über die Kommunikation ausdrückt. Für mich muss die Gesamtheit stimmen, es muss mir das Gefühl vermitteln, in diese Zeit versetzt zu werden. Wenn da jemand "Internet" sagt, ist das natürlich ein Problem. Ob derjenige jetzt Baby oder Säugling sagt, wäre für mich noch kein katastrophaler Stolperstein.

Am besten kann man sich vermutlich gerade für solche Zeiten einfach ein wenig in die Literatur der Zeit einlesen. Und damit meine ich nicht unbedingt das, was bis heute im Rahmen der Höhenkammliteratur überlebt hat, sondern einfache Belletristik. Denn nicht alle hatten den Wortschatz eines Zweig oder Rilke. Man entwickelt ja auch bei der Recherche ein gewisses Gefühl für die Zeit und ichfinde, dann entsteht auch ein Verständnis dafür, was angemessen ist und was nicht. Und wenn du dir bei einem bestimmten Wort dann wirklich unsicher bist, ob das in dem Kontext schon verwendet wurde, kannst du es ja immer noch recherchieren.

Pygmalion

@Lakota : DAs ist wieder ein Problem, wenn man das Mittelalter als Zeit ohne Entwicklung auffasst. Knöpfe gab es im Spätmittelalter durchaus in der Verwendung, sie zum zuknöpfen zu benutzen und wurden auch immer häufiger benutzt. Im Frühmittelalter hingegen nicht.

Ich vermute, dass es das Konzept der Sackgasse im Mittelalter auch einfach gar nicht gab. Mir ist kein einziger Stadtplan bekannt, wo eine Straße einfach so endet. Man kam immer von einer Straße in die nächste. Deswegen brauchte man dafür vermutlich auch nicht so häufig ein Wort. Vielleicht trifft das noch auf die Rundlingsdörfer zu, aber das sind ja nicht wirklich Sackgassen, sondern eher "Sackdörfer" mit zentralem Platz... :P

In die Literatur einlesen geht beim 1. WK natürlich noch ganz gut, wenn du aber deutlich weiter zurückgehst, wird das schon schwieriger, weil es da einfache Belletristik so gut wie gar nicht gibt. Da kann das durch die Literatur überlieferte ein Bild projezieren, das eine reine Schriftsprache wiedergibt, die aber die Leute nie benutzt haben. Letztlich kommt es für mich auch darauf an, ob die Leute selbst in ihrer Zeit sind und sich so verhalten. Ein normaler, mittelalterlicher Mensch kennt einfach nicht die Ideen von Demokratie und Pazifismus. Für den ist Fehde und Krieg nichts wirklich verdammungswürdiges, wenn es den Regeln entspricht. Von daher ärgern mich immer so Figuren, die den Krieg ganz doll hassen und Pazifismus herbeisehnen.

Churke

Zitat von: Pygmalion am 08. Juni 2015, 12:35:45
Ich vermute, dass es das Konzept der Sackgasse im Mittelalter auch einfach gar nicht gab. Mir ist kein einziger Stadtplan bekannt, wo eine Straße einfach so endet.

Dann warst du noch nicht in Speyer.  ;)
http://www.stadtplan.net/branchenbuch/results.php?stadtplan=/deutschland/rheinland-pfalz/speyer/speyer

Lakota

Oder in Münster/West. ca. 1750.
Sackgassen gab es durchaus und gar nicht mal so selten. Manchmal endeten sie direkt vor der Stadtmauer.
@Pygmalion:
ZitatIn die Literatur einlesen geht beim 1. WK natürlich noch ganz gut, wenn du aber deutlich weiter zurückgehst, wird das schon schwieriger, weil es da einfache Belletristik so gut wie gar nicht gibt.
Ich habe viel in den Bibliotheken nach alten Schriften gesucht. Dazu muss man die alte Kurrentschrift lesen können, was nicht immer so leicht ist.

Die Sprache ändert sich aber wirklich sehr mit der Zeit. Man lese nur mal etwas von Karl May, wie distanziert und höflich sich Old Shatterhand und Co. dort unterhalten (und gedacht) haben. Nur würde man heute kein Buch mehr loswerden, würde man die Sprache übernehmen. Das Lesepublikum lebt ja heute.

Belle_Carys

ZitatIn die Literatur einlesen geht beim 1. WK natürlich noch ganz gut, wenn du aber deutlich weiter zurückgehst, wird das schon schwieriger, weil es da einfache Belletristik so gut wie gar nicht gibt.

Ja klar. Das war jetzt auch wirklich auf das Beispiel bezogen. Ich halte das ohnehin nicht für die perfekte Lösung, dabei geht es mehr darum ein Gefühl für die Zeit zu bekommen. Aber gerade wenn man, wie ich es in meinem aktuellen Projekt gerade auch tue, ins Mittelalter zurück geht, wird es schwierig. Höfische Literatur ist idealisierte Literatur. Sie gibt ein "wie soll es sein" wieder und nicht zwingend einen Ist-Zustand. Und die Sprache der einfachen Bevölkerung und selbst der Landadligen ist für uns einfach kaum greifbar. Schriftsprache weicht ja auch heute vom gesprochenen Wort ab. Deshalb würde ich prinzipiell dazu raten, sich nicht zu verkünsteln. Ja, es gibt natürlich einen Unterschied zu einem Jugendbuch oder auch nur einem Roman der zur heutigen Zeit spielt. Jede Epoche hat prägnante Dinge, die beachtet werden wollen. Aber gerade viele historische Autoren brechen sich dann oft einen daran ab, möglichst "originalgetreu" zu schreiben, obwohl es überhaupt keine Vorlage gibt. Zwischen dem Extrem und der Vermeidung von Anachronismen liegt ein weites Feld.

Zitat
Die Sprache ändert sich aber wirklich sehr mit der Zeit. Man lese nur mal etwas von Karl May, wie distanziert und höflich sich Old Shatterhand und Co. dort unterhalten (und gedacht) haben. Nur würde man heute kein Buch mehr loswerden, würde man die Sprache übernehmen. Das Lesepublikum lebt ja heute.

Das ist, wie ich finde, ein elementarer Punkt. Ich kann noch so historisch korrekt und nahe an jedem Manuskript, dass ich ausgegraben habe, sein. Wenn es dann für meinen Leser nicht lesbar ist, weil er auf Grund der Sprache keinen Zugang zum Text findet, hat am Ende keiner gewonnen. Es ist ein Balanceakt.

Franziska

Ich stimme euch da zu, ich meine, es bringt wirklich nichts, wenn man sich haargenau an die Sprache der Zeit hält und es niemand lesen kann. En paar altmodische Wörter sind für die Atmosphäre ganz schön, aber ich sehe es auch so, dass man das für die Leser heute übersetzt und da finde ich es auch nicht so schlimm, wenn man Wörter benutzt, die es zu der Zeit noch nicht gab. Abgesehen eben von ganz eindeutigen Fehlern, wie das mit der Sackgasse oder wenn man Vergleiche mit Personen zieht, die zu der Zeit noch gar nicht gelebt haben, oder Dingen, die nicht erfunden waren. Aber bei Worten, wo man schon Linguist sein muss, um das zu wissen, finde ich es nicht so schlimm, wenn man sie verwendet. Ich hatte das "Problem", dass mein Text in England spielt, soll ich dann nur Wörter verwenden, die zu der gleichen Zeit in Deutschland verwendet wurden? Das kam mir dann auch unsinnig vor, denn eigentlich übersetzte ich dann ja die ganze Zeit die Dialoge aus dem Englischen. Hätte ich es ganz genau genommen, hätte ich wirklich alles erst in Englisch schreiben müssen und dann gucken, ob es die Wörter dann auf englisch so gab ... das habe ich mir gespart.

DoroMara

ZitatBei vielen historischen Romanen wurde in den Amazon-Rezensionen bemängelt, dass sich die Autoren solche Schnitzer erlaubt haben bzw. keine Grundkenntnisse über die Epoche besitzen und Beispiele aus Literatur, Kunst, Film und Musik erwähnen, die erst Jahre später berühmt geworden sind. Da sollte man auf jeden Fall gründlich recherchieren.

Als Leserin hat es mich bei historischen Romanen auch schon gestört, wenn Personen Auflassungen vertraten, die nicht in diese Zeit passen, sondern eher modern sind. Auch Fensterscheiben im Frühmittelalter haben mich schon verblüfft. Sonst ist mir aber schon aufgefallen, dass Rezensenten auch schon angegeben haben: Ich weiss es eben besser als der Autor ... und sich dann in Haarspaltereien verloren.
Recherche ist sehr wichtig, doch einmal muss man eben loslegen. Und was die Sprache betrifft, sind wir wirklich in einer Zwickmühle. Aus der Zeit des Ersten Weltkrieges gibt es wenigstens viel Literatur, aus der man sich inspirieren lassen kann.

canis lupus niger

Zitat von: Lakota am 08. Juni 2015, 13:17:45
Nur würde man heute kein Buch mehr loswerden, würde man die Sprache übernehmen. Das Lesepublikum lebt ja heute.

Das ist auch mein Hauptkriterium für die Sprachwahl in meinen Geschichten. Natürlich versuche ich Ausdrücke, die im Mittelalter noch nicht bekannt gewesen sein können, zu vermeiden, z.B. Anglizismen oder Worte. die sich auf Aspekte des modernen Lebens (Technik, Wissenschaft) beziehen. Den häufig gebrauchten Begriff "Mutant" in Sapkowskis Hexer-Reihe würde man in meiner Reihe nicht finden. Andererseits spielt mein Prota ein Instrument, dass es im Mittelalter noch nicht gab: eine Gitarre. :versteck:  Aber ich wollte, dass der Leser sich die erzeugte Musik vorstellen kann, und wer weiß heutzutage noch, wie eine Laute klingt?

Und ich möchte auch, dass meine Geschichten leicht und angenehm lesbar sind, deshalb wähle ich die Sprache zwar nicht nach dem heutigen Jugendslang, aber grundsätzlich schon einigermaßen modern. Wenn ich die Wahl habe, entscheide ich mich für den altmodischeren Ausdruck, wie z.B. "Augenblick" statt "Moment". Aber nur, wenn auch der altmodischere Ausdruck heutzutage noch geläufig ist. Die Sprache soll schon die Zeit, die Situation und die soziale Position der Charaktere abbilden, aber der Leser soll sie auch verstehen können. Richtig "stilgerechte" Sprache würde m.E. heutzutage kaum noch jemand gerne lesen wollen, bis auf die echten Nerds. Mich persönlich strengt schon die Sprache des 19. Jahrhunderts (wie bei Karl May, aber auch Jules Verne und anderen) so an, dass der Lesefluss stark gebremst wird.

Sanjani

Ich hoffe, ich spucke jetzt niemandem in die Suppe, aber ich finde keins der von Follett oder Gablé auf seite 1 zitierten Beispiele besonders ungewöhnlich oder altmodisch und schon gar nicht kennzeichnet für historische Romane. Ich selber hab unter meinen Arbeitskollegen den Ruf weg, zu einer gewissen pathetischen, reißerischen oder auch altmodischen Sprache zu tendieren, halte meine Romane selber aber nicht für besonders altmodisch, was den Stil angeht. Ich finde, man muss da auch einfach die Kirche im Dorf lassen.

Ich muss aber sagen, dass ich angefangen habe, mehr auf Sprache zu achten, seit eine Betaleserin mir mal bei einem Fantasy-Werk gesagt hat, ich würde so neumodische Wörter benutzen. Ich habe dann daraus den Schluss gezogen, dass es vielleicht netter ist, jemanden einen Hurensohn zu nennen als einen Wichser und ähnliches :) Und die Anglizismen fliegen komplett raus, was ich in historischen Romanen auch machen würde.

Was moderne Auffassungen angeht, bin ich da nicht so streng. Ich bin mir sicher, dass es auch früher schon Freigeister gegeben hat, die mit den herrschenden Zuständen nicht klar gekommen sind und sich dagegen aufgelehnt haben, sei es im Kleinen, als auch im Großen. Ich glaube nicht, dass der Mensch sich in den letzten 2000 Jahren von grundauf verändert hat. Und ohne Freigeister und Querdenker wären wir heute immer noch Jäger und Sammler. Und mal ehrlich: Wer will einen historischen Roman über eine Hausfrau lesen, die nichts anderes zu tun hat als den Haushalt zu führen, Kinder groß zu ziehen und abends ihrem Mann zu Diensten zu sein?

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Ratzefatz

#54
ZitatUnd ohne Freigeister und Querdenker wären wir heute immer noch Jäger und Sammler. Und mal ehrlich: Wer will einen historischen Roman über eine Hausfrau lesen, die nichts anderes zu tun hat als den Haushalt zu führen, Kinder groß zu ziehen und abends ihrem Mann zu Diensten zu sein?
Ich glaube - wenn ich DoroMara richtig verstehe -, es geht eher darum, dass das in manchen Epochen nun mal das idealtypische Rollenbild war. Klar kann die Heldin andere Ansichten haben, aber a) sollten die dann gut begründet sein (warum denkt gerade sie anders als der Rest der Welt?) und b) sollte ihr Umfeld dann auch entsprechend darauf reagieren. Zum Beispiel: Wenn eine Frau heute nicht heiraten und keine Kinder will, ist das durchaus normal. Wenn eine Frau in einer solchen Zeit, wie du sie beschreibst, lieber single und kinderlos bleiben wollte, hätte vermutlich zumindest ein Teil ihres Umfelds mit Entsetzen und Unverständnis reagiert - immerhin hätte sie quasi die ihr zugeteilte Aufgabe verweigert -, und natürlich stellt sich auch die Frage, was deine Heldin stattdessen mit ihrem Leben anfangen will. So viele Möglichkeiten gab es da ja früher noch nicht ...
,,Dein Name ist Venko", raunte Zoya in sein Ohr. ,,Venko, Venko, Venko." Sie gab ihm für jedes ,,Venko" einen Kuss und ermahnte ihren Mann: ,,Vergiss deinen Namen nicht!"
,,Wie könnte ich ihn vergessen, meine Zoya", raunte er zurück, ,,wenn ihn vergessen auch dich vergessen hieße?"

Churke

Zitat von: Sanjani am 10. Juni 2015, 19:23:20
Ich habe dann daraus den Schluss gezogen, dass es vielleicht netter ist, jemanden einen Hurensohn zu nennen als einen Wichser und ähnliches :)

Äh, nein. Beim "Hurensohn" beleidigst du nicht ihn, sondern seine Mutter, und in manchen Kulturkreisen wirst du dafür gemessert.

Sanjani

@Ratzefatz: Hatte ich nicht so gelesen, vllt weil sich das für mich eh versteht, dass man das klar begründen muss. Wenn das ein Autor nicht macht, hat er aus meiner Sicht einfach sein Handwerk nicht ausreichend drauf.

@Churke: Keine Ahnung. Das war ja nur ein Beispiel, das mir spontan eingefallen ist, das ich in historischen Romanen gelesen habe.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

canis lupus niger

Negativbeispiel für nicht begriffenes Handwerk sind die emanzipierten (und trotzdem akzeptierten) Frauen in den Ini-Lorentz-Romanen. ::)

Sanjani

Zitat von: canis lupus niger am 12. Juni 2015, 13:38:07
Negativbeispiel für nicht begriffenes Handwerk sind die emanzipierten (und trotzdem akzeptierten) Frauen in den Ini-Lorentz-Romanen. ::)

Also die Wanderhure hab ich sehr gerne gelesen und fand sie auch ganz gut. Ich bin da vielleicht nicht so anspruchsvoll. :) Allerdings merke ich gerade, dass ich mich an überhaupt nichts mehr aus dem Buch erinnere. Insofern gehört es wohl zu dem Gros an Büchern, die ich ganz nett fand, die aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

DoroMara

ZitatUnd mal ehrlich: Wer will einen historischen Roman über eine Hausfrau lesen, die nichts anderes zu tun hat als den Haushalt zu führen, Kinder groß zu ziehen und abends ihrem Mann zu Diensten zu sein?

Hmm, wäre vielleicht mal ganz spannend, aufzuschreiben, was im Kopf einer solchen Frau vorgeht ...

Ich wollte jedoch sagen (danke Ratzefatz), dass ein Freigeist von früher für heutige Verhältnisse vielleicht total konservativ war oder dass er sich für etwas eingesetzt hat, was heute vielleicht selbstverständlich ist. Und dass man diese "historische" Haltung und die Haltung des Umfeldes als Autor/in deutlich darstellen muss.

Um die Ini-Lorentz-Romane mache ich einen Bogen - verpasse ich da was?