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Muss jedes Buch eine "gute" Moral haben?

Begonnen von Artemis, 27. März 2007, 20:02:19

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Zanoni

"Müssen" muss gar nichts - klar. Aber rein praktisch gesehen gibt es tatsächlich einen sehr wichtigen Grundsatz: Der Leser muss sich mit der Hauptfigur identifizieren können! Wenn das nicht gelingt, verliert er das Interesse an der Geschichte und legt sie weg.

Und das ist der Grund dafür, warum ein Proto etwas "Gutes" ... nein, ich nenne es wohl lieber etwas neutraler: "Positives" haben an sich haben muss. Egal wie klein dieser gute Anteil auch sein mag. Die meisten Menschen könnenn sich nicht mit einem "Bösen" identifizieren, bzw. wollen es überhaupt nicht. Also hat man es mit einem richtig üblen Proto in der Regel sehr schwer die Leser für ihn begeistern zu können. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die finden die "Bösen" viel interessanter als die "Guten", und manche können sich sogar mit Protas identifizieren, die abgrundtief schlecht sind. Insofern kommt es natürlich immer darauf an, für was man sich als Autor begeistern kann und für wen man schreibt, bzw. wer und wie groß die Leserschaft werden soll.

Mein persönlicher Eindruck ist, dass das Interesse an tollen Geschichten - egal ob als Buch, Film oder Computerspiel - immer mit dem Interesse verbunden ist, etwas Neues oder Interessantes dazulernen zu können. Nicht im rein im wortwörtlichen Sinn, also wie man Zauberer besiegt oder Psychopathen zur Strecke bringt (was bei den meisten Lesern eher selten nützlich sein dürfte), sondern im übertragenen Sinne, also ganz allgemein gesagt: Wie man Herausforderungen bewältigt bzw. Konflikte löst. In dieser Hinsicht können auch Fantasy-Romane sehr interessante Lösungsansätze liefern - mindestens auf der symbolischen Ebene.

Ach, da fällt mir ein, dass etliche Beispiele für sehr üble Protas gibt, die aber im Laufe der Geschichte aber einen Wandlungsprozess zum Besseren durchmachen, also vom Bösen zum Guten werden. Bekanntestes Beispiel für diese Art von Prota ist vermutlich Scrooge, aus Dickens Weihnachtsgeschichte. Erst ist er "das Böse schlechthin", aber durch die Konfrontation mit den Geistern der drei Weihnachten wird ein Wandlungsprozess vollzogen.

Und zu alledem kommt natürlich noch die jeweilige Intention der Autoren: Was wollen sie mit ihren Geschichten sagen? Soll es eine Geschichte sein, die zeigt, dass nur der Schlechteste gewinnt und die Guten die Dummen sind? Dann wird sicher ein Prota bevorzugt, der kein Gewissen und keine Skrupel kennt, und dessen Handlung bzw. Sichtweise in irgendeiner Form "heroisiert". Und andere Autoren, die eher das Gegenteil davon bevorzugen, für die sind dann "gute" Protas ein "Muss" ... jeder so wie er mag.

Ryadne

Zitat von: Zanoni am 31. Mai 2012, 22:12:29
Mein persönlicher Eindruck ist, dass das Interesse an tollen Geschichten - egal ob als Buch, Film oder Computerspiel - immer mit dem Interesse verbunden ist, etwas Neues oder Interessantes dazulernen zu können.

Hm... ich frage grad mich gerade, was bei GTA Interessantes dazugelernt wird.
Ich würde eher in die Richtung gehen, zu sagen, dass man etwas tun, bzw. erleben kann, das einem in der Realität in dieser Form verwehrt bleibt. Das kann dann auch etwas Verbotenes oder moralisch Verwerfliches sein, unter Umständen.

Farean

Zitat von: Ryadne am 31. Mai 2012, 21:39:59
Vielleicht habe ich das in meinem vorangegangenem Post auch zu eng gesehen. Jedenfalls ist dieses Finstere für mich etwas anderes als das Böse, Antimoralische, wie es einem in "American Psycho" und Co. begegnet. Wenn du etwa Weis/Hickman nennst... ich weiß nicht, wen du da im Kopf hast, aber mir fallen da Chemosh oder Mina ein, vielleicht auch Raistlin. Klar sind die ein wenig böse.
An Raistlin hatte ich jetzt nicht gedacht, obwohl auch der sich meiner Ansicht nach schon für mehr als nur "ein wenig böse" qualifiziert. Immerhin läßt er in einer tödlichen Notlage den eigenen Bruder und alle seine Freunde im Stich. Und sein krankhaftes Machtstreben hat für mich durchaus etwas vom Antimoralischen des "Psycho". Aber eigentlich dachte ich eher an solche Figuren wie Prinz Dagnaros aus "Quell der Finsternis" oder die hochmütig-selbstgerechte Führungselite der Sartan aus "Die Vergessenen Reiche".

Zitat von: Ryadne am 31. Mai 2012, 21:39:59
Aber sie werden mit "menschlichen" Wesenszügen dargestellt und sie heben sich ab von dem psychopathischen Alltagsbösen, vor dem wir vielleicht in der Realität Angst haben. Das dominierend Verachtende ohne tragisch-nachvollziehbaren Hintergrund fehlt in der Fantasy. Allgemein. Mir fällt gerade kein Gegenbeispiel ein, irgendein Independent-Werk oder so gibt's sicher auch hier.
Naja, z.B. die Diebeswelt-Reihe würde ich jetzt nicht als "Independent"-Exoten betrachten... ;)

Arielen

Ich denke mal, es kommt wirklich darauf an, für welche Zielgruppe man das Buch schreibt, und wie man sioch selbst dabei fühlt. Aus Rollenspielerfahrungen habe ich gemerkt, das mir Bösewichte, die ich faszinierend fand nach und nach auch gute Seiten entwickelten oder Sühne leisteten. Und immer hatten sie auch irgend einen freundlichen oder moralisch guten Zug.

Als gutes Beispiel fällt mir auch "Dexter" ein, gut das ist jetzt ein Krimi, aber hier haben wir auch den Serienkiller und Psychopathen auf der einen Seite, auf den anderen aber auch den Mann, der langsam aus diesem Kodex ausbricht und zu lieben lernt. Auch in der Fernsehserie tänzelt  er immer auf einem schmalen Grat. Dadurch dass der Zuschauer zum einen Mitleid mit ihm hat (da er ja seelisch verkrüppelt ist und das Trauma am Mord an seiner Mutter mit sich herum schleppt) und eigentlich nur die nioch Böseren killt (mit wenigen Ausnahmen), können sie ihn als Helden akzeptieren.

Auch Raistlin aus Drachenlanze hat ja durchaus seine guten Seiten - von Buch zu Buch gibt ihm Margaret Weis mehr und mehr Facetten, die negativen Charakterzüge haben einen Grund, auf der anderen hat er auch viele gute, wie die doch vorhandene Treue zu seinem Bruder.

Ich denke, viele Leser sind von dem Spiel mit dem Bösen fasziniert, aber sie brauchen auch mindestens eine gute Seite, die Sympathie in ihnen weckt, oder Gründe, die das negative Verhalten nachvollziehbar machen, um einen finsteren Charakter zu akzeptieren.

Für mich als Autor ist es auch wichtig, dass ich alles entsprechend nachempfinden kann und mich dann auch mit dem Verhalten des Charakters wohl fühle. Denn nur dann kann ich auch überzeugend genug schreiben um dem Buch eine nicht ganz so gute Moral zu geben.
Alles liegt im Auge des Betrachters

Artemis

#49
Zitat von: Arielen am 01. Juni 2012, 07:57:43
Als gutes Beispiel fällt mir auch "Dexter" ein, gut das ist jetzt ein Krimi, aber hier haben wir auch den Serienkiller und Psychopathen auf der einen Seite, auf den anderen aber auch den Mann, der langsam aus diesem Kodex ausbricht und zu lieben lernt. Auch in der Fernsehserie tänzelt  er immer auf einem schmalen Grat. Dadurch dass der Zuschauer zum einen Mitleid mit ihm hat (da er ja seelisch verkrüppelt ist und das Trauma am Mord an seiner Mutter mit sich herum schleppt) und eigentlich nur die nioch Böseren killt (mit wenigen Ausnahmen), können sie ihn als Helden akzeptieren.

Dexter ist für mich einer der großartigsten Charaktere, denen ich in den letzten Jahren begegnet bin  :) Es ist manchmal fast schon gruselig, wie sehr es ihm gelingt, dass man Sympathie zu ihm aufbaut, obwohl er im Grunde betrachtet eine ziemlich abartige Natur hat - auch wenn er Bösewichte aus dem Weg räumt, tut er das ja mit einem ziemlich selbstgefälligen und aufwändigen Muster und schreckt auch vor Folter nicht zurück. In den Augen des "Helden" hätte er also sehr schlechte Karten und wäre auch für den Leser/ Zuschauer verachtenswert genug, um ihn in die Ecke des Antagonisten zu drängen. Aber da man die Geschichte aus seinem Blickwinkel sieht, erfährt man mehr. Genug, um ihn trotz seines Handelns zu mögen (manchmal würde man ihn echt gern in den Arm nehmen und trösten).

Ein solcher Antiheld schafft mehr Bezugsfläche als jeder strahlende Protagonist, und gerade die Abgründe und seelischen Wunden rechtfertigen sein Handeln mehr als jedes noch so ehrenvolle Streben eines wunderbaren Helden.

Ryadne

Zitat von: Arielen am 01. Juni 2012, 07:57:43
Dadurch dass der Zuschauer zum einen Mitleid mit ihm hat (da er ja seelisch verkrüppelt ist und das Trauma am Mord an seiner Mutter mit sich herum schleppt) und eigentlich nur die nioch Böseren killt (mit wenigen Ausnahmen), können sie ihn als Helden akzeptieren.

Auch Raistlin aus Drachenlanze hat ja durchaus seine guten Seiten - von Buch zu Buch gibt ihm Margaret Weis mehr und mehr Facetten, die negativen Charakterzüge haben einen Grund, auf der anderen hat er auch viele gute, wie die doch vorhandene Treue zu seinem Bruder.

Das sind für mich auch die Sachen, die den Unterschied machen.
Ich habe Raistlin vielleicht zeitweise als den "Bösewicht" empfunden, den die Handlung brauchte, aber er war für mich nie die Verkörperung des Bösen. Er zeigt Mitleid mit anderen, er zeigt Reue.

@Farean
Die Diebeswelt-Reihe kenne ich nicht, aber mit dem Independent-Werk, das hab ich jetzt auch nicht so eng gesehen ;)

Luna

#51
Ich hätte da auch ein gutes Beispiel: Prinz der Dunkelheit
Der deutsche Titel ist leider etwas unpassend. Im englichen Original heißt das Buch Prince of Thorns und das hat auch eine Bewandnis. Besagter Prinz musste als neunjähriger die Ermordung seiner Mutter und seines Bruders mit ansehen. Ihre Kutsche wurde überfallen und der Prinz überlebte nur, weil ihn jemand in eine Dornenhecke warf und von den Angreifern nicht gesehen wurde. Seitdem ist der gute Prinz etwas verkorkst ;D. Im zarten Alter von 13/14 zieht er erbarmungslos und ohne jeden Sinn für Moral mordend, raubend und brandschatzend durch die Gegend. Jegliche Skrupel sind ihm abhanden gekommen. Und, von Rache und Machtgier ist er auch noch getrieben. Er will seine Mutter und seinen Bruder rächen, mit 15 König werden und mit 20 Kaiser sein ;D.

Ich zitiere hier mal aus einer Amazon Rezension, weil sie auf das Thema "Muss jedes Buch eine Moral haben" sehr gut passt.
Zitat
Dieses Buch ist ... anders. Faszinierend, dunkel, bricht es alle Konventionen in Bezug auf Moral und die Beschaffenheit eines Fantasy-Helden. Und kommt damit durch.
Jorg ist zweifellos der amoralischste, bösartigste, skrupelloseste und gemeinste Charakter, dem ich je als Hauptheld in einem Buch begegnet bin.

Trotz seiner Skrupellosigkeit und seiner Abwesenheit jeglicher Moral habe ich mit Prinz Jorg mitgefiebert, ob er mit seinen Plänen Erfolg haben wird, ob er es tatsächlich schafft, Rache zu üben und König zu werden. Das Buch ist in der Ich Form geschrieben, normal ein Grund für mich, es sofort wieder ins Regal zu stellen, aber angetan von den überwiegend positiven Rezensionen für den Debut-Roman des Autors Mark Lawrence und der Neugier auf die Besonderheit des Themas, bzw. des Protas habe ich es mir dennoch gekauft und keinen Meter bereut. Soetwas zynisches habe ich selten gelesen und überaus toll geschrieben noch dazu :vibes:. Innerhalb zwei Tagen habe ich das Buch verschlungen. Das möchte ich jedem ans Herz legen, der auf Moral in einem Fantasy-Roman verzichten kann ;D.

Und die Moral von der Geschicht? Moral brauchen gute Bücher nicht ;)

Zanoni

Zitat von: Ryadne am 31. Mai 2012, 22:47:02
Hm... ich frage grad mich gerade, was bei GTA Interessantes dazugelernt wird.
Dass Gewalt keine Lösung ist ... so verrückt sich das auch anhören mag.

Aber mal ehrlich: Je exzessiver man dieses Spiel spielt, desto mehr ödet einen die viele Gewalt an. Zumindest, wenn es sonst keine andere "Aufgabe" zu bewältigen gilt. Und das kann man durchaus auch als "Lerneffekt" betrachten.

Allerdings glaube ich nicht, dass der Erfolg dieser Spielreihe in der Gewaltverrlichung liegt. Mag sein, dass die - gerade zu Anfang - eine sehr wirksame Werbung für die GTA-Spiele war, aber ich glaube, sie wären auch gut gelaufen, wenn es keine oder nur wenig Gewalt in ihnen gegeben hätte.

Und noch ein anderer Aspekt: Wenn jemand aufgestaute Aggressionen abbauen will, dann ist es doch im Grunde viel besser, wenn das innerhalb von Computerspielen passiert, als wenn er diese an seinen Mitmenschen rauslässt, oder? Aber das ist vermutlich ein Thema, zu dem die Psychologen mehr sagen könnten ...

Ryadne

Zitat von: Zanoni am 01. Juni 2012, 12:08:06
Allerdings glaube ich nicht, dass der Erfolg dieser Spielreihe in der Gewaltverrlichung liegt. Mag sein, dass die - gerade zu Anfang - eine sehr wirksame Werbung für die GTA-Spiele war, aber ich glaube, sie wären auch gut gelaufen, wenn es keine oder nur wenig Gewalt in ihnen gegeben hätte.

Und noch ein anderer Aspekt: Wenn jemand aufgestaute Aggressionen abbauen will, dann ist es doch im Grunde viel besser, wenn das innerhalb von Computerspielen passiert, als wenn er diese an seinen Mitmenschen rauslässt, oder? Aber das ist vermutlich ein Thema, zu dem die Psychologen mehr sagen könnten ...

Auf jeden Fall, mein Kommentar sollte auch keine Kritik daran sein, ich konnte nur deine Einschätzung nicht recht nachvollziehen. Wobei es sicher auch viele Spiele gibt, bei denen der Aspekt des Dazulernens durchaus einen Hauptanreiz ausmacht, ich sehe das nur nicht generell als Hauptanreiz. Ich werfe jetzt auch mal den meisten GTA-Spielern vor, dass sie es nicht deshalb spielen, weil sie herausfinden wollen, dass Gewalt keine Lösung ist.

Dass der Erfolg des Spiels in der Gewaltverherrlichung (oder eher -ausübung) liegt, glaube ich auch nicht, jedenfalls nicht ausschließlich. Ich selbst habe GTA 2 ganz gerne gespielt, weil ich das Ausweichen beim Rumfahren und Flüchten so unterhaltsam fand und ich mich dabei recht frei durch die Spielwelt bewegen konnte. :)

Aber wir kommen gerade ziemlich vom Hauptthema ab.

Moni

Zitat von: Luna am 01. Juni 2012, 09:54:48
Ich zitiere hier mal aus einer Amazon Rezession,

Rezension, bitte. Rezession ist was definitiv anderes.  8)
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Luna

[OT]
:versteck: Ups, da ist mir aber ein blöder Fehler unterlaufen. Wäre ja fast ein Fall für den Tintenklecks Thread. Die Worte klingen aber auch zu ähnlich :seufz:. Habs jetzt geändert ;).
[/OT]

Tintenweberin

#56
Zitat von: Zanoni am 01. Juni 2012, 12:08:06
Und noch ein anderer Aspekt: Wenn jemand aufgestaute Aggressionen abbauen will, dann ist es doch im Grunde viel besser, wenn das innerhalb von Computerspielen passiert, als wenn er diese an seinen Mitmenschen rauslässt, oder? Aber das ist vermutlich ein Thema, zu dem die Psychologen mehr sagen könnten ...
[Klugscheißermodus an] In gewaltlastigen (oder gewaltverherrlichenden) Spielen werden keine Aggressionen abgebaut sondern die eingebauten oder anerzogenen Beißhemmungen. Die ersten Egoshooter wurde im Auftrag des amerikanischen Militärs entwickelt, um unerfahrene Soldaten für "den Erstfall" zu trainieren." [Klugscheißermodus wieder aus]

In unserer Fantasy-Reihe haben wir uns (und alle anderen Autoren, die mitschreiben wollen) vor die Aufgabe gestellt, spannende Abenteuer zu schreiben, die eine gewaltlose Lösung finden. Am Anfang ist es etwas ungewohnt, alle Protagonisten gnadenlos an das Gute im Menschen glauben zu lassen, aber man kann sich daran gewöhnen und spannende Konflikte gibt es auch, wenn alle Mitspieler (l)awful good sind ...   ;)

Kisara

Zitat von: Tintenweberin am 01. Juni 2012, 18:26:52
In unserer Fantasy-Reihe haben wir uns (und alle anderen Autoren, die mitschreiben wollen) vor die Aufgabe gestellt, spannende Abenteuer zu schreiben, die eine gewaltlose Lösung finden. Am Anfang ist es etwas ungewohnt, alle Protagonisten gnadenlos an das Gute im Menschen glauben zu lassen, aber man kann sich daran gewöhnen und spannende Konflikte gibt es auch, wenn alle Mitspieler (l)awful good sind ...   ;)

Ich weiß nicht, das ist nicht das, was ich mir vom Schreiben verspreche. Es kann ja ein spannendes Experiment sein, aber ich bin doch ein lebendiges Wesen und nicht nur eine Tipp-Maschine, d.h. meine eigenen Emotionen gehen doch mit in einen Roman ein. Und wieso sollte ich meinen Protas absprechen, dass sie genau wie ich mal auf den Tisch hauen und eben einfach mal zuschlagen, wenn die Sicherungen durchbrennen? Es sind doch die Emotionen des Autors, die beim Schreiben den Figuren Leben einhauchen, oder nicht?

Ich persönlich bin eine Anhängerin von expliziter Gewalt, ich lese brutale Bücher und ich verehre Autoren wie Carcaterra und Martin und Erikson, die gnadenlos zeigen zu was für abstoßenden Dingen Menschen fähig sind. Denn das ist nun einmal die Wahrheit. Und auch Protas machen nicht immer alles richtig, sie tun nicht immer nur das Gute, sie sind genauso menschlich wie Antas auch.
Für mich sind Romane kindisch und unglaubwürdig, die immer alles auf die ruhige und sanfte Tour versuchen, sofern sie sich dabei nicht wenigstens selbst ein paar Spitzen gegenüber gönnen.

Natürlich verstehe ich Leser, die sagen, ihr Leben ist schon schrecklich genug und sie wollen etwas lesen, wo sie am Ende sicher sein können, dass das Gute irgendwie gewinnt - doch das ändert meines Erachtens nichts daran, dass Antas manchmal gewinnen oder der Zufall einfach allen gleichermaßen in die Weichteile tritt. Das mag vielen zu hart sein, aber es ist ein Schuss Realismus, den ich bewundernswert und pädagogisch für sehr viel wertvoller erachte als Rosa-Alles-Gut.


So, falls das jetzt etwas zu hart ausgedrückt war, entschuldigt bitte. Ich möchte wirklich niemanden persönlich angreifen, denn der Punkt ist ja schließlich doch der: egal was wir denken, die Verlage lieben Moral und vertreiben solche Bücher viel eher als die, die uns am Ende lehren wie grausam die echte Welt sein kann.

Tintenweberin

#58
Zitat von: Kisara am 01. Juni 2012, 18:43:09
Ich weiß nicht, das ist nicht das, was ich mir vom Schreiben verspreche. Es kann ja ein spannendes Experiment sein, aber ich bin doch ein lebendiges Wesen und nicht nur eine Tipp-Maschine, d.h. meine eigenen Emotionen gehen doch mit in einen Roman ein. Und wieso sollte ich meinen Protas absprechen, dass sie genau wie ich mal auf den Tisch hauen und eben einfach mal zuschlagen, wenn die Sicherungen durchbrennen? Es sind doch die Emotionen des Autors, die beim Schreiben den Figuren Leben einhauchen, oder nicht?

Ich bin auch keine Maschine sondern eine sehr lebendige Menschin und meine Emotionen finden sich selbstverständlich in den Geschichten wieder. Aber ich habe auch im wirklichen Leben noch nie "eben einfach mal zugeschlagen wenn die Sicherungen durchbrennen" und ich würde mich in Grund und Boden schämen, wenn mir das jemals passieren würde. Warum sollte ich von meinen Protagonisten weniger verlangen als von mir ...   ;)

Kisara

Zitat von: Tintenweberin am 01. Juni 2012, 18:55:12
Ich bin auch keine Maschine sondern eine sehr lebendige Menschin und meine Emotionen finden sich selbstverständlich in den Geschichten wieder. Aber ich habe auch im wirklichen Leben noch nie "eben einfach mal zugeschlagen wenn die Sicherungen durchbrennen" und ich würde mich in Grund und Boden schämen, wenn mir das jemals passieren würde. Warum sollte ich von meinen Protagonisten weniger verlangen als von mir ...   ;)

Weil Protas uns das ausleben lassen, was wir selbst nicht tun können/wollen - sei es durch Erziehung, Normen oder schlicht Tugenden. Es gibt einfach Situationen, in denen ich Leuten nicht abnehmen würde, dass sie sich ruhig und freundlich miteinander auseinander setzen würden, Beispiel: jemand verfüttert einen Giftköder an meinen Hund und ich und meine Kinder müssen miterleben, wie sich das arme Tier grausamst zu Tode quält. Am nächsten Tag begegne ich dem Täter und der grinst mir hämisch zu: "Na, ist was mit dem Wauwau?"
Da reagiere ich doch nicht ruhig und freundlich und setze mich mit ihm an einen Tisch, oder? Wieso sollte ich meinen Protas ein so unnatürliches Verhalten andichten wollen?

Und das Beispiel ist noch die untere Ebene dessen, was in Romanen passiert. Was, wenn ich Hund durch Kind und Giftköder durch Missbrauch ersetze? Ich kann deutlich sagen, dass sollte sich jemand an meinen Sohn oder meiner Tochter vergreifen keine weltliche oder göttliche Instanz den Täter vor mir schützen könnte. Wieso sollten meine Protas anders handeln?
Und was ist, wenn wir über Selbstverteidigung sprechen? Ist es verwerflich dem Schlägertypen in der U-Bahn Pfefferspray oder eben Deo in die Augen zu sprühen um zu entkommen, unbedacht ob der davon blind werden kann? Oder ist es falsch denselben Schläger selbst anzugreifen, um ihn von dem Renter wegzukriegen, den er grade zusammen tritt?

All diese Situationen lassen sich genauso gut auf Fantasy anwenden - ich frage mich einfach, ob es glaubwürdig ist, wenn man behauptet immer ruhig zu bleiben und an das Gute des Täters zu appellieren.

Dass wir als Autor solche Situationen selten erleben - hoffentlich nie - heißt aber nicht, dass wir uns nicht mit den Konsequenzen auseinander setzen müssen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich pädagogisch korrekt die Diskussionsrunde suchen würde (und das dann selbst unbeschadet überstehen würde).