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Gefühle, Atmosphäre und Schreibstil richtig verbinden

Begonnen von Lovagh, 18. März 2013, 23:28:09

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Lovagh

Hallo Zusammen,

in letzter Zeit frage ich mich, wie man durch die Verwendung bestimmter Beschreibung ein dichtes und konsistentes Netz von Gefühlen und Atmosphäre vermittelt. Und zwar so, dass man sich nicht nur in den Charakter hineinversetzten kann, sondern derart beeinflusst wird, dass man sich selbst als der Charakter fühlt.

Zurzeit experimentiere ich damit, Gefühle ein bisschen wie lebendige Wesen wirken zu lassen. Das sieht dann in etwa so aus:
ZitatDie Angst setzte an, wie zum Sprung, um über ihn herzufallen. [...] Die Angst legte sich langsam, aber sie blieb lauernd im Hintergrund bestehen; wartend, dass Schwäche es ihr erlauben würde, wieder zuzustoßen. [...] Die Angst kam zusammen mit rasender Wut zurück und schleuderte sein Bewusstsein in einen Abgrund.
Wie steht ihr zu so einer Herangehensweise? (Sorry, weger der vielen Angst ;D, ist halt Dark-Fantasy)

Um die Atmosphäre zu verdichten, versuche ich für Leser zwangsweise, die Lesegeschwindigkeit herabzusetzen, indem ich kürzere Sätze bzw. Satzbrocken verwende, wie:
ZitatNur ein Wort entglitt seinen Lippen. Ein einziges Wort, das ihm mehr bedeutete, als sein eigenes Leben. Das Wort war eine Frage. Eine Frage nach Hoffnung. Seine Augen weiteten sich "Vater?"
Was haltet ihr von so etwas?

Dazu versuche ich dezent, das Wetter und die Natur mitspielen zu lassen (Rascheln von Blättern; Nebel; den Einbau von Tieren) und auch körperliche Zustände zu beschreiben (steigender Puls; zittern des Körpers; Energieschub). Das sieht unter anderem so aus:
ZitatEin Eichhörnchen huschte von irgendwo an ihm vorbei und blieb stehen um den zweibeinigen Riesen neugierig zu betrachten. Kühl blies ein Luftzug aus dem Tal zwischen den Bergen hindurch und ließ die Nadeln der Bäume rascheln. Am Himmel erschienen ein paar graue Wolken. Das Eichhörnchen lief davon.

Hinzu kommt, dass ich gelegentlich mit einer verzerrten Wahrnehmung hantiere, um beispielsweise den "Wahnsinn" eines Charakters zum Ausdruck zu bringen.


Für diejenigen von euch, bei denen intensive Gefühle bzw. eine dichte Atmosphäre in aktuellen Projekten wichtig sind: Wie spannt ihr dieses "Netz", um das richtig zu vermitteln?
Und an alle: Was findet ihr wichtig und was blamabel, bei der Beschreibung von Gefühlen und Atmosphäre?

Zit

Ich bin gelegentlich erstaunt, wenn es heißt, dass selbst nur eine grobe Plotvorstellung schon "sehr dicht" wirkt. ;D Macht mich natürlich stolz, aber frag mich nicht wie ich das mache... Mir fällt nur die ganz lapidare Antwort darauf ein: Die Kunst besteht darin, die richtigen Worte wegzulassen (/ zu wählen).
So fallen mir bei manchen deiner Beispiele einige Dinge auf, die ich anders ausdrücken/ verdichten würde. Aber das mag auch nur -- aber letztlich vor allem -- persönlicher Geschmack sein.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Verwirrter Geist

Hey Lovagh,
lustiger Weise wollte ich schon einen ganz ähnlichen Thread eröffnen, habe aber noch mit der Formulierung gehadert.   ;D

Zitat von: Lovagh am 18. März 2013, 23:28:09
Zurzeit experimentiere ich damit, Gefühle ein bisschen wie lebendige Wesen wirken zu lassen. Das sieht dann in etwa so aus:Wie steht ihr zu so einer Herangehensweise? (Sorry, weger der vielen Angst ;D, ist halt Dark-Fantasy)
Zitat
Die Angst setzte an, wie zum Sprung, um über ihn herzufallen. [...] Die Angst legte sich langsam, aber sie blieb lauernd im Hintergrund bestehen; wartend, dass Schwäche es ihr erlauben würde, wieder zuzustoßen. [...] Die Angst kam zusammen mit rasender Wut zurück und schleuderte sein Bewusstsein in einen Abgrund.

Ganz subjektiv: Ich mag das. Ich mache es auch gerne. Ich finde Emotionen ein Gesicht zu geben, sie für einen Moment wie einen Prota (oder Antagonisten) aufblitzen zu lassen ist ein interessantes Stilmittel. Nicht unbedingt nur, um etwas zu verdichten, sondern vor allem um extreme Gefühlslagen zu verdeutlichen.

Allerdings würde ich so etwas eben auch nur dann benutzen: Wenn etwas sehr stark ist. Den ich finde, es nutzt sich enorm schnell ab. Auch wird man schnell pathetisch. Und Pathos ist scheinbar nicht mehr sonderlich "in". Wenn ich jedes mal, wenn ein Beta bei mir "zu pathetisch" an den Rand schreiben würde einen Euro bekommen würde...
Sagen wir mal, ich wäre meinem Eigenheim beträchtlich näher.  ;)

ZitatUm die Atmosphäre zu verdichten, versuche ich für Leser zwangsweise, die Lesegeschwindigkeit herabzusetzen, indem ich kürzere Sätze bzw. Satzbrocken verwende, wie:Was haltet ihr von so etwas?

Nur ein Wort entglitt seinen Lippen. Ein einziges Wort, das ihm mehr bedeutete, als sein eigenes Leben. Das Wort war eine Frage. Eine Frage nach Hoffnung. Seine Augen weiteten sich "Vater?"


Ich kenne kurze Sätze eher als Stilmittel, um etwas zu beschleunigen. Also als Hilfsmittel kurze Handlungsfetzen abzubilden, ihnen etwas chaotisches und evtl. verworrenes zu geben. Zum Beispiel bei Actionszenen. In deinem Beispiel würde ich daher auch eher sagen, dass die kurzen Brocken nicht unbedingt die Lesegeschwindigkeit senken, sondern eher die Wichtigkeit akzentuieren. Das hat für mich eher etwas antithetisches und ich sehe ein Spannungsfeld zwischen Aussage und Leseerlebnis. Aber versteh mich nicht falsch: Es gefällt mir.

ZitatDazu versuche ich dezent, das Wetter und die Natur mitspielen zu lassen (Rascheln von Blättern; Nebel; den Einbau von Tieren) und auch körperliche Zustände zu beschreiben (steigender Puls; zittern des Körpers; Energieschub). Das sieht unter anderem so aus:
Hinzu kommt, dass ich gelegentlich mit einer verzerrten Wahrnehmung hantiere, um beispielsweise den "Wahnsinn" eines Charakters zum Ausdruck zu bringen.

Ein Eichhörnchen huschte von irgendwo an ihm vorbei und blieb stehen um den zweibeinigen Riesen neugierig zu betrachten. Kühl blies ein Luftzug aus dem Tal zwischen den Bergen hindurch und ließ die Nadeln der Bäume rascheln. Am Himmel erschienen ein paar graue Wolken. Das Eichhörnchen lief davon.


Da widerum würde ich kaum diskutieren wollen. Das gehört imho in ein gutes Buch. Wenn die Umgebung steril bleibt, der Prota keine Selbstwahrnehmung hat und während der Dialoge nicht auch (unwichtige) Nebenhandlung abläuft, kann mir ein Werk nicht gefallen.
Also für mich: Klares must have!

Zitat
Für diejenigen von euch, bei denen intensive Gefühle bzw. eine dichte Atmosphäre in aktuellen Projekten wichtig sind: Wie spannt ihr dieses "Netz", um das richtig zu vermitteln?

Wichtig sind mir vor allem 3 Dinge.

1. Abwechslung. Nichts ist langweiliger, als andauernd die gleichen Stilmittel.
2. Angemessenheit. Das von dir angesprochene Eichhörnchen finde ich okay, ich will aber keine Seiten darüber lesen, wenn es keine Aufgabe hat. Genausowenig interessieren mich die Empfindungen eines Protas, wenn er einen Schweinebraten isst. Sehr wohl interessiert mich aber seine Wahrnehmung, wenn er seine Mutter widerfindet, oder er leidend in einem Kerker vor sich hinsiecht.
3. Handlung>Atmo. Es gibt einige Bücher in denen die Protas so viele Gefühle haben und ihre Wahrnehmung so dicht ist, dass die Handlung keinen Platz mehr hat.

ZitatUnd an alle: Was findet ihr wichtig und was blamabel, bei der Beschreibung von Gefühlen und Atmosphäre?

Ich finde, "blamabel" gibt es nicht. Imho ist die Darstellung von Gefühlen die subjektivste Angelegenheit beim Schreiben überhaupt. Da gibt es so viele Variablen, dass es wohl unmöglich ist von "richtig", oder "falsch" zu sprechen. Ich würde nur sehr darauf achten, Dinge nicht endlos zu wiederholen und immer zu versuchen die Handlung und den Leser mit einzubinden.
Gute Autoren schaffen es, meiner Meinung nach, unglaublich viele Kleinigkeiten nicht nur einzubauen, sondern auch zu verwenden. Wenn beispielsweise ein Nebencharakter mit einem Stab eingeführt wird und dieser Stab in Dialogen als Erweiterung der Gestik eingesetzt wird, oder wenn der 4mal angedeutete Regen bei einer Verfolgungsjagd eine wichtige Rolle bekommen: Dann hat es für mich atmosshärisch alles richtig gemacht.

Arcor

Generell halte ich es schon für sinnvoll, wenn man Gefühle sehr plastisch beschreibt. Das gleiche gilt für Umgebungsbeschreibungen. Abwechslung und das Ansprechen verschiedener Sinne des Lesers ist sehr gut und hilfreich, um eine schöne Atmosphäre zu  verschaffen.
Allerdings muss man immer ein wenig aufpassen, dass es an der Stelle im Text auch sinnvoll ist und man es nicht überfrachtet. Mir gefallen oft die Bücher besser, deren Autor gut schreiben kann, aber genau weiß, wann er ausufernd werden kann und wann nicht. Und dazu gehören auch eine Menge stellen, die eher simpel beschrieben sind. Ich brauche nicht bei jeder Emotion, die eine Figur erlebt, zwei bis drei Zeilen, auf denen das Gefühl möglichst plastisch oder metaphorisch dargestellt wird. ,,XY hatte Angst", kann auch funktionieren. Und ebenso ist eine Umgebungsbeschreibung von einer halben Seite nur dann sinnvoll, wenn dabei relevante Details geschildert werden – also solche, die entweder für die Handlung, die Figuren oder für Hintergrundinformationen wichtig sind. Beschreibungen nur um ihrer schönen Formulierungen willen halte ich für keine gute Idee, denn diese bremsen das Tempo der Geschichte nur aus, lenken den Blick vom Wesentlichen ab und werden auch als solche recht schnell vom Leser entlarvt.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Sanjani

Hallo Lovagh,

die Frage, die du da stellst, habe ich für mich ehrlich gesagt noch nie wirklich expliziert. Ich mache es im wahrsten Sinne des Wortes nach Gefühl. Ich gestalte mein Zimmer so, dass ich in die richtige Laune komme und dann bin ich so in der Geschichte drin, dass sich mir die Details von selbst auftun. Ich wähle dann die Dinge aus, die sich ergeben. Ich höre z. B. den Regen, ich rieche die feuchte Luft, im Nebel spielen Schatten usw.

Ich habe aber bei deiner Beschreibung gemerkt, dass ich manches auch gern so mache, z. B. Gefühle als Lebewesen. Ich habe da z. B. die Wut, die wie eine Bestie in jemandem emporschießt, das fällt mir gerade spontan ein. Ich würde manche Wörter austauschen an deinem Text, aber das ist wohl Geschmacksache. Die kurzen Sätze mit den Wiederholungen verwende ich auch und für mich sind sie auch eher ein Ausdruck von Chaos und Durcheinander, Bodenlosigkeit, Orientierungslosigkeit.

Ich verwende ansonsten auch beim Tun gerne bildhafte Vergleiche. Z. B. geht jemand auf eine Tür zu. Er ergreift die Türklinke. Sie fühlt sich an wie eine kalte Hand. Er zuckt zurück. Das ist nur eine Türklinke, ruft er sich zur Ordnung.
Oder so ähnlich.

Und was ich auch gern mal mache: Dem Prota fällt etwas auf, das ihm noch nie zuvor aufgefallen ist. Ein Absatz beginnt dann z. B. so: Der Park, durch den sie lief, war nicht beleuchtet. Das war ihr noch nie zuvor aufgefallen, heute jedoch ... und dann erzähl ich vielleicht was von einer schmalen Mondsichel, die gerade so Licht spendet, von einem Rascheln hinter ihr, das vllt Schritte sein könnten, von dem untrüglichen Gefühl von kalten Augen beobachtet zu werden oder so :)

Das Ganze muss aber natürlich ins Gesamtbild passen. Wenn gerade irgendwas ganz rasch aufeinander passiert, dann deute ich Gefühle eher kurz an, weil ich es unpassend finde, in einer raschen Handlung mehrere Zeilen lang Gefühle zu beschreiben - es sei denn, der Prota erlebt eine Art Verlangsamungsgefühl, also dass er meint, alles vollziehe sich viel langsamer, dann kann so was wiederum sinnvoll sein. Ich wüsste aber keine Anleitung, wie man es richtig machen könnte. Ich persönlich stehe, glaube ich, auch auf Pathos :)

Das mal mein Senf dazu.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Nirahil

Ich würde jetzt nicht unbedingt zustimmen, dass Pathos "out" wäre. Wenn er gut gemacht ist, warum nicht? Ich glaube, hier ist es immer eine Sache des Geschmacks und der Qualität - wie eigentlich bei allem.

Ansonsten verfalle ich auch recht gern in ausschweifende Emotionsbeschreibungen, wenn ich es für passend erachte. Teilweise geht das so weit, dass ich ohne das dazugehörige "Feeling" an einer Textstelle nicht weiter komme. Sprich, wenn mein Protagonist trauert, weil von mir aus seine Liebste gestorben ist, dann muss das für mich stimmig sein. Ich kann das nicht runterschreiben, wenn ich glücklich bin, weil es sich für mich dann nicht richtig anhört und anfühlt. Es ist manchmal geradezu ein Rausch, der mich trägt, bis ich die Szene geschrieben habe. Und zumindest ich kriege das übertragene Gefühl beim Lesen wieder volle Breitseite ab, selbst wenn ich gar nicht in der Stimmung bin.  ;D Es ist eben wie ein Wesen, das lebendig zwischen den Seiten lauert, bis sich jemand darauf einlässt.

Sowas passt aber halt wirklich nur in "große" Szenen. Zwischengeplänkel derart gefühlsbetont zu gestalten, halte ich nicht für richtig, das wäre mir als Schreiber und auch als Leser zu viel. Allerdings fällt mir Zwischengeplänkel dann wieder schwer zu schreiben, weil mir der emotionale Bezug dazu fehlt. Ich mag an Büchern eigentlich vor allem die transportierte Atmosphäre und für mich ist es faszinierend, wie man sowas in Übergänge packt. Also in die Szenen, die zwar wichtig, aber nicht "groß" sind.

Ich glaube, dieses Netz an Gefühl und Atmosphäre zu spinnen, setzt immer voraus, dass man sich selbst darauf einlässt. Dass man die Gefühle "vorlebt" und ihnen etwas eigenes gibt, das dann mit aufs Papier fließt. Für mich gibt es nichts schlimmeres, als etwas lieblos herunter geschriebenes, das Emotionen wie eine Maschine mit Definitionen beschreibt. In solchen Fällen (glücklicherweise bisher nur recht wenige) frage ich mich immer ein wenig, ob der Autor sich überhaupt bewusst war, was er transportieren wollte oder ob er nicht einfach nur in einem Lexikon nachgeschlagen hat.
Ich tanze wie ein Kind im Nebel,
zufrieden, weil ohne Ziel.
Callejon - Kind im Nebel

HauntingWitch

Ich bin da ähnlich gestrickt wie Sanjani. Ich kann gar nicht genau sagen, wie ich es mache, ich schreibe einfach. Ich habe auch keine Regeln, wann ich Gefühle intensiver wirken lassen will und wann nicht, das ergibt sich immer aus der Geschichte. Eines habe ich allerdings: Ein Gespür dafür, wann die Geschichte es erfordert. Dann mache ich es meistens so, dass ich mich mittels Musik in denselben oder zumindest einen vergleichbaren Zustand wie mein Protagonist versetze und dann mit der Musik im Hintergrund schreibe. Dask kommt meiner Selbsteinschätzung nach meistens gut.

Was mir wichtig ist dabei? Schwer zu sagen. Für mich gibt es da keine Regeln, es kommt einfach, wie es kommt. Das klingt jetzt plump, aber ich kann wirklich keine Kriterienliste erstellen.  ;D

Zu deinen Varianten:

Version 1) mit den Personifizierungen finde ich etwas heikel. Das muss man schon sehr gut dosieren, damit es nicht albern wirkt.

Version 2) finde ich gut, mache ich selbst auch gerne. Aber auch da kommt es natürlich auf das Mass an. Wenn es eine halbe Seite lang so geht, wirkt auch das langatmig. Ob man den Text damit schneller oder langsamer macht, ist wohl auch eine Frage des Gefühls. ;)

Version 3) gefällt mir auch, ich finde aber, man muss darauf achten, nicht in Klischees abzudriften, die schon tausend Leute vorher verwendet haben. Vor allem Tiere finde ich aber sehr gut, um dem Leser eine gewisse "Objektivität" vorzugaukeln. Der Leser sieht dann nicht nur die Seite des Protagonisten, sondern auch, dass die Situation von "aussen" ebenfalls z.B. bedrohlich wahrgenommen wird.

Churke

Um da mal ein bisschen die Gegenposition einzunehmen...

Ich bin kein Freund von Gefühlsbeschreibungen. Von ausladenden schon gar nicht. Ich finde es unbeholfen, Emotionen zu beschreiben. Ich halte mich an Dialog, Körpersprache, Gedanken oder auch einfach nur Tun. Subtext rult. Eine Emotion springt nicht deshalb über, weil man eine halbe Seite lang darüber sülzt.

Ich würde aus der Angst nie eine Person machen, die an die Tür klopft oder auf der Schwelle wartet. So eine Angst kenne ich nur aus Büchern.

Zitat von: Lovagh am 18. März 2013, 23:28:09
Um die Atmosphäre zu verdichten, versuche ich für Leser zwangsweise, die Lesegeschwindigkeit herabzusetzen, indem ich kürzere Sätze bzw. Satzbrocken verwende, wie:Was haltet ihr von so etwas?
Nicht viel.
Warum? Wenn ich dem tot geglaubten Vater begegne, dann verbringe ich keine 2 Zeilen damit, meine Gefühle zu ordnen, bevor ich den Gedanken formuliere. Man kann das in einem Film machen, wo die Gedanken unbekannt bleiben und das Mienenspiel für sich spricht. Aber in einem Buch? Ich jedenfalls würde erst "Vater!" rufen und dann darüber nachdenken, was das bedeutet.

Kati

Ich denke, was Churke sagt, ist nicht ganz falsch. Ich finde es schön, Emotionen im Roman darzustellen, aber ich versuche immer, realistisch zu bleiben. Früher war ich da nicht besonders gut drin, aber es ist wirklich nicht notwendig eine Situation, die ein paar Sekunden dauert auf eine ganze Seite auszuwalzen. Ein Sturz zum Beispiel. Wenn man stürzt, überlegt man dabei nicht groß, meist steht man aus Reflex sogar schon wieder, bevor man überhaupt mitbekommen hat, was passiert ist. Ähnliches gilt für andere Unfälle, aber auch für Kampfsituationen. In einem Kampf überlegt man doch nicht wirklich seitenlang, was genau man macht und was der Gegner macht - solche Situationen lasse ich gern vage und ich mag es gern, "panisch" zu schreiben. Also die Angst meines Protagonisten durch Hektik und dergleichen darzustellen.

Aber an sich kann ich nicht genau sagen, wie ich nun Emotionen und Atmosphäre verknüpfe. Das passiert einfach, wenn man sich in Rage schreibt und so in der Geschichte drin ist, dass man die Angst oder die Panik selbst spürt. Jedenfalls ist es bei mir so.  :) (Ich tippe Fluchtszenen oder so auch immer viel schneller als andere Szenen, als wollte ich selbst auch weg von der Bedrohung.)

Arcor

Zitat von: Kati am 19. März 2013, 12:24:54
Aber an sich kann ich nicht genau sagen, wie ich nun Emotionen und Atmosphäre verknüpfe. Das passiert einfach, wenn man sich in Rage schreibt und so in der Geschichte drin ist, dass man die Angst oder die Panik selbst spürt. Jedenfalls ist es bei mir so.  :) (Ich tippe Fluchtszenen oder so auch immer viel schneller als andere Szenen, als wollte ich selbst auch weg von der Bedrohung.)
Ich denke, wenn sich das nicht nur in der Schreibgeschwindigkeit, sondern auch in der Wortwahl und Satzstruktur niederschlägt, ist es das beste, was einem beim Schreiben passieren kann. Das Ergebnis müsste dann richtig gut und genau passend sein.  :jau:
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Faye - Finding Paradise

Sunflower

Grundsätzlich ist es bei mir auch so, dass ich einfach "drauf los" schreibe. Beim Schreiben ist immer viel Gefühl, persönliche Vorlieben und die Stimmung, die der Autor gerade hat, mit drin.

Allerdings kann man schon bewusst Stilmittel einsetzen, um etwas hervorzuheben.

Deine Personifizierungen würde ich nur in seltenen Fällen verwenden. Mir geht es ähnlich wie Churke. Ich schreibe viel über das, was die Figuren gerade tun, wie sie ihre Gefühle zum Ausdruck bringen. Wenn, dann beleuchte ich höchstens die Gefühle einer Figur, aber das ist wieder Geschmackssache. Um Gefühle hervorzuheben, kann man die Handlungen verwenden. Wenn jemand wütend ist, verengen sich seine Augen, er ballt die Fäuste, er wird unabsichtlich laut ... Das bevorzuge ich, statt zu schreiben "Er ist wütend", selbst wenn es so ausgeschmückt ist wie bei deinem Beispiel.

Kurze Sätze verwende ich persönlich lieber in Kampfszenen, wenn etwas Schlag auf Schlag geht. Da geht es ja immer um die Erzählzeit und die erzählte Zeit. Erzählzeit ist ja die Zeit, die man braucht, um etwas zu lesen. Ist sie im Vergleich zur tatsächlich erzählten Zeit (der Zeitspanne, die die Sätze in der Handlung umfassen) länger, dehnt das die Zeit. Ich lese kurze Sätze schneller als lange, deswegen - finde ich - beschleunigt das die Handlung eher.
Um Atmosphäre zu verdichten, würde ich zum Beispiel dieses "Hineinzoomen" (Fachbegriff habe ich jetzt vergessen) in eine Szene verwenden. Du beschreibst erst die Umgebung, dann die unmittelbare Nähe der Protas, dann den Prota und dann die Gedanken. Da kannst du ein dichtes Netz aus Geräuschen, Bildern und Emotionen vermitteln.

Wetter, körperliche Stimmung und Natur benutze ich auch gerne, um etwas zu unterstreichen. Alleine etwas damit vermitteln geht auch schlecht (da kommt es wieder auf die Mischung und die persönlichen Vorlieben an). Aber ein Gewitter zum Beispiel kann, muss aber nicht die Spannung steigern. Wenn es dazu beiträgt, dass die Figur in eine noch extremere Situation kommt - klar. Grundlos würde ich das aber auch nur selten verwenden.

Zitat von: Kati am 19. März 2013, 12:24:54
Aber an sich kann ich nicht genau sagen, wie ich nun Emotionen und Atmosphäre verknüpfe. Das passiert einfach, wenn man sich in Rage schreibt und so in der Geschichte drin ist, dass man die Angst oder die Panik selbst spürt. Jedenfalls ist es bei mir so.  :) (Ich tippe Fluchtszenen oder so auch immer viel schneller als andere Szenen, als wollte ich selbst auch weg von der Bedrohung.)
Geht mir auch so. Ich merke auch oft, wenn ich z.B. eine Fluchtszene beende, dass ich danach Herzrasen habe. Du musst die Szene spüren, dann geht das vielleicht von selbst.
"Why make anything if you don't believe it could be great?"
- Gabrielle Zevin: Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow

Debbie

#11
Zitat von: Churke am 19. März 2013, 12:09:26
Um da mal ein bisschen die Gegenposition einzunehmen...

Ich bin kein Freund von Gefühlsbeschreibungen. Von ausladenden schon gar nicht. Ich finde es unbeholfen, Emotionen zu beschreiben. Ich halte mich an Dialog, Körpersprache, Gedanken oder auch einfach nur Tun. Subtext rult. Eine Emotion springt nicht deshalb über, weil man eine halbe Seite lang darüber sülzt.

Da kann ich mich nur anschließen! Ich weiß garnicht mehr in welchem Schreibratgeber das war, aber irgendwo hab ich gelesen, dass der Leser nicht weinen muss, wenn die Figur es tut - weint oder verzweifelt die Figur in einer traurigen/hoffnungslosen Szene aber nicht wird der Leser es an ihrer oder seiner Stelle tun.

Ich hab das bei mir selbst getestet, und das ist absolut wahr. Beschreibt der Autor - gerade in emotionalen Situationen - Gefühle zu ausufernd oder detailiert, kommt bei mir Distanz auf - was laut dem oben genannten (mir fällt einfach nicht mehr ein, welches Buch es war, aber ich würde auf "Character & Viewpoint" von O.S. Card tippen) Ratgeber völlig natürlich ist. Ein Leser kann nur ein bestimmtes Maß an Dramatik, Melodramatik oder Pathos vertragen, dann verliert der Effekt seine Wirksamkeit, weshalb es enorm wichtig ist, sehr sparsam mit diesen Mitteln umzugehen.

Eine absolute Meisterin in der Vermittlung dieser subtilen Gefühle ist m. E.  JK Rowling. Deshalb kann ich die Bücher auch immer und immer wieder lesen, und muss immer wieder an den selben Stellen (auch wenn es nicht viele sind) weinen. Das fasziniert mich wirklich extrem.


ZitatWarum? Wenn ich dem tot geglaubten Vater begegne, dann verbringe ich keine 2 Zeilen damit, meine Gefühle zu ordnen, bevor ich den Gedanken formuliere. Man kann das in einem Film machen, wo die Gedanken unbekannt bleiben und das Mienenspiel für sich spricht. Aber in einem Buch? Ich jedenfalls würde erst "Vater!" rufen und dann darüber nachdenken, was das bedeutet.

Zu dieser "Reihenfolgenproblematik" gibt es einen tollen, interessanten Artikel und einen entsprechenden Thread hier im Zirkel:

http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,2930.0.html

und hier die deutsche Übersetzung:

http://www.schriftsteller-werden.de/kreatives-schreiben/die-perfekte-szene-teil-1/


Zur atmosphärischen Verdichtung hilft mir eigentlich nur das hier:

http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,8416.msg268171.html#msg268171

Ohne bin ich immer noch total aufgeschmissen  :-[

Kay

Ich finde es sehr schwer, da zu sagen, dies ist gut und das weniger.
Es gibt eine Reihe probater Methoden, die viele intuitiv, andere geplant einsetzen. Aber egal wie man arbeitet, es schadet nie, sich auch mal theoretisch mit dem Handwerkszeug auseinanderzusetzen.  Einmal, um zu wissen, was es überhaupt gibt und dann anhand von guten Texten, die man daraufhin untersucht, was die jetzt so "gut" macht. Funktioniert umgekehrt mit schlechten Beispielen übrigens auch (Was stört?).

- Knappe, reduzierte Sprache wirkt dichter. Kurze Sätze, oft auch Fragmentsätze. Verzicht auf Füllwörter.
- sparsamer Einsatz von wenigen aussagekräftigen Adjektiven/Attributen.
- Show don't tell - z.B. besser schreiben, dass man sich kaum mehr zu atmen traut, statt dass man Angst hat.
- Details sagen in solchen Szenen oft mehr als große Bilder - z.B. das Blut an der Klaue des Drachen wirkt ungleich bedrohlicher als der Hinweis darauf, dass er groß und gefährlich ist (das sollte der Leser schon ahnen)
- Personifikationen kommen fast immer vor - Man muss die Angst dafür nicht eigens auf der Türschwelle warten lassen, auch der Hinweis: "Sie ergab sich ihrer Angst" ist technisch schon eine solche und die Übergänge sind fließend.
- Vermeiden von zu häufigen stereotypen Beschreibungen - schaudern, erbleichen etc. - da sind oft ganz banale Bemerkungen wie ein trockner Mund, der plötzlich glitschig inn der Hand liegende Schwertgriff unaufdringlicher und damit wirkungsvoller, weil sie den Leser durch die Hintertür beeinflussen.

Beim Überarbeiten gibt es zwei gute Methoden, die dem Text in den meisten Fällen gut tun:
- Laut lesen (da spürt man selbst, wenn etwas zu viel wird), insbesondere dann, wenn man auch versucht, mit der Stimme, die Stimmung zu gestalten.
- Den Text maximal verkürzen (speziell bei Szenen, die spannend sein sollen).

Am Ende muss es aber ein authentischer Text sein. Mich haut es speziell beim Lektorieren immer wieder raus, wenn da ersichtlich in den typischen Stil des Autors plötzlich mit dem Willen nachzubessern, ein Stilmittel eingebaut worden ist, das sonst eben nicht vorkommt. Egal, ob der blumige Stil dann plötzlich zum lakonischen Action-Roman abkippt oder umgekehrt. Ich mag beides, aber nicht zugleich.

Sunflower

Ich habe gerade noch einen Artikel über Show don't tell gefunden. Da findest du vielleicht auch noch Hinweise ;)
"Why make anything if you don't believe it could be great?"
- Gabrielle Zevin: Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow

Lovagh

Vielen Dank schonmal, für eure Meinungen.

Das mit den kurzen Sätzen scheint also eher das Gegenteil zu bewirken. Dann werde ich soetwas künftig anders einsetzen.

Im Normalfall schreibe ich mir auch einfach von der Seele. Aber die gefühlsintensivsten Phasen meines Protas finden meist dann statt, wenn er von der Außenwelt nicht mehr viel mitbekommt. Er ist psychisch nicht ganz stabil, hat gerade einen geliebten Menschen sterben sehen und eine zweite Persönlichkeit fängt an, ihn sich einverleiben zu wollen. In diesem Stadien gibt es keine Dialoge und kaum Einfluss von außen. Da ist mein Prota ganz und gar in sich gefangen und hat nicht viel mehr, als seine Gefühle. Und die müssen da richtig sitzen. Daher kam die Idee, sich damit mal näher auseinanderzusetzen.