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Historisches Setting - Mut zur Lücke?

Begonnen von Steffi, 18. Juli 2013, 14:58:37

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gbwolf

Das Forum läst ja leider keine Suche mit Jokerzeichen zu, sonst hätte es geklappt, Steffi. Ich habe ja den Bonus, als langjähriger Mod ein bibliothekarisches Gedächtnis zu haben.

Kati

ZitatIch denke, man kann die meisten Sachen, die man für einen historischen Roman braucht, schon mit etwas Mühe auftreiben.

Ich meinte jetzt auch die bekannten Kleinigkeiten, wie die Augenfarbe von XY, oder wie YZ gesprochen hat. Manchmal findet man dazu was, manchmal nicht und da kann man dann ja ansetzen. Die großen Dinge, klar, die findet man immer. Und wie gesagt, irgendwann kann man sie sich sogar aus dem Kontext heraus denken. In der Sache mit der Wohnsituation meinte ich das zum Beispiel so, dass man irgendwann so viel über die Zeit herausgefunden hat, dass man über den Umgang mit Homosexualität in der Zeit Bescheid weiß und darüber, wie weit welche Gesellschaftsregeln für welche Klasse galten und wie die Einstellungen und der Grundtenor war. Daraus kann man sich dann meist ableiten, was ging und was nicht und ob zwei Männer gefahrlos zusammenwohnen konnten. Natürlich ist das nicht so viel wert, wie ein Zeitzeugenbericht über eine Arbeiter-WG 1930 in New York, aber wenn man sowas gar nicht findet, muss man eben sehen, wo man bleibt. Und ich denke, bei so speziellen Fragen ist es schon schwer etwas zu finden, wenn auch nicht unmöglich.

Am Ende kann man natürlich immer noch auf die Besonderheiten der einen Figur zurückkommen, aber dabei muss man auch immer bedenken, dass die Figur ein Kind ihrer Zeit ist. Natürlich gingen niemals alle Menschen mit allen Ideen einer Gesellschaft konform, aber trotzdem beeinflusst die Zeit in der man aufwächst einen natürlich. Nehmen wir mal an, es wäre ein Problem, wenn zwei Männer zusammenleben, dann kann man natürlich behaupten, der Figur macht es nichts aus, aber man sollte doch auch hier erklären können, warum die Figur da anders denkt, wie sie mit den Meinungen ihrer Umwelt umgeht und warum überhaupt so ein Aufsehen darum gemacht wird. Einfach sagen ,,Meine Figur ist anders" reicht nicht, das führt bloß zu viel zu modernen Figuren im historischen Setting und das endet meist nicht gut.

Mut zur Lücke: Also, ich würde sagen, ja, weil man ja nicht alles richtig machen kann. Aber ich bemühe mich trotzdem, alles richtig zu machen, was ich richtig machen kann. Ich käme mir faul vor, wenn ich einfach auf Klischees zurückgreifen würde oder am Ende auf etwas, was ich mal in einer Doku, die großteils zur Unterhaltung dient, gesehen habe. Nur, weil die Leser das vielleicht nicht merken, heißt das nicht, dass ich das Halbwissen auch noch weiterverbreiten möchte. Am Ende kann ich nicht alles richtig machen und irgendwann wird wer Fehler finden, aber dann kann ich sagen, dass ich mein bestes getan habe und nicht einfach das nächste Klischee bedient habe. Das ist mein Anspruch an mich selbst, immer so viel tun, wie ich kann und, wenn das am Ende doch zu Fehlern führt, ist das halt so aber wenigstens habe ich sie nicht absichtlich gemacht oder mich nicht darum gekümmert.

Steffi: Ich würde nicht einfach das, was in San Francisco passiert ist, auf die Ostküste übertragen. Aber du kannst vielleicht etwas über die Arbeit selbst herausfinden und die Konflikte werden auch in New York bekannt gewesen sein. Man kann vielleicht nicht einfach anwenden, was man gelesen hat, aber man kann die Infos, die man dort gesammelt hat umsetzen. Und aus der Rezi, die ich gelesen habe, entnehme ich, dass auch zur Ostküste ein bisschen was gesagt wird, wenn auch nicht viel. Sicherlich erfährst du auch etwas, wenn du einfach die Geschichte der Arbeiter in den 1930ern recherchierst oder dir Bildmaterial besorgst. Angucken ist manchmal noch viel besser als einfach nur lesen.  :)

Steffi

Zitat von: Kati am 18. Juli 2013, 20:18:11


Am Ende kann man natürlich immer noch auf die Besonderheiten der einen Figur zurückkommen, aber dabei muss man auch immer bedenken, dass die Figur ein Kind ihrer Zeit ist. Natürlich gingen niemals alle Menschen mit allen Ideen einer Gesellschaft konform, aber trotzdem beeinflusst die Zeit in der man aufwächst einen natürlich. Nehmen wir mal an, es wäre ein Problem, wenn zwei Männer zusammenleben, dann kann man natürlich behaupten, der Figur macht es nichts aus, aber man sollte doch auch hier erklären können, warum die Figur da anders denkt, wie sie mit den Meinungen ihrer Umwelt umgeht und warum überhaupt so ein Aufsehen darum gemacht wird. Einfach sagen ,,Meine Figur ist anders" reicht nicht, das führt bloß zu viel zu modernen Figuren im historischen Setting und das endet meist nicht gut.



Damit hast du genau mein Dilemma zusammengefasst :) Mein wirklich toller Geschichtelehrer auf dem Gymnasium, wegen dem ich LK genommen habe, nannte das immer "Mentalitätsgeschichte" und ich finde es mit Abstand das spannenste, aber auch das am wenigsten greifbare Feld.

Das ist der Grund, warum ich zum Beispiel mit der Verfilmung (und entsprechend auch mit dem Buch) "Die Säulen der Erde" nicht viel anfangen konnte; die Frauen waren mir einfach alle zu modern.

Einige Artikel listen "The Grapes of Wrath" von John Steinbeck als Recherchematerial nahe, da das Buch 1939 veröffentlicht wurde. Ist eh noch auf meiner "To-Read"-Liste :)

Ach Fotos. Ich könnte Fotos aus der Zeit ewig angucken  :wolke:
Sic parvis magna

Fianna

#18
Zitat von: Coppelia am 18. Juli 2013, 20:00:05
OT: Das ist keine gute Idee, sag ich mal so als Universitätsmitarbeiter. Die Hiwis und Mitarbeiter haben meist andere Dinge zu tun. ;D Es ist zwar ganz lustig, wenn ab und zu mal Leute anrufen und etwas auf Latein übersetzt haben möchten, aber in solchen Fällen würde ich doch sagen: Lieber erstmal selbst in der Universitätsbibliothek suchen! Man kommt häufig auch mit Ausweis hinein, und oft können Mitarbeiter vor Ort erklären, wie man die Suchmaschine am Computer bedient. 
Die erfolglose Suche in Bibliothek des Vertrauens, Universitätsbibliotek etc (kurz: allen anderen erdenklichen Möglichkeiten) hatte ich jetzt mal vorausgesetzt :) Hätte schwören können, ich hab mich auch auf z.B.Opac bezogen...

Hm, soll ich das noch mal deutlicher reineditieren?  ???


PS: Ihr habt also auch diese Herr X'e... Das überrascht mich nicht. Den Fußnoten-Erfinder hielt ich bisher für einmalig  ;D Oder habt ihr auch so einen?

Lavendel

Zitat von: Kati am 18. Juli 2013, 20:18:11

Am Ende kann man natürlich immer noch auf die Besonderheiten der einen Figur zurückkommen, aber dabei muss man auch immer bedenken, dass die Figur ein Kind ihrer Zeit ist. Natürlich gingen niemals alle Menschen mit allen Ideen einer Gesellschaft konform, aber trotzdem beeinflusst die Zeit in der man aufwächst einen natürlich. Nehmen wir mal an, es wäre ein Problem, wenn zwei Männer zusammenleben, dann kann man natürlich behaupten, der Figur macht es nichts aus, aber man sollte doch auch hier erklären können, warum die Figur da anders denkt, wie sie mit den Meinungen ihrer Umwelt umgeht und warum überhaupt so ein Aufsehen darum gemacht wird. Einfach sagen ,,Meine Figur ist anders" reicht nicht, das führt bloß zu viel zu modernen Figuren im historischen Setting und das endet meist nicht gut.


Das Dilemma ist da, keine Frage, aber in erster Linie schreibt man ja einen Roman, und weil man mit einem Roman erreichen will, dass Leser sich mit der Figur identifieren, sind der historischen Genauigkeit gerade bei der Mentalität ein paar Grenzen gesetzt. Figuren müssen quasi moderner denken, als es möglicherweise realistisch wäre, weil sonst der Leser hintenansteht. Das ist auch schwierig, wenn man selbst aus einer Wissenschaft kommt und sich viel mit den Denkmustern einer Zeit beschäftigt hat, aber ein Roman ist eben kein Geschichtsbuch, und wenn Protagonisten nicht eine gewisse Möglichkeit zur Identifikation bieten, wenn sie wenig bis nichts mit der Lebensrealität von heute zu tun haben, werden die meisten Leute sie für langweilig halten. Deshalb halte ich es für legitim (wenn auch nicht korrekt ;)) gerade da daran zu denken, dass es bei einem Roman auch auf andere Dinge ankommt, als auf historisch korrekte Recherche. Es gibt immerhin auch eine Menge echt mies recherchierte Bestseller. Was aber nicht heißen soll, dass ich von Recherche abrate. Aber gute Recherche und das Geschickte einbinden in einen Roman ist ein riesen Bonus. Man muss eben bei allem abwägen, ob es der Geschichte guttut. Die steht im Vordergrund. Der Hintergrund sollte auch gut sein, aber darf eben nicht der Vordergrund werden ... ok,. es ist früh, aber ihr verstehet, oder? ::)

Alana

Zitat von: Kati am 18. Juli 2013, 19:26:14
Das Problem ist für mich, dass es mir egal ist, ob der Leser die Fehler bemerkt oder nicht, es geht mir darum, dass ich selbst nicht dahinter stehen kann, wenn ich etwas sehr Falsches behauptet habe.

Das geht mir auch so. Ich stehe gerade vor genau diesem Problem und habe mich teilweise auch schon gefragt, was ich machen soll. Im Normalfall recherchiere ich erst allgemein, dann überlege ich, wie ich es haben will, also einzelne Dinge, und dann recherchiere ich, ob es in diesem Zusammenhang möglich war, es so zu machen. Manchmal nehme ich eine Beschreibung oder ein Detail raus, wenn ich gar nichts darüber finden kann oder überlege, ob es im Fantasyzusammenhang trotzdem glaubwürdig bzw. machbar ist.

ZitatAls Beispiel mal. Es gibt ja dieses Klischee, das Queen Victoria immer bitter, streng und not amused war und das ist einfach nicht wahr. Versuche ich in meinem Roman jetzt aufgrund von Victorias Tagebüchern ein anderes Bild zu zeichnen und riskiere den Unmut von Lesern, die das Klischee kennen, oder schreibe ich eine Queen Victoria, die genau so ist, wie jeder sie kennt, obwohl man sich sicher ist, dass sie so gar nicht war? Ich finde das einfach sehr schwer. Natürlich, Mut zur Lücke muss man haben, aber muss man auch dort Lücken lassen, wo man es besser machen kann?

Es gäbe ja vielleicht noch die Möglichkeit diese Tatsache in einen Dialog einzubinden. Natürlich subtil, nicht belehrend, aber eben so, dass es beim Leser ankommt.
Alhambrana

Kati

Lavendel: Das sehe ich ganz ähnlich, ich wollte auch nicht sagen, dass die Figuren genauso denken müssen, wie Menschen aus einer früheren Zeit. Das geht glaube ich auch gar nicht, wir sind in unseren modernen Denkmustern viel zu verankert um wirklich nachvollziehen zu können, wie damals gedacht wurde. Aber das andere Extrem ist ja zum Beispiel in vielen Romanen vertreten: Figuren, die fast moderner denken, als die meisten Menschen heute. Das sorgt meistens dafür, dass sie alles besser wissen, als ihre Zeitgenossen und fast ein bisschen von oben auf ihre eigene Gesellschaft herabblicken. Dieses Zeitreisesyndrom. Besonders oft sieht man das bei weiblichen Hauptfiguren, die feministischer denken als viele Frauen heute, sich über Klassengrenzen hinwegsetzen und nebenbei am besten noch dank moderner Einfälle die Medizin revolutionieren. Das geht auch nicht, jedenfalls für mich nicht, und man sollte eben einen Mittelweg finden.  :)

Das meinte ich weiter oben mit der Atmosphäre: Natürlich macht man haufenweise Fehler, wenn man nicht gerade eine Zeitmaschine zur Hand hat um vor Ort zu recherchieren, aber wenn die Grundstimmung stimmt, ist das alle Mal besser, als wenn das historische Setting bloß wegen der schönen Mode oder was weiß ich gewählt wurde und ansonsten genauso gut in der Gegenwart spielen könnte. Es ist ziemlich schwer, aber ich denke, es ist wichtig eben aus der Zeit heraus einen guten Mittelweg zu finden. Was immer zieht, um Identifikationsfläche zu geben, sind natürlich tragische Liebesgeschichten oder Geschichten über Rache und Vergeltung oder solche zeitlosen Themen, und dann muss man vielleicht mal darüber wegsehen, dass ein Mensch aus dem Barock mit diesen Themen vielleicht ganz anders umgegangen wäre, als ein moderner Mensch. Aber gleichzeitig kann man ja darauf achten, dass man das alles überzeugend in das historische Setting einbettet und nicht auch noch gesellschaftliche Regeln der Zeit einfach über Bord wirft. Ergibt das Sinn, was ich meine? Ich bin so schlecht darin auf den Punkt zu kommen, es tut mir Leid.

Mir ist aufgefallen, dass in vielen historischen Romanen die Selbstfindung zu turbulenten Zeiten im Vordergrund steht und ich schreibe das auch sehr gern. Das ist natürlich fast der einfache Ausweg, weil sich viele Menschen damit identifizieren können. Ich habe beim Lesen gemerkt, dass es dann fast egal ist, wenn die Figur fest in ihrer Gesellschaft verankert ist, weil die Frage danach, wer man eigentlich ist und sein will heute so prominent ist und sich jeder darin wiederfindet. Ob damals bereits so viel Wert auf individuelle Entfaltung gelegt wurde, ist natürlich aber zweifelhaft.

Was auch noch wichtig ist: Das alles ist natürlich bloß wichtig, wenn man selbst als Autor wert auf diese Dinge legt. Ich persönlich möchte einfach keine Klischees weitertragen und ich mag auch selbst gern Romane, die gut recherchiert wirken (ob sie´s sind kann man ja nicht sagen, wenn man den Autor nicht kennt). Wenn man jetzt aber eben einen LiRo mit historischem Hintergrund schreiben möchte, kann man das natürlich auch machen, es kommt einfach auch drauf an, was man von sich und seinem Buch am Ende erwartet und welche Leser man ansprechen möchte.

Coppelia

#22
ZitatFiguren müssen quasi moderner denken, als es möglicherweise realistisch wäre

Ohne damit die ganzen emanzipierten Frauen aus Mittelalter-Romanen gutheißen zu wollen: Je mehr ich meine antiken Texte lese, desto mehr scheint es mir, dass zumindest die Menschen der Antike kaum anders gedacht haben als wir heute. Sie haben unglaublich viel gewusst und Zusammenhänge unglaublich gut durchschaut (natürlich nicht alle, aber einige), sie hatten dieselben Wünsche und Probleme. Natürlich gab es einige Erfindungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht, und auch die Gesetzeslage war anders, es gab teilweise andere Möglichkeiten, gesellschaftliches Prestige zu erlangen usw. ...
Wenn wir von heute auf die Vergangenheit blicken, haben wir häufig ein Bild von Menschen, die sehr viel rückständiger waren. Aber wir wüssten auch viele Dinge nicht, wenn wir sie nicht in der Schule gelernt hätten, z. B. wie Evolution funktioniert (und nicht, dass jeder, der es in der Schule gelernt hätte, es auch wüsste).
Daher denke ich, dass man vielleicht so etwas wie allgemeinen Mentalitäts-Standard einer vergangenen Epoche im Kopf haben kann, aber jede Person ist ein Einzelfall und eine Welt für sich.

Ich hatte das Glück, "de finibus" von Cicero mit meinem Kurs zu lesen, darin die Atomlehre des griechischen Philosophen Demokrit. Eine Chemiestudentin war anwesend und hat uns mit ihrem Fachwissen weitergeholfen. Es gab in dieser Textpassage nur einen einzigen Unterschied zur heutigen Erkenntnis über Atome: Sie sind nicht "solide", sondern enthalten viel leeren Raum. Ansonsten entsprach alles unserem heutigen Wissensstandard.
Das sind so Momente, wo man sich mal wieder erinnert, der Vergangenheit nicht zu wenig zuzutrauen. (Cicero findet zwar Argumente gegen die Atomlehre, und zu Unrecht, und ja, es ist irgendwie witzig, aber es erfordert viel Gehirnschmalz, sich in diese Lehre überhaupt so weit hineinzudenken, dass man Gegenargumente findet).

Kati

Nur, um das nochmal klarzustellen: Ich meinte natürlich nicht, dass die Menschen früher dümmer waren. Ich will auch nicht alle Menschen zu einer Masse verschmelzen lassen, die gleich denkt und gleich handelt. Natürlich war auch früher jeder Mensch anders und im Kern sind Menschen sicherlich auch irgendwie immer gleich geblieben. Aber die Gesellschaft, in der man aufwächst, beeinflusst einen schon. Wenn man von klein auf eine bestimmte Etikette lernt, bestimmte Regeln und Denkmuster, glaubt man auch daran. Da braucht es schon ein aufrüttelndes Ereignis, um einen umdenken zu lassen. Also: Menschen waren natürlich nicht dümmer, aber sie waren anders.  :) Mehr wollte ich damit gar nicht aussagen.

Moni

#24
Nur um noch mal die Grundfrage mit dem Mut zur Lücke heranzuholen: ich denke, je näher einem die Epoche über die man schreibt zeitlich ist, desto weniger Mut zur Lücke darf man sich erlauben. Gerade bei einer so nahen Zeit wie den 30er Jahren, über die man sich ja doch recht gut informieren kann.

Maja hat für ihren Geisterphotographen alte Zeitungen zu Rate gezogen, gerade für Kleinigkeiten und Details, das wäre sicherlich eine gute Idee, um deine 30er Jahre Dockarbeiter in einem realistischen Umfeld zu positionieren.

Für deine Recherche wäre noch der Film "On the Waterfront" sinnvoll, er spielt zwar in den 40ern, aber das dürfte kaum einen Unterschied machen. Es gibt soweit ich weiß auch noch ein Buch mit dem gleichen Titel, meine aber, das basiert auf dem Drehbuch. In jedem Fall hättest du da das richtige Setting.

Edit: sehe gerade, der Churke hat dir da ja schon den Link zum deutschen Wikieintrag von "Die Faust im Nacken" gepostet. Das ist
der Film, auf den ich mich beziehe. Übrigens mit einem großartigen Marlon Brando!
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Stefan Quoos, WDR2-Moderator

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Rhiannon

Ich würde sagen, das hängt ein bisschen von der jeweiligen Zeit ab, in der man schreibt. Es gibt Zeiten, die historisch sehr gut belegt sind. Und je kürzer sie zurückliegen, desto eher weiß man darüber Bescheid und es gibt vielleicht sogar Zeitzeugen. Aber es gibt auch Völker und Epochen über die sehr wenig bekannt ist.
Schreibe ich z.B. in der Steinzeit werde ich zwangsläufig sehr viel zusammenfabulieren müssen, da bis auf Höhlenmalereien und Funde von Alltagsgegenständen wenig vom Zusammenleben der Menschen übrig geblieben ist. Und schon so existentielle Fragen wie Patriarchat oder Matriarchat? oder Polygamie oder Monogamie? sind nicht zu beantworten. Ich kann das vielleicht erraten, wenn in einer Gegend entsprechend viele "Venusfiguren" gefunden wurden, oder ähnliches, aber es bleibt geraten.
Oder was mache ich mit Völkern, bei denen noch nicht einmal hundertprozentig geklärt ist, ob es sie überhaupt gegeben hat, wie zum Beispiel den Amazonen. Da kann ich dann auch nur raten und erfinden. Wenn ein Autor da herumfabuliert, nehme ich ihm das nicht übel, irgendwie muss man aus den spärlichen archäologischen Funden und Thesen einen Menschen zusammenbauen, den man mir als Leser abnimmt.
Bei den besser erforschten Epochen ist das dann schon einfacher. Und je weniger sich die Forscher widersprechen, desto einfacher habe ich es als Autor. Aber desto genauer muss ich auch recherchieren.
Und ich mag es nicht, wenn man es merkt, dass es sich der Autor einfach gemacht hat. Ich glänze in den meisten geschichtlichen Epochen durch Halbwissen, von daher bin ich nicht unbedingt die gefürchtete Renzensentin für historisch schreibende Autoren, aber wenn selbst mir gewisse Dinge auffallen, möchte ich nicht wissen, wie sehr sich einem Menschen, der in dieser Epoche firm ist, die Zehennägel aufrollen.
Eine Modeerscheinung um ein paar Jahre zu verlegen, finde ich nicht unbedingt schlimm, ob das Korsett nun ein, zwei Jahre früher oder später wirklich aufkam, werde ich sicher nicht nachprüfen, aber ein politisches Ereignis, das die Geschichte verändert hat, sollte bitte da bleiben, wo es ist. Und gesicherte Ergeignisse im Leben einer historischen Person bitte ebenso! Das hat mir bei meinem Roman über meine Römerin einiges an Kopfzerbrechen bereitet, deren Geburts- und Todesdatum so zu legen, dass sie die Ereignisse, die ich brauchte, auch miterleben kann, oder eben nicht.
Allerdings kann man es in meinen Augen auch übertreiben. Es gibt Dinge, die vielleicht den Historiker interessieren, oder auch jemand, dessen Steckenpferd eben jene Epoche ist, aber nicht den Leser. Den vollständigen Plan der London Underground im Jahre achtzehnhundertdrölfzig brauche ich nur dann, wenn auch wirklich alle Haltestellen eine wichtige Rolle spielen, was ich nicht hoffe, dass das in einem Roman passieren wird.
Dass man sich selbigen Plan aber als Autor zur Orientierung aufhängt, ist für mich wiederum etwas ganz Normales. Aber es muss nicht alles, was der Autor herausgefunden hat, in den Roman und es muss bei aller historischen Korrektheit immer noch eine Romanfigur geben, die für mich als moderner Mensch noch irgendwie nachvollziehbar ist.