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Einfluss von Charakterschwächen auf den Plot

Begonnen von Norrive, 08. Juli 2014, 23:12:46

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Norrive

Zitat von: Atra am 10. Juli 2014, 08:08:28

Eine Frage habe ich noch: Was ist denn ein Charakterfluff?

Wups, da ist mir wohl ein Rollenspiel-Begriff dazwischen gerutscht. Der Fluff im Rollenspiel ist das, was man sich ausdenkt, um den Charakter runder zu machen, unabhängig davon, ob es mir als Spieler konkret mehr bringt (zB lernt mein Samurai Origami, einfach weil es zum Charakter passt, nicht weil es Kampfboni gibt).   
Zitat von: http://en.wikipedia.org/wiki/Fluff_(fiction)Many board games and video games provide their own fictional setting, or are set in fictional settings defined by other media such as literature or film. Fluff, in the context of such gaming fiction, refers to information that provides setting and context for the game.

By definition, fluff is never part of the proper game rules. As such, fluff has no impact on gameplay and can technically be ignored by the players without breaking the game or its rules.

Die Definition trifft auch mein Problem ganz gut, insofern ich die Charakterschwächen immer ignorieren konnte  :-[ Wobei solche Eigenschaften ja auch nicht schlecht sind, nur sollten sie zumindest ein bisschen Einfluss bekommen! Wie du schon geschrieben hast, ich sollte keine komplett plottunrelevanten Szenen einbauen. Aber dieses intuitive Einbauen fällt mir schwer, vielleicht kenne ich meine Charaktere nicht so gut, wie ich dachte.

Zitat von: Vic am 09. Juli 2014, 18:59:19
Also ich finde es gibt so typische "Alibi"-Schwächen wie "jemand ist tollpatschig" oder "chaotisch" oder "schüchtern", die eigentlich keine richtigen Schwächen sind, sondern eher liebenswerte Eigenheiten.
Damit muss man vorsichtig sein, weil dann schnell Mary Sues entstehen.
Bei jemandem der sehr selbstbewusst und stark ist, kann ich mir vorstellen dass derjenige auch manchmal barsch ist und vielleicht ungerecht Leute verurteilt. Das kann im Rahmen schon ein Problem sein, wenn der Protagonist dadurch z.b. bei manch anderen Charas nicht so gut ankommt.
Wenn jemand Hunger Games kennt - das ist ja z.b. Katniss große Schwäche. Sie ist sehr tough und selbstbewusst und kompetent, aber sie kann halt nicht gut mit Menschen und die meisten Menschen mögen sie erst mal nicht, weil sie so barsch rüberkommt. Das ist für sie aber ein ganz schönes Problem im Rahmen des Plottes weil um die Hunger Games zu überleben reicht es eben nicht tough und kompetent zu sein - man MUSS eben auch gut ankommen bei den Leuten.
Sowas ist z.b. ist eine in sich total plausible und für den Plot relevante Charakterschwäche.

Das kann ich so nur unterschreiben.
Vor allem solche Alibi-Schwächen habe ich früher oft benutzt, gerade in dem Roman, der in der Schublade aufs Editieren wartet. Da habe ich eigentlich eine ziemliche Mary Sue eingebaut und ein bisschen übertrieben :D

Wenn mans so betrachtet ist Vic tatsächlich ein bisschen wie Katniss, man muss sie kennenlernen. Dann muss ich mir meine anderen Charaktere alle nochmal anschauen und die Schwächen einfach mal ausspielen lassen. Dann schließt sich vielleicht auch das ein oder andere Plotloch oder ich kann einen Zeitsprung doch noch mit Handlungfüllen anstatt '2 Wochen später' zu schreiben :)

Zitat von: HauntingWitch am 09. Juli 2014, 20:34:13
Ich finde nicht, dass Schwächen zwangsläufig den Plot beeinflussen müssen. Aber sie müssen für mich als Leser als solche erkannt werden, damit der Charakter nicht einseitig wirkt. Die Frage ist natürlich, inwiefern man Schwächen erkennbar einbauen kann, ohne dass sie in den Plot greifen... Ich denke, das eine zieht das andere ein bisschen nach sich, aber wie gesagt, ich betrachte das nicht als unausweichliche Regel.

Bei mir passiert es intuitiv. Meine Charaktere haben Schwächen auf dem Charakterbogen, mit denen sie natürlich ebenso durch die Welt gehen wie mit ihren Stärken. Demzufolge spielt das automatisch in den Plot hinein. Ich plane das aber nicht in dem Sinn oder versuche gezielt, ihnen ihre Schwächen zum Verhängnis zu machen.Ob sie dann dadurch in Lebensgefahr gerät oder nicht, spielt keine Rolle. Solange die Szenen mit den Schwächen nicht allein dem Zweck des Schwäche Zeigens dienen und auch noch irgendeine andere Funktion haben.  ;)

Ich finde es sehr bewundernswert, dass das bei dir einfach so funktioniert.  Manchmal glaube ich auch, dass ich es einfach nicht übers Herz bringe, den Finger so richtig in die Wunde der Charaktere zu drücken  ;D Vielleicht sollte ich mich demnächst mal dem Bratpfannenthread anschließen und Charakterinterviews anfordern. Ich glaube, da kann ich noch einiges über sie lernen.



Danke an alle für die bisher sehr interessanten und ausführlichen Antworten!  Ihr öffnet mir hier eine ganze Reihe neuer Perspektiven :)  :pompom:

Dämmerungshexe

Vielleicht verstehe ich nur die Terminologie nicht ganz richtig, aber für michs idn die "Schwächen" eines Charakters gerade das tragende Element das den Plot leitet. Und zugleich sind sie ja auch in gewisser Weise das "Ziel" der Geschichte, der Leser will ja auch sehen wie der Charakter seine Schwächen überwindet, aus seinen Fehlern lernt und soe zu einem, besseren Menschen wird.

Am Beispiel von Vic: durch ihre mangelnde Empathie steht sie ziemlich bald wahrscheinlich ganz alleine da und muss erst mühsam lernen dass sie eben nicht allmächtig ist sondern Hilfe braucht und dazu eben auf ihre Mitmenschen auch eingehen und sie respektieren muss.

Also den ganzen Theorien zum Storywriting nach (die ich kenne) ist das Ziel einer Geschichte ja den Charakter (und damit auch den Leser) in irgendeiner Weise zu einem besseren Menschen zu machen. Ob das nun geschieht indem man zeigt wie er/sie seine Schwächen überwindet oder wie er dadurch scheitert, ist ja eher eine Geschmacksfrage.

Beispiel Alec: er ist ein Tagträumer, weil er sich nach Anerkennung sehnt. Als er durch sein impulsives Verhalten sich und seine Freundin in Gefahr bringt muss er lernen sich zurückzuhalten und Verantwortung zu übernehmen - was ihm natürlich eben Anerkennung einbringt.

Also wie gesagt: vielleicht verstehe ich nur die Terminologie nicht. Wenn es nämlich tatsächlich nur um einfache "Macken" geht - kleine Ticks, dann würde ich darunter so Sachen wie Kettenraucher, Fingernägelbeißer oder ein Lieblingswort einsortieren. Wobei auch solche Kleinigkeiten eher ein Ausdruck seines tieferen Problemes sind. (Wieder Beispiel Alec: er hat die Angewohnheit sich die Hände zu Reiben, was aber daher rührt dass in seiner Hand ein Fluch verborgen ist, der sich in Stresssituationen an die Oberfläche kämpft.)

Insoweit denke ich dass es KEINE Charakterschwächen gibt die NICHT plotrelevant sind - denn wenn etwas nicht zur Geschichte und zum Verständnis des Lesers beiträgt - welchen Sinn macht es dann darüber zu schreiben?
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

heroine

Zitat von: Dämmerungshexe am 10. Juli 2014, 11:07:52
Insoweit denke ich dass es KEINE Charakterschwächen gibt die NICHT plotrelevant sind - denn wenn etwas nicht zur Geschichte und zum Verständnis des Lesers beiträgt - welchen Sinn macht es dann darüber zu schreiben?

Da bin ich anderer Ansicht. Wobei das auch sehr stark auf die Definition von Plot ankommt.

Beispiel:
Man erzählt die Geschichte wie eine böse Königin vom Thron geschubst wird.
Charakterschwäche des Protagonisten: er kann nicht lügen. (Gut ob das nun eine Charakterschwäche ist oder einfach nur eine Schwäche oder alles in allem sogar eine Tugend sei dahin gestellt)
Die Geschichte, dass die Königin vom Thron geschubst wird bleibt die selbe, unabhängig davon ob der Held auf dem Weg dahin jeden belügt oder allen die Wahrheit sagt.

Es ist also eher das Salz in der Suppe, das was die Geschichte liebenswert/lesenswert macht. Aber für den Plot wirklich relevant? Ich weiß nicht. Es verändert den Plot ganz sicher, weil bestimmte Lösungen gefunden werden müssen. Aber es ist nicht der Kern der Geschichte ob der Protagonist lügen kann oder nicht. Genau so wenig beeinflusst es den Lauf der Geschichte, ob er es lernt oder nicht. Das sind zwar alles Punkte, die den Leser interessieren und das Lesen interessant machen, aber es ist eben ziemlich beliebig auswechselbar. Die Wahrheitsliebe hat in dem Fall auch gar nichts mit dem Sturz der Königin zu tun (bestenfalls hält der Protagonist sie für eine Lügnerin und will sie aus Überzeugung stürzen). Es trägt dennoch zur Geschichte bei, in dem es eben Lebendigkeit rein bringt. Man schreibt dann nicht nüchtern darüber wie die Ereignisse dazu geführt haben, dass die Königin gestürzt wurde. Trotzdem hilft es nicht zu verstehen, wieso die Königin gestürzt wird. Es ist und bleibt einfach eine Eigenheit des Charakters.

Erweitert man den Plotbegriff ein bisschen, so dass die einzelnen Akte zu einem Gesamtbild werden und der Plot nicht mehr nur ist Königin zu stürzen, sondern auch wie das gemacht wird. Dann kommt man zu dem Punkt an dem die Handlung der Charaktere eben Auswirkungen auf die Details des Plots haben. Die Handlung basiert auf den Stärken und Schwächen der Charaktere. In dem Fall werden sie zumindest plotrelevant.

Lange Rede, kurzer Sinn. Charakterschwächen müssen nicht zwangsläufig mit dem Plot zu tun haben. Sie können auch manchmal einfach dazu dienen einen Charakter realistischer, lebendiger werden zu lassen; schmückendes Beiwerk eben.

Norrive

Zitat von: Dämmerungshexe am 10. Juli 2014, 11:07:52
Vielleicht verstehe ich nur die Terminologie nicht ganz richtig, aber für michs idn die "Schwächen" eines Charakters gerade das tragende Element das den Plot leitet. Und zugleich sind sie ja auch in gewisser Weise das "Ziel" der Geschichte, der Leser will ja auch sehen wie der Charakter seine Schwächen überwindet, aus seinen Fehlern lernt und soe zu einem, besseren Menschen wird.

Am Beispiel von Vic: durch ihre mangelnde Empathie steht sie ziemlich bald wahrscheinlich ganz alleine da und muss erst mühsam lernen dass sie eben nicht allmächtig ist sondern Hilfe braucht und dazu eben auf ihre Mitmenschen auch eingehen und sie respektieren muss.

Da kommt zu tragen, dass ich Vic nicht komplett vorgestellt habe. In meinem Setting hat sie andere Unsterbliche als beste Freunde und Familie. Die Gute kann halt nur nicht mit einer bestimmten Art von Charaktereigenschaften umgehen und lässt sich erstmal nichts von Schwächeren sagen. Wenn man ihren Respekt aber hat, kann man sich bis in den Tod auf sie verlassen.  Aber das ist erstmal nebensächlich.

Das was du im ersten Teil beschreibst (Stichwort Ziel der Geschichte) klingt für mich stark genreabhängig. Für eine Odyssee in einem Highfantasy-Roman oder einen Entwicklungsroman ist das auf jeden Fall der richtige Ansatz, dem kann ich dann auch so zustimmen, aber in einem Krimi?  Ich habe ja bewusst mit mächtigen Charakteren angefangen, damit ich nicht vom Bauernjunge über den Ritter zum König komme.  Columbo hat sich ja auch nicht über seine Fälle verändert, wenn ich das mal so sagen darf  ;D

Was umgekehrt aber auch wieder nicht heißt, dass ich nicht möchte, das die Schwächen von Vic den Plot beeinflussen, sonst hätte ich ja diesen Thread auch nicht gestartet. Spannend, die verschiedenen Meinungen zu sehen :)

canis lupus niger

#19
Für mich sind Charakterschwächen einer Romanfigur ebenfalls nicht zwingend so bedeutend, dass sie das Gelingen und Scheitern eines Vorhabens bewirken (können sie aber manchmal). Um eine Romanfigur, auch einen Protagonisten menschlich zu machen/bleiben zu lassen, reichen schon verhältnismäßig kleine Macken.

Bei meinen Protas habe ich zum Beispiel schon mehrfach angewendet, dass er zu beschützerisch ist, seinen Mitmenschen nicht zubilligt, dass sie mit den aktuellen Problemen auch prima selber zurecht kommen können. Wenn einer alles weiß und kann und deshalb glaubt, er sei derjenige, der für alle anderen die  Kastanien aus dem Feuer holen muss, hat das mehrere Auswirkungen:
Er wirkt überheblich, wird deshalb weniger gemocht und unterstützt.
Es gibt Spannungen unter den Charakteren.
Der Prota kann sich selber überfordern und dadurch Fehler machen.
Neue Probleme entstehen zusächlich zur Grundproblematik des Romans.
Die anderen Charaktere können/müssen diese Fehler erkennen, verhindern, bereinigen, ausgleichen, ausnutzen und gewinnen dadurch an Bedeutung und Tiefe.

Charakterschwächen eines Prota geben also nicht nur ihm selber mehr Farbe, sondern auch den anderen Romanfiguren und damit dem ganzen Roman.

*edit* OH, es lohnt sich, alle anderen Beiträge zu lesen, ehe man selber etwas schreibt. heroine hat genau das Gleiche formuliert, wie ich.

Dämmerungshexe

Zitat von: heroine am 10. Juli 2014, 11:33:15


Beispiel:
Man erzählt die Geschichte wie eine böse Königin vom Thron geschubst wird.
Charakterschwäche des Protagonisten: er kann nicht lügen. (Gut ob das nun eine Charakterschwäche ist oder einfach nur eine Schwäche oder alles in allem sogar eine Tugend sei dahin gestellt)
Die Geschichte, dass die Königin vom Thron geschubst wird bleibt die selbe, unabhängig davon ob der Held auf dem Weg dahin jeden belügt oder allen die Wahrheit sagt.



Also das halte ich mal für ein sehr gutes Beispiel für meine Argumentation: wenn ein Charakter nicht lügen kann ist das eine unglaublich gravierende Charaktereigenschaft (ob nun Stärke oder Schwäche sei mal dahingestellt)!
Als Leser stellt sich mir da gleich die Frage warum das so ist. KANN er wirklich nicht? Ist es ein Fluch, fehlt ihm die Fantasie dazu? Oder WILL er nicht? verstößt es gegen seine moralischen Grundsätze? Oder DARF er nicht?

Und ich denke dass das die Geschichte grundlegend beeinflusst: zieht der Held tatsächlich mit der Wahrheit als Schwert gegen den Feind, oder muss er sein Unvermögen erst irgendwie beseitigen? Oder schafft er es eben mit der Wahrheit etwas hinzubekommen was andere nur mit Lügen und Intrigen geschafft hätte? So etwas beeinflusst jede Entscheidung des Helden, jede seiner Handlungen und Aussagen und seine Beziehungen zu den anderen Figuren. Und genau das ist es ja was den Plot ausmacht. (Oder ich habe tatsächlich ein ganz anderes Verständnis was "Plot" bedeutet.)

Ich müsste die Geschichte jetzt erst lesen um zu sehen wie du das umsetzte - aber ich glaube wenn so eine wichtige Eigenheit keinen Einfluss auf die Handlung deines Protas hat - und somit auch nicht auf den Plot - sondern einfach nur "so ist", dann würde mich das als Leser sehr stören.

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Norrive:
Für mich ist das nicht wirklich genreabhängig. Immerhin schreibt man ja im Normalfall tatsächlich immer über Menschen (Elfen, Zwerge, Halbgötter, Dämonen - die zumindest alle so vermenschlicht sind dass man als menschlicher Leser einen Draht zu ihnen bekommen kann). Wenn es einem rein um die Entwicklung der Ereignisse geht ist das ja auch kein Roman mehr, sondern eher eine Chronik.

Was ich sagen will ist dass für mich praktisch jede Charaktereigenschaft Ausdruck des Charakters an sich, der Persönlichkeit, seiner Einstellung, seiner Erfahrung usw. ist. Und genau diese Dinge sind es ja die die handlungen der Charaktere und somit den Plot bestimmen. (Selbst wenn es nur ein Detail in einem Nebensatz ist wie: "Er bohrte ungeniert in der Nase.", dann sagt das unheimlich viel über einen Charakter aus.)

Und zum Beispiel Columbo: mal davon abgesehen dass es eine Serie ist, die vom Schreiben her anderen Regeln folgt als Romane, ist Columbo ein schönes Beispiel dafür wie man Geschichten aus Sicht der Antagonisten erzählen kann. Da wird jeder Mord gleich zu Anfang gezeigt, man ist als Zuseher immer beim Mörder und hat Einsicht in dessen Motive und Handlungen, während Columbo einem nach und nach auf die Schliche kommt und man ihm trotzdem nicht böse sein kann, weil er das auf seine unnachamliche schrullige Art und Weise macht.
Columbo ist etwas was ich "undurchsichtige" Figur nenne - man hat als Leser/Zuseher keinen Einblick in seine Gefühlswelt und seine Gedanken und kann sie somit auch nicht nachvollziehen und sich darum auch nciht mit ihm identifizieren. Man ist eher bei den Mördern, fiebert mit denen mit. Und die machen ja im Normalfall Entwicklungen durch. In dieser Hinsicht passiert bei Columbo eben auch das was ich beschrieben habe.
Man möge mich korrigieren wenn ich hier falsch liege, da ich kein Krimi-Leser bin, aber ich denke dass es bei anderen Krimiromanen ganz anders läuft als bei Columbo, oder?

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Vielleicht vertrete ich das so vehement weil ich in dieser Hinsicht ein Schlüsselerlebnis hatte: ich habe jahrelang an meinem Roman gearbeiten, mit vielen Pausen in denen alles geruht und gegärt und sich verändert hat. Aber erst vor einiger Zeit habe ich meine beiden Hauptcharaktere so richtig durchschaut: Warum sie tun was sie tun, was dahinter steckt, was ihre Träume sind, was sie selbst gar nicht über sich wissen. Und aus diesem Wissen heraus (das sich erstaunlicher Weise für beide jeweils in ein paar Sätzen zusammenfassen lässt) hat sich plötzlich auch die Geschichte wieder verändert. Was vorher nicht zusammengepasst hat hat sich gefügt. Ich wusste wer was wann aus welchem Grund tut. Und auch an Stellen an denen ich immer hängen geblieben bin, habe ich plötzlich gesehen was dort passieren "muss". Seitdem habe ich wirklich das Gefühl dass die Geschichte durchgängig und stimmig ist und vor allem auch dass meine Charaktere richtige Menschen (bzw. Elfe) sind.
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Snöblumma

Wie stark man Charakterschwächen in den Plot einfließen lässt, hängt sicher davon ab, ob man eher eine character-driven story schreibt, oder doch der plotdriven-Seite zuneigt. Sprich: Wer eine Geschichte erzählen will, in der es um die Geschichte geht, wird Figuren haben, die (eher) flach und funktionsbezogen sind. James Bond zum Beispiel wäre für mich eine solche plotgetriebene Geschichte. Bond ist letztlich nur ein Symbol für den Superagenten, wirklich viel wissen wir nicht von ihm - gerade gut genug, dass er eine runde Figur ergibt, dass er eine Schwäche für Frauen hat und sonst? Nun ja, ein bisschen mehr inzwischen nach all den Filmen, aber es bleibt alles eher an der Oberfläche.

Wenn man so eine Geschichte erzählt, ist es in meinen Augen vollkommen legitim, sich auf ein paar plakative Eigenschaften zu beschränken. Legt man den Fokus dagegen mehr auf die Figuren, muss man schon etwas tiefer schürfen - auf Kosten der Action und äußeren Spannung in der Geschichte.

Eine andere Frage ist natürlich, wie man das darstellt und was man davon in die Geschichte einbringt. Ich persönlich bin ein großer Fan davon, meine Figuren möglichst umfassend zu kennen. Ich schreibe sehr characterdriven. Ich plotte nicht, ich lerne nur meine Figuren kennen und lasse sie dann mal machen. Ich will alles von ihnen wissen, alles über ihre Eltern, ihre Geschwister, andere wichtige Personen in ihrem Leben - und davon ausgehend lasse ich sie handeln. Wenn ich weiß, dass eine Figur ungeduldig ist, wird sie nicht aus Vernunftgründen doch geduldig bleiben. Wenn ich weiß, dass mein Love Interest ein arroganter Frauenheld ist, wird er nicht in der ersten Szene schon höflich und zurückhalten sein, selbst wenn mir persönlich das besser gefiele. Ich versuche, mich immer absolut im Rahmen dieses Charakters zu halten und dazu gehört eben auch, dass er manchmal ins offene Messer läuft, weil es seinem Charakter entspricht.

Meistens läuft es bei mir darauf hinaus, dass die Figur eine ihrer Hauptschwächen überwindet - muss aber nicht. Manche Figuren bleiben, wie sie sind, jedenfalls in dieser Hinsicht. Andere lernen, über sich selbst hinauszuwachsen oder verstehen endlich, was sie davon abhält, das Beste zu erreichen... das kommt immer darauf an. Aber letzten Endes läuft es darauf hinaus, dass man sich - meiner Meinung nach - immer fragen sollte, ob diese Handlung so, wie sie da steht, tatsächlich im Rahmen der Fähigkeiten des Charakters liegt. Wenn der Charakter eine Schwäche hat, MUSS sich diese in den Handlungen niederschlagen - sonst ist es keine Schwäche. Und wenn der Charakter nur Schwächen hat, von denen der Leser nichts erfährt, ist es ziemlich sinnlos, ihm überhaupt Schwächen zu verpassen. Natürlich muss der Leser auch nicht alles wissen, was der Autor weiß, aber mehr als die positiven Seiten sollte der Leser schon mitbekommen.

Was nun für den Plot dabei herauskommt, hängt ja wieder davon ab. Natürlich kann aus einer Schwäche auch mal etwas positives erwachsen, keine Frage. Und aus einer Stärke kann auch mal etwas Negatives erwachsen... :D

Norrive

Zitat von: Dämmerungshexe am 10. Juli 2014, 20:14:20
Man möge mich korrigieren wenn ich hier falsch liege, da ich kein Krimi-Leser bin, aber ich denke dass es bei anderen Krimiromanen ganz anders läuft als bei Columbo, oder?

Ja, tut es im Normalfall schon. War zugegebenermaßen auch ein vielleicht nicht ganz so wohlüberlegtes Beispiel  :psssst:

Zitat von: Dämmerungshexe am 10. Juli 2014, 20:14:20
Norrive:
Für mich ist das nicht wirklich genreabhängig. Immerhin schreibt man ja im Normalfall tatsächlich immer über Menschen (Elfen, Zwerge, Halbgötter, Dämonen - die zumindest alle so vermenschlicht sind dass man als menschlicher Leser einen Draht zu ihnen bekommen kann). Wenn es einem rein um die Entwicklung der Ereignisse geht ist das ja auch kein Roman mehr, sondern eher eine Chronik.

Was ich sagen will ist dass für mich praktisch jede Charaktereigenschaft Ausdruck des Charakters an sich, der Persönlichkeit, seiner Einstellung, seiner Erfahrung usw. ist. Und genau diese Dinge sind es ja die die handlungen der Charaktere und somit den Plot bestimmen. (Selbst wenn es nur ein Detail in einem Nebensatz ist wie: "Er bohrte ungeniert in der Nase.", dann sagt das unheimlich viel über einen Charakter aus.)

Ich glaube, ich sehe den Plot an sich ein bisschen grobschrittiger.  Wenn ich an meinen Plot denke, dann habe ich eigentlich nur die einzelnen größeren Ereignisse vor Augen.

Am konkreten Fallbeispiel Vic: Plot des ersten Romanabschnitts ist in meinem Kopf:
- Vic wird zu der Mordserie hinzugezogen.
-Sie trifft auf Jesse.
-Jesse und Vic treffen auf alle Zeugen auf einmal auf einem neutralen Boden, damit die involvierten Clans (in diesem Fall Hexer und Vampire) Bescheid wissen, wer für die jeweilige Seite ermittelt.

-J & V arbeiten sich durch Tatort Nr. 1 und dazugehörige Zeugen/Familienmitglieder uvm.

Das ist jetzt nur stichwortartig, aber so habe ich meinen Plot im Kopf. Bisher wäre für mich eine Änderung im Plot durch Vics Charakterschwäche beispielsweise so etwas:

- Vic gerät aufgrund mangelnder Empathie mit einem der Hexer aneinander, der wiederum seine Verbündeten dazu bringt, Vic in ihrem Appartement zu überfallen und zu verschleppen (gut, das Beispiel ist jetzt an den Haaren herbeigezogen...)

Was aber hier die meisten schon als Plotänderung empfinden, ist beispielsweise, auf welche Weise Vic und Jesse an eine Zeugenaussage kommen. Vic reagiert unemphathisch auf den Bruder von Mordopfer X, er erzählt daraufhin bewusst Fakten nicht, um einen Vampir in Ungnade fallen zu lassen. Aus anderer Quelle stellt sich die Aussage als falsch heraus, Jesse redet nochmal mit ihm, der Bruder erzählt die Wahrheit.

In meiner Plotvorstellung steht dann aber immernoch:

- Vic und Jesse befragen Bruder, erhalten Information Y.

OK, ich merke gerade, dass ich mir hier selbst einen Strick drehe  :wums:

Wäre ich beim Plotten konsequent gewesen, hätte ich meine Charaktere anders einplanen müssen. Durch Vics Geschick oder Ungeschick kommt Information Y früher oder auch erst später in Besitz der Protagonisten. Ist die Information relevant, wird natürlich in die falsche Richtung ermittelt bis sie diese Information Y doch noch bekommen.

Argghhhhh Problem gefunden, ich muss meinen Plot ändern. War keine gute Idee, den zu schreiben ohne die Charaktere zu beachten. Ich glaube, da ist mir der Wunsch nach einem halbwegs spannenden, undurchschaubaren Krimi in den Weg gehopst, sodass ich das Spannendste überhaupt vergessen habe: Welchen Blödsinn meine Charaktere in dieser hochbrisanten Situation anstellen können, wenn nicht sogar müssen.

Betrachte ich unter dieser Prämisse auch meine anderen Schriften, kann man das genauso da anwenden. Ich muss glaube ich, wie hier viele schon geschrieben haben, einfach eine gute Balance finden aus der Grundhandlung und 'Wie gehen meine Charaktere mit der Situation um'.

Meine Gedanken kommen vielleicht etwas verworren rüber.  Versteht man, worauf ich hinaus will?  :wolke:


@ Snöblumma Auf deinen ersten Absatz wollte ich mit meinem Columbo-Beispiel hinaus. Sehr schön beschrieben :D  Ich will natürlich nicht so flach werden wie James Bond, aber der Krimi ist schon mehr plot-driven. Nur das hat mir das Problem mit den Alibischwächen bereitet, weil ich sie halt vollständig ignoriert habe  :seufz: