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Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser

Begonnen von Feuertraum, 30. Oktober 2013, 12:09:38

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Feuertraum

Hallo an Alle!

Ich habe gerade für mein aktuelles Romanprojekt eine Erfindung "beschrieben", die zum Zeitpunkt seiner Erfindung noch nicht vollkommen ausgereift war, dann aber von einem meiner Protas Jahrzehnte später verbessert wurde. (konkret geht es um einen Schuh, dessen Sohle sich durch Reibung an einer Wand so dermaßen erhitzt, dass ein brennbares Material, welches man dann an die Sohle hält, Feuer fängt.
Diese Erfindung - das Schuhsohlenstreichholz - war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgereift, so dass der Schuh Feuer fängt, wenn sein Träger mit ihm rennt.
Nun ist das Problem, dass dieses Streichholz zu einem Zeitpunkt erfunden wurde, in dem schon lange die richtige Mischung fürs sichere Streichholz bekannt war (so an die 30 - 35 Jahre Differenz).

Jetzt überlege ich, ob ich einen auf stur mache und meine Idee trotz dieser historischen Ungenauigkeit drin lasse.
Wie sehen Sie das als Leser?
Wann lassen Sie eine Ungenauigkeit gelten? Lassen Sie überhaupt eine Ungenauigkeit gelten? Oder pfeffern Sie das Buch dann in die nächste Ecke? Verbiegen Sie selbst die Jahreszahlen, um der Szene den passenden Rahmen zu geben und schreiben im Vorwort, dass aufgrund des Romans bewusst einige Daten verändert wurden? Oder ist das für Sie ein absolutes No-Go und sie verwerfen lieber die Idee als dass man ihnen mangelnde Recherche vorwirft?

Neugierige Grüße
Feuertraum
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Kati

Ich bin ja jemand, der es historisch gern so genau wie möglich hätte. Allerdings muss selbst ich sagen: Ganz genau geht es nie. Wir waren ja nicht dabei. Bei großen Erfindungen würde ich Ihnen das ankreiden, wenn Sie jetzt zum Beispiel die Dampfmaschine hernehmen wollten. Bei dieser Schuherfindung, das ist eher sowas, das weiß keiner. Wer kein Profi auf dem Gebiet ist, wird das nicht bemerken. Da kommt es dann eher darauf an, welchen Anspruch Sie an sich selbst haben: Ist Ihnen das egal oder können Sie damit leben, die Erfindung vorzuziehen? Ich persönlich würde das nicht machen wollen, aber das muss der Autor selbst wissen.

Ich denke, wenn ein Buch richtig, richtig gut ist, verzeiht der Leser viele Fehler. In einem Buch der von mir verehrten Mary Hooper hat sie auch ein bestimmtes historisches Ereignis einfach in der Zeit vorverlegt. Das ist schon ein starkes Stück, aber das Buch war trotzdem sehr gut. (Sie hat allerdings in einem Nachwort erklärt, wieso sie das gemacht hat und wie es wirklich war. Das ist immer eine gute Idee, dann zeigt man, dass man es weiß und sich nicht einfach irgendwas ausgedacht hat, weil man nicht weiter recherchieren wollte.)

Ich zum Beispiel finde Fehler im Verhalten der Figuren in historischen Romanen eigentlich um Ecken schlimmer, als wenn eine Erfindung auftaucht, die es eigentlich noch nicht gab. Wichtig ist, dass man merkt, dass Sie schon Ahnung haben. Wegen einer solchen Sache würde ich niemals ein Buch weglegen, wegen zweien auch nicht, wenn es sich aber häuft und offensichtlich wird, dass der Autor nicht recherchieren wollte oder ihm alles egal war, werde ich ungehalten. Ich hatte auch schon ein Buch, das von der Geschichte her einfach nur gut war, aber auf jeder dritten Seite fanden sich große historische Fehler. Das macht dann keinen Spaß mehr.

Churke

Zitat von: Feuertraum am 30. Oktober 2013, 12:09:38
Wann lassen Sie eine Ungenauigkeit gelten?

Wenn es keine Ungenauigkeit und auch nicht "falsch", sondern nach Schiller die dichterische Wahrheit ist.
Und natürlich kommt es auch darauf an, welche Maßstäbe Sie selbst an Ihre historische Korrektheit legen. Bei Ihrem Beispiel gefällt mir nicht, dass Sie die historische Wahrheit für einen Knalleffekt opfern.

Ich mache selbst mit einem ähnlichen Problem herum: Da zitiert eine Figur aus der lateinischen Bibel, der Vulgata. Aber aus einer Fassung der Vulgata, die es zum Zeitpunkt meiner Geschichte noch nicht gab. Er kann sie also gar nicht kennen. Warum mache ich das?
1. In den Ohren jedes Nichtlatriners klingt der Text besser
2. Das Setting ist historische Fantasy
3. 99,9 % der Leser merken sowieso nicht, dass ich aus der falschen Bibel zitiere

Wäre nur eine dieser 3 Bedingungen nicht erfüllt, würde es nicht machen. Vor allem bei Punkt 3 hätte ich zu große Angst, dass man mir unterstellt, ich wüsste nicht, dass ich aus der falschen Bibel zitiere.

Kati

Das ist ein bisschen so, wie der Umstand, dass die Figuren in Romanen, die im Mittelalter spielen ja auch nicht Mittelhochdeutsch sprechen, sondern modernes Deutsch. Es wäre natürlich übertrieben, die Figuren Mittelhochdeutsch sprechen zu lassen, aber da verschwimmen dann die Grenzen zwischen "historisch falsch" und "notwendige Änderung". Ich denke, wenn man die alte Textstelle, die dann wohl auch viel unbekannter ist (?) nehmen würde, könnte es eher passieren, dass die Leser einem vorwerfen nicht richtig zitieren zu können, weil sie eben nur die neue Fassung kennen. Das ist bei mir ein Problem mit der Erwartungshaltung: Königin Victoria ist den meisten als bittere, strenge, prüde alte Frau bekannt. So war sie in Wirklichkeit nicht, aber, wenn ich sie anders darstelle, muss ich mir ganz sicherlich von den meisten Lesern anhören, dass das nicht die Victoria ist, von der sie gehört haben und deshalb muss es falsch sein. Was man da dann macht, muss man selbst entscheiden.

Was die Erfindung angeht: Es ist eine kleine Erfindung, die auf die Veränderung der Welt keinen allzu großen Einfluss hatte. Man muss halt gucken, ob eine Verlegung der Erfindung irgendeinen historischen Ablauf durcheinander bringt. Wenn nicht, kann man das machen, wenn man möchte. Bei der Schuhsache kommt hinzu, dass das keiner weiß. Jedenfalls kaum jemand. Ginge es um das erste Automobil, die erste Untergrundbahn... das wäre etwas völlig anderes. Man muss halt schauen, wie bekannt die Erfindung ist und inwieweit man einen chronologischen Ablauf kaputt macht, wenn man die Erfindung verlegt. Wenn es keine oder kaum Auswirkungen hat, warum nicht. Ich würde es nicht machen, aber ich würde es niemandem übel nehmen. Schon allein, weil ich es in diesem Fall nicht mal merken würde.

Feuertraum

#4
Danke erst einmal für die Antworten.
Im Grunde genommen stimme ich Ihnen beiden zu: wenn die Historische Ungenauigkeit zu extrem ist, würde ich dem Autor unterstellen, dass er gar nicht erst recherchiert hat (zum Beispiel wenn ich eine Geschichte um einen Menschen schreibe, der die Französische Revolution im Jahre 1487 miterlebt hat).

Aber ich bin etwas skeptisch, wenn es ums "Das kennt der Leser so, deswegen muss ich es so schreiben!" geht.
So schreibt man Marie Antoinette den Satz "Wenn das Volk kein Brot hat, dann gebt ihm Kuchen" zu, auch wenn die Historiker inzwischen meinen, dass dieser Spruch schon um einiges älter ist.
Man neigt auch mittlerweile dazu, nicht Amerigo Vespucci, sondern Richard Ameryk als Namenspatron für Amerika in Erwägung zu ziehen, und auch der bei Caears Ermordung gesprochene Satz "Auch du, mein Sohn Brutus" soll angeblich nie gefallen sein.
Gehen wir jetzt mal davon aus, dass diese Aussagen, die ich in verschiedenen Quellen las, stimmen, so muss ich als Autor trotzdem das Falsche hochhalten, weil es jeder kennt? Darf ich also gar nicht schreiben, was "wirklich" geschah, nur um nicht als "Tatasachenverdreher" da zu stehen?

Wegen Erfindung: Klar, diese Erfindung ist nur von mir ausgedacht (und hat somit keinen wirklichen Einfluss auf die Weltgeschichte). Das Streichholz jedoch schon, auch wenn es sicherlich in unserer heutigen Zeit in die Sparte "Och, da machen wir uns eigentlich keine Gedanken drum." fällt.
Nun wenn beim Leser eben damit das Interesse geweckt ist und er nun deshalb doch nachschaut...
:-\
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Kati

Ich glaube, ich verstehe jetzt erst, was Ihr Problem ist. Sie haben sich etwas ausgedacht, dass es nie gegeben hat, aber das Streichholz selbst wurde erst später erfunden? Das sehe ich dann schon ein bisschen problematisch. Natürlich wissen viele Leser nicht, wann das Streichholz erfunden wurde, aber das lässt sich nachgucken. Aber ich denke immer noch, ein zu großes Problem sollte das nicht sein. Sie könnten aber zum Beispiel einfach behaupten Ihr Prota hätte sich etwas Streichholzähnliches ausgedacht und alle hätten die Idee blöd gefunden und später hatte dann eben der echte Erfinder dieselbe Idee. Irgendwo habe ich sowas auch schonmal gelesen. Ich habe auch schon einen Roman gelesen, in dem einer der Figuren die Schuld am Londoner Feuer von 1666 gegeben wurde, obwohl die Figur natürlich nicht existiert hat und somit auch kein Feuer gelegt haben kann. Das war aber sehr stimmig, auch, wenn man wusste, dass es in Wirklichkeit ganz anders war.

ZitatGehen wir jetzt mal davon aus, dass diese Aussagen, die ich in verschiedenen Quellen las, stimmen, so muss ich als Autor trotzdem das Falsche hochhalten, weil es jeder kennt? Darf ich also gar nicht schreiben, was "wirklich" geschah, nur um nicht als "Tatasachenverdreher" da zu stehen?

Auf keinen Fall! Ich würde das nicht machen. Ich meinte nur, dass es dann oft passiert, dass Leser einem das Ankreiden, weil sie es anders gelesen haben. Marie Antoinette und ihr "Let them eat cake" sind da das beste Beispiel. Man liest das überall und niemand zweifelt an, dass sie das gesagt hat. Die ganze Figur Marie Antoinette wird gern als hohlbirnige, naive Königin dargestellt, die sie nicht war. Aber das ist eins dieser Klischees, die sie umgeben und die jeder erwartet und, wenn man es nicht erfüllt, wird es immer Leser geben, die einem das ankreiden. Da muss man als Autor entweder bereit sein, das zähneknirschend hinzunehmen, oder sachlich darauf zu antworten. Ich könnte mir vorstellen zu einem Roman, in dem ich Marie Antoinette etwas näher an der Wirklichkeit liegend beschreibe, einen erklärenden Blogeintrag zu schreiben, in dem ich aufliste, was alles Gerücht ist und was wahrscheinlich wahr. Darauf könnte man dann verweisen, wenn der Vorwurf aufkommt.

Aber wie gesagt: Genau richtig machen können wir es nie, weil wir nicht dabei waren. Die Vergangenheit ist für uns heute ein bisschen ein aufregendes Mysterium und es fällt schwer über Personen zu schreiben, für die sie einfach nur Alltag war. Und, wenn ich über Marie Antoinette schreibe, werde ich sie nie so zeigen können, wie sie wirklich war, weil ich sie nicht kannte. Trotzdem kann man natürlich probieren, alles so authentisch zu machen, wie es einem eben möglich ist. 

Liliane

Also ich denke auch, in dem Fall ist das in Ordnung. Es ist nicht in Ordnung, wenn es auffällt, das macht es irgendwie lächerlich, da wäre ich zimperlich. Aber es geht eben gerade nicht darum, dass jemand im 15. Jahrhundert die Französische Revolution erlebt. Es geht in dem Fall ja weder um so ein Ereignis, wo wirklich jeder sich etwas drunter vorstellen kann, noch geht es um eine so große Zeitspanne, die dann nicht stimmen würde. Kaum jemand weiß auswendig, ab wann es denn nun Streichhölzer gab und die wenigen, die es wissen oder nachschauen (wobei, warum sollten sie es tun?), auf die wenigen kann man keine Rücksicht nehmen.
Also so etwas fällt absolut nicht auf, wobei ich denke, es wird wohl auch kein Leser die genaue Zahl im Kopf haben, wann die Geschichte spielt, oder?

Pygmalion

#7
In diesem Fall wird es niemandem auffallen. Zumal, warum sollte es das nicht "neben" dem Streichholz gegeben haben? (unabhängig davon, dass ich so eine Erfindung für ziemlich seltsam halten würde :D )

Was den anderen Teil angeht mit dem bewussten Wiedergeben falscher, aber bekannter Fakten: Finde auch, sollte man nicht tun. Die Zeiten, in denen z.B. Piraten Degen schwingend über Schiffsdecks laufen und Jungfrauen retten, sind wohl vorbei :D
Was man aber auch beachten sollte: Gerade solche Zuweisungen von Aussprüchen/ Charakterisierungen von Personen haben immer irgendeine Intention und sind auch, je bekannter die Personen, einem ständigen Wandel unterworfen. Heutige Deutungen der Personen spiegeln nicht unbedingt das entsprechende Bild bei den Zeitgenossen wider und das muss man  beachten, nicht nachträgliche Rezeptionen. Hier kann man als Autor aber auch durchaus gewissen Freiraum nehmen, denn wenn selbst Historiker darüber uneins sind, ob diese oder jene Person den Satz jetzt gesagt hat, oder eben doch nicht, darf ich mir die für mich "Beste" Deutung heraussuchen. Vermutlich hat keine der Antiken Personen überhaupt jemals das gesagt, was ihr so wörtlich angedichtet wird. Homer gab (nach derzeitiger Forschungsdiskussion) vielleicht gar nicht und die Werke von vielleicht auch von mehreren Leuten geschrieben und nicht von dem uns bekannten Blinden Homer. Das sind so wissenschaftliche Feinheiten, die man meiner Meinung nach nicht unbedingt in einem Buch haben MUSS.

Churke

Zitat von: Feuertraum am 30. Oktober 2013, 13:50:06
Gehen wir jetzt mal davon aus, dass diese Aussagen, die ich in verschiedenen Quellen las, stimmen, so muss ich als Autor trotzdem das Falsche hochhalten, weil es jeder kennt? Darf ich also gar nicht schreiben, was "wirklich" geschah, nur um nicht als "Tatasachenverdreher" da zu stehen?
Historiker sind wie Journalisten: Was sie schreiben, lässt jeden Augenzeugen den Kopf schütteln. Die Geschichte ist keine exakte Wissenschaft, das wird heute allzu oft vergessen. Machen Sie doch aus der Not eine Tugend: Wenn die Faktenlage zweifelhaft ist, können Sie sich aussuchen, welche Variante Sie nehmen. Ich mache von diesem Freiraum jedenfalls gerne Gebrauch.

Feuertraum

Nabend!
Danke für die neuen Antworten

Zitat von: Kati am 30. Oktober 2013, 14:10:41
Ich glaube, ich verstehe jetzt erst, was Ihr Problem ist. Sie haben sich etwas ausgedacht, dass es nie gegeben hat, aber das Streichholz selbst wurde erst später erfunden?

Nein, genau andersherum.
Um 1836 wurde das Sicherheitsstreichholz erfunden, dass sich nicht mehr selbst entzündete. Mein Erfinder erfand diesen Schuh 50 Jahre später und hätte so das Wissen haben müssen, welche Mischung er nehmen muss.
Zitat
Die ganze Figur Marie Antoinette wird gern als hohlbirnige, naive Königin dargestellt, die sie nicht war.

Stimmt. Sie übertraf ihren Gatten an Intelligenz

ZitatAber wie gesagt: Genau richtig machen können wir es nie, weil wir nicht dabei waren. Die Vergangenheit ist für uns heute ein bisschen ein aufregendes Mysterium und es fällt schwer über Personen zu schreiben, für die sie einfach nur Alltag war. Und, wenn ich über Marie Antoinette schreibe, werde ich sie nie so zeigen können, wie sie wirklich war, weil ich sie nicht kannte. Trotzdem kann man natürlich probieren, alles so authentisch zu machen, wie es einem eben möglich ist.

Stimmt. Auch wenn man dann wieder das Problem hat, dass man eben keine historische Ungenauigkeit schreiben darf, wenn man relativ nahe an der Wahrheit bleiben will (wie sie die Wissenschaft zu dem Zeitpunkt erforscht hat)

Zitat=Liliane:

ZitatKaum jemand weiß auswendig, ab wann es denn nun Streichhölzer gab und die wenigen, die es wissen oder nachschauen (wobei, warum sollten sie es tun?), auf die wenigen kann man keine Rücksicht nehmen.

Naja, man kann auch auf die Wenigen hören. Und wenn die aufgrund dessen das Buch zerreissen...Nun, doch, weil die Protas Homes und Wazn (also Holmes und Watson) ihre Abenteuer von bis erlebten.


Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Franziska

Also bei dieser "kleinen" Ungenauigkeit würde ich das auch noch verzeihen. Ich habe gerade mal in die neue Serie "Reign" reingeschaut. Es geht um Mary Queen of Scots, spielt also im 16. Jahrhundert. Ja, die Namen sind eigentlich alles, was die Serie mit der wirklichen Historie gemein hat. Nicht nur, dass sich keine der Figuren verhält wie in der Zeit, nein, die Frauen in der Serie tragen auch noch alle "Prom-dresses", wie es mehrere Rezensenten ausdrückten. Ne klar, Korsetts wären ja auch zu unbequem gewesen für die Schauspieler. ::)
Ich finde, wenn man so sehr von der wahren Gegebenheit abweichst, sollte man es auch Fantasy nennen. Oder einfach sagen, es ist ein erfundenes Königreich.
Aber was ich interessant finde: die Mehrheit der zumeist jungen weiblichen Zuschauer scheint es nicht zu stören. Hauptsache, es gibt eine spannende Handlung. Während sich natürlich auch einige darüber aufregen. Ich glaube, es wird immer solche und solche Leser geben, daher stimme ich Kati zu, dass es darauf ankommt, welchen Anspruch man an sich selbst hat. Ich versuche gerade etwas über London um 1900 zu erfahren. Es gibt natürlich einige Quellen und einiges weiß ich auch schon. Aber ich nehme mir auch die Freiheit, mir ein paar Sachen auszudenken, weil alles kann man nie wissen.

Liliane

#11
Mmh nun ja, ich würde trotzdem auch sagen, dass man bei so einer kleinen Ungenauigkeit nicht darauf achten muss.
Wegen so etwas wird ein Buch nicht zerissen. Oder würde irgendwer einen Kritiker ernst nehmen, der sagt "Ja, das Buch war ja an sich ganz gut, aber die Sache, dass die Streichölzer und so weiter... das geht ja gar nicht."
Nein, das ist ja total zimperlich, das macht keiner, denke ich.
Und Franziska hat auch recht, man kann manches auch erfinden und es kommt auf die Ansprüche an, die man an sich selbst hat.

Kati

Zitat von: Franziskadie Frauen in der Serie tragen auch noch alle "Prom-dresses", wie es mehrere Rezensenten ausdrückten. Ne klar, Korsetts wären ja auch zu unbequem gewesen für die Schauspieler. ::)

Ich habe gerade mal reingeguckt. Das sieht stark auf Hochglanz poliert aus. Also, Korsetts waren damals an sich noch nicht in Mode, aber die Kleider sind einfach völlig daneben, genau wie die Frisuren. (Was Modegeschichte angeht, liegt mir historische Genauigkeit sehr, sehr am Herzen, einfach, weil es so einfach ist, sie zu recherchieren. Es ist nicht schwer, die Kleidung der Figuren zumindest ansatzweise richtig hinzubekommen.) Aber auch die Schauspieler selbst... na ja, da ging wohl Schönheit vor Authentizität. Ein Kommentar unter dem Trailer zur Serie sagt alles. Sinngemäß steht da, die Serie wäre nicht spannend, wenn sie historisch genau wäre, weil dann ja das Love Interest Francis hässlich wäre. Das sagt alles, oder? Und als Autor muss man sich halt entscheiden, für welche Gruppe man schreiben möchte: Die, die einfach Unterhaltung mit historischem Hintergrund suchen oder die, die sich für das Thema wirklich interessieren und einen Roman lesen wollen, der möglichst nah an der Wahrheit bleibt. Beides ist nicht verkehrt, man muss nur schauen, dass man das macht, was man erreichen will.

Zitat von: LilianeKaum jemand weiß auswendig, ab wann es denn nun Streichhölzer gab und die wenigen, die es wissen oder nachschauen (wobei, warum sollten sie es tun?), auf die wenigen kann man keine Rücksicht nehmen.

Ich. Ich gucke sowas hin und wieder nach. Nicht jedes Mal, wenn etwas genannt wird, aber, wenn ich das Gefühl habe, etwas wirkt falsch in der Zeit. Ich hatte das zum Beispiel mit einem Roman, der 1820 spielt, in dem ein Rollstuhl vorkam. Ich konnte nicht genau sagen weshalb, aber dieses Bild hat mich gestört, also habe ich schnell gegooglet, wann der Rollstuhl überhaupt erfunden wurde. Ich denke mal, ich bin nicht die einzige, die das macht? Und ich für meinen Teil finde schon, dass man auch auf die Leser Rücksicht nehmen sollte, die sowas nachgucken. Schon allein, weil man seinen Roman meiner Meinung nach so gut machen sollte, wie möglich und dazu gehört sowas nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen und sich zu sagen, der dumme Leser merkt das eh nicht. Wenn es einen triftigen Grund gibt, wie in Feuertraums Fall, kann man das natürlich machen, aber einfach so, weil man keine Lust hat, nachzugucken oder sich eine Alternative auszudenken ist nicht so gut. Passiert aber leider oft genug. Und das merkt man und das ärgert mich dann, besonders, wenn es sich häuft (Wie in dem Buch mit dem Rollstuhl.)

Natürlich würde deshalb kein Kritiker ein Buch zerreißen (ich auch nicht, es sei denn, wie gesagt, es häuft sich immens), aber es fällt auf und meistens unangenehm. Wenn ich das als Autor verkraften kann, ist alles gut. Was Franziska sagte, dass man sich einiges ausdenken kann, sehe ich genauso. Einfach aus dem Grund, weil man nie alles recherchieren kann. Und, wenn man in der Zeit drin steckt, leitet man meist eh die für die Zeit wahrscheinlichste Lösung her, weil man es sich aus anderen Dingen, die man gelesen und recherchiert hat, ableiten kann. Das mache ich auch und ich denke, das ist wirklich kein Problem.

Franziska

ZitatAlso, Korsetts waren damals an sich noch nicht in Mode, aber die Kleider sind einfach völlig daneben, genau wie die Frisuren.
echt? Wie kriegt man ohne Korsetts solche Figur? Naja, was ich eigentlich meinte, sind die Kleider die damals in waren waren hochgeschlossen und nicht besonders sexy. Im Gegensatz zu den Kleidern in der Serie. Dabei ist das der Hauptgrund, warum ich mir Historienfilme angucke, die Kostüme. Bei den Tudors war das ja wenigstens noch ansatzweise richtig.
Wenn man sich wirklich viel Freheit nimmt und etwas macht, was historisch nicht korrekt ist, wie man lässt eine Person für etwas verantwortlich sein, obwohl jeder weiß, dass es so nicht war (wie Katis Beispiel) dann sollte man das mit einem Augenzwinkern tun. So dass jedem Leser klar  ist, dass man weiß, was man da tut. Ich habe das schon öfter in Filmen gesehen und da hat es mich im Gegensatz zu der Serie nicht gestört.

Kati

Die Figur zur Zeiten der Tudors bekam man durch das extrem eng geschnittene Oberteil dieser Kleider. Damals war nicht die Stundenglasfigur in, die man durch ein modernes Korsett bekommt, sondern eine Zylinderfigur: Also oben wie ein nach unten zulaufendes Dreieck und dann ganz weite Röcke als Kontrast. Und dieses richtig enge Oberteil, das auch schon mit Walknochen versteckt war, presste den Körper in genau diese Form. (Also, es war schon eine Art Korsett, hieß aber nicht so und sah völlig anders aus als moderne Korsetts.) Diese Oberteile kamen dann aus der Mode und dann erst wurde der Vorläufer des modernen Korsetts erfunden, der jedoch noch völlig anders aussah, als wir Korsetts heute kennen und auch noch die Zylinderform hervorrufen sollte. War bis zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in Mode und in den 1830ern kam das Korsett, wie wir es kennen. Aber genug OT.  :psssst:

Ich gebe dir völlig Recht: Wenn ich weiß, dass ich etwas schreibe, dass nicht stimmt, dann muss dem Leser das klar werden. Man erkennt finde ich ziemlich gut den Unterschied zwischen Unvermögen und bewusstem Brechen mit der Wahrheit und während das eine zwar nicht allen gefällt, aber natürlich durchaus machbar ist, ist Unvermögen meistens nur traurig, weil es oft schade um eine gute Geschichte ist. Die Serie sieht mir sehr billig gemacht aus. Die Kleider haben schon irgendwo den Tudor-Schnitt, aber eben nur gerade so. Es sieht tatsächlich etwas aus wie moderne, an ein Tudorkleid angelehnte Mode. Ich meine, die Serie ist für Teenager und hat da bestimmt ihre Berechtigung, aber ich kann mir sowas nicht angucken. Wenn man eh die Hälfte verändert, aus Mary Stuart eine Schönheit mit Wallehaaren und aus Francois II von Frankreich, der im wahren Leben mit nur 16 Jahren verstorben ist, einen schmucken Midzwanziger mit blonder Föhnfrisur macht, dann kann man den geschichtlichen Bezug doch gleich rausnehmen und sich eine Low-Fantasy-Serie in einer eigenen Welt basteln, oder? Ich sage nicht, dass es sowas nicht geben darf, ich sehe nur den Sinn dahinter nicht, die Geschichte bis ins Unkenntliche zu verdrehen.