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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Ratzefatz am 04. Mai 2016, 07:00:17

Titel: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Ratzefatz am 04. Mai 2016, 07:00:17
Liebe 'zirkler,

aus gegebenem Anlass würde mich einfach mal interessieren, wie ihr das seht:

Es gibt ja gewisse Grundregeln des Schreibhandwerks, die man in Schreibratgebern etc. findet. Beispiel: Alle Kapitel sollten die gleiche Länge haben.

Ich habe das bisher immer so wie die Piraten in "Pirates of the Caribbean" ihren Code gehandhabt ("It's more like guidelines anyway"): Meine Kapitel haben eine gewisse Grundlänge, es gibt aber immer auch welche im Manuskript, die deutlich länger oder deutlich kürzer sind, weil sich das handlungstechnisch eben anbietet. Genauso halte ich es mit anderen Regeln des Schreibhandwerks - ich breche sie, wenn es einen guten Grund dafür gibt. Ich hatte schon Genrewechsel mitten im Buch, indirekte statt direkter Rede, Wechsel in die auktoriale Perspektive mitten im Kapitel, Einbau von (für die Handlung wichtigen) Chatforen-Beiträgen als Einschub im Kapitel .... All das in veröffentlichten Romanen.

Auch als Leser kenne ich Beispiele zum Teil sehr namhafter Autoren, die diese Konventionen des Schreibhandwerks brechen. Ich denke mir dann meistens: "Toll, dass ich so überrascht werde!" Wenn mir das Ergebnis des Regelbruchs mal nicht so zusagt - beispielsweise fand ich es weniger toll, dass Cornelia Funkes "Herr der Diebe" recht spät ein Fantasy-Element einführte -, ist meine Reaktion höchstens "Schade, das hätte mir anders besser gefallen" und nicht "Versteht denn der Autor nichts vom Handwerk? Und warum lässt der Verlag so was drucken?"

Nun hatte ich ein längeres Gespräch mit einer Bekannten, die genau der gegenteiligen Meinung ist: Das Brechen von Konventionen ginge gar nicht. Ihre Begründung: Viele Leser würden auch selbst schreiben und daher Schreibratgeber lesen und wenn solche "Fehler" gemacht würden, werfe das auf den Autor und den Verlag ein schlechtes Licht. Selbst Leser, die nicht schreiben und keine Schreibratgeber lesen, würden instinktiv merken, dass da etwas nicht stimmt, und das Buch dann (für sich oder öffentlich) schlecht bewerten. Als ich darauf hinwies, dass es heutzutage ja auch Bücher gäbe, die sich ganz offensichtlich, auf den ersten Blick erkennbar nicht an die Regeln halten (zB indem sie ausschließlich Kleinschreibung verwenden), verglich mich meine Bekannte mit einem Verkehrssünder, der denkt, nur weil andere über die rote Ampel fahren, wäre das erlaubt!

Diese Vehemenz hat mich doch erstaunt, daher die Frage: Sind diese Tipps und Konventionen wirklich Gesetze, die es sklavisch einzuhalten gilt? Gerade angesichts der vielen kreativen Bücher, die auch bei Verlagen immer wieder entstehen (zB SMS-Roman, Roman in Form von Chatnachrichten ...), würde mich das wundern. Auch gemäß meiner bisherigen Erfahrung (sowohl mit Verlagen als auch mit Lesern) ist das nicht der Fall, aber vielleicht hatte ich auch einfach nur Glück?

Liebe Grüße

Ratzefatz
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Aljana am 04. Mai 2016, 07:18:08
Vielleicht bist du da jetzt mit mir an die Falsche ( oder genau die Richtige? ;) ) geraten , aber ich finde: man kann, man darf, man soll!!!
Gleiche Kapitellängen, in den Kapiteln bloß nicht die Perspektive wechseln - schön kontinuierlich bleiben!
Kann man machen, aber dann erzählt man meiner Meinung nach nur eine weitere Geschichte. Dabei finde ich grade bewusst gewechselte Perspektiven toll. Wie in manchem expressionistischen Werk auch. Schnelle Wechsel, ein wenig Unruhe, toll um einer Szene den Eindruck einer rasanten Kamerafahrt zu geben. Zumindest vor meinem inneren Augen.
Hat sich beim Lesen da bei mir schon einer beschwert? - Ja, natürlich. Aber nur die werten Kollegen, weil 'Das macht man so nicht'. Die Leser fanden es toll.
Wenn ein Kapitel mit nur einer oder zwei Seiten dazwischen geschoben werden muss, weil es eine interessante Perspektive eröffnet, einen cleveren Einblick gibt etc. dann würde ich nicht schrecken, das zu tun.

Kann jetzt sein, dass die wirklich Profis hier im Forum nun die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber bei mir geht probieren immer über studieren ;)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 04. Mai 2016, 07:19:57
Schreibratgeber sind genau das, was dieser Begriff aussagt. Ratgeber. Und es liegt an jedem selbst, ob er einen Rat annimmt oder nicht. Und dürfen darf man alles. Wenn man so souverän ist, dass man über allen Ratschlägen steht und genial schreibt, verzeiht einem der Leser alles und wird vielleicht sogar gekickt (rein theoretisch). Wenn man eher am Anfang steht, hat man die Wahl Ratschläge anzunehmen oder so lange zu experimentieren, bis man eine eigene Erfahrung oder Meinung hat. Das Urteil fällt immer der Leser.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Atra am 04. Mai 2016, 07:22:18
Ich denke auch, dass man "Regeln" brachen sollte, ansonsten entstünde nie etwas Neues. Zudem würde ich bezweifeln, dass es festgelegte Regeln überhaupt erst gibt. Es gibt vielleicht Empfehlungen oder Tipps, ja.
Man sehe sich nur die Entwicklung der Literatur selbst an. Dort gibt es riesige Unterschiede in dem, was als meisterlich geschriebene Literatur galt.

LG Atra
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: phoe am 04. Mai 2016, 07:25:04
Hallo Ratzefatz,

ich weiß nicht, wie es andere halten, aber ich lese wenig Ratgeber und wenn ich mich an gewisse Regeln halte, dann eher, weil ich sie für mich als richtig eingeordnet habe. Klar, Regeln sind wichtig - aber man soll mal die Kuh im Dorf lassen. Ich finde, auch die Länge eines Kapitels hängt vom jeweiligen Autor ab.  Ich weiß doch jetzt noch nicht, ob ein Kapitel 10 oder 25 Seiten hat. Soll ich deswegen Dutzende Füllwörter benutzen, damit ich auf 15 Seiten komme und soll ich dagegen direkt in der wichtigsten Szene aufhören, weil ich 15 Seiten erreicht habe? Ich mache das ganz sicher nicht.
Als ich angefangen habe, ernsthaft zu schreiben, hatte ich eine ähnliche Frage, ob die Kapitel alle gleich lang sein müssen. Damals wurde mir gesagt, es sieht zwar schöner aus, muss aber nicht zwingend sein - eben, weil es manchmal einfach nicht geht.

Meine Meinung, solange du dich wohl fühlst, ist es richtig.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Mailor am 04. Mai 2016, 07:28:15
Ui, dass ist mal spannend  :hmmm:

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass der "Regelbruch" im Kontext passt und Sinn ergibt. Wenn man so etwas nur macht, um des Regelbruchs willen find ich es schon seltsam, würde mich darüber aber nicht aufregen.

Für mich ist Schreiben immer noch Kunst. D.h. Reglementierungen und allgemeine Regel find ich da an sich schon seltsam. Es soll unterhalten und wie und auf welche Art und Weise ist dem Künstler doch freigestellt. Ich denk da gerad an Hiobs Spiel von Tobias Meißner, das ist genial ... von der Aufmachung und allem drum und dran.
Gerade Experimentelles und Regelbrüche, können eine Story interessant machen und das Geschriebene unterstreichen oder verdeutlichen, eine ganze eigene Art von Gefühl rüber bringen und eine neue Perspektive, das kann voll nach hinten losgehen und einfach vollkommen daneben wirken oder originell und echt spannend sein.

;D Guilty Pleasure Beispiel: Fifty Shades of Grey ... die Mails haben mich echt unterhalten, ich hatte echt meinen Spaß beim Lesen. :snicker:
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Maubel am 04. Mai 2016, 08:00:19
Also ich schließe mich den Meinungen an, dass diese Regeln nur Richtlinien sind, aber ganz so doof sind sie auch nicht. Es gab doch dieses eine Zitat... irgendwie, wenn du eine Regel brechen willst, stelle vorher sicher, dass du sie auch verstanden hast. Als Leser macht mir die Zusammenfassung deiner Regelbrüche ehrlich gesagt Angst, ABER ich kenne das Buch ja nicht und fände es vielleicht toll. Wenn da zum Beispiel wirklich so ein Kameraeffekt entsteht, prima! So runtergebrochen, klingt es erst mal für mich zu experimentell. Experimente sind gut, aber können eben auch in die Hose gehen und ich kann schon mit abstrakter Kunst nichts anfangen, da würde mir persönlich ein abstrakter Roman auch nicht liegen. Aber das ist Geschmackssache und solche Experimente sind wichtig um zu sehen, was funktioniert, was nicht.
Ich finde zum Beispiel, dass man Briefe, SMS, Lieder u.ä. ohne weiteres einbauen sollte. Wenn es besonders Stilmittel ist (z.b. viele Briefe) oder auch abhängig vom Genre, sogar grafisch eingeschoben. Ich finde, das lockert ein Buch ordentlich auf. Kapitellänge ist auch so ein Fall, dass stört einen als Autor mehr als den Leser. Ja, ähnlich lange sind toll und ein superlanges muss auch nicht sein, aber ich kenne so viele Bücher, wo mal ein zwei Seiten Kapitel drin ist und das funktioniert prima.
Wildes Perspektive ändern wiederum würde mir nicht so zusagen. Das kann man sicher als Stilmittel machen, aber das muss eben auch funktionieren und da steckt dann mehr Arbeit hinter. Einer, der einfach nur schludrig mit den Perspektiven umgeht, weil er vorher nicht drüber nachgedacht hat, da finde ich es als Leser unmöglich - aber nicht weil ich Schreibratgeber gelesen hätte ;) Wie kommt deine Freundin überhaupt darauf, dass die meisten Leser selber schreiben? Ich denke, das ist ein sehr kleiner Teil.

Mein persönlicher (unbeabsichtigter) Regelbruch, ist übrigens die Plotkurve. Klar gibts hinten ein Finale, aber die Linie, der zum Beispiel die sieben Punkt Kurve folgt, ist gar nichts für mich. Grundsätzlich finde ich, dass man so schreiben muss, wie man die Geschichte erzählen will und das geht mal klassisch und manchmal experimentell. Wenn es zu experimentell wird, ist nur die Frage, ob es um die Geschichte oder die Kunst geht. Ein Handyroman zum Beispiel ist eine Kunstform und die transportierte Geschichte ist da nur zweitrangig. Und in dem Fall muss ich ganz ehrlich sagen, sehe ich mich weniger als Künstler, als als Handwerker. :)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Tintenteufel am 04. Mai 2016, 08:04:04
Ausnahmsweise schließe ich mich Maubel mal an.

Klar kann man jede Regel brechen. Man soll sich aber auch fragen: Muss ich? Wenn der Autor Gründe dafür hat, merkt der Leser das. Wenn er einfach nur keine Lust mehr auf auktoriale Erzähler hat aber auch. Und dann landet das Buch entweder in der Ecke oder der Autor gilt das schlecht - das stimmt schon so.
Zu einem guten Schreiber gehört ja auch, dass er auf die Erzählung achtet und nicht auf sich. Ist wie bei Regisseuren: Wenn Shyamalan mir permanent seinen ganz großartigen Regiestil aufdrücken will, oder Lucas dauernd sein CGI, dann macht das den Film nicht besser, besonders nicht wenn es nichts mit der Handlung zu tun hat.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Aircaina am 04. Mai 2016, 08:21:25
Darüber habe ich mir in den letzten Wochen und Monaten auch viele Gedanken gemacht. Mir war gar nicht klar, wie viele "Regeln" es da gibt, bis ich ein paar Schreibratgeber überflogen habe. Letztendlich habe ich für mich den Schluss gezogen, dass man diese Regeln/Tipps beherzigen kann und damit möglicherweise etwas sicherer fährt, aber das man es nicht muss. Ich müsste einen großen Teil meiner Art zu schreiben ändern, da ich mit vielen Regeln und Aspekten der deutschen Sprache spiele, wenn ich einen besonderen Akzent in der Geschichte setzen will.
Gerade dieses Spiel mit den Konventionen kann wirklich Spaß machen. Kann aber auch daneben gehen, wie Mailor schon schrieb. In "Die Abschaffung der Arten" von Dietmar Darth gibt es einen Charakter, der einen sehr starken Sprachfehler hat, der auch in der wörtlichen Rede dargestellt ist. Es gibt wohl Leser, die das Buch deshalb aus der Hand gelegt haben, ich fand es toll. Man kann es nie allen Recht machen.

Auch was die Kapitellänge angeht, finde ich es nicht schlimm, wenn sie sich in der Länge teilweise drastisch unterscheiden. Manchmal geht es einfach nicht anders. Wenn ein Kapitel nach fünf Seiten abgeschlossen ist, ist es nach fünf Seiten abgeschlossen, und wenn eines vierzig Seiten braucht, dann braucht es dreißig Seiten. Da einfach nur herum zu floskeln, oder Sachen herauszulassen, oder seltsame Schnitte zu machen, bringt doch auch nichts. Dann sieht die Form "schöner" aus, aber dafür leidet der Inhalt. Auch wenn ich mich wohler damit fühle, wenn sich die Länge der Kapitel in meinen Geschichten nicht allzu sehr voneinander unterscheiden, halte ich diese Regel nicht auf Biegen und Brechen ein. Wenn es nicht passt, passt es nicht.

Zitat von: Ratzefatz am 04. Mai 2016, 07:00:17
Nun hatte ich ein längeres Gespräch mit einer Bekannten, die genau der gegenteiligen Meinung ist: Das Brechen von Konventionen ginge gar nicht. Ihre Begründung: Viele Leser würden auch selbst schreiben und daher Schreibratgeber lesen und wenn solche "Fehler" gemacht würden, werfe das auf den Autor und den Verlag ein schlechtes Licht. Selbst Leser, die nicht schreiben und keine Schreibratgeber lesen, würden instinktiv merken, dass da etwas nicht stimmt, und das Buch dann (für sich oder öffentlich) schlecht bewerten. Als ich darauf hinwies, dass es heutzutage ja auch Bücher gäbe, die sich ganz offensichtlich, auf den ersten Blick erkennbar nicht an die Regeln halten (zB indem sie ausschließlich Kleinschreibung verwenden), verglich mich meine Bekannte mit einem Verkehrssünder, der denkt, nur weil andere über die rote Ampel fahren, wäre das erlaubt!
Das finde ich schon ganz schön hart. :o Gerade, dass sie dich mit Jemanden verglichen hat, der ein Gesetz bricht, nur weil du experimentierst und die Konventionen brichst. Das ist ja mal etwas komplett anderes.
Du hast es selbst schon gesagt. Es gibt inzwischen sehr viele experimentelle Bücher, oder auch einfach welche, die die "kleinen" Regeln brechen. Zum Beispiel habe ich schon öfter gehört, dass man nicht zu viele Adjektive benutzen soll (ein Alptraum!  :schuldig: ). Rowling hat sich da aber recht wenig zurückgehalten. Das fällt natürlich etwas weniger auf, als ein Wechsel der Zeitform o.ä.  Es ist halt immer die Frage, was einem als Leser und als Autor gefällt. Wenn es in der Literaturlandschaft keine Experimente gäbe, wäre der Dadaismus in der Literatur doch gar nicht zustande gekommen.

Das heißt nicht, dass in den Schreibratgebern nur Mist steht. Es gibt viele tolle Tipps und mir persönlich sind auch ein paar meiner Macken durch das Lesen aufgefallen, auf die ich jetzt genauer achte, um sie zu vermeiden. Man sollte sich davon allerdings nicht zu sehr einschränken lassen. Auch, wenn man damit möglicherweise ein Risiko eingeht.

Zitat von: Aljana am 04. Mai 2016, 07:18:08
Vielleicht bist du da jetzt mit mir an die Falsche ( oder genau die Richtige? ;) ) geraten , aber ich finde: man kann, man darf, man soll!!!
Dem kann ich nur von ganzem Herzen zustimmen.  :wolke: Allerdings ist meine Vorstellung vom Schreiben in vielen Punkten einfach zu poetisch.
Ich weiß nicht genau, wie viel Interesse Verlage an Experimenten in Büchern haben und irgendwo will man mit seiner Geschichte vielleicht auch Geld verdienen, wenn man nicht "nur" Hobbyschreiber ist. Keine Ahnung, ob man da Prioritäten setzen muss. Man muss, wie Tintenteufel gesagt hat, auch auf seine Leser denken. Ich persönlich würde das auch und besonders von der Zielgruppe abhängig machen. Ein Literaturwissenschaftler wird Stilbrüche vielleicht in einem anderen Licht sehen, als jemand, der nach einem harten Arbeitstag einfach nur abschalten und unterhalten werden will. Auch hier kann man aber sicher nicht immer pauschalisieren.
Das ein Verlag ein Buch nicht annimmt oder die Leser frustriert werden, nur weil es an ein oder zwei Stellen ein besonders auffälliges Stilmittel gibt, glaube ich aber nicht unbedingt.

Letztendlich muss wohl jeder für sich selbst entscheiden, ob und wie sehr er sich an den Regeln orientieren möchte.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Guddy am 04. Mai 2016, 08:45:00
Hinter den meisten Regeln steckt ja ein Sinn, insofern ist es durchaus sinnvoll, sie zumindest zu kennen. Ich persönlich lese keine Schreibratgeber, vieles schnappt  man aber ja auch hier im Forum auf, während man sich anderes einfach selber herleiten kann. Welche Regeln man nun wie stark befolgen will, sollte jedem selber überlassen bleiben. Für mich ist das Schreiben noch immer ein kreativer Prozess und daher form- und wandelbar.
Manchen Texten merkt man, finde ich, auch an, dass sie sklavisch allen Regeln die es gibt folgen. Dann fehlt mir die Seele, das Kreative, das Besondere.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 04. Mai 2016, 08:47:18
"Brecht die Regeln nicht. Durchschaut sie, verdreht sie, spielt damit, bis euer eigener Zug gelingt."
(Um mich selbst zu zitieren)  ::)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Ary am 04. Mai 2016, 09:00:37
Sehr schön, Dämmerungshexe!
Ich habe einiges an Schreibratgebern gelesen, habe einige sehr gute Anregungen mitgenommen, aber auch vieles eher misstrauisch beäugt und dann die Finger davon gelassen. Regeln sind für mich nicht unbedingt dazu da, dass man sie bricht, aber mit ihnen spielen darf man schon.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Alana am 04. Mai 2016, 09:21:11
Wenn man es gut macht, kann man alles machen. Und gerade die größten Bestseller sind es, die die Regeln so richtig brechen. Man muss auch nicht die Regeln kennen, denn Regeln sind künstlich von Menschen gemacht und aus verschiedensten, individuellen Gründen aufgestellt, je nachdem, von wem. Man muss das Handwerk beherrschen, aber das bedeutet nicht, dass man irgendwelche Regeln kennen oder beachten muss, sondern dass man in der Lage ist, mit einem Text genau die Wirkung zu erzielen, die man haben möchte. Wer sich grundlos und ohne zu hinterfragen Regeln unterwirft, nimmt sich von vornherein die Möglichkeit, sich schriftstellerisch zu entfalten. Beispiel Kapitellänge. Meine Kapitel sind so lang, wie sie sein müssen, um die Wirkung zu erzielen, die ich anstrebe. Das kann eine halbe Seite sein, das können auch 40 Seiten sein. :)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Big Kahuna am 04. Mai 2016, 09:21:34
Also ich bin der Meinung, dass es solche und solche Regeln gibt. Manche sollte man auf jeden Fall einhalten, manche darf man gezielt brechen. Dass die Kapitel etwa immer dieselbe Länge (oder zumindest eine sehr ähnliche) haben sollten, halte ich zum Beispiel für ausgemachten Blödsinn. Da hätte ich schon extrem oft die Handlung strecken oder stauchen müssen, und das ist nun wirklich nicht im Sinne der Geschichte.
Was ich dagegen gelernt habe, ist der Perspektivwechsel innerhalb eines Absatzes. Den sollte man auf jeden Fall vermeiden. Was ich damit meine: Wenn man die ganze Zeit von nur einem Protagonisten erzählt, und das aus der personalen Sicht, dann finde ich es als Leser verwirrend, wenn man plötzlich auktiorial wird. Wobei es auch hier wieder mit Sicherheit Szenarien gibt, in denen es erlaubt ist, solange es gut umgesetzt ist.

Wie schon erwähnt wurde: Es sind Ratgeber, keine in Stein gemeißelten Schreibgesetze. Man sollte sich daran halten, da es diese Richtlinien nicht umsonst gibt, und alle zu brechen, nur um ein Freigeist zu sein, bringt einem sicherlich nichts. Denn am Ende hat man vielleicht ein tolles Buch, das aufgrund aller Stilbrüche für einen selbst stimmig ist, aber wenn es jemand anders liest, kann er/sie damit vielleicht nichts anfangen, und damit ist auch nichts gewonnen. Letztendlich schreibt man als Autor ja (meistens) eher für andere als nur für sich selbst.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Siara am 04. Mai 2016, 09:51:54
Für mich sind es ohnehin keine Regeln. Das Schreiben ist eine sehr komplexe Tätigkeit, und wer anfängt, für den ist das Handwerkszeug fremd. Perspektive, Erzähler, Zeitformen, Aufbau, Fokus, unendlich viele Dinge, die sich auf unendlich viele Weisen kombinieren und anwenden lassen. Das Regelwerk, das sich in vielen Ratgebern ähnelt, sehe ich als Hilfe an, sich an das zur Verfügung stehende Werkzeug zu gewöhnen. Es ist ein Rezept für etwas, das meistens funktioniert. Damit man lernt, wie gute Bücher entstehen. Meistens ist gut, wenn der Protagonist der handlungstreibende Charakter ist. Meistens ist gut, wenn Perspektivhopping vermieden wird. Meistens bieten sich kurze, einfache Sätze anstelle von Schachtelsätzen an. Meistens. Je mehr man mit dem Handwerkszeug umzugehen lernt, desto mehr erkennt man die Fälle, in denen dieses "meistens" eben nicht zutrifft, in denen es eine bessere Variante gibt. Ich persönlich liebe es, die "Regeln" des Schreibens zu brechen und auszuprobieren, wie es wirkt. Es vergrößert enorm die Möglichkeiten. ;D
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Churke am 04. Mai 2016, 10:01:17
Die Frage ist aber doch, was die Leser vom Regelbruch halten:

Zitat von: Ratzefatz am 04. Mai 2016, 07:00:17
Selbst Leser, die nicht schreiben und keine Schreibratgeber lesen, würden instinktiv merken, dass da etwas nicht stimmt, und das Buch dann (für sich oder öffentlich) schlecht bewerten.

Das ist halt wie ein Schönheitswettbewerb: "Du musst dir die Haare färben, sonst bist du der Jury nicht blond genug."
Ist das wirklich so?
Alleine das Risiko wäre doch ein Argument, es mit den Regelbrüchen nicht zu übertreiben.

Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Tigermöhre am 04. Mai 2016, 10:17:26
Ich finde, schreiben ist wie kochen. Am Anfang sollte man sich an das Rezept/die Regeln halten, damit man sie kennenlernt. Aber wenn man sie sicher beherrscht, probiert man, schließt die Augen und kommt darauf: »Da muss noch Zimt ran!«
Die Prise Zimt wirst du wahrscheinlich in keinem Kochbuch finden, aber sie gibt dem Essen genau die richtige Würze. Wenn du jetzt aber mit dem Zimtpott rumläufst, und das wahllos überall großzügig reinkippst, kommt da nur eklige Pampe raus.

Übrigens sind die wenigstens Bestseller regelkonform. Beispiel »Die Wanderhure« In der ersten Szene gibt es ein munteres Headhopping durch die Köpfe von lauter unwichtigen Nebencharakteren.
Oder »Illuminati« Da gibt es eine Verfolgungsszene, Schnitt, Rückblende zu einer ruhigen Szene, in der sich der Chara an etwas erinnert, Schnitt, die Verfolgung geht weiter. Und dann diese absolut lächerlichen Cliffhanger an jedem Kapitelende ...
Beim ersten Mal lesen ist mir das überhaupt nicht aufgefallen. Erst seitdem ich mich selber mit dem Schreiben befasse, merke ich, wie schlecht diese Bücher überhaupt sind.

Terry Prachett zoomt gerne am Anfang von der auktionalen in eine personale Perspektive. Das stört mich überhaupt nicht. Aber er ist ja auch der Meister der Fußnoten. Ist auch nach den Regeln total verboten. ;D
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Fianna am 04. Mai 2016, 10:29:40
Der einzige Regelbruch, der mir negativ auffällt, ist Headhopping innerhalb einer Szene.
Ansonsten mache ich mir zwar als Schreiber viele Gedanken um Akzeptanz, als Leser hsbe ich bisher alles akzeptiert. Vielleicht fand ich es nicht gut (bei "Wen du nicht töten darfst"-Regeln z.b.), aber ich habe das Buch deswegen nicht als handwerklich schlecht gemacht empfunden.

Es soll nicht böse klingen, aber ich glaube Deine Freundin steht noch recht am Anfang ihrer schreiberischen Entwicklung. Da klammert man ja grundsätzlicher an Regeln.

Übrigens finde ich, dass die meisten Leser ganz uninformiert sind, was das Handwerkliche angeht. Die meisten würden nicht mal mehr eine Analyse wie im Deutschunterricht hon bekommen, und freiwillig sezieren die einen Text nicht so genau, war er ihnen gefällt oder nicht gefällt. Hinterfragende Leser (Autoren, Blogger, Rezensenten) sind die Minderheit.

Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Antigone am 04. Mai 2016, 12:52:41
Ich glaube, so in etwa könnte die natürliche Entwicklung im Leben eines Schriftstellers ablaufen:
1. Man schreibt einfach mal so drauf los, ohne sich weiter Gedanken übers Handwerk zu machen
2. Man beginnt, sich mit dem Handwerk zu befassen, es anzuwenden (oft besonders dann, wenn man sich fundierter "Kritik" , zb. in Schreibforen, zu stellen beginnt. Als kritiker kann man bei einer Szene nun mal leichter auf die Schreibregeln eingehen, als darauf, ob die ganze Story funktioniert)
3. Man hat die Schreibregeln verinnerlicht
4. Man beginnt sich wieder davon zu lösen, quasi, seinen eigenen Stil, seine eigenen Eigenheiten auszubilden.

Insofern: ja, man darf sie brechen. Idealerweise weiß man aber dabei, was man tut. Und ist nicht einfach auf Punkt 1 stehengeblieben.

Nichtsdestotrotz gibt es genug bücher, in denen davon nicht die Spur vorhanden zu sein scheint, und man sich fragt, ob die Autoren schon jemals was von diesen Schreibregeln gehört hat....
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Ratzefatz am 04. Mai 2016, 13:09:27
Zitat von: Maubel am 04. Mai 2016, 08:00:19
Als Leser macht mir die Zusammenfassung deiner Regelbrüche ehrlich gesagt Angst, ABER ich kenne das Buch ja nicht und fände es vielleicht toll.

Keine Angst, die finden sich nicht alle im gleichen Buch. Das wäre dann wirklich Effekthascherei und etwas, was ich jedenfalls vermeiden will. Aber wie auch Alana gesagt hat - ich schreibe so, dass ich eine bestimmte Wirkung erziele. Und das kann manchmal auf konventionellem Weg gelingen, manchmal aber muss man dazu, finde ich, auch unkonventionellere Pfade einschlagen.

Zitat von: Fianna am 04. Mai 2016, 10:29:40
Es soll nicht böse klingen, aber ich glaube Deine Freundin steht noch recht am Anfang ihrer schreiberischen Entwicklung. Da klammert man ja grundsätzlicher an Regeln.
Sie veröffentlicht nach eigener Aussage sehr erfolgreich und arbeitet zudem als Lektorin. :-) Daher eben meine Frage, ob ich mit meiner bisherigen Ansicht so völlig allein stehe - aber wie ich der Diskussion hier entnehme, tue ich das nicht.

Zitat von: Trippelschritt am 04. Mai 2016, 07:19:57
Das Urteil fällt immer der Leser.
Klar entscheidet der Leser! Meine Frage bezieht sich eher darauf, ob Leser eurer Erfahrung nach rein nach "gefällt mir/gefällt mir nicht" urteilen oder eben nach "kann mir gar nicht gefallen, weil es die Regeln im Schreibratgeber bricht und somit stümperhaft sein muss".

Liebe Grüße

Ratzefatz
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Alana am 04. Mai 2016, 13:36:08
Erfolg ist ja sehr subjektiv (für manche sind 500 verkaufte Bücher ein Erfolg, für andere ist unter 20K alles nur Peanuts) und außerdem kein Qualitätskriterium. Dazu kommt, dass das, was für den einen funktioniert, nicht für den anderen passen muss. Deswegen wehre ich mich gegen "Regeln muss man ...". Außerdem glaube ich nicht, dass Leser Schreibratgeber lesen und wenn jemand in eine Rezi über mein Buch schreiben würde: tolles Buch, die Kapitel sind alle gleich lang, würde ich mich fragen, was ich falsch gemacht habe. ;D Das ist jetzt natürlich überzogen. Aber ich denke, Regeln sind Sicherheitsnetze und ein wirklich gutes Buch braucht keine. Und man merkt auch leider, wenn jemand sich zu sehr daran klammert. Siehe der neue Star Wars Film. Ein guter Film, aber eben nicht mehr, weil total auf Sicherheit gegangen wurde. Jammerschade. :)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Fianna am 04. Mai 2016, 16:15:10
Oh, ich kannte es bisher nur so rum. Aber wenn sie so viel schreibt und veröffentlicht, bricht sie ja meine Vorurteile. Dann ist sie vielleicht nur Purist. Das ist jeder in gewissen Dingen. Ich hab auch ein paar harte unbeugsame Einstellungen, die die meisten Leute verwundern, nur eben in anderen Bereichen des Schreibens.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Sunflower am 04. Mai 2016, 16:26:57
Zitat von: Antigone am 04. Mai 2016, 12:52:41
Insofern: ja, man darf sie brechen. Idealerweise weiß man aber dabei, was man tut. Und ist nicht einfach auf Punkt 1 stehengeblieben.

Das finde ich sehr wichtig. Meiner Meinung nach kann, darf und soll man Regeln brechen - aber nicht blindlings, sondern bewusst. Wenn man eine Regel bricht, dann - und das ist wirklich meine subjektive Meinung, nicht mehr - mit einer gewissen Intention. Man sollte sich darüber klar sein, was man tut, wenn man Regel xy bricht. Regeln im Schreibhandwerk haben schon ihre Daseinsberechtigung und sind nicht aus Lust und Laune entstanden. Man ist gut bedient, wenn man sie kennt und meistens auch, wenn man sich (grob) an sie hält. Eine Regel zu brechen sollte also bewusst passieren. Wenn man weiß, was man tut, darf man alles.

Oder, noch einfacher - wenn es funktioniert, darf man alles. Einfach ausprobieren, was geht und wenn es nicht geht, dann werden gute Betaleser schon darauf aufmerksam werden. Die Bücher, die mich im vergangenen Jahr am meisten beeindruckt haben (Extremely Loud & Incredibly Close von Jonathan Safran Foer, Cloud Atlas von David Mitchell), brechen wahrscheinlich ein ganzes Dutzend Regeln. Trotzdem funktionieren sie, gerade deshalb bieten sie ein außergewöhnliches Leseerlebnis.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Zit am 04. Mai 2016, 16:57:47
Zitat von: Ratzefatz am 04. Mai 2016, 07:00:17
Nun hatte ich ein längeres Gespräch mit einer Bekannten, die genau der gegenteiligen Meinung ist: Das Brechen von Konventionen ginge gar nicht. Ihre Begründung: Viele Leser würden auch selbst schreiben und daher Schreibratgeber lesen und wenn solche "Fehler" gemacht würden, werfe das auf den Autor und den Verlag ein schlechtes Licht. Selbst Leser, die nicht schreiben und keine Schreibratgeber lesen, würden instinktiv merken, dass da etwas nicht stimmt, und das Buch dann (für sich oder öffentlich) schlecht bewerten. Als ich darauf hinwies, dass es heutzutage ja auch Bücher gäbe, die sich ganz offensichtlich, auf den ersten Blick erkennbar nicht an die Regeln halten (zB indem sie ausschließlich Kleinschreibung verwenden), verglich mich meine Bekannte mit einem Verkehrssünder, der denkt, nur weil andere über die rote Ampel fahren, wäre das erlaubt!

Ulkigerweise lässt sich ihr Vergleich mit der Ampel auch auf ihre Haltung anwenden. Regeln sind Richtlinien und diese werden von Instanzen oder Institutionen geschaffen. Nur weil hundert Leute dasselbe sagen, wird es auch nicht wahrer. ::) So viel dazu.

Wenn sie für sich selbst so hart urteilt, okey. Aber als Lektorin würde ich nicht mit ihr arbeiten wollen. Lektoren dienen dem Text. Meiner Meinung nach können sie das aber nicht, wenn 1 plus 1 für sie immer starr 2 ist. Insofern schließe ich mich dem allgemeinen Konsens an: Wisse, was du tust, dann kannst du machen, was du willst.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: LinaFranken am 04. Mai 2016, 17:27:25
Was befähigt einen Ratgeber zu schreiben?  Das man viele Bücher verkauft hat?  Das hat  Dan Brown mit Sicherheit, trotzdem waren seine letzten vier Bücher so langweilig und vorhersehbar wie ein Busfahrplan. Würde er jetzt also einen Ratgeber schreiben, würden sich sicher viele danach richten wollen und der Markt wäre geflutet mit Busfahrplänen.  Eine gruselige Vorstellung. Also nein zu Ratgebern! Und dazu auch noch nein zu Regeln! Das klingt jetzt vielleicht etwas hart,  aber wer Regeln und Richtlinien bei einem kreativen Handwerk braucht, der führt meiner Meinung nach das Wort "kreativ"  ad absurdum.  Regeln und Dienst nach Vorschrift gehören sicher in viele Berufe, aber doch nicht in eine kreative Tätigkeit, bei der es darum geht sich selbst zu verwirklichen und auszudrücken. Also ein dickes "nein" zu Autoren-Regeln und ein dickes "ja"  zu Experimenten,  wagemutigen Abenteuern und zur Fantasie!
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 04. Mai 2016, 17:36:58
Lina, doch, auch in kreativen Berufen braucht es Regeln an die man sich halten muss, weil sonst der Zweck der Arbeit nicht erfüllt wird. Es ist immerhin Handwerk, nicht Kunst.
Als Grafikerin muss ich mich um Lesbarkeit und Aufmerksamkeit bemühen.
Als Autor muss mein Text nachvollziehbar sein.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Shedzyala am 04. Mai 2016, 17:49:32
Also ich habe all die Regeln der Ratgeber (von denen ich weitaus mehr online als in gebundener Form gelesen habe) immer als Tipps aufgefasst. "Wenn du willst, dass der Leser ganz in die Figur eintaucht, nutze Show, don't tell" oder "Wenn du willst, dass das Kopfkino ein schärferes Bild zeichnet, benutze starke Verben". Wenn ich einen Tipp nicht annehme, riskiere ich, dass ich den damit verbundenen Effekt nicht erziele. Aber es ist eben nicht mehr als das: ein Risiko.
Die Tipps machen mir das Autorenleben einfacher, weil sie mir ein Gerüst geben, an dem ich mich festhalten kann, während ich den Weg zum fertigen Roman erklimme. Aber manchmal ist es einfach schöner, den sicheren Weg zu verlassen, um beim Freeclimbing die Landschaft zu erkunden, die einem sonst verborgen blieb. Das kann schief gehen, muss aber nicht.

Und über Kapitellängen sage ich jetzt mal lieber nichts. In meinem aktuellen Roman schwanken die zwischen 20 und 70 Seiten ... Ich stelle mir meinen Plot eben las Serie vor, und ein Kapitel ist eine Folge. Und wenn eine Folge fast nur aus Dialogen besteht, die enorm gut Seiten strecken können, dann ist sie eben auch 70 Seiten lang. Meine Kapitel haben meistens 2-4 Szenen und bilden in sich eine kleine Einheit, haben also auch einen kleinen Spannungsbogen. Und da kann ich doch nicht einfach so in der Mitte abbrechen, das würde sich schlicht falsch anfühlen.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Sipres am 04. Mai 2016, 17:56:37
Ich hatte in meinem Leben einen Schreibratgeber in der Hand, aus dem ich nur eine Sache für mich entnommen habe - wie ich Figuren gestalte, weil ich das nicht konnte. Alles andere habe ich mir durchs Lesen von Romanen, wiederholte Schreibversuche und gute Betas angeeignet. Keine Ahnung, ob ich regelkonform schreibe (wobei meine Kapitel zwischen einer und sieben Seiten lang sind und jeweils nur eine Szene beinhalten) oder nicht. Die Erfahrung hat mir aber gezeigt, dass es keine Rolle spielt. Es gibt Leuten, denen gefällt, was ich fabriziere. Das ist doch das Wichtigste. Deswegen würde ich sagen, dass Schreibratgeber ein "Kann" sind, aber kein "Muss".
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Alana am 04. Mai 2016, 18:40:19
@Lina Franken: Schreiben ist ein Handwerk, das man beherrschen muss. Wenn du das ohne Ratgeber perfekt kannst, dann bitte. :) Ratgeber per se abzulehnen halte ich allerdings für ziemlich unsinnig, denn irgendwoher muss man sein Wissen ja ziehen und die meisten von uns sind nicht von Geburt an perfekte Schriftsteller. ;) Weiterbildung und ständiges Lernen sind meiner Meinung nach in jeder Kunstsparte und überhaupt in jedem Beruf die Grundlage für dauerhafte Weiterentwicklung, ohne die man irgendwann nur noch Content-Produzent ist. Ratgeber komplett als sinnlos abzulehnen ist in meinen Augen genauso kontraproduktiv, wie alle Regeln immer befolgen zu wollen. Ich lese Schreibratgeber, wie andere Romane lesen, weil ich es unheimlich spannend und inspirierend finde, was man alles machen kann und wie. Und ich kann das jedem nur empfehlen. :)
In jeder Kunststparte ist es anerkannt, dass man die Grundlagen beherrschen muss, schau dir mal die ganzen berühmten Künstler an. Sogar der, der mit einer rein blauen Leinwand berühmt geworden ist, ist ein Meister in den Grundlagen des Zeichnens und der Malerei. Beim Schreiben grassiert jedoch immer noch die Meinung, man würde sich in seiner Kreativität einschränken, wenn man das Handwerk lernen möchte. Warum das so ist, ist mir unbegreiflich.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Guddy am 04. Mai 2016, 18:46:10
Es gibt sicherlich etliche Arten, etwas zu erlernen. Der eine erlernt es durch Ratgeber, der nächste besser durch Beobachten/Sehen, der übernächste übt bis zum Umfallen... Das ist beim Zeichnen so, beim Schreiben auch und bei vielleicht den meisten anderen (kreativen) Dingen ebenfalls.

Da muss man nicht über die  Weisen/Ratgeber/Methoden  Anderer urteilen oder abtun, finde ich. Ist ja nichts besser oder schlechter. :hmmm:
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: LinaFranken am 04. Mai 2016, 18:51:04
Zitat von: Dämmerungshexe am 04. Mai 2016, 17:36:58
Lina, doch, auch in kreativen Berufen braucht es Regeln an die man sich halten muss, weil sonst der Zweck der Arbeit nicht erfüllt wird. Es ist immerhin Handwerk, nicht Kunst.

Da würde ich definitiv widersprechen. Sicher ist es auch eine Frage des Geschmacks und des Blickwinkels und der persönlichen Vorlieben, aber ich zähle das Schreiben definitiv zu Kunst, denn das Ergebnis ist nichts was sich als Gebrauchsgegenstand benutzen lässt, sondern etwas, das den Geist erfreut. (Sachbücher mal außen vor gelassen). Mag man den alten Griechen glauben schenken, zählten auch einige Wissenschaften zu kreativen Tätigkeiten, die eine eigene Muse erhielten. Wenn es im alten Rom also schon Musen gab, die einen Astronomen beflügeln sollten die Geheimnisse des Himmels zu erforschen, dann ist das Schreiben von Romanen als nachfolge der Lyrik doch erst recht eine Tätigkeit, die in erster Linie aus Kreativität und Ideen geboren wird.
Starre Regeln (der Ampel-Vergleich ist wirklich erschreckend) beschneiden die Kreativität und zwängen sie in ein Korsett, das einem Käfig gleicht und was sich am Ende durch die Gitterstäbe des Käfigs quetscht, ist in Scheiben geschnittener Einheitsbrei, der niemanden von Stuhl haut. Wieso nicht nach den Sternen suchen? Nach starren Regeln können wir unsere Steuererklärung machen. Aber wenn das Schreiben so durchreglementiert wäre wie die Steuer, dann wäre der ganze Spaß daran ermordet. Es sei denn man hat Spaß am Schreiben einer Steuererklärung  ;) Es spricht nichts dagegen Ratschläge anzunehmen oder sich Tipps zu holen, diese Regeln aber als ein Muss zu sehen (wie in der Ausgangsfrage) halte ich für schlichtweg falsch. Die berühmtesten Künstler sind berühmt geworden, weil sie sich eben vom Regel-Einheits-Brei abgehoben haben.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Alana am 04. Mai 2016, 19:03:28
ZitatEs spricht nichts dagegen Ratschläge anzunehmen oder sich Tipps zu holen, diese Regeln aber als ein Muss zu sehen (wie in der Ausgangsfrage) halte ich für schlichtweg falsch.

Dann sind wir uns ja einig. ;)

@Guddy: Eben. Deswegen ärgert mich Ratgeber-Bashing immer etwas. :) Allerdings bezweifle ich, dass man durch reine Übung ohne Input neuen Wissens (mit welcher Methode auch immer) oder Kritik von Fachkundigen wirklich besser werden kann.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Zit am 04. Mai 2016, 19:06:30
@Dämmerungshexe

Grafikerin, die Kundenaufträge erfüllen muss: Ja, da hast du wohl recht.
Aber wenn du Sachen für dich alleine, um ihrer selbst Willen machst, spielst du dann nicht gerade mit den Regeln? Kann Literatur nicht auch Kunst sein?

Bei Auftragsarbeiten mag das vll. etwas anderes sein, gerade wenn es Reihen sind, deren Identität sich nicht nur auf gemeinsame Figuren beschränkt sondern auch die Art zu erzählen einbezieht. Im Laufe der Zeit haben sich bestimmte Kniffe entwickelt, die bei vielen Menschen zünden, aber im Grunde ist das alles eine Frage der Gewöhnung. Schaut euch mal Filme von vor dreißig, fünfzig, neunzig Jahren und von heute an. Vieles ist natürlich auch auf technischen Einschränkungen begründet, dennoch hat sich die Art, Filme zu drehen, stark verändert. Das betrifft nicht nur das Erzähltempo und Charakterdynamiken. Ich habe mir gestern die ersten drei Jurassic Park-Filme hintereinander angeguckt (entstanden 93, 97, 2001) und schon da lässt sich eine Entwicklung erkennen, die im Vergleich zum letzten Film nochmals eine ganz andere ist. Anderes Thema: Computerspiele. Die cineastische Erzählweise von Mass Effect hat nicht mehr viel gemein mit dem Terminator-Spiel auf dem Sega Megadrive von 92 ...
Nur: Sich weiterentwickeln und neue Standarts schaffen kann man nur, wenn man sich von den alten Standarts löst und auch mal Neues und Abgedrehtes wagt. Sonst wäre Breaking Bad ja auch nicht so eingeschlagen.
Das einzige, was uns vll. im Weg steht, wäre das Genre, weil die Eigenheit eines Genres ja auf bestimmten Elementen und Kniffen beruht. Aber letztlich ist das auch nur wieder Marketing. Als Schriftsteller kann es mir ja egal sein, ob das nun Fantasy, Phantastik oder magischer Realismus ist, was ich schreibe. Hauptsache, ich schreibe die Geschichte so, dass ich ihr gerecht werde. Ob das nun 90-60-90-Kapitel sind oder so viel Fluff dass selbst Tribbles wie Nacktmulle aussehen, ist mir als Erschaffer doch unbenommen.

Was Schreibratgeber anbelangt, so muss ich gestehen, dass die so ein Guilty Pleasure von mir sind. ;D Wobei ich sie nicht als Rezeptesammlung oder Bauplan verstehe sondern als einen Dialog: "So mache ich das, womöglich hilft es dir ja." Den heiligen Gral habe ich jedenfalls noch nie gefunden, wenn ich einfach nur kopiert habe. (Was nicht heißt, dass ich ihn habe.)

edit:  :d'oh: Schon wieder 4 neue Beiträge. Aber ich sehe, im Kern sind wir uns doch zu 90% einig, oder?
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Siara am 04. Mai 2016, 19:36:16
Zum Thema geäußert hatte ich mich ja schon. Allerdings spukte da ein alter Threadtitel in meinem Kopf - einen Thread zum Thema gab es schon einmal. Nur, falls sie vielleicht jemand zusammenführen will.  Haltet euch an die Regeln! - Oder auch nicht.  (http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,12486.0.html)

Was Schreibratgeber angeht: Mein erster Roman ist damals komplett ohne Ratgeber entstanden. Im Nachhinein betrachtet stimmt der Aufbau, der Spannungsbogen, der Stil ist von mies weit entfernt. Er ist vollkommen aus dem Gefühl (und aus der Erfahrung als Leser) hervorgegangen. Damals war ich 12-17, und das ein oder andere Charakterklischee ist wirklich übel. Aber abgesehen davon halte ich diesen Roman bis heute für das Beste aus meiner Feder. Danach kamen die Schreibratgeber, und der Verstand hat eingesetzt. Damit ließen sich sicherlich einige grobe Schnitzer ausbügeln, aber es ist sehr schwer geworden, das richtige Gefühl für den Roman zu entwickeln. Manchmal würde ich die Regeln während des Schreibens gerne ins Vergessen schieben und dann zum Überarbeiten wieder rauskramen. ;D

Zitat von: Lina Franken am 04. Mai 2016, 18:51:04
Zitat von: Dämmerungshexe am 04. Mai 2016, 17:36:58
Lina, doch, auch in kreativen Berufen braucht es Regeln an die man sich halten muss, weil sonst der Zweck der Arbeit nicht erfüllt wird. Es ist immerhin Handwerk, nicht Kunst.

Da würde ich definitiv widersprechen. Sicher ist es auch eine Frage des Geschmacks und des Blickwinkels und der persönlichen Vorlieben, aber ich zähle das Schreiben definitiv zu Kunst, denn das Ergebnis ist nichts was sich als Gebrauchsgegenstand benutzen lässt, sondern etwas, das den Geist erfreut.
Ja, Literatur zähle ich auch zur Kunst. Aber seit wann widersprechen sich Kunst und Handwerk? Ein Bildhauer muss auch lernen, mit dem Meißel umzugehen, auch beim Malen gibt es Techniken, die verschiedene Effekte hervorrufen und die sich gute Maler aneignen, um ihre Möglichkeiten zu erweitern. Literatur ist Kunst. Aber das ist kein Argument gegen das Aneignen der "Regeln", wenn ich sie auch wie gesagt eher als Handwerkszeug betrachte, dessen man sich bedienen kann. Was das Endergebnis angeht, Lina Franken, stimme ich dir also weitestgehend zu.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Slenderella am 04. Mai 2016, 19:43:11
Ich lese keine Schreibratgeber. Noch nie einen in der Hand gehabt. Frag mich immer, was diese Leute denn dolles geschrieben haben, damit sie meinen Tipps geben zu können. Recherchiert man, ist es es meistens nicht der Rede wert. Was soll ich dann mit deren Tipps?

Kann derzeit nicht meckern, ergo mach ich wohl was richtig :D
Ich würde dafür auch kein Geld und keine Zeit investieren, genauso wie ich keine Autorenkurse besuchen würde. Das macht auch nicht den nächsten Bestseller aus. Sonst würde es ja jeder tun können ;)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Fianna am 05. Mai 2016, 02:13:16
@Alana
Ich denke, viele Leute, die Schreibratgeber ablehnen, nutzen sie indirekt doch. Inzwischen gibt es so viele Blogger (oder Autoren-Foren ;) , die über dort vermittelte Plot- oder Schreibtechniken sprechen, so dass man die Informationen auch ohne Ratgeber erlangen kann.

Jeder hat sich doch  was zu Drei-Akter oder "show, don't tell" durchgelesen oder sogar gezielt bestimmte Begriffe gesucht. Frei von Ratgeber-Wissen ist hier sicher kaum einer, auch wenn man selnst keinen gelesen hat.

Ich bin mal Zeuge einer komischen Diskussion in der SWS geworden und hatte dann einige Zeit Ratgeber bewusst vermieden, sondern nur die Techniken ergooglet auf Blogs, weil mich so abgeschreckt hatte, was man da auf der Meta-Ebene aufgedrückt bekam.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Coppelia am 05. Mai 2016, 05:58:02
Ich habe früher auch viele Schreibratgeber gelesen, und viele Ratschläge habe ich heute noch verinnertlicht. Vielleicht sollte ich auch mal wieder ein paar mehr lesen, denn es hat mir immer viel Spaß gemacht. Die Tipps fand ich immer ziemlich sinnvoll. Nicht alle, aber die meisten. Da ich lernen wollte, markttauglich zu schreiben, war ich über die Hinweise froh und glaube, mich dadurch auch wirklich verbessert zu haben. Ich war aber in meinen Ansichten wohl auch relativ rigoros und hätte nicht viele Abweichungen von den "Regeln" zugelassen.
An der Uni hatte ich dann einige Jahre Erzählperspektive als Forschungsschwerpunkt und habe mich wirklich viel damit beschäftigt (leider nimmt das Wissen schnell wieder ab, wenn man sich nicht weiterhin damit befasst). Dabei fiel mir auf, was man mit der bestimmten Verwendung von Erzählperspektive alles bewirken kann; einiges mehr, als in den Schreibratgebern steht. Und mir fiel auch auf, dass viele meiner Vorbildautoren (Richard Adams, Michael Ende, Astrid Lindgren, um nur mal ein paar zu nennen) gern von dem abweichen, was in Schreibratgebern zur Verwendung von Erzählperspektive geraten wird. Das hatte ich vorher nicht so deutlich gemerkt, weil ich vorher die Analysemethoden noch nicht so gut kannte. Und weil ich dann auch meine eigenen Texte analysieren konnte, fiel mir auf, dass es bei mir ebenfalls Perspektiven-Abweichungen gab, obwohl ich der Meinung gewesen war, dass ich die Perspektive streng nach Ratgebertipps eingehalten hatte. Das hat mich erstaunt.

Mir wurde aber auch noch etwas anderes klar, worüber man normalerweise nicht viel nachdenkt. Die "Regeln" zum Gebrauch von Erzählperspektive sind ziemlich neu. Romane werden eigentlich traditionell eben nicht zwangsläufig rein aus der Sicht von Figuren erzählt (Ausnahme sind Briefromane u. ä.). Normal ist eher ein eher schneller Wechsel der Perspektive des Erzählers und der Figuren, die gerade wichtig sind. Das ist auch schon bei Homers Ilias so, und das kann man auch z. B. in "Unten am Fluss" sehen, einem meiner Lieblingsromane.
Die moderne "Regel", rein aus der Sicht einer Figur (oder mehrerer im Wechsel) zu schreiben, hängt sicher damit zusammen, dass der Text umso spannender wirkt, je mehr man mit einer Figur mitfiebern kann. (Möglicherweise ist das auch ein Grund dafür, warum "alte" Romane, auch Klassiker, von uns häufig als langweiliger empfunden werden als neue.) Das kann man am besten, wenn man in ihrem Kopf ist. Und ein Roman ist besser verkäuflich, wenn er spanend ist. Ich denke also, dass wirtschaftliche Gründe für diese "Regeln" mit, wenn nicht sogar ausschließlich, verantwortlich sind. Ich meine, die Ratgeber raten ja nie, wie man einen anspruchsvollen, tiefgründigen, komplexen, unsterblichen Roman schreibt, sondern immer nur einen erfolgreichen, oder? :D

Seitdem habe ich ganz selten mal beim Schreiben bewusst "Regeln" zum Gebrauch der Erzählperspektive gebrochen, wenn ich es mir vorher genau überlegt hatte. Aber insgesamt habe ich meinen Schreibstil nicht geändert. Ich will ja, dass die Leser mit meinen Figuren mitfiebern und dass sie die Geschichte möglichst spannend finden. Und natürlich will ich verkaufen! ;)

Ich vermute, dass es bei anderen "Regeln" ähnlich ist. Sie sind in meinen Augen Vereinfachungen ziemlich komplizierter literarischer Zusammenhänge. Für wirtschaftlichen Erfolg würde ich persönlich sie beherzigen, aber ich halte sie auch für eine Mode, die sich jederzeit wieder ändern kann - wenn sich etwas Profitableres angefunden hat. Jedem steht frei zu sagen "Da mach ich nicht mit, Goethe hat sich auch nicht an diese Regeln gehalten", aber Goethe war zu seiner Zeit ein Trendautor, und unsere Zeit hat ihre eigenen Trends. Und bei Trends besteht immer die Gefahr, dass man sich selbst keinen Gefallen tut, wenn man sich zu weit davon entfernt. :P
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: LinaFranken am 05. Mai 2016, 08:32:57
Coppelia, ich muss jetzt dringend loswerden, dass du das wunderschön auf den Punkt gebracht hast.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 12. Mai 2016, 13:41:56
Ein wahrscheinlich ewig andauernder Streit. Ich bin ein klarer Fan von Schreibratgebern und habe wirklich viel aus ihnen gelernt und würde heute nicht so schreiben, wie ich schreibe. Allerdings gibt es da ein paar Fallstricke.
- Wenn ich mich wirklich beim Schreiben verbessern will und möchte weiterlernen, sind sie nicht die ultima ratio, sondern nur ein Hilfsmittel zur Verbesserung der Fähigkeiten und Fertigkeiten
- Mit Regeln kann ich leben, denn die lassen sich verbiegen. Gesetze würde ich gern durch das Wort Gesetzmäßigkeiten ersetzen. Die sind flexibler in der Handhabung.
- Nicht jeder Ratgeber taugt etwas
- und nicht jeder Ratgeber, der etwas taugt, sagt mir etwas, weil ich in meiner eigenen Entwicklung noch nicht so weit oder schon viel weiter bin.
- man kann aus einigen Schreibratgebern schnell herauswachsen

- und ohne selbst ständig zu schreiben ist ohnehin alles für die Katz.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Araluen am 12. Mai 2016, 17:49:12
Ich würde beim Schreiben ungern von Regeln und Gesetzen reden. Ich sehe da nirgendwo ein MUSS. Sonst würden alle Autoren irgendwann ihre Bücher in ein und derselben Form schreiben.
Schreibratgeber sind eine schöne Sache und eine gute Hilfe, um seinen eigenen Schwächen auf die Spur zu kommen und auf der Suche nach Fortschritt die Scheuklappen abzunehmen. Ich würde darin aber nie die Grundfesten der Schriftstellerei sehen und irgendwelche Formulierungen für das Ende der Weisheit halten. Natürlich bewähren sich viele Tipps und an einige Dinge hält man sich intuitiv. Aber man muss nicht zwingend damit arbeiten, um ein gutes Werk abzuliefern.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Mondfräulein am 13. Mai 2016, 18:43:28
Die starre Haltung deiner Bekannten empfinde ich als fast schon etwas verbohrt, Ratzefatz. Ich habe früher viele Schreibratgeber gelesen, viele Blogs im Internet, die einem die Zauberformel für einen guten Roman präsentieren wollten, und ich habe mich immer an einen Grundsatz gehalten: Was dort propagiert wird, ist nicht als Regel zu verstehen, sondern eher als Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Zum Beispiel wenn es heißt, dass ich deutlich machen sollte, wer was sagt, weil der Leser sonst verwirrt ist und nicht mehr weiß, was von wem kommt. Vielleicht will ich in einer Szene aber, dass genau das passiert und tue es dann nicht. Das heißt, ich muss den Sinn so einer "Regel" verstehen, dann weiß ich, wann ich sie anwenden sollte und wann brechen. Das ist ein wenig wie Chemie - wenn ich Magnesium anzünde, fängt es an zu brennen. Die Regel wäre also, zünde kein Magnesium an, außer, du willst, dass es brennt. Deine Bekannte sagt nun, du sollst unter keinen Umständen niemals nie Magnesium anzünden, aber das ist Unsinn. Manchmal ist das eben gut und nützlich, zum Beispiel bei Taucherfackeln, ich glaube, die funktionieren mit Magnesium.

Maggie Stiefvater hat in einem Roman ein Kapitel, das nur einen Satz lang ist. Kann man machen und fand ich super. Zu sagen, dass sie das nicht machen darf, weil man das eben nicht so macht, ist genauso dumm wie zu sagen, dass man grundsätzlich keine Kommas setzen sollte, weil das jeder so macht, oder zu sagen, dass man bitte nur Herr der Ringe mit anderen Namen schreiben soll, weil man das ja so macht. Wenn man die Regel nicht versteht und nur blind anwendet, dann hat man genauso wenig Ahnung wie jemand, der sie einfach stur und reiner Rebellion bricht. Regeln stur anzuwenden macht mich nicht zu einem besseren Schriftsteller, nur zu einem, der besser verbirgt, dass er keine Ahnung hat.

Das heißt, ich kann im Prinzip alles machen - ich muss nur wissen, warum ich es tue. Und da liegt denke ich der Grund, warum so viele auf die sture Einhaltung der Regeln pochen. Es ist relativ einfach, so eine Regel zu lesen und anzuwenden. Sie zu verstehen und sich beim Schreiben darüber bewusst zu sein, warum ich etwas tue, ist jedoch sehr viel schwieriger, erfordert mehr Übung, mehr Auseinandersetzung mit der Materie, mehr Erfahrung und ist überhaupt viel kompliziter. Wenn ich es so mache, kann ich nämlich nicht einfach bei jeder offenen Frage einfach der Regel folgen - ich muss darüber nachdenken, was ich in der Szene erreichen will und entscheiden, wie ich das am besten tue. Wenn ich die Regel für mich entscheiden lasse, mache ich es mir selbst sehr viel leichter. Das heißt nicht, dass ich der Regel grundsätzlich nicht folgen soll, ich halte mich auch an viele Dinge, die in solchen Regelbüchern stehen, aber es heißt, dass ich manchmal mehr über mein Schreiben nachdenken muss als nur "Die Regel sagt das und das, also sollte ich das auch so befolgen".

Hinzu kommt natürlich auch noch sowas wie Geschmack und persönliche Präferenz. Eine Regel wird von jemandem gemacht, der nicht frei von seiner eigenen Meinung ist. Beispielsweise hat Jonathan Stroud in Bartimäus Fußnoten eingefügt, die viele Leser als wahnsinnig störend empfanden - ich fand sie super. Ich habe mich über jede Fußnote gefreut und fand das Konzept beim Lesen total genial. Verschiedene Leser reagieren unterschiedlich auf dasselbe Stilmittel. Der eine führt die Regel ein, keine Fußnoten zu verwenden, der andere plädiert leidenschaftlich dafür, dass das jeder Autor tun sollte - wer will dann noch sagen, wer von beiden Recht hat? Den einen stören unterschiedliche Kapitellängen, mir persönlich ist das sowas von egal. Ich glaube, mir fällt überhaupt nicht auf, wie lang Kapitel in den Büchern, die ich lese, sonst so sind. Was eine Person als absolute Grundregel propagiert, können andere also auch wieder ganz anders sehen.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: wortglauberin am 13. Mai 2016, 20:46:59
Natürlich ist das Schreiben ein Handwerk, dessen Grundlagen man ersteinmal beherrschen sollte, bevor man sich daran macht, althergebrachte Konventionen durcheinanderzuwirbeln; aber, wie Mondfräulein sagte: solange man sich im Klaren darüber ist, weshalb man das tut, spricht meiner Meinung nach nichts dagegen.
Ich kann natürlich nur von mir sprechen, aber ist das nicht ohnehin das Ziel bei allem, was man schreibt? Was möchte ich mit dem, was ich gerade tue, beim Lesenden bewirken? Und wenn eine der festgeschriebenen Methoden das nicht tut, sucht man sich eben eine eigene.
Ich glaube, durch solche "Wagnisse" bzw. dadurch, dass man eben vom vorgezeichneten Weg abweicht, können auch ganz neue Dinge entstehen- einige Genres (beispielsweise der Briefroman) und sogar der klassische Roman selbst sind, wie Lina Franken schon meinte, dadurch entstanden, dass die Autoren neue Wege eingeschlagen haben.

Was ich als viel Schwieriger erachte, ist, einmal gelernte "Regeln" wieder loszuwerden; Dinge wie "vermeide zu viele Adjektive" oder "show, don't tell" haben sicherlich ihre Berechtigung, halten einen aber vielelicht auch manchmal davon ab, ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln oder seinen eigenen Schreibstil zu finden- und ich erwische mich sehr häufig dabei, wie ich mich sozusagen selbst "zensiere", weil ich denke, man "dürfe" nicht so schreiben, wie ich in diesem Moment möchte.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Cailyn am 16. Mai 2016, 09:32:25
Ich bin ein Fan von Schreibratgebern. Aber ich richte mich nicht per se danach. Ich betrachte Schreibratgeber als "gebender Rat", falls etwas in meinem Projekt unstimmig ist. Meistens plotte ich was, und wenn es mir noch nicht 100% gut vorkommt, dann nehme ich mal wieder die Schreibratgeber zur Hand und gehe mal alle Punkte durch. Dann fällt mir oft auf: Aha, das hast du komplett anders gemacht. Also ändere ich den Plot und binde den Ratschlag ein. Funktioniert nicht immer, aber manchmal ist es ein Volltreffer.

Viele fühlen sich von Ratgerbern immer gleich in ihrer Autorenfreiheit beschnitten und wittern Gefahr für die Kreativität. Doch denke ich, ist das echt schade, denn ein Ratgeber gibt ja Ratschläge und keine Regeln. Es scheint für manche wie eine Bedrohung zu sein. Aber man sollte sich einen Schreibratgeber eher vorstellen wie eine gütige, alte Oma, die aus ihrer Motten(und Erfahrungs-)kiste erzählt als als Lehrer mit erhobenem Zeigefinger.

Wem es zu einengend ist und wer das Gefühl hat, der Ratgeber würde die eigene Kreativität unterbinden, kann den Ratgeber ja auch erst am Ende der ersten Manuskriptfassung zu Rate ziehen. Das einzig Negative daran ist, dass man - will man einen Rat beherzigen -, unter Umständen viel Nacharbeit hat. Es kostet dann viel mehr Zeit, als wenn man die Ratschläge bereits beim Plotten beizieht.

Wovon ich am stärksten in Ratgebern profitieren konnte:
- Prämissen (ja, ich weiss, die meisten finden sie doof, aber mir helfen sie unglaublich gut)
- Hilfe bei der Erarbeitung von Konflikten
- Schemata wie das 7-Punkte-System oder 3 Akte, Heldenreise etc.

Vom Regeln brechen halte ich grundsätzlich viel. Dennoch bin ich überzeugt, dass jemand erst auf gute Weise Regeln brechen kann, wenn er die Regeln erst verinnerlich hat. Und irgendwie habe ich hier im Forum oft das Gefühl, dass einige sich gar nicht erst auf Regeln einlassen, weil sie es ohnehin doof finden. Das darf natürlich jeder. Aber ich finde es schade, denn würde man die Regeln erst brechen, wenn man sie getestet hat (nicht nur davon gelesen, sondern auspobiert), könnte aus dem Regelbrechen ein genialer Streich werden. Andersrum scheint mir das weniger realistisch.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 16. Mai 2016, 10:08:59
Vielleicht bin ich deshalb zu einem Fan von Schreibratgebern geworden, weil sie mich nie in meiner Kreativität eingeschränkt haben, sondern sie im Gegenteil animiert haben. Immer wenn ich glaubte, einen Ratschlag verstanden zu haben, habe ich damit experimentiert und hatte sofort neue Szenen im Kopf. Die meisten waren richtig gut, auch wenn ich für sie nicht immer eine Verwendung hatte. Na ja, vielleicht waren sie gar nicht gut, aber ich hatte ein gutes Gefühl und das hat mich gleich weitergetragen.
Ich glaube, dass, wer sich durch die Ratschläge von Schreibraggebern einengen lässt, sollte mal in sich hineinhören, warum das so ist, und nicht den Schreibratgebern die Schuld dafür geben. Das ist jetzt natürlich nur so eine Idee, mit der ich niemanden einschränken möchte  :engel:

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Lukas am 16. Mai 2016, 10:26:57
Weil es gerade um Ratgeber geht. Ich fand unter anderem auch https://www.youtube.com/user/WriteAboutDragons (https://www.youtube.com/user/WriteAboutDragons) von Snaderson als Podcast hilfreich. Konnte ich morgens auf dem Fahrrad anhören. Sonst auch noch "Writing Fiction for Dummies" als Einsteiger. Ingmersson(?) et al. haben das echt witzig und mit schönen Beispiel illustriert. Mein Exemplar ist jetzt echt schon älter, aber ich weiß noch, wie ich mich mit 15 mit mangelnden Englischkenntnissen durchgequält habe.
Und ich muss Trippelschritt und Cailyn zustimmen. Auch wenn man nichts 1:1 übernimmt, erweitert fast jeder Schreibratgeber den eigenen Horizont. Man darf es halt nie als Regeln sondern immer nur als Richtlinien sehen. Deswegen bin ich auch dafür die ungeschriebenen Regeln zu brechen, wenn man der Meinung ist, dass es sein muss. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass gerade im Hinblick auf Veröffentlichung solche "Regeln" wichtiger werden können. Weil Verlage halt auch nach Marktforschung einkaufen. Was geht gut, was weniger.  :wart:
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Slenderella am 16. Mai 2016, 11:13:00
Es ist aber schwer, da hinterzusteigen, was ein Verlag wirklich will.
Du schreibst was, wo du denkst, das haben die so schon zig mal verlegt und das passt einfach genau und dann sagt dir der erste: Nö, also das ist uns zu banal. Der nächste sagt, olé das ist zu speziell. Der übernächste sagt dann, das verkauft sich nicht, hat aber 300 solcher Bücher im Programm.

Ich war letztens ganz erstaunt, eine super ehrliche Antwort von einem sehr großen Verlag zu bekommen, wo sie das Manuskript zwar voll toll fanden, aber genau ein ähnliches (thematisch) haben und dazu gesagt haben, dass sich das leider gar nicht verkauft, daher müssen sie mich auch ablehnen (obwohl die das Risiko locker tragen könnten).

Marktkompatibel zu schreiben ist nicht einfach, selbst WENN man genau studiert was geht, laufende Klischees übernimmt, die überall ziehen und in diesen "Regeln" enthalten sind, die Schreibratgeber propagieren hat man halt trotzdem nicht die Garantie unter Vertrag zu kommen.
Da kann ich mir die Zeit halt auch schenken, die es mich kostet das zu lesen.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Churke am 16. Mai 2016, 11:23:43
Um hier mal eine etwas anderes Perspektive reinzubringen...
Am Wochende kam "The Legend of Hercules".
Der Film hat 70 Millionen Dollar gekostet und ist grottenschlecht. Das liegt zu einem wesentlichen Teil daran, dass der Plot wirkt, als wäre er aus Schreibratgebern zusammengeschustert. Figuren wie aus dem Handbuch: böser Bruder, tyrannischer Vater, die ganze große Liebe, der weise Mentor... Gnadenlos trashig und ohne ein Fünkchen Inspiration.

Also: Ratgeber sind nicht alles.

Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 16. Mai 2016, 11:38:02
Habe ich reingeschaut und nach ungefähr zehn Minuten wieder rausgeschaut. Aber welchen Schreibratgeber zitierst Du da, Churke. Ich kenne keinen, der solche schlimmen Dinge vorschlägt.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Cailyn am 16. Mai 2016, 12:32:16
Slenderella
Klar, wenn du Ratgeber nur als Mittel siehst, um den Verlagen zu entsprechen, ist das schon irgendwie überflüssig. Aber mir persönlich geht es mehr darum, ein wirklich gutes Buch zu schreiben. Das Handwerk zu erlernen und, wie Trippelschritt sagt, den Horizont zu erweitern. Es ist ja mehr eine Inspiration als ein Diktat oder eine Anpassung an den Markt.

Churke,
Also dein Beispiel hat doch jetzt überhaupt nichts mit einem Schreibratgeber zu tun. Wo hast du denn gelesen, dass es zu einem guten Buch einen tyrannischen Vater und einen bösen Bruder gehen soll? In den meisten Ratgebern geht es ja um Struktur, um Beispiele (nicht Vorgaben), was zu einem spannenden Konflikt führen "könnte". Aber da wird doch nicht gesagt, welche Figuren im Konkreten ein guter Antagonist oder ein guter Konflikt ist. Habe ich noch nie irgendwo gesehen. Und zu dem weisen Mentor... klares Klischee. Aber in Ratgebern wird doch gerade davon abgeraten, solche Figuren zu konzipieren, ausser wenn es wirklich in diese Geschichte gehört und mit diesem weisen Mentor was geschehen soll, was dem Klischee nicht mehr entspricht. Z.B. Saruman, früher weise, wird zum dunklen Magier, so als Beispiel. Wenn du mir aus 2-3 Ratgeber zitieren kannst, dass man solche und solche Figuren einbringen soll, dann finde ich dein Fazit ok. Aber so komme ich gerade auf die Idee, dass du ohnehin darauf pfeifst und du diese Beispiele nicht belegen kannst.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: canis lupus niger am 16. Mai 2016, 18:08:21
Um meine persönliche Meinung mit wenigen Worten auszudrücken:

Ja, man darf die Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks brechen. Wenn man das mit Sinn und Verstand tut, kann dabei was wirklich Gutes und vielleicht Bahnbrechendes entstehen. Auch Schreibregeln haben sich schließlich im Lauf der Zeit immer wieder geändert und Moderichtungen angepasst. Man darf nur nicht erwarten, dass jedem gefällt, was man da geschrieben hat. Und wenn es dem Lektor nicht gefällt, muss man damit rechnen, dass er das angebotene Manuskript ablehnt.  :-\
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Slenderella am 16. Mai 2016, 20:34:40
Zitat von: Cailyn am 16. Mai 2016, 12:32:16
Slenderella
Klar, wenn du Ratgeber nur als Mittel siehst, um den Verlagen zu entsprechen, ist das schon irgendwie überflüssig. Aber mir persönlich geht es mehr darum, ein wirklich gutes Buch zu schreiben. Das Handwerk zu erlernen und, wie Trippelschritt sagt, den Horizont zu erweitern. Es ist ja mehr eine Inspiration als ein Diktat oder eine Anpassung an den Markt.

Churke,
Also dein Beispiel hat doch jetzt überhaupt nichts mit einem Schreibratgeber zu tun. Wo hast du denn gelesen, dass es zu einem guten Buch einen tyrannischen Vater und einen bösen Bruder gehen soll? In den meisten Ratgebern geht es ja um Struktur, um Beispiele (nicht Vorgaben), was zu einem spannenden Konflikt führen "könnte". Aber da wird doch nicht gesagt, welche Figuren im Konkreten ein guter Antagonist oder ein guter Konflikt ist. Habe ich noch nie irgendwo gesehen. Und zu dem weisen Mentor... klares Klischee. Aber in Ratgebern wird doch gerade davon abgeraten, solche Figuren zu konzipieren, ausser wenn es wirklich in diese Geschichte gehört und mit diesem weisen Mentor was geschehen soll, was dem Klischee nicht mehr entspricht. Z.B. Saruman, früher weise, wird zum dunklen Magier, so als Beispiel. Wenn du mir aus 2-3 Ratgeber zitieren kannst, dass man solche und solche Figuren einbringen soll, dann finde ich dein Fazit ok. Aber so komme ich gerade auf die Idee, dass du ohnehin darauf pfeifst und du diese Beispiele nicht belegen kannst.

Ein wirkliches gutes Buch ist aber immer Subjektiv und vor allem Zeitabhängig. Nach heutigen Maßstäben sagt kein Mensch mehr, dass der Herr der Ringe ein gutes Buch ist, wenn er ehrlich ist. Das ist es auch nicht. George R. R. Martin schreibt auch schlecht, wenn es nach Schreibratgebern geht.
Oder sagen wir was Blasphemisches: Das Tagebuch der Anne Frank ist schriftstellerisch schlecht. Es ist nur aufgrund seiner Umstände ein Hit geworden. Klar, da hat auch niemand mit Ratgeber geschrieben. Aber was als gutes Buch wahrgenommen wird, das ist nicht aus einem Ratgeber zu erlernen. Weil die Menschen es beurteilen. Und die scheren sich einen Dreck um Ratgebertipps. Wenn die Kritik vernichtend ist, nützt es gar nichts, dass der Ratgeber gesagt hat, man solle so und so schreiben.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Sturmbluth am 16. Mai 2016, 21:01:49
Zitat von: Slenderella am 16. Mai 2016, 20:34:40Nach heutigen Maßstäben sagt kein Mensch mehr, dass der Herr der Ringe ein gutes Buch ist, wenn er ehrlich ist. Das ist es auch nicht.

Witzig, genau das hab ich mir vor ein paar Tagen auch gedacht und überlegt, ob ich das hier zur Diskussion stelle. Da wird z.B. erklärt, dass Gollum in die Lava stürzt. Ganz kurz, ohne zu beschreiben, wie. Und ich so "Show! Don't tell!"  ;D
Ich weiß nicht, ob mir das aufgefallen wäre, wenn ich mich nicht selbst mit Schreiben beschäftigen würde. Aber vielleicht wäre es mir tatsächlich aufgefallen, weil heute einfach anders geschrieben wird.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 16. Mai 2016, 21:05:34
Doch, ganz ehrlich. Es ist ein grandioses Buch. Aber dass es Kult wurde, war einer bestimmten Zeit geschuldet. Und ja, eine gute Idee, es zur Diskussion zu stellen. Aber in einem eigenen Thread. die Textanalyse dieses Buches wird Erstaunliches zu Tage bringen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Layka am 16. Mai 2016, 22:53:34
Zitat von: Slenderella am 16. Mai 2016, 20:34:40Oder sagen wir was Blasphemisches: Das Tagebuch der Anne Frank ist schriftstellerisch schlecht. Es ist nur aufgrund seiner Umstände ein Hit geworden. Klar, da hat auch niemand mit Ratgeber geschrieben.
Mir wäre auch neu, dass es für Tagebücher Schreibratgeber gäbe :D Das ist ja eher eine (für den Durchschnittsschüler leicht zugängliche) Quelle als ein belletristisches Werk über die NS-Zeit.

Der Herr der Ringe zeigt für mich auch eher, wie sich der Lesegeschmack verändert. Nach meinem Eindruck wird in älteren Büchern allgemein viel mehr erzählt, wohingegen die Leser Bücher heute mehr wie einen Film erleben wollen und nicht wie eine Geschichte, die der Großvater gemütlich am Kamin erzählt. Dementsprechend raten auch die Schreibratgeber zu dem, was heute die meisten Leute erreicht. Das heißt nicht, dass man es nicht anders machen könnte - immerhin gibt es auch heute noch genug Leute, die am Herr der Ringe das "Tell, don't show" genießen, und in manchen Situationen gewinnen für mich auch moderne Bücher dadurch, dass sie nicht jede Handlung zeigen müssen.
Für mich sind Schreibratgeber daher nützliche Hilfen. Klar, die "Regeln" sind nicht immer anwendbar, aber man kann sich von ihnen inspirieren lassen und bei mir lenkt es die Aufmerksamkeit auf Aspekte, auf die ich noch gar nicht geachtet hatte. Die fallen mir dann beim Lesen und bei meinem eigenen Schreiben auf, womit wir wieder beim learning by doing wären, ohne das es natürlich nicht funktioniert. Umgekehrt schon eher, aber wenn ich mir Denkanregungen holen kann, die den Lernprozess beschleunigen, warum sollte ich darauf verzichten?
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: wortglauberin am 16. Mai 2016, 23:33:40
Zitat von: Slenderella am 16. Mai 2016, 20:34:40
Oder sagen wir was Blasphemisches: Das Tagebuch der Anne Frank ist schriftstellerisch schlecht. Es ist nur aufgrund seiner Umstände ein Hit geworden. Klar, da hat auch niemand mit Ratgeber geschrieben. Aber was als gutes Buch wahrgenommen wird, das ist nicht aus einem Ratgeber zu erlernen. Weil die Menschen es beurteilen.

Blasphemisch finde ich das nicht, aber ein Stück weit würde ich trotzdem widersprechen wollen  :): ich glaube nicht, dass Anne Franks Tagebuch nur aufgrund der Umstände bekannt geworden ist- es ist schon eine Weile her, dass ich es gelesen habe, und ich kann mich nicht mehr an Einzelheiten des Schreibstils erinnern, aber ich erinnere mich daran, wie ich mich gefühlt habe, als ich es gelesen habe, wie ich mitgefiebert, mitgelitten und mich mitgefreut habe, obwohl ich wusste, wie es endet- und es stimmt, einen Schreibratgeber hatte Anne wohl nicht, aber sie wusste, so vermute ich, schon, wie sie ihre Leser erreichen konnte.
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, plante sie ja auch, Schriftstellerin zu werden, und überarbeitete Kitty sogar; bei guter, den Lesenden berührender Literatur geht es ja auch um emotionale Resonanz und eine dem Verfasser eigene Stimme, und obwohl ich kein Anne- Frank- Experte bin, glaube ich schon, dass sie den Rezipienten beim Schreiben im Kopf hatte.

Damit das jetzt nicht am Thema vorbeischrammt... was ich damit eigentlich sagen wollte: ich kenne mich zwar nicht besonders in der Ratgeberliteratur aus, aber, wie Sturmbluth und Slenderella schon gesagt haben, verändern sich ja Schreibkonventionen und somit auch der Massengeschmack des Lesers. So entwickelt sich Literatur, so entwickeln sich Genres und so entsteht auch das Korsett, in das erstere teilweise gezwängt wird; um diesen Konventionen (und auch dem bisherigen Fortschritt) zu entsprechen, sind Schreibratgeber sicherlich nützlich.
Trotzdem gibt es meiner Ansicht nach Romane (oder Bücher), die mich mehr auf einer emotionalen Ebene ansprechen und bei denen es mich auch absolut nicht stört, wenn sie geschrieben sind, wie ich heute nie erzählen würde.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 17. Mai 2016, 07:13:56
Zitat von: Slenderella am 16. Mai 2016, 20:34:40
George R. R. Martin schreibt auch schlecht, wenn es nach Schreibratgebern geht.

Dieser Satz war mir entgangen. Ich würde mich freuen, wenn diese Aussage belegt würde, denn ich bin genau entgegengesetzter Auffassung. Schreibratgeberratschläge scheinen bei ihm direkt durch wie durch einen zu dünnen Stoff. Man liest und versteht genau, wie und warum er etwas schreibt und trotzdem ist es richtig gut. Das ist mir vor allem beim Anfang im ersten Band aufgefallen (nicht im Prolog).

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Cailyn am 17. Mai 2016, 08:49:13
Slenderella
Das Beispiel mit LOTR habe ich ja nur wegen der Figur Saruman gebracht und nicht weil ich finde, dass es grandios geschrieben ist. Churke meinte ja, dass Schreibratgeber zu Klischeefiguren raten. Und ich wollte ein Beispiel finden, bei dem eine Klischeefigur (der weise Zauberer) zu einem bösen Zauberer wird und somit die Klischeefigur aufhebt. Dass LOTR vom dramaturgisch gesehen wenig geschickt ist, bezweifle ich nicht. Ist aber ein anderes Thema.  ;)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 19. Mai 2016, 06:33:58
Ich weiß jetzt nicht mehr, ob wir noch über die gleichen Dinge sprechen. Die Schreibratgeber, die ich kenne, empfehlen Figuren dreidimensional mit Tiefe anzulegen. Figuren sollten schillern, der Leser sollte sich sich mit ihnen identifizeiren können oder sie verabscheuen. Nirgendwo finde ich den Rat: Schreibt in Klischees. Und der weise Zauberer ist keine Klischeefigur, sondern ein Erzählarchetyp. Und das ist etwas ganz anderes. Es ist eine Figur aus unserer Erzähltradition und so lebendig wie der jugendliche Liebhaber, due gütige Mutter, der Narr oder der Trickster.
Ein schlechter Schreiber macht aus den Archetypen Klischees, ein guter faszinierende Persönlichkeiten.

Sol Stein und James Frey, zwei Ratgeberautoren, die sich an Schreiber wenden, die noch nicht so viel Erfahrung haben und zu denen man stehen kann, wie man will, betonen beide, dass Autoren mit ihren Figuren Gott spielen und faszinierende Menschen erschaffen sollen.

In diesem Sinne
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Aircaina am 19. Mai 2016, 09:16:36
Seit ich hier das letzte Mal einen Beitrag verfasst habe, habe ich noch recht viele Schreibratgeber verglichen, da ich so gar keine Ahnung habe, welcher besonders empfehlenswert ist. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich immer etwas abgeschreckt bin, wenn der Autor betont, wie viel wichtiger der handwerkliche Aspekt des Schreibens im Vergleich zu allen anderen ist. In dem Buch "Kreatives Schreiben" von Fritz Gesing heißt es "90% Handwerk und 10% Geheimnis". Dabei wird mir irgendwie total unwohl. Vielleicht gibt es noch andere, denen es genau so geht. Aber ganz ehrlich? Ich denke jetzt schon seit Tagen darüber nach, in wie fern dieses Unwohlsein an meiner Einstellung liegt. Immerhin bin ich, wenngleich der handwerkliche Aspekt natürlich sehr wichtig ist, immer noch ein Freund der Vorstellung, dass im Schreiben sehr viel "natürliche Poetik" liegt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich, ob das arrogant ist oder das Schreiben zu sehr romantisiert. Zwar werde ich diese Einstellung wohl nie ganz ablegen - das möchte ich auch gar nicht - aber es ist schon gut, offen für diese Ratgeber zu sein. Bei den meisten, die ich gelesen habe, wird auch immer von Tipps und nicht von festgefahrenen Regeln gesprochen. Bei Letzteren schüttel ich persönlich schnell den Kopf. Vor Kurzem habe ich einen Bericht gelesen, in dem ein Autor jede Form von Perspektivwechsel verteufelt. Der Autor selbst hat aber "nur" Parodien und Ratgeber verfasst. Ganz abgesehen davon, dass er den Leser nahezu als dumm darstellt. Jeder Perspektivwechsel würde nur verwirren, außerdem könne der Leser sich nur mit einer Figur identifizieren und das müsse der Protagonist sein. Das geht meiner Meinung nach schon deshalb nicht auf, weil nicht jeder Mensch gleich ist und sich daher nicht jeder in jedem Protagonisten wiederfinden kann. Vor allen Dingen dann nicht, wenn der Protagonist gezielt unsympathisch dargestellt werden soll. Man sehe sich nur "Das Parfum" von Patrick Süskind an.
Man muss nicht alles als unumstößliche Regel betrachten. Das sollte man für sich selbst entscheiden. Die Autoren von Schreibratgebern wollen in den meisten Fällen wohl kaum den Autor tadeln, sich in ein Korsett aus Regeln zwängen zu lassen. Deshalb heißt es "Ratgeber" und nicht "Regelbuch". Es ist auch sehr hilfreich, um seine eigenen Macken zu erkennen, für die man in den meisten Fällen erst einmal blind ist. Wenn man sich genauer damit beschäftigt, sind die Ratgeber auch gar nicht so einfach gestrickt, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Trippelschritt hat es schon erwähnt. Es wird z.B. nicht empfohlen, Klischees zu schaffen, sondern lebendige Figuren.
Letztendlich können Ratgeber sogar dabei helfen, entgegen klassischer Konventionen zu schreiben. Man kann eine Regel gar nicht gezielt brechen, wenn man sie nicht kennt.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Sturmbluth am 19. Mai 2016, 09:39:37
Zitat von: Aircaina am 19. Mai 2016, 09:16:36In dem Buch "Kreatives Schreiben" von Fritz Gesing heißt es "90% Handwerk und 10% Geheimnis". Dabei wird mir irgendwie total unwohl. Vielleicht gibt es noch andere, denen es genau so geht. Aber ganz ehrlich? Ich denke jetzt schon seit Tagen darüber nach, in wie fern dieses Unwohlsein an meiner Einstellung liegt. Immerhin bin ich, wenngleich der handwerkliche Aspekt natürlich sehr wichtig ist, immer noch ein Freund der Vorstellung, dass im Schreiben sehr viel "natürliche Poetik" liegt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich, ob das arrogant ist oder das Schreiben zu sehr romantisiert.
Ich bin jemand, der das Ganze sehr nüchtern sieht und würde der Aussage "90% Handwerk und 10% Geheimnis" zustimmen - wenn man veröffentlicht werden will.

Ich sehe das Schreiben generell aufgeteilt in zwei Arten:

1) Schreiben als Handwerk: Es gelten Regeln und Konventionen, die meist der Leser bestimmt. Hält man sich daran, steigt die Chance, veröffentlicht zu werden. Der Rest ist die Idee, das Setting und etwas Schreibkunst, was aber in den Hintergrund rückt

2) Schreiben als Kunst: Ja, es gibt sie, die Autoren, die einfach aus dem Bauch heraus schreiben und dann große Kunst produzieren. Wobei die Frage, was nun Kunst ist und was nicht, eher dem Zufall unterliegt. Wie viel große Kunst gibt es wohl, die noch nie jemand gesehen hat? Wahrscheinlich viel. Dementsprechend ist die Chance, veröffentlicht zu werden, in dem man aus dem Bauch heraus schreibt (und dabei nicht durch Zufall die Konventionen einhält), verschwindend gering.

Jeder Autor sollte sich die Frage stellen "Was will ich?"
Veröffentlicht werden ==> Besser an die Konventionen halten
Kunst schaffen ==> Aus dem Bauch heraus schreiben, aber im Hinterkopf behalten, dass es wahrscheinlich nicht viele Leser finden wird.

Ich persönlich gehöre zu denen, die (irgendwann) veröffentlicht werden wollen. Das, was ich zu sagen habe, steckt in den oben genannten 10%. Und für diese 10% ist es mir wichtig, Leserschaft zu finden.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Aircaina am 19. Mai 2016, 09:58:06
Zitat von: Sturmbluth am 19. Mai 2016, 09:39:37
Jeder Autor sollte sich die Frage stellen "Was will ich?"
Veröffentlicht werden ==> Besser an die Konventionen halten
Kunst schaffen ==> Aus dem Bauch heraus schreiben, aber im Hinterkopf behalten, dass es wahrscheinlich nicht viele Leser finden wird.

Ich persönlich gehöre zu denen, die (irgendwann) veröffentlicht werden wollen. Das, was ich zu sagen habe, steckt in den oben genannten 10%. Und für diese 10% ist es mir wichtig, Leserschaft zu finden.
Wenn man "einfach nur" veröffentlichen will, gibt es heutzutage zumindest die Möglichkeit des Selfpublishing und BoD. Gerade bei Amazon kann man dahingehend sehr viele Ratgeber kaufen, die sich auch mit dem Marketing beschäftigen und damit für jemanden der ins Geschäft einsteigen will wirklich hilfreich sind. Ob man damit das große Geld macht und eine riesige Leserschaft erreicht ist natürlich die andere Sache.
Vielleicht habe ich auch einfach die falschen Vorbilder, und gehe deshalb recht locker mit dem Thema Schreiben als Handwerk um. Aber wenn man sich jemanden wie Juli Zeh oder Dietmar Dath ansieht, die so unglaublich gute, tiefgehende literarische Texte schreiben, die stark von der Norm abweichen und zugleich zumindest einigermaßen erfolgreich sind, macht das etwas risikofreudiger. Und die beherrschen ihr Handwerk definitiv, trotz ungewöhnlichen Schreibstils und Themen.

Dann gibt es noch eine andere Frage, die man sich stellen muss, wenn man veröffentlichen will: Will ich vom Schreiben leben können? Und wenn ja, wie viel Geld muss ich verdienen, damit ich zufrieden bin? Wie will ich veröffentlichen? Auch für die Verlagsuche, das Verfassen eines Exposé und so weiter gibt es viele gute Ratgeber. Da könnte man sich Anregungen holen, um sich darüber klar zu werden, in welche Richtung man überhaupt gehen will. Wenn man sich denn noch nicht für eine entschieden hat.

In vielen Fällen ist es wohl die beste Möglichkeit, eine gesunde Mischung zu schaffen. Seine ganz spezielle, unkonventionelle Handschrift und/oder Botschaft zwischen Konventionen zu verstecken. Eine ziemliche Herausforderung.  :-\
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Sturmbluth am 19. Mai 2016, 10:04:04
Zitat von: Aircaina am 19. Mai 2016, 09:58:06
Wenn man "einfach nur" veröffentlichen will, gibt es heutzutage zumindest die Möglichkeit des Selfpublishing und BoD.
Oh ja, da habe ich mich ungenau ausgedrückt. Ich meinte damit nicht nur die Tatsache, dass es das Bucht gibt (physisch und als eBook), sonder eher "Leserschaft finden". Das geht meiner Meinung nach besser mit einem (großen) Verlag, der über Vertriebsketten und Marketing verfügt. Und ich bin der Meinung, dass dafür die oben genannten "90% Handwerk" das Mittel der Wahl ist, um da hin zu kommen.


Zitat von: Aircaina am 19. Mai 2016, 09:58:06In vielen Fällen ist es wohl die beste Möglichkeit, eine gesunde Mischung zu schaffen. Seine ganz spezielle, unkonventionelle Handschrift und/oder Botschaft zwischen Konventionen zu verstecken. Eine ziemliche Herausforderung.  :-\
Sehe ich auch so. Man darf halt nur nicht vergessen, dass das Handwerk einen großen Teil einnimmt. Vielleicht nicht strikt diese 90%, aber ganz ohne, wird es schwierig.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Churke am 19. Mai 2016, 10:25:52
Zitat von: Aircaina am 19. Mai 2016, 09:58:06
Dann gibt es noch eine andere Frage, die man sich stellen muss, wenn man veröffentlichen will: Will ich vom Schreiben leben können?

In diesen Dunstkreis fällt auch das Thema, dass Regelbruch gemeinhin mehr Aufwand erfordert, als die Regel einzuhalten. Man muss sich Gedanken machen, die Alternative entwickeln und vielleicht mehrfach verbessern und verändern, bis es "stimmt." Und für den Autor im Vollberuf ist Zeit Geld...
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Fianna am 19. Mai 2016, 12:18:45
Verkauft sich auch nicht so gut wie die anderen Autoren, die das nicht tun.
Ich glaube, die meisten Vollzeit-Autoren sind Teil einer Erwerbsgemeinschaft und können nur deswegen schreiben.

Ich war vor ein paar Jahren mal ganz neugierig auf die Bücher von Oliver Pötzsch, der beim 4. Band oder so war und es war noch in jeder Buchhandlung, die ich in 2 Bundesländern besucht habe, der erste Band im Regal, teilweise sogar alle Bände.
Da er auch aus einer alten Henkersfamilie kommt, habe ich ein bisschen nach Interviews mit ihm gegoogelt.
Bei einem ging es um die Übersetzung des ersten Bandes mit Amazon Crossing ins Englische, und er antwortete auf eine Frage, dass er erst jetzt vom Schreiben leben kann und vorher quasi immer von seiner Frau mit durchgezogen wurde.
Der hatte schon 4 oder 5 sehr gut laufende Bücher raus und ich glaube, auch seine Thriller schon geschrieben - und sagte, er konnte bis vor kurzer Zeit (=vor der Übersetzung) noch nicht vom Schreiben leben.
Das fand ich ziemlich schockierend, weil ich ja aus dem TiZi soviel über Buchhandel und Remittenden usw erfahren hatte und es ziemlich ungewöhnlich fand, dass der erste bzw. alle Bücher seiner Reihe in so vielen Buchhandlungen präsent waren, ich hatte daraus direkt auf (finanziellen) Erfolg geschlossen.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Sturmbluth am 19. Mai 2016, 12:42:26
Zitat von: Fianna am 19. Mai 2016, 12:18:45Das fand ich ziemlich schockierend, weil ich ja aus dem TiZi soviel über Buchhandel und Remittenden usw erfahren hatte und es ziemlich ungewöhnlich fand, dass der erste bzw. alle Bücher seiner Reihe in so vielen Buchhandlungen präsent waren, ich hatte daraus direkt auf (finanziellen) Erfolg geschlossen.
Habe ähnliche Sache gelesen. Mir stellt sich dann immer die Frage, wieviel ein Autor vom Verkaufspreis des Buches erhält. 10%? Weniger? Klar, hängt vom Vertrag ab und der hängt am eigenen Status. Aber nimmt man 10% an, dann erhält man 1,40€ von einem Buch, das 14€ kostet. eBooks noch viel weniger.
Jeder hat unterschiedliche Ansprüche im Leben. Aber man kann mal die 1,40€ nehmen und ausrechnen, wieviele Bücher man pro Jahr verkaufen muss, um seine Lebenshaltungskosten zu decken (natürlich muss man Steuern noch abziehen!) Und dann stellt sich schnell raus, dass man entweder ganz viele Bücher schreiben muss, oder Bestseller...
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Fianna am 19. Mai 2016, 12:50:02
Laut Normvertrag sind es eher so 7 oder 8 %, es gibt da aber oft Staffelungen. Wenn man den Mega-Bestseller schreibt, bekommt man nach dem xten Exemplar mehr Prozent.

Außerdem bekommt der Autor erstmal nix pro verkauftem Exemplar, es muss erstmal der gezahlte Vorschuss "abgearbeitet" werden. Der Vorschuss wird meist in Teilen bezahlt, das heisst: man hat lange vor der Veröffentlichung schon einen Teil des Geldes bekommen, das erst noch "verdient" werden muss. Und wenn man Pech hat, ist es für die damaligen Fixkisten drauf gegangen und um die aktuellen darf man sich trotz frischer Buchveröffentlichung wieder neu kümmern. Da gibt es zur Veröffentlichung 1/3 oder 1/2 des Vorschusses, aber das ist ja auch schnell weg. So ein Vorschuss für ein Buch scheint sich bei Jungautoren in dem zu bewegen, was man (je nach Beruf) in  1-3 Monaten als Netto-Gehalt bekommt. Da muss man schnell nachliefern.

Und da gehen nicht nur die Steuern ab, sondern auch Krankenverischerung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, alles Mögliche. Krankenversicherung für Selbstständige / Selbstversicherte bewegt sich bei manchen Krankenkassen so um 300-400 € im Monat. War jedenfalls bei den gesetzlichen vor einigen Jahren noch so.

Das Geld ist schnell weg und Neues gibt es erst, wenn mehr als x Exemplare verkauft sind. Oder wenn Du ein neues Buch verkauft hast, das erst noch erscheinen muss etc, für dass es aber schon einen Bruchteil des Vorschusses bei Vertragsabschluss gibt.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Ratzefatz am 19. Mai 2016, 13:16:13
Ob Autoren vom Schreiben leben können, ist wieder eine andere Frage.

Mich beschäftigt eben die Frage, ob Verlage (und Leser!) wirklich nur Bücher lesen wollen, die sich an die althergebrachten Regeln halten. Wobei wir uns alle, denke ich, darüber einig sind, dass ein Buch gut sein muss - sprich: Es nützt nichts, sich sklavisch an alle Regeln zu halten und ein langweiliges Buch zu schreiben. Nur meinte eben meine Bekannte (soweit ich sie verstanden habe), dass ein Buch per Definition gar nicht gut sein KANN, wenn es sich nicht an alle Regeln hält.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 19. Mai 2016, 13:32:22
Einer Meiner Lieblingsautoren in den Siebzigern war SF-Autor John Brunner, der u.a. solche Klassiker geschrieben hat, "Stand on Zanzibar" und "Zhe Sheep Look up". Ich war viele Jahre später sehr betroffen, dass ein Autor dieser Klasse jedes Jahr einen Roman raushauen musste, um davon leben zu können. Er wollte seiner Frau nicht auf der Tasche liegen, die glücklcherweise nicht ohne Geld war. Die rausgehauenen Bücher lasen sich auch so. Zum Teil gute Idee und Super-Atmosphäre, aber durchaus etwas schludrig. Und das war ein Star, wenn auch nicht der Top-Riege.

@ Arcaina Und dann noch zu dem Evergreen Kunst gegen Handwerk, eine Diskussion, von der Kenner der internationalen Szene behaupten, dass sie nur in Deutschland und da nur bei der Schreiberei geführt wird: Ich gebe das einfach mal so wieder, denn ich gehöre nicht zu der Szene. Aber ich habe mehrere Jahre in einer Galerie gearbeitet und war außerdem mit einer Musikerin verbandelt. In der Malerei und der Musik, kommt niemand auf die Idee, dass Kunst ohne Handwerk möglich ist (Notenlesen gehört nicht dazu). Warum sollte das beim Schreiben anders sein. Das muss mir mal jemand erklären, auch wenn ich wenig Probleme damit habe einzugestehen, dass es Naturtalente gibt, die mit wenig Übung Großes geschaffen haben. Das gilt vor allem in der Lyrik.

Wo steckt denn die Kunst in der Literatur, wenn man vom Dadaismus mal absieht? In den Ideen, in den Sichtweisen oder Pespektiven, in der Kraft der Bilder und was einem da noch so einfällt. Das sind die 10%. Aber für die Umsetzung dieser Ideen braucht es Handwerk. Auch dann, wenn man das eine oder andere intuitiv richtig machen kann. Selbständig kraftvoll gestalten kann nur, wer das Handwerk auch beherrscht, ohne darüber nachdenken zu müssen. Wie in der Musik und wie in der Malerei. Klar ist aber auch, dass nicht jeder begnadete Handwerker gleich ein Künstler ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Shedzyala am 19. Mai 2016, 13:35:24
"Vom Schreiben leben" ist aber imo auch immer eine Definitionssache. Für einige bedeutet das Hartz 4-Niveau, während andere sich andere darunter 2k+ pro Monat vorstellen. Zumindest H4-Niveau soll als fleißiger SPler in nicht so weiter Ferne liegen, habe ich zumindest gelesen, und für die Versicherungen darf man ja zum Beispiel auch nicht die KSK vergessen. Wer aber den Druck hat, spätestens alle 2 Monate ein fertiges Wert raushauen zu müssen, wir in der Tat nicht die Muße für große Experimente haben. Da hilft das Handwerksgerüst sicher sehr weiter – was jetzt keine Wertung in Bezug auf die Qualität sein soll. Aber wer etwas Neues ausprobieren will, braucht Zeit zum Testen und auf sich wirken lassen, und die hat man dann vermutlich nicht immer in dem Maße, wie man sie gern hätte.

Zitat von: Ratzefatz am 19. Mai 2016, 13:16:13
Mich beschäftigt eben die Frage, ob Verlage (und Leser!) wirklich nur Bücher lesen wollen, die sich an die althergebrachten Regeln halten.
Zumindest bei Lesern würde ich die Theorie aufstellen, dass viele die Regeln gar nicht kennen und deshalb vor allem etwas lesen wollen, was funktioniert. Und bei den regeln weiß man, dass sie funktionieren, bei allem anderen muss man erst noch experimentieren und das kann auch schief gehen. Dieses Risiko wollen wohl nicht alle Verlage eingehen.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Fianna am 19. Mai 2016, 14:37:07
Schwierig. Der Buchhandel ist ja eher auf Leser eingestellt, die das altbewährte Rezept A, das ihnen so gut gefallen hat, in anderem Gewand nochmal lesen wollen.
Wir dürfen nie vergessen, dass wir die Ausnahme der Ausnahme sind. Der durchschnittliche Bücherkauf pro Person liegt wesentlich niedriger, die meisten Leute, die nur 1 Buch pro Monat lesen, gelten schon als Viel-Leser. Tatsächliche Vielleser sind selten, kritische Vielleser oder Noch-mehr-Leser, die sich eng mit dem Stoff auseinander setzen (z.B. Blogger, Rezensenten) sind noch seltener und Leute, die die Regeln kennen und viel lesen (z.B. lesende Autoren) sind die absolute Ausnahme.

Ein Bekannter von mir liest nur wenig mehr als 1 Buch pro Jahr. Als ich ihm in einem Jahr mehrere Bücher zum Geburtstag schenkte (weil es einige nur antiquarisch gab und ich ihm noch ein neues holte, insgesamt 3 oder 4) habe ich seinen Leserhythmus vollkommen durcheinander gebracht.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Loki am 19. Mai 2016, 16:01:20
Stimme Fianna nur teilweise zu. Der Durchschnitt sagt in dem Fall glaube ich weniger aus als man denkt. Ich kann mir eher vorstellen, dass sagen wir fünf Personen kein Buch lesen und dafür 5 dann zwei im Jahr, wenn ihr die Richtung meiner Vermutung versteht.  :winke:
Allerdings denke ich ebenfalls, dass grundsätzlich wenig über die gelesenen Bücher reflektiert wird. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich außerdem, dass die meißten nicht einmal mehr den inhalt der Bücher kennen, den sie vor mehr als einem Jahr gelesen haben.  :'(
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Aircaina am 19. Mai 2016, 18:24:22
Zitat von: Trippelschritt am 19. Mai 2016, 13:32:22
@ Arcaina Und dann noch zu dem Evergreen Kunst gegen Handwerk, eine Diskussion, von der Kenner der internationalen Szene behaupten, dass sie nur in Deutschland und da nur bei der Schreiberei geführt wird: Ich gebe das einfach mal so wieder, denn ich gehöre nicht zu der Szene. Aber ich habe mehrere Jahre in einer Galerie gearbeitet und war außerdem mit einer Musikerin verbandelt. In der Malerei und der Musik, kommt niemand auf die Idee, dass Kunst ohne Handwerk möglich ist (Notenlesen gehört nicht dazu). Warum sollte das beim Schreiben anders sein. Das muss mir mal jemand erklären, auch wenn ich wenig Probleme damit habe einzugestehen, dass es Naturtalente gibt, die mit wenig Übung Großes geschaffen haben. Das gilt vor allem in der Lyrik.

Wo steckt denn die Kunst in der Literatur, wenn man vom Dadaismus mal absieht? In den Ideen, in den Sichtweisen oder Pespektiven, in der Kraft der Bilder und was einem da noch so einfällt. Das sind die 10%. Aber für die Umsetzung dieser Ideen braucht es Handwerk. Auch dann, wenn man das eine oder andere intuitiv richtig machen kann. Selbständig kraftvoll gestalten kann nur, wer das Handwerk auch beherrscht, ohne darüber nachdenken zu müssen. Wie in der Musik und wie in der Malerei. Klar ist aber auch, dass nicht jeder begnadete Handwerker gleich ein Künstler ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Da hast du natürlich Recht.
Ich hoffe, es ist gerade nicht so rüber gekommen, als sei ich total ignorant der Meinung, das man das Kreative Schreiben niemals lernen kann. Ich wollte eigentlich nur darauf hinaus, dass ich es nie als Handwerk wahrgenommen habe, bzw. nicht erkannt habe, was für ein großer Anteil davon Literatur ausmacht. Vielleicht auch deshalb, weil ich noch nie Inspiration brauchte, sodass es mich vor einigen Jahren sehr verwirrt hat, als ich in einen Schreibratgeber gesehen habe und ein ganzes Kapitel dem Finden von Inspiration gewidmet war. Oder dem Kreieren von Figuren, was ich schon etwas Naheliegender fand, aber trotzdem nicht so recht verstanden habe, weil ich noch nie Figuren gezielt konstruiert habe. Da waren Ratgeber für mich direkt unten durch. Jetzt bin ich wohl etwas erwachsener geworden, will nicht beim reinen Hobbyschreiben bleiben und merke, wie wichtig es ist, die Tricks und Kniffe des Handwerks zu beherrschen. Es fühlt sich nur immer noch sehr seltsam an, dem eine so hohe Bedeutung zukommen zu lassen, da viele Dinge, die ich in ihnen lese für mich so selbstverständlich sind wie das Halten eines Stiftes, weil man sich manche Dinge im Laufe der Jahre zufällig selbst angeeignet hat. Und eben diese Dinge habe ich nie als handwerklich wahrgenommen.

Eigentlich interessant, dass diese Diskussion hinsichtlich Musik und Kunst nicht aufkommt.

Zitat von: Loki am 19. Mai 2016, 16:01:20
Stimme Fianna nur teilweise zu. Der Durchschnitt sagt in dem Fall glaube ich weniger aus als man denkt. Ich kann mir eher vorstellen, dass sagen wir fünf Personen kein Buch lesen und dafür 5 dann zwei im Jahr, wenn ihr die Richtung meiner Vermutung versteht.  :winke:
Man merkt aber schon, dass immer weniger Leute Bücher lesen, wenn man sich einmal umhört. Das hat sicherlich auch mit den neuen Medien zu tun. Ich kenne viele Menschen, die es hassen zu lesen, aber jeden Abend leidenschaftlich Hörbücher hören.

Zitat von: Loki am 19. Mai 2016, 16:01:20
Allerdings denke ich ebenfalls, dass grundsätzlich wenig über die gelesenen Bücher reflektiert wird. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich außerdem, dass die meißten nicht einmal mehr den inhalt der Bücher kennen, den sie vor mehr als einem Jahr gelesen haben.  :'(
Vielleicht hat der Inhalt den Leser einfach nicht gepackt. Sein Lieblingsbuch behält man natürlich länger in Erinnerung als eines, das man "mal eben" runter gelesen und erleichtert aus der Hand gelegt hat, sobald man die letzte Seite hinter sich hatte.
Das Problem, den Inhalt eines Buches sehr schnell zu vergessen, habe ich selbst sehr häufig. Da kann das Buch froh sein, wenn ich es überhaupt schaffe, es ein Jahr lang abzuspeichern.  :versteck:
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Gabryel am 20. Juni 2016, 21:01:57
Als spät dazustoßender kann ich Trippelschritt nur zustimmen; ich glaube das Problem an der Sache ist, wenn wir schreiben lernen (im Sinne von schriftlich Worte festhalten), denken wir schnell, dass wir auch schreiben könnten (im Sinne von Kunsthandwerk). Ich habe die Erfahrung im grafischen Bereich gemacht, dass viele Leute ein Bild sehen und plötzlich zu Grafikern und Kunstkritikern werden. Ja, Dinge wie eine falsche Perspektive kann man auch so erkennen lernen. Es sind dann Dinge, die auf den ersten Blick vom persönlichen Geschmack abhängen: Farben, Kompositionen, Schriftarten. Tatsächlich ist es aber so, dass es Gründe gibt, warum bestimmte Dinge gehen und andere nicht, und das muss man lernen. Die Regeln sind nie so rigide, dass sie sagen "genau so und nicht anders", sondern "dieses und jenes wird so und so wahrgenommen". Was man daraus macht, ist Sache des Künstlers / Autors.

Ganz wichtig für mich ist aber: Man muss es erstmal können. Naive Malerei mag auch ein Ding sein, aber wenn mir jemand drei Tupfen aufmalt und behauptet, er sei Expressionist, muss ich leider seine Nase in die Jugendwerke von Picasso drücken. Man muss Regeln kennen, um sie brechen zu können, und gerade bei der Schreiberei bilden sich extrem viele Leute ein, sie könnten etwas, was schlicht nicht wahr ist. Messen kann man allerdings erstmal nur das Beherrschen der deutschen Sprache, und alle Bewertung darüber hinaus obliegt eben dem eigenen Niveau. Ich persönlich denke, es schadet nicht, demütig zu sein, denn wenn du meinst, es besser zu wissen, wirst du auch nie etwas dazu lernen.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: canis lupus niger am 21. Juni 2016, 17:54:52
Manches ändert sich aber auch, weil es Moderichtungen unterworfen ist. Wenn man sich alte Bücher anguckt, wie zum Beispiel den Weltbestseller "Exodus", dann muss man sagen, dass darin gegen etliche heutige Schreibregeln verstoßen wird. Das Buch könnte man heutzutage vermutlich nicht mehr so leicht an den Mann, sprich: Verlag bringen.

Und: Der Herr der Ringe mag nach Schreibregeln ein "schlechtes" Buch sein, trotzdem haben es zigtausende Mitglieder der britischen Literarischen Gesellschaft als bedeutendstes englischsprachiges Werk aller Zeiten gewählt. Nicht als am besten geschriebenes. In dem Zusammenhang möchte ich auch eine Aussage von GRR Martin heranziehen, in der er singemäß sagt, ob jemandem ein Buch gefällt, hängt nicht immer von den Kriterien eines Verlages ab. Inhalte, die nicht plotrelevant sind, könnten zum Beispiel für den Leser höchsten Lesegenuss bedeuten, weil diesem gerade das Umstreifen im Setting Freude bereitet. Danach könnten nach meiner Ansicht gerade die epischen (und völlig ereignislosen) Ausführungen Tolkiens über die Völker und Landschaften von Mittelerde das sein, was die o.g. Leser so herausragend fanden. Terry Pratchett schrieb einmal, dass der eigentliche Hauptcharakter von Mittelerde die Mittelerde selber sei. Ich bleibe dabei: Ein Buch kann gegen Schreibregeln verstoßen, deswegen auch unverkäuflich sein. Trotzdem kann es ein Buch sein, dass Viele gerne lesen würden. Kriegt bloß keiner mit, weil es nicht auf den Markt kommt.

Man "darf" Schreibregeln schon brechen, wenn es einem nicht so wichtig ist, ob man das Manuskript verkaufen kann.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Fianna am 21. Juni 2016, 18:30:38
Es kann aber auch genau deswegen ein Erfolg werden. Agatha Christie hat einen Roman geschrieben, in dem der Ich-Erzähler der Mörder ist. Das ist heute einer ihrer bekanntesten Romane und dieses Konzept wurde gerade im Thriller-Bereich (ob Film oder Buch) gerne nachgemacht.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Cailyn am 22. Juni 2016, 16:44:13
Der Non-Konformismus in allen Ehren, aber ich glaube, dass gerade unveröffentlichten Autoren nicht geraten ist, viele Regeln zu brechen, wenn sie einen Fuss in den Buchmarkt kriegen wollen. Die Wahrscheinlichkeit, mit unkonventionellen Texten bei einem Verlag zu landen, ist sehr gering. Warum also sollte man sich Steine in den Weg legen, indem man sich über die ungeschriebenen Gesetze der Schreibkunst hinwegsetzt? Wer schon eines oder mehrere Bücher herausgebracht hat, ist da natürlich in einer ganz anderen Lage. Wer eine Leserschaft hat, kann sich viel weiter aus dem Fenster lehnen und landet damit vielleicht einen ungeahnten Coup.

Abgesehen davon habe ich bei Leuten, welche diese "Regeln" anzweifeln oft den Eindruck, dass sie sich dadurch in ihrer Kreativität beschnitten fühlen. Und das verstehe ich eigentlich gar nicht. Die meisten Ratschläge in Ratgebern beinhalten doch Punkte, die (oder irre ich?) für die meisten fast natürlich oder logisch sind. Dass sich Unterhaltungsliteratur z.B. über Konflikte und Spannungsaufbau entfaltet, ist ja nun kein Korsett, das einen Autor in starre Schranken weist. Ich vermute, jeder möchte eine spannende Geschichte erzählen und benötigt Konflikte, damit Spannung entsteht. Und es ist wohl auch jedem klar, dass es hilfreich ist, Figuren mit einer gewissen Tiefe zu kreieren (zumindest in den meisten Genres) und ihr Verhalten in der Geschichte glaubhaft darzustellen. Und den Tipp, viel wert auf die ersten Zeilen eines Werks zu legen, macht wohl auch jedem Sinn, wenn er Leser für sein Buch gewinnen möchte. Ich finde es auch sehr hilfreich, dass in Schreibratgebern Beispiele gemacht werden, anhand welcher gezeigt wird, wie man mit diversen Kniffen einen Text verbessern kann.

Es gibt aber auch kontrovers diskutierte Themen von Schreibratgebern, die ich auch nicht einfach so übernehmen kann. Gerade in Sachen Stil und Sprache gehen die Meinungen auseinander. Ajektivitis, lange oder kurze Sätze oder das Thema Infodump können da nicht wirklich in einen Rahmen gepresst werden.
Aber diese Themen spielen in Ratgebern meist eine sehr untergeordnete Rolle. Der Fokus der Schreibratgeber liegt eher auf der Erstellung von Plots und Figuren, und da habe ich noch nie etwas gelesen, was ich nicht gutheissen konnte.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Feuertraum am 23. Juni 2016, 12:08:29
Ich vergleiche das Handwerk des Schreibens immer wieder gerne mit dem Leiten eines Rollenspiels: Wenn die Helden eine Lösung für ein Problem haben, ist es egal, ob diese regelkonform ist oder nicht - zumindest ich breche die Regel, wenn es für den weiteren Verlauf gut ist.
So sehe ich es auch mit meinen Geschichten: Wenn eine Regel oder eine handwerkliche Vorgabe den Fluss der Geschichte empfindlich stören würde, ignoriere ich sie.

Was das Erreichen der Leserschaft angeht: Natürlich ist es heutzutage sehr sehr einfach, sein Buch zu veröffentlichen. Nur weil es eben sehr sehr einfach ist, läuft man eben Gefahr, dass das Buch in der Masse untergeht.
Ist da das Handwerk dann wirklich das Entscheidende? Oder sticht man nicht eher aus der Masse durch Originalität, durch eher nonkonformistische Ideen?
Bitte nicht falsch verstehen: Ich will das Handwerk des Schreibens, dessen Regeln, weder verfluchen noch verbannen und erst recht nicht verwünschen. Sie sind wichtig. Sie bieten ein Gerüst, einen "nackten Menschen", den ein Autor einkleiden soll, wobei die Kleidung aus seiner Fantasie besteht. Dabei ist zwar zu beachten, dass jedes Kleidungsstück an seinem Platz ist, aber nicht, dass auch jedes Kleidungsstück dieselbe Größe hat.
Regeln einhalten: Ja!
Regeln brechen: Ja!
Sprich: alles zum Wohle der Geschichte - sie ist es, die im Mittelpunkt steht, sie ist es, die wir aufbauen, umsorgen, groß werden lassen. Und das bedeutet einerseits gesellschaftsanerkannt und andererseits individuell.   
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 23. Juni 2016, 13:31:03
Zitat von: Fianna am 21. Juni 2016, 18:30:38
Es kann aber auch genau deswegen ein Erfolg werden. Agatha Christie hat einen Roman geschrieben, in dem der Ich-Erzähler der Mörder ist. Das ist heute einer ihrer bekanntesten Romane und dieses Konzept wurde gerade im Thriller-Bereich (ob Film oder Buch) gerne nachgemacht.

Ich kenne keine Regel, die vorschreibt, dass der Ich-Erzähler nicht der Mörder sein darf. Ich kann mir aber vorstellen, dass das einmal eine Konvention war. Das ist etwas völlig anderes, bedeutet es doch nur, sich über Lesegewohnheiten hinwegzusetzen. Und manchmal schaffen Autoren erst diese Gewohnheiten. Seit Tolkien sind Elfen schlank, hochwüchsig, in der Regel hellhäutig (mit den Dunkelelfen als Gegenpart) und haben spitze Ohren. Wohingegen im germanischen Erzählgut Elfen Elben oder Alben sind und oft nicht von Zwergen unterschieden werden können. Ich möchte einmal sehen ob ein Fantasyautor ein Geschichte über Elfen veröffentlicht bekommt, bei dem die Elfen klein, knorrig und ewig schlecht gelaunt sind. Die gemeinschaft würde aufschreien.

@ canis lupus niger
Ich bin wie Du ein Bewunderer von Tolkien. Und so auf Anhieb wüsste ich keine Schreibregel, die er verletzt hat. Hat er bestimmt, aber mir fiel es nicht ins Auge. Was man ihm häufig als plotirrelevant ankreidet, geht aber gegen des Autors Intention. Er hat gar keinen Plotroman geschrieben und auch keinen Unterhaltungsroman, obwohl viele Elemente davon vorhanden sind. Er hat eine Welt erschaffen und wollte eine Lücke füllen, denn die Edda gilt nur für den Norden, das Alte Testament und auch die Geschichte um Ur sind für den vorderen Orient geschrieben. Dann gibt es noch die römische und griechische Göttersagenwelt für den Mittelmeerraum. Aber nichts Vergleichbares für Mitteleuropa oder gar Britannien. Kurzum: Bei Tolkiens Weltenschöpferroman Plotrelevanz als Richtschnur festzulegen, geht an diesem Buch vorbei. Denn dann hätte er auch den ganzen Rahmen der Hobbits streichen können. Bilbos Geburtstagsparty wäre dann ebenso überflüssig gewesen wie die Rückkehr ins Auenland.

Wenn es aber darum geht, unbedingt ein buch auf dem Markt unterbringen zu wollen, dann darf man sich nicht allzu weit vom aktuellen Geschmack entfernen. Deswegen gibt es ja auch so wenig Neues. Wenn man aber einfach nur ein gutes Buch schreiben will, dann kann man gegen alle Konventionen anschreiben (aber nicht alle schreib- und Erzählregeln brechen) und auf das Glück hoffen und vielleicht einen neuen Trend lostreten.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Alana am 23. Juni 2016, 13:34:24
ZitatAgatha Christie hat einen Roman geschrieben, in dem der Ich-Erzähler der Mörder ist.

Das Buch ist gigantisch. Ich hatte das Glück, es ungespoilert hören zu können und das kam echt aus dem Nichts und war trotzdem logisch. Super gemacht. Deswegen sage ich immer: man kann alles machen, wenn man es kann. ;)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Cailyn am 23. Juni 2016, 13:42:35
Trippelschritt

Was Tolkien angeht, sehe ich es so wie du.
Abgesehen davon hat man vor ein paar Jahrzehnten anders gelesen und anders geschrieben.

Dass es nicht viel Neues gibt, liegt meiner Meinung nach aber nicht an den konformen Regeln wie Texte aufgebaut sind, sondern an der Kopierwut vieler Autoren. Es gibt nicht mehr so viele eigene Ideen. Modetrends werden da recycelt und zum xten Mal einfach in anderer Farbe angeboten. Manchmal hab ich das Gefühl, dass eine gute Idee dann wie eine Zitrone ausgepresst und ausgelutscht wird, weil das Rezept XY halt Geld in die Kassen spielt. Sehr schade.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 23. Juni 2016, 13:46:18
Da sind wir beide völlig einer Meinung.

Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Lothen am 04. Juli 2016, 18:41:39
Passend zum Thema hab ich heute im Camp-Nano-Talk folgendes Zitat von der Young-Adult-Autorin Natalie C. Parker gelesen:

ZitatBREAK THE RULES. It's easy to get distracted by all the "do's" and "don'ts" of storytelling. We've all heard rules. Don't use adverbs! Do use dialogue tags! Don't start with a dream sequence! Do start close to the moment of change!
Writing is about making your own rules. No one has written your manuscript before, so no one knows what's going to work until you show them. So, ignore the noise that says there's a right way to write a book and find your own rules.

Spricht mir aus der Seele! :vibes:
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Judith am 04. Juli 2016, 19:53:06
Ich freue mich manchmal richtig über viel "tell", über einen auktorialen Erzähler oder Perspektivengehüpfe. Ich empfinde das als wohltuende Abwechslung von der aktuell vorherrschenden Schreibmode. Insofern fände ich es schade, wenn sich alle immer an alle Regeln halten würden, die Schreibratgeber einem empfehlen.
Ob man die Regeln tatsächlich zuerst mal kennen muss, um sie zu brechen? Da bin ich skeptisch. Auf jeden Fall denke ich, dass es nicht unbedingt notwendig ist, aus Schreibratgebern zu lernen. Man kann auch viel (meiner Meinung nach: mehr) vom aufmerksamen Lesen lernen.
Von einigen altgriechischen und lateinischen Texten über Sprache/Rhetorik/Schreiben mal abgesehen, sind Schreibratgeber ja doch eine sehr junge Erscheinung und zahlreiche erfolgreiche Schriftsteller haben demnach ihr Handwerk auch ohne Schreibratgeber sehr gut gelernt.

(Als ich "Der Name des Windes" zu lesen begonnen habe, habe ich mich gefühlt wie ein Kind zu Weihnachten. Ein moderner Fantasyroman mit auktorialem Erzähler! WAHHH!  :vibes: Und dann kam der Ich-Erzähler.  :brüll:)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 05. Juli 2016, 09:16:47
Zitat von: Lothen am 04. Juli 2016, 18:41:39
Passend zum Thema hab ich heute im Camp-Nano-Talk folgendes Zitat von der Young-Adult-Autorin Natalie C. Parker gelesen:

ZitatBREAK THE RULES. It's easy to get distracted by all the "do's" and "don'ts" of storytelling. We've all heard rules. Don't use adverbs! Do use dialogue tags! Don't start with a dream sequence! Do start close to the moment of change!
Writing is about making your own rules. No one has written your manuscript before, so no one knows what's going to work until you show them. So, ignore the noise that says there's a right way to write a book and find your own rules.

Spricht mir aus der Seele! :vibes:


Lol, es gibt solche und solche Regeln. Und an solche rEgeln muss man sich nicht halten.  ;)
Trippelschritt
(mag es heute kryptisch)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Cailyn am 06. Juli 2016, 11:15:18
Lothen

Ich glaube, es ist sehr wichtig, für sich zu entscheiden, was man mit dem Schreiben erreichen will. Wenn man ein richtiger "Outlaw" ist, etwas rebellisch und künstlerische Ansprüche hat, die entfaltet werden wollen, dann ist das, was du zitiert hast kein Problem. Dann gehst du deinen Weg und wirst damit glücklich. Aber wenn man z.B. zum Ziel hat, bei einem Publikumsverlag zu enden, wird es mit dieser Einstellung sehr schwierig. Der Büchermarkt ist ein Business und keine Künstlerbühne. Wenn man damit Geld verdienen und viele Leser erreichen will, dann bin ich persönlich überzeugt, kommt man nicht um viele "Regeln" herum. Denn Regeln entstehen ja nicht aus den Aussagen von jemand, der Schreibende unterdrücken will, sondern aus einem Konsens, was der Leser heutzutage lesen möchte.

Natürlich gibt es Ausnahmen, Autoren, die die Regeln gebrochen haben und gerade darum erfolgreich geworden sind. Aber erstens sind das die Allerwenigsten, und zweitens häufig nicht Erstautoren, die mit Konventionen brechen.

Ich glaube ganz ehrlich, dass wenn man dem künstlerischem Eigensinn wie einer Karotte hinterher läuft, damit zu 99% damit keinen Erfolg haben wird.  Wenn das für einen stimmt, ist das völlig ok. Wenn man hofft, mit den Abweichungen den Coup seines Lebens zu machen, auch ok. Aber es schmälert einfach massiv die Chancen, ein grosses Publikum für die eigenen Geschichten zu finden. 
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Siara am 07. Juli 2016, 12:09:54
Zu Lothens Zitat: Es verlangt ja nicht, sich einfach aus reinem Eigensinn und Rebellentum über die Regeln hinwegzusetzen. Für mich bedeutet diese Aussage nicht, dass man einfach alles ignorieren sollte, was man je über gute Literatur gelesen hat. Sondern nur, dass die Geschichte über den Regeln stehen sollte. Wenn die Regen zu eng sind, sollte man eben eher das Korsett weiter nähen als der Geschichte die Luft abzudrücken. Das Zitat besagt, es sei leicht, sich von den Regen "ablenken" zu lassen. Ablenken von dem, was eigentlich wichtig ist, nämlich eine gute Geschichte zu erzählen. Was, wenn ein Traum am Anfang der Handlung für eine bestimmte Erzählung genau der richtige Einstieg wäre, sich richtig anfühlt und toll liest - ist es richtig, ihn wegzulassen, nur weil in den Regeln davon abgeraten wird? Mir gefällt das Zitat. Man sollte es nur keinem von sich selbst eingenommenen Künstler vorlegen, der seine Werke für das Optimum der Literatur und geniale Meisterstücke hält, die jeder Kritik überlegen sind.  :P
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 08. Juli 2016, 06:53:34
Wenn ich ehrlich sein soll, kenne ich gar nicht so viele Regeln. Ich weiß nur von Dingen, die funktionieren und solchen, die nicht funktionieren. Und dann wieder andere, die schwierig zu handhaben sind. Mein Lieblingsbeispiel ist "show, don't tell". Das ist keine Regel, sondern eine Empfehlung und jeder Schreiber weiß, dass es in einer Geschichte narrative Passagen geben muss. Man kann sogar ganze Geschichten narrativ erzählen, aber das ist äußerst schwierig und erfordert eine besondere Technik und ganz viel Gespür. Eine wirkliche Regel, bei deren Übertretung man vom Leser bestraft wird, ist es nicht. Und so ist es auch mit den meisten anderen sogenannten Regeln.
Ich würde auch nie eine Geschichte in der zweiten Person schreiben. Warum nicht? Weil ich solche Geschcihten nicht lesen mag. Und doch hat Werner Lansburgh mit Dear Doosie ein wunderschönes Buch geschrieben, für dessen Thema er das Gespräch oder die Briefform gewählt hat und es gar nicht anders geschrieben hätte werden können.
Ein autor muss ein Gespür dafür entwickeln, was funktioniert und was nicht, und aus, was wo funktioniert und was wo nicht. Und er darf auch experimentieren. Achtung: Es gibt keine Regelüberwachungsstelle und auch keine anderen Autoritäten, an denen es sich lohnt zu reiben. Eines Autors Geschichten werden aber erst dann gern gelesen, wenn er dieses Gespür des Erzählens besitzt.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Zit am 18. Juli 2016, 12:15:58
Hm, ich schließe mich dennoch Siara und Lothen an. Vor ganzen Ratgebern und Schreib"regeln" kann man manchmal schon den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen und dann überhaupt nicht mehr zum Schreiben kommen. Wenn man schreibt, sollte man solche Sachen einfach ignorieren, da sie nicht zum kreativen Teil unseres Hirns passen sondern zum logischen. Mit dem logischen Teil sind wir selbst der Lektor -- aber Lektoren schreiben keine Geschichten. Das Brechen der Regeln kann man also während des Schreibens anwenden. Früher oder später merkt man doch, was funktioniert und was nicht. Und wenn es nicht klappt, ändert man es eben. Die Geschichte aber nach gewissen Punkten abzuklopfen, kann man hinterher.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Mondfräulein am 18. Juli 2016, 12:26:43
Es gibt nicht einen kreativen Teil unseres Gehirns und einen Logischen. Natürlich kann man sich während des Schreibens und kreativen Schaffens auf den logischen Regelaspekt besinnen - jeder kreative Prozess erfordert schließlich auch ein gewisses Maß an Expertise. Ich denke eher, dass da jeder für sich selbst einen Weg finden muss. Die einen schreiben erstmal drauf los und denken hinterher darüber nach, was da jetzt funktioniert hat und was nicht. Die anderen sind sich dessen schon beim Schreiben bewusst und gehen sehr behutsam mit ihren Sätzen um. Beides sind Prozesse, die sehr gut funktionieren und zum gleichen guten Ergebnis führen können. Es gibt eben auch beim Umgang mit Regeln kein Allheilmittel, das für jeden funktioniert.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 19. Juli 2016, 07:26:41
Ich kann immer nur dazu raten, an die Schreibregeln viel gelassener heranzugehen, als manche unter es hier tun. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Einige glauben, wenn sie sich an alle regeln halten, dass dann eine gute Geschichte dabei herauskommen muss. Nein, wird es nicht. Ganz im Gegenteil. Aber wenn sich dann herausstellt, dass genau das nicht klappt, muss man nicht gleich auf die Ratgeber schimpfen oder alles, was darin aufgelstet ist, verwerfen.
Scheibratgeber sind nichts anderes als Erfahrungen etablierter Kollegen. Und jeder dieser Kollegen tickt anders und sieht andere Schwwerpunkte. Und keiner von denen hat Recht, aber auch nicht Unrecht. Ich meine, dass am Anfang einer Geschichte immer eine Idee steht, die jemand erzählen möchte. Also, fangt an zu erzählen. Und parallel dazu kann man auch mal einen Schreibratgber lesen. Und vielleicht schlägt eines der Kapitel dann mal funken und man übernimmt die Funken ins eine eigene Geschichte. So ging es mir, als ich Sol Stein las und prompt ein paar Szenen völlig anders schrieb, als ich es sonst getan hätte. Ich habe also ein paar Anregungen aufgenommen nicht mehr. Und später dann andere Anregungen. Und dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen. Aber dafür habe ich einige der Regeln mittlerweile verinnerlicht und denke gar nicht mehr darüber nach. Ist wie beim Klavier- oder Gitarrespielen. Nur am Anfang muss man übern, wohin man die Finger setzt. Wer später noch darüber nachdenkt, wird nie ein Musiker.

In diesem Sinne.
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Cailyn am 20. Juli 2016, 15:03:39
Für mich persönlich halte ich es mit den Regeln in verschiedenen Phasen des Schreibens anders.

Beim Plotten versuche ich einige Regeln von Anfang an einzuhalten wie Konflikte in jeder Szene, Spannungsaufbau etc. Und ich nehme mir da auch diverse Plotmuster zu Hilfe, wie z.B. das 7-Punkte-System. Danach kommt der Erstentwurf, wo ich Regeln bewusst in den Hintergrund schiebe, da sonst mein Schreibfluss darunter leiden würde. Bei der Überarbeitung, wenn was unstimmig ist, denke ich an die Ratgeber und schaue, ob ich damit was optimieren kann. In dieser Phase sind einige Tipps Gold wert.

In diesem Sinne stimme ich Trippelschritt zu. Man darf es nicht zu eng sehen. Und man sollte die Regeln so einsetzen, dass sie einen nicht aus dem Flow bringen. Allerdings finde ich schon, dass es wichtig ist, die Regeln zu kennen, damit man sie auch bewusst ignorieren kann. Ich glaube einfach, es gibt selten Autoren, die ein derart gutes Schreibfeeling haben, dass sie auf ganz unmotivierte Weise ein stimmiges Werk schreiben. Wer das kann, dem gratuliere ich. Aber ich vermute mal, dazu gehören die meisten von hier nicht. Sonst wäre das Forum voller erfolgreicher Bestseller-Autoren  ;)
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Zit am 20. Juli 2016, 17:39:48
Zitat von: Mondfräulein am 18. Juli 2016, 12:26:43
Es gibt nicht einen kreativen Teil unseres Gehirns und einen Logischen.

Dann nenne es kreativen Aspekt der Arbeit und logischen. Oder den schöpferen Teil und den korrigierenden. Ist gehüpft wie gesprungen. Der Punkt bleibt: Sobald man versucht, da logisch ranzugehen und immer wieder Lehrsätze im Kopf wälzt, kommt der innere Lektor zum Zug. Wie gesagt können Lektoren aber nicht schreiben und am Ende blockiert man sich selbst.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 21. Juli 2016, 08:47:31
Es gibt nichts Wichtigeres als den Flow, weil der Flow immer eine Geschichte produziert, gleichgültig ob er schon schreiben kann oder noch nicht. Ein großer Schriftsteller mag gleich im ersten Entwurf eine akzeptable Geschcihte präsentieren, der Anfänger vorwiegend Murks. Und trotzdem. Da steht jetzt eine Geschichte auf dem Papier, mit der sich arbeiten lässt. Der große Schriftsteller weiß, woauf er achten muss und braucht - möglicherweise - nur zwei Korrekturdruchgänge bis zum Betaleser oder dem Lektorat. Der Anfänger, der noch keine Regeln beherrscht und sie parallel zur korrektur noch lernen muss, vielleicht fünfundzwanzig. Egal. am Ende steht auch beim ihm eine bessere Geschichte, als er es sich jemals hat vorstellen können.
Und wer jetzt vielleicht bezweifelt, was ich hier geschrieben habe, der soll mal bedenken, wie viele Tizis und andere darüber klagen, erst gar keine Geschcihte auf die Beine tellen zu können und bei Ideen und Textbrocken hängen bleiben und resigniert aufgeben.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Araluen am 21. Juli 2016, 08:56:40
Da kann ich nur zustimmen @Trippelschritt. Ich steh mir auch immer selbst im Weg, weil ich beim Schreiben zu viel denke, korrigiere und am Ende am besten alles wieder lösche. Seit meinem ersten NaNo halte ich mich aber an das Credo: Erst schreiben, dann denken (über das wie). Am Ende habe ich mir im Grunde selbst die Geschichte erzählt, die mir im Kopf herum spukte. Vor allem schreibe ich Geschichten nun fertig und bleibe nicht nur an Textfragmenten hängen. In der Überarbeitung denke ich dann darüber nach, was ich da eigentlich tue und wie die Geschichte so gestaltet werden kann, dass sie auch für andere lesbar ist. Bisher war ich immer erstaunt wie sehr sich das Geschriebene verändert und vor allem mit jeder Korrekturrunde besser wird. Und ein Schreibflow ist etwas wunderbares. Daraus wieder aufzutauchen ist immer ein seltsames Gefühl, als wäre man lange getaucht und nun wieder an der Oberfläche.
Titel: Re: Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?
Beitrag von: Cailyn am 22. Juli 2016, 17:25:28
Araluen
Als deine Patin freu ich mich dann schon auf deinen nächsten Flow  :vibes: