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Gefühle, Atmosphäre und Schreibstil richtig verbinden

Begonnen von Lovagh, 18. März 2013, 23:28:09

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Kay

Ist doch super, wenn Du Dich so intensiv damit auseinandersetzt. Respekt!

Zu diesem Problem des "Isolationsdenkers" nenn ich das mal hab ich mal in einem Buch, das ich jetzt erst raussuchen müsste, die faszinierende Lösung gelesen, ganz bewusst in die Personifikation zu gehen, das Innenleben wie eine Landschaft zu schildern und dort die Emotionen "lauern" zu lassen. Irgendein Asiate - das war unglaublich intensiv, obwohl der Rahmen außenrum eher lakonisch sachlich war (oder vielleicht gerade deshalb).

Anders macht es Arno Schmidt. Der schreibt im Steinernen Herz z.B. ohne erkennbare Trennung der Innen- von der Außenwelt, das ist für den Leser am Anfang Wahnsinn, weil man sich echt darauf einlassen muss, aber dann... ein Erlebnis.

Ich schreibe ganz gern einfach mal eine Szene bewusst in einem so extremen Stil, damit ich ein Gefühl entwickle. Auch wenn das zum Rest nicht passt, lernt man dabei unfassbar viel. Das sind sehr lehrreiche Experimente.

Amberle

Bei der Sache mit der Isolierung von der Außenwelt und der absichtlich bildliche Darstellung der Gefühle fallen mir grade die Schwarzen Juwelen von Anne Bishop ein. Einer der Protagonisten irrt im zweiten Teil im verzerrten Reich, also im Wahnsinn herum. In seinem Fall, wurden seine Ängste und Schuldgefühle zum einen durch die Landschaft (z.B. scharfe Klippe, an denen er hochklettern muss) und durch die "Geschehnisse" (z.B. die Insel auf der er sich befindet bricht langsam weg) dargestellt. Und durch seine Reaktionen darauf.
Bei solchen Figuren oder Situationen kann/muss die Darstellung von Gefühlen (meiner Meinung. nach) anders behandelt werden, als bei einer gesunden Person

Coppelia

#17
Ich denke, besonders wichtig dabei ist es, Figurenperspektive sinnvoll und bewusst einzusetzen, wenn die jeweiligen Textabschnitte aus der Sicht einer Figur geschrieben sind.

Um auf deine Beispiele einzugehen, Lovagh:
ZitatDie Angst setzte an, wie zum Sprung, um über ihn herzufallen. [...] Die Angst legte sich langsam, aber sie blieb lauernd im Hintergrund bestehen; wartend, dass Schwäche es ihr erlauben würde, wieder zuzustoßen. [...] Die Angst kam zusammen mit rasender Wut zurück und schleuderte sein Bewusstsein in einen Abgrund.
Der Perspektiventräger nimmt hier z. T. die Perspektive der Angst ein. Das ist ganz interessant und lässt auf eine komplizierte Denkweise schleßen.
Bei solchen Assoziationen wie Angst = Tier würde ich beim Perspektiventräger darauf achten, dass es für diese Figur Sinn ergibt, dass er diese Sache auf genau diese Art wahrnimmt, also Angst z. B. mit einem lauernden Tier in Verbindung bringt. Auch bei der Wortverwendung würde ich checken, ob sie zu der Figur passt. Der letzte Satz lässt darauf schließen, dass hier eine Person mit ziemlich dramatischem Naturell Perspektiventräger ist. ;D Genauso im nächsten Beispiel:

ZitatNur ein Wort entglitt seinen Lippen. Ein einziges Wort, das ihm mehr bedeutete, als sein eigenes Leben. Das Wort war eine Frage. Eine Frage nach Hoffnung. Seine Augen weiteten sich "Vater?"
Ich würde das bei einer nüchternen Natur nicht so schreiben.

ZitatEin Eichhörnchen huschte von irgendwo an ihm vorbei und blieb stehen um den zweibeinigen Riesen neugierig zu betrachten. Kühl blies ein Luftzug aus dem Tal zwischen den Bergen hindurch und ließ die Nadeln der Bäume rascheln. Am Himmel erschienen ein paar graue Wolken. Das Eichhörnchen lief davon.
Der "zweibeinige Riese" verrät, dass hier das Eichhörnchen Perspektive hat bzw. sich der Perspektiventräger gerade fragt, wie er wohl für das Eichhörnchen aussehen mag. Das scheint mir jetzt, ohne dass ich den Rest kenne, ein sympathischer Zug zu sein.

Wenn du aus der Perspektive einer Figur erzählst, charakterisiert alles, was du erzählst, auch die Figur: Die Vergleiche, die Wortwahl, die Art, wie etwas wahrgenommen wird. Wahrscheinlich habe ich einen leichten Knall in Bezug auf die Figuren-Perspektive ... ;) Bei mir ist es aber wirklich so: Bei mir bestimmt die Perspektive und damit auch der Charakter der Figur auch den Stil.
Daher fände ich es nicht so passend, wenn ein Text nicht zum Perspektiventräger passt, also z. B. mit großen Worten große Gefühle darstellt, obwohl die Figur in der jeweiligen Situation eher nüchtern ist und die Dinge keineswegs auf diese Art wahrnimmt. Wenn man bei Vergleichen oder Personifikationen ebenfalls In-Perspektive bleiben will, dann wäre es hilfreich, Dinge zu verwenden, die die Figur auch kennt und assoziieren würde.

Verwirrter Geist

Zitat von: Nirahil am 19. März 2013, 11:54:47
Ich würde jetzt nicht unbedingt zustimmen, dass Pathos "out" wäre. Wenn er gut gemacht ist, warum nicht? Ich glaube, hier ist es immer eine Sache des Geschmacks und der Qualität - wie eigentlich bei allem.

Ich bin in einer Zeit zur Fantasy gekommen, als es eigentlich nur epochale Großwerke gab. Schwert der Wahrheit, die Midkemiaserie von Feist, Rad der Zeit, das Geheimnis der großen Schwerter und vieles mehr.
Seitdem hat sich das Genre natürlich (und zum Glück) weiterentwickelt und ist viel Mainstream tauglicher geworden. Daher würde ich schon sagen, dass starker Pathos, bestimmte Klischees und überhaupt die Erwartung an einen phantastischen Roman eine ganz andere ist. Das muss ja nicht unbedingt schlecht sein, auch wenn ich manchmal die alten Zeite vermisse.  :hmmm:

ZitatAnsonsten verfalle ich auch recht gern in ausschweifende Emotionsbeschreibungen, wenn ich es für passend erachte. Teilweise geht das so weit, dass ich ohne das dazugehörige "Feeling" an einer Textstelle nicht weiter komme. Sprich, wenn mein Protagonist trauert, weil von mir aus seine Liebste gestorben ist, dann muss das für mich stimmig sein. Ich kann das nicht runterschreiben, wenn ich glücklich bin, weil es sich für mich dann nicht richtig anhört und anfühlt. Es ist manchmal geradezu ein Rausch, der mich trägt, bis ich die Szene geschrieben habe. Und zumindest ich kriege das übertragene Gefühl beim Lesen wieder volle Breitseite ab, selbst wenn ich gar nicht in der Stimmung bin.  ;D Es ist eben wie ein Wesen, das lebendig zwischen den Seiten lauert, bis sich jemand darauf einlässt.

/Yoda-on Froh sein musst du über diese Gabe und sie weise nutzen solltest /Yoda-off

Nein, im Ernst: Das ist nicht nur eine schöne Definition, sondern auch eine die das "Schreiben aus Leidenschaft" prima auf den Punkt bringt.

ZitatIch glaube, dieses Netz an Gefühl und Atmosphäre zu spinnen, setzt immer voraus, dass man sich selbst darauf einlässt. Dass man die Gefühle "vorlebt" und ihnen etwas eigenes gibt, das dann mit aufs Papier fließt. Für mich gibt es nichts schlimmeres, als etwas lieblos herunter geschriebenes, das Emotionen wie eine Maschine mit Definitionen beschreibt. In solchen Fällen (glücklicherweise bisher nur recht wenige) frage ich mich immer ein wenig, ob der Autor sich überhaupt bewusst war, was er transportieren wollte oder ob er nicht einfach nur in einem Lexikon nachgeschlagen hat.

Wobei auch spröde Beschreibungen ihren Platz haben (sollten). Gerade Antas eignen sich imho gut, um bei ihnen eine gewisse Lieblosigkeit als Stilmittel zu verwenden. Aber ich weiß, was du meinst: Lieblosigkeit ohne konkreten Grund sollte keinen Platz in einem Buch haben. Genauso wenig wie man Dinge erzwingen sollte. Ich persönlich habe nie Liebe auf den ersten Blick erlebt und bin dazu, glaube ich, auch überhaupt nicht fähig. Daher vermeide ich dergleichen auch konsequent bei meinen Protagonisten, weil ich nicht über etwas schreiben möchte, dessen Konzept mir fremd ist.

Guddy

#19
Zitat von: Sanjani am 19. März 2013, 11:33:37
Ich mache es im wahrsten Sinne des Wortes nach Gefühl. Ich gestalte mein Zimmer so, dass ich in die richtige Laune komme und dann bin ich so in der Geschichte drin, dass sich mir die Details von selbst auftun. Ich wähle dann die Dinge aus, die sich ergeben. Ich höre z. B. den Regen, ich rieche die feuchte Luft, im Nebel spielen Schatten usw.

Ja, so geht es mir auch, wobei ich die bestimmte Atmosphäre bewusst herbeirufe: Ich stelle die passende Musik ein (oder auch Ambientesoundkulissen wie Wald oder Regen... gibt's ja zu Hauf auf Youtube), rufe drei, vier passende Bilder auf (bspw. Filmszenen, die ich passend finde), die neben dem Script auf dem Bildschirm auftauchen (geht zugegebenermaßen aktuell auf dem winzigen Laptop nicht) und versuche, mich schlichtweg in die Situation des Protas einzufühlen. Manchmal gucke ich mir vorher bewusst einen Film an, der die Stimmung der Szene widerspiegelt.
Obligatorischerweise gehe ich so nochmal durch, was in der Szene passieren soll, wie der Prota sich fühlt - wobei ich mich manchmal wie eine Psychologin fühle und drauf und dran bin, mir eine Nerdbrille aufsetzen und mich auf ein Sofa setzen  zu wollen öÖ - und was ich mit dem ganzen bewirken will.
Da kann es schonmal fünf Minuten dauern, bis ich gedanklich wirklich drin bin und anfangen kann, zu schreiben.
Vor meinem inneren Auge läuft der Film ab, ich muss es dann nur noch in Worte kleiden.

Mein Ratschlag ist, sich fallen zu lassen und sich auf die Bilder im Kopf zu verlassen, Mut zur eigenen Emotion zu haben.

Ich kann es selber nicht wirklich gut, ich stehe da noch am Anfang. Aber ich merke, dass ich mit dieser "Methode" deutlich besser schreibe, als wenn ich einfach so schreiben würde, ohne mich voll und ganz auf die Szene einzulassen.