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Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?

Begonnen von Ratzefatz, 04. Mai 2016, 07:00:17

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LinaFranken

#30
Zitat von: Dämmerungshexe am 04. Mai 2016, 17:36:58
Lina, doch, auch in kreativen Berufen braucht es Regeln an die man sich halten muss, weil sonst der Zweck der Arbeit nicht erfüllt wird. Es ist immerhin Handwerk, nicht Kunst.

Da würde ich definitiv widersprechen. Sicher ist es auch eine Frage des Geschmacks und des Blickwinkels und der persönlichen Vorlieben, aber ich zähle das Schreiben definitiv zu Kunst, denn das Ergebnis ist nichts was sich als Gebrauchsgegenstand benutzen lässt, sondern etwas, das den Geist erfreut. (Sachbücher mal außen vor gelassen). Mag man den alten Griechen glauben schenken, zählten auch einige Wissenschaften zu kreativen Tätigkeiten, die eine eigene Muse erhielten. Wenn es im alten Rom also schon Musen gab, die einen Astronomen beflügeln sollten die Geheimnisse des Himmels zu erforschen, dann ist das Schreiben von Romanen als nachfolge der Lyrik doch erst recht eine Tätigkeit, die in erster Linie aus Kreativität und Ideen geboren wird.
Starre Regeln (der Ampel-Vergleich ist wirklich erschreckend) beschneiden die Kreativität und zwängen sie in ein Korsett, das einem Käfig gleicht und was sich am Ende durch die Gitterstäbe des Käfigs quetscht, ist in Scheiben geschnittener Einheitsbrei, der niemanden von Stuhl haut. Wieso nicht nach den Sternen suchen? Nach starren Regeln können wir unsere Steuererklärung machen. Aber wenn das Schreiben so durchreglementiert wäre wie die Steuer, dann wäre der ganze Spaß daran ermordet. Es sei denn man hat Spaß am Schreiben einer Steuererklärung  ;) Es spricht nichts dagegen Ratschläge anzunehmen oder sich Tipps zu holen, diese Regeln aber als ein Muss zu sehen (wie in der Ausgangsfrage) halte ich für schlichtweg falsch. Die berühmtesten Künstler sind berühmt geworden, weil sie sich eben vom Regel-Einheits-Brei abgehoben haben.

Alana

ZitatEs spricht nichts dagegen Ratschläge anzunehmen oder sich Tipps zu holen, diese Regeln aber als ein Muss zu sehen (wie in der Ausgangsfrage) halte ich für schlichtweg falsch.

Dann sind wir uns ja einig. ;)

@Guddy: Eben. Deswegen ärgert mich Ratgeber-Bashing immer etwas. :) Allerdings bezweifle ich, dass man durch reine Übung ohne Input neuen Wissens (mit welcher Methode auch immer) oder Kritik von Fachkundigen wirklich besser werden kann.
Alhambrana

Zit

#32
@Dämmerungshexe

Grafikerin, die Kundenaufträge erfüllen muss: Ja, da hast du wohl recht.
Aber wenn du Sachen für dich alleine, um ihrer selbst Willen machst, spielst du dann nicht gerade mit den Regeln? Kann Literatur nicht auch Kunst sein?

Bei Auftragsarbeiten mag das vll. etwas anderes sein, gerade wenn es Reihen sind, deren Identität sich nicht nur auf gemeinsame Figuren beschränkt sondern auch die Art zu erzählen einbezieht. Im Laufe der Zeit haben sich bestimmte Kniffe entwickelt, die bei vielen Menschen zünden, aber im Grunde ist das alles eine Frage der Gewöhnung. Schaut euch mal Filme von vor dreißig, fünfzig, neunzig Jahren und von heute an. Vieles ist natürlich auch auf technischen Einschränkungen begründet, dennoch hat sich die Art, Filme zu drehen, stark verändert. Das betrifft nicht nur das Erzähltempo und Charakterdynamiken. Ich habe mir gestern die ersten drei Jurassic Park-Filme hintereinander angeguckt (entstanden 93, 97, 2001) und schon da lässt sich eine Entwicklung erkennen, die im Vergleich zum letzten Film nochmals eine ganz andere ist. Anderes Thema: Computerspiele. Die cineastische Erzählweise von Mass Effect hat nicht mehr viel gemein mit dem Terminator-Spiel auf dem Sega Megadrive von 92 ...
Nur: Sich weiterentwickeln und neue Standarts schaffen kann man nur, wenn man sich von den alten Standarts löst und auch mal Neues und Abgedrehtes wagt. Sonst wäre Breaking Bad ja auch nicht so eingeschlagen.
Das einzige, was uns vll. im Weg steht, wäre das Genre, weil die Eigenheit eines Genres ja auf bestimmten Elementen und Kniffen beruht. Aber letztlich ist das auch nur wieder Marketing. Als Schriftsteller kann es mir ja egal sein, ob das nun Fantasy, Phantastik oder magischer Realismus ist, was ich schreibe. Hauptsache, ich schreibe die Geschichte so, dass ich ihr gerecht werde. Ob das nun 90-60-90-Kapitel sind oder so viel Fluff dass selbst Tribbles wie Nacktmulle aussehen, ist mir als Erschaffer doch unbenommen.

Was Schreibratgeber anbelangt, so muss ich gestehen, dass die so ein Guilty Pleasure von mir sind. ;D Wobei ich sie nicht als Rezeptesammlung oder Bauplan verstehe sondern als einen Dialog: "So mache ich das, womöglich hilft es dir ja." Den heiligen Gral habe ich jedenfalls noch nie gefunden, wenn ich einfach nur kopiert habe. (Was nicht heißt, dass ich ihn habe.)

edit:  :d'oh: Schon wieder 4 neue Beiträge. Aber ich sehe, im Kern sind wir uns doch zu 90% einig, oder?
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Siara

#33
Zum Thema geäußert hatte ich mich ja schon. Allerdings spukte da ein alter Threadtitel in meinem Kopf - einen Thread zum Thema gab es schon einmal. Nur, falls sie vielleicht jemand zusammenführen will.  Haltet euch an die Regeln! - Oder auch nicht.

Was Schreibratgeber angeht: Mein erster Roman ist damals komplett ohne Ratgeber entstanden. Im Nachhinein betrachtet stimmt der Aufbau, der Spannungsbogen, der Stil ist von mies weit entfernt. Er ist vollkommen aus dem Gefühl (und aus der Erfahrung als Leser) hervorgegangen. Damals war ich 12-17, und das ein oder andere Charakterklischee ist wirklich übel. Aber abgesehen davon halte ich diesen Roman bis heute für das Beste aus meiner Feder. Danach kamen die Schreibratgeber, und der Verstand hat eingesetzt. Damit ließen sich sicherlich einige grobe Schnitzer ausbügeln, aber es ist sehr schwer geworden, das richtige Gefühl für den Roman zu entwickeln. Manchmal würde ich die Regeln während des Schreibens gerne ins Vergessen schieben und dann zum Überarbeiten wieder rauskramen. ;D

Zitat von: Lina Franken am 04. Mai 2016, 18:51:04
Zitat von: Dämmerungshexe am 04. Mai 2016, 17:36:58
Lina, doch, auch in kreativen Berufen braucht es Regeln an die man sich halten muss, weil sonst der Zweck der Arbeit nicht erfüllt wird. Es ist immerhin Handwerk, nicht Kunst.

Da würde ich definitiv widersprechen. Sicher ist es auch eine Frage des Geschmacks und des Blickwinkels und der persönlichen Vorlieben, aber ich zähle das Schreiben definitiv zu Kunst, denn das Ergebnis ist nichts was sich als Gebrauchsgegenstand benutzen lässt, sondern etwas, das den Geist erfreut.
Ja, Literatur zähle ich auch zur Kunst. Aber seit wann widersprechen sich Kunst und Handwerk? Ein Bildhauer muss auch lernen, mit dem Meißel umzugehen, auch beim Malen gibt es Techniken, die verschiedene Effekte hervorrufen und die sich gute Maler aneignen, um ihre Möglichkeiten zu erweitern. Literatur ist Kunst. Aber das ist kein Argument gegen das Aneignen der "Regeln", wenn ich sie auch wie gesagt eher als Handwerkszeug betrachte, dessen man sich bedienen kann. Was das Endergebnis angeht, Lina Franken, stimme ich dir also weitestgehend zu.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Slenderella

Ich lese keine Schreibratgeber. Noch nie einen in der Hand gehabt. Frag mich immer, was diese Leute denn dolles geschrieben haben, damit sie meinen Tipps geben zu können. Recherchiert man, ist es es meistens nicht der Rede wert. Was soll ich dann mit deren Tipps?

Kann derzeit nicht meckern, ergo mach ich wohl was richtig :D
Ich würde dafür auch kein Geld und keine Zeit investieren, genauso wie ich keine Autorenkurse besuchen würde. Das macht auch nicht den nächsten Bestseller aus. Sonst würde es ja jeder tun können ;)
Ich brauch noch eine Katze
Und ein Beil wär nicht verkehrt
Denn ich gehe heute abend
Auf ein Splatter-Pop-Konzert

Fianna

@Alana
Ich denke, viele Leute, die Schreibratgeber ablehnen, nutzen sie indirekt doch. Inzwischen gibt es so viele Blogger (oder Autoren-Foren ;) , die über dort vermittelte Plot- oder Schreibtechniken sprechen, so dass man die Informationen auch ohne Ratgeber erlangen kann.

Jeder hat sich doch  was zu Drei-Akter oder "show, don't tell" durchgelesen oder sogar gezielt bestimmte Begriffe gesucht. Frei von Ratgeber-Wissen ist hier sicher kaum einer, auch wenn man selnst keinen gelesen hat.

Ich bin mal Zeuge einer komischen Diskussion in der SWS geworden und hatte dann einige Zeit Ratgeber bewusst vermieden, sondern nur die Techniken ergooglet auf Blogs, weil mich so abgeschreckt hatte, was man da auf der Meta-Ebene aufgedrückt bekam.

Coppelia

#36
Ich habe früher auch viele Schreibratgeber gelesen, und viele Ratschläge habe ich heute noch verinnertlicht. Vielleicht sollte ich auch mal wieder ein paar mehr lesen, denn es hat mir immer viel Spaß gemacht. Die Tipps fand ich immer ziemlich sinnvoll. Nicht alle, aber die meisten. Da ich lernen wollte, markttauglich zu schreiben, war ich über die Hinweise froh und glaube, mich dadurch auch wirklich verbessert zu haben. Ich war aber in meinen Ansichten wohl auch relativ rigoros und hätte nicht viele Abweichungen von den "Regeln" zugelassen.
An der Uni hatte ich dann einige Jahre Erzählperspektive als Forschungsschwerpunkt und habe mich wirklich viel damit beschäftigt (leider nimmt das Wissen schnell wieder ab, wenn man sich nicht weiterhin damit befasst). Dabei fiel mir auf, was man mit der bestimmten Verwendung von Erzählperspektive alles bewirken kann; einiges mehr, als in den Schreibratgebern steht. Und mir fiel auch auf, dass viele meiner Vorbildautoren (Richard Adams, Michael Ende, Astrid Lindgren, um nur mal ein paar zu nennen) gern von dem abweichen, was in Schreibratgebern zur Verwendung von Erzählperspektive geraten wird. Das hatte ich vorher nicht so deutlich gemerkt, weil ich vorher die Analysemethoden noch nicht so gut kannte. Und weil ich dann auch meine eigenen Texte analysieren konnte, fiel mir auf, dass es bei mir ebenfalls Perspektiven-Abweichungen gab, obwohl ich der Meinung gewesen war, dass ich die Perspektive streng nach Ratgebertipps eingehalten hatte. Das hat mich erstaunt.

Mir wurde aber auch noch etwas anderes klar, worüber man normalerweise nicht viel nachdenkt. Die "Regeln" zum Gebrauch von Erzählperspektive sind ziemlich neu. Romane werden eigentlich traditionell eben nicht zwangsläufig rein aus der Sicht von Figuren erzählt (Ausnahme sind Briefromane u. ä.). Normal ist eher ein eher schneller Wechsel der Perspektive des Erzählers und der Figuren, die gerade wichtig sind. Das ist auch schon bei Homers Ilias so, und das kann man auch z. B. in "Unten am Fluss" sehen, einem meiner Lieblingsromane.
Die moderne "Regel", rein aus der Sicht einer Figur (oder mehrerer im Wechsel) zu schreiben, hängt sicher damit zusammen, dass der Text umso spannender wirkt, je mehr man mit einer Figur mitfiebern kann. (Möglicherweise ist das auch ein Grund dafür, warum "alte" Romane, auch Klassiker, von uns häufig als langweiliger empfunden werden als neue.) Das kann man am besten, wenn man in ihrem Kopf ist. Und ein Roman ist besser verkäuflich, wenn er spanend ist. Ich denke also, dass wirtschaftliche Gründe für diese "Regeln" mit, wenn nicht sogar ausschließlich, verantwortlich sind. Ich meine, die Ratgeber raten ja nie, wie man einen anspruchsvollen, tiefgründigen, komplexen, unsterblichen Roman schreibt, sondern immer nur einen erfolgreichen, oder? :D

Seitdem habe ich ganz selten mal beim Schreiben bewusst "Regeln" zum Gebrauch der Erzählperspektive gebrochen, wenn ich es mir vorher genau überlegt hatte. Aber insgesamt habe ich meinen Schreibstil nicht geändert. Ich will ja, dass die Leser mit meinen Figuren mitfiebern und dass sie die Geschichte möglichst spannend finden. Und natürlich will ich verkaufen! ;)

Ich vermute, dass es bei anderen "Regeln" ähnlich ist. Sie sind in meinen Augen Vereinfachungen ziemlich komplizierter literarischer Zusammenhänge. Für wirtschaftlichen Erfolg würde ich persönlich sie beherzigen, aber ich halte sie auch für eine Mode, die sich jederzeit wieder ändern kann - wenn sich etwas Profitableres angefunden hat. Jedem steht frei zu sagen "Da mach ich nicht mit, Goethe hat sich auch nicht an diese Regeln gehalten", aber Goethe war zu seiner Zeit ein Trendautor, und unsere Zeit hat ihre eigenen Trends. Und bei Trends besteht immer die Gefahr, dass man sich selbst keinen Gefallen tut, wenn man sich zu weit davon entfernt. :P

LinaFranken

Coppelia, ich muss jetzt dringend loswerden, dass du das wunderschön auf den Punkt gebracht hast.

Trippelschritt

Ein wahrscheinlich ewig andauernder Streit. Ich bin ein klarer Fan von Schreibratgebern und habe wirklich viel aus ihnen gelernt und würde heute nicht so schreiben, wie ich schreibe. Allerdings gibt es da ein paar Fallstricke.
- Wenn ich mich wirklich beim Schreiben verbessern will und möchte weiterlernen, sind sie nicht die ultima ratio, sondern nur ein Hilfsmittel zur Verbesserung der Fähigkeiten und Fertigkeiten
- Mit Regeln kann ich leben, denn die lassen sich verbiegen. Gesetze würde ich gern durch das Wort Gesetzmäßigkeiten ersetzen. Die sind flexibler in der Handhabung.
- Nicht jeder Ratgeber taugt etwas
- und nicht jeder Ratgeber, der etwas taugt, sagt mir etwas, weil ich in meiner eigenen Entwicklung noch nicht so weit oder schon viel weiter bin.
- man kann aus einigen Schreibratgebern schnell herauswachsen

- und ohne selbst ständig zu schreiben ist ohnehin alles für die Katz.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Araluen

Ich würde beim Schreiben ungern von Regeln und Gesetzen reden. Ich sehe da nirgendwo ein MUSS. Sonst würden alle Autoren irgendwann ihre Bücher in ein und derselben Form schreiben.
Schreibratgeber sind eine schöne Sache und eine gute Hilfe, um seinen eigenen Schwächen auf die Spur zu kommen und auf der Suche nach Fortschritt die Scheuklappen abzunehmen. Ich würde darin aber nie die Grundfesten der Schriftstellerei sehen und irgendwelche Formulierungen für das Ende der Weisheit halten. Natürlich bewähren sich viele Tipps und an einige Dinge hält man sich intuitiv. Aber man muss nicht zwingend damit arbeiten, um ein gutes Werk abzuliefern.

Mondfräulein

Die starre Haltung deiner Bekannten empfinde ich als fast schon etwas verbohrt, Ratzefatz. Ich habe früher viele Schreibratgeber gelesen, viele Blogs im Internet, die einem die Zauberformel für einen guten Roman präsentieren wollten, und ich habe mich immer an einen Grundsatz gehalten: Was dort propagiert wird, ist nicht als Regel zu verstehen, sondern eher als Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Zum Beispiel wenn es heißt, dass ich deutlich machen sollte, wer was sagt, weil der Leser sonst verwirrt ist und nicht mehr weiß, was von wem kommt. Vielleicht will ich in einer Szene aber, dass genau das passiert und tue es dann nicht. Das heißt, ich muss den Sinn so einer "Regel" verstehen, dann weiß ich, wann ich sie anwenden sollte und wann brechen. Das ist ein wenig wie Chemie - wenn ich Magnesium anzünde, fängt es an zu brennen. Die Regel wäre also, zünde kein Magnesium an, außer, du willst, dass es brennt. Deine Bekannte sagt nun, du sollst unter keinen Umständen niemals nie Magnesium anzünden, aber das ist Unsinn. Manchmal ist das eben gut und nützlich, zum Beispiel bei Taucherfackeln, ich glaube, die funktionieren mit Magnesium.

Maggie Stiefvater hat in einem Roman ein Kapitel, das nur einen Satz lang ist. Kann man machen und fand ich super. Zu sagen, dass sie das nicht machen darf, weil man das eben nicht so macht, ist genauso dumm wie zu sagen, dass man grundsätzlich keine Kommas setzen sollte, weil das jeder so macht, oder zu sagen, dass man bitte nur Herr der Ringe mit anderen Namen schreiben soll, weil man das ja so macht. Wenn man die Regel nicht versteht und nur blind anwendet, dann hat man genauso wenig Ahnung wie jemand, der sie einfach stur und reiner Rebellion bricht. Regeln stur anzuwenden macht mich nicht zu einem besseren Schriftsteller, nur zu einem, der besser verbirgt, dass er keine Ahnung hat.

Das heißt, ich kann im Prinzip alles machen - ich muss nur wissen, warum ich es tue. Und da liegt denke ich der Grund, warum so viele auf die sture Einhaltung der Regeln pochen. Es ist relativ einfach, so eine Regel zu lesen und anzuwenden. Sie zu verstehen und sich beim Schreiben darüber bewusst zu sein, warum ich etwas tue, ist jedoch sehr viel schwieriger, erfordert mehr Übung, mehr Auseinandersetzung mit der Materie, mehr Erfahrung und ist überhaupt viel kompliziter. Wenn ich es so mache, kann ich nämlich nicht einfach bei jeder offenen Frage einfach der Regel folgen - ich muss darüber nachdenken, was ich in der Szene erreichen will und entscheiden, wie ich das am besten tue. Wenn ich die Regel für mich entscheiden lasse, mache ich es mir selbst sehr viel leichter. Das heißt nicht, dass ich der Regel grundsätzlich nicht folgen soll, ich halte mich auch an viele Dinge, die in solchen Regelbüchern stehen, aber es heißt, dass ich manchmal mehr über mein Schreiben nachdenken muss als nur "Die Regel sagt das und das, also sollte ich das auch so befolgen".

Hinzu kommt natürlich auch noch sowas wie Geschmack und persönliche Präferenz. Eine Regel wird von jemandem gemacht, der nicht frei von seiner eigenen Meinung ist. Beispielsweise hat Jonathan Stroud in Bartimäus Fußnoten eingefügt, die viele Leser als wahnsinnig störend empfanden - ich fand sie super. Ich habe mich über jede Fußnote gefreut und fand das Konzept beim Lesen total genial. Verschiedene Leser reagieren unterschiedlich auf dasselbe Stilmittel. Der eine führt die Regel ein, keine Fußnoten zu verwenden, der andere plädiert leidenschaftlich dafür, dass das jeder Autor tun sollte - wer will dann noch sagen, wer von beiden Recht hat? Den einen stören unterschiedliche Kapitellängen, mir persönlich ist das sowas von egal. Ich glaube, mir fällt überhaupt nicht auf, wie lang Kapitel in den Büchern, die ich lese, sonst so sind. Was eine Person als absolute Grundregel propagiert, können andere also auch wieder ganz anders sehen.

wortglauberin

#41
Natürlich ist das Schreiben ein Handwerk, dessen Grundlagen man ersteinmal beherrschen sollte, bevor man sich daran macht, althergebrachte Konventionen durcheinanderzuwirbeln; aber, wie Mondfräulein sagte: solange man sich im Klaren darüber ist, weshalb man das tut, spricht meiner Meinung nach nichts dagegen.
Ich kann natürlich nur von mir sprechen, aber ist das nicht ohnehin das Ziel bei allem, was man schreibt? Was möchte ich mit dem, was ich gerade tue, beim Lesenden bewirken? Und wenn eine der festgeschriebenen Methoden das nicht tut, sucht man sich eben eine eigene.
Ich glaube, durch solche "Wagnisse" bzw. dadurch, dass man eben vom vorgezeichneten Weg abweicht, können auch ganz neue Dinge entstehen- einige Genres (beispielsweise der Briefroman) und sogar der klassische Roman selbst sind, wie Lina Franken schon meinte, dadurch entstanden, dass die Autoren neue Wege eingeschlagen haben.

Was ich als viel Schwieriger erachte, ist, einmal gelernte "Regeln" wieder loszuwerden; Dinge wie "vermeide zu viele Adjektive" oder "show, don't tell" haben sicherlich ihre Berechtigung, halten einen aber vielelicht auch manchmal davon ab, ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln oder seinen eigenen Schreibstil zu finden- und ich erwische mich sehr häufig dabei, wie ich mich sozusagen selbst "zensiere", weil ich denke, man "dürfe" nicht so schreiben, wie ich in diesem Moment möchte.

Cailyn

Ich bin ein Fan von Schreibratgebern. Aber ich richte mich nicht per se danach. Ich betrachte Schreibratgeber als "gebender Rat", falls etwas in meinem Projekt unstimmig ist. Meistens plotte ich was, und wenn es mir noch nicht 100% gut vorkommt, dann nehme ich mal wieder die Schreibratgeber zur Hand und gehe mal alle Punkte durch. Dann fällt mir oft auf: Aha, das hast du komplett anders gemacht. Also ändere ich den Plot und binde den Ratschlag ein. Funktioniert nicht immer, aber manchmal ist es ein Volltreffer.

Viele fühlen sich von Ratgerbern immer gleich in ihrer Autorenfreiheit beschnitten und wittern Gefahr für die Kreativität. Doch denke ich, ist das echt schade, denn ein Ratgeber gibt ja Ratschläge und keine Regeln. Es scheint für manche wie eine Bedrohung zu sein. Aber man sollte sich einen Schreibratgeber eher vorstellen wie eine gütige, alte Oma, die aus ihrer Motten(und Erfahrungs-)kiste erzählt als als Lehrer mit erhobenem Zeigefinger.

Wem es zu einengend ist und wer das Gefühl hat, der Ratgeber würde die eigene Kreativität unterbinden, kann den Ratgeber ja auch erst am Ende der ersten Manuskriptfassung zu Rate ziehen. Das einzig Negative daran ist, dass man - will man einen Rat beherzigen -, unter Umständen viel Nacharbeit hat. Es kostet dann viel mehr Zeit, als wenn man die Ratschläge bereits beim Plotten beizieht.

Wovon ich am stärksten in Ratgebern profitieren konnte:
- Prämissen (ja, ich weiss, die meisten finden sie doof, aber mir helfen sie unglaublich gut)
- Hilfe bei der Erarbeitung von Konflikten
- Schemata wie das 7-Punkte-System oder 3 Akte, Heldenreise etc.

Vom Regeln brechen halte ich grundsätzlich viel. Dennoch bin ich überzeugt, dass jemand erst auf gute Weise Regeln brechen kann, wenn er die Regeln erst verinnerlich hat. Und irgendwie habe ich hier im Forum oft das Gefühl, dass einige sich gar nicht erst auf Regeln einlassen, weil sie es ohnehin doof finden. Das darf natürlich jeder. Aber ich finde es schade, denn würde man die Regeln erst brechen, wenn man sie getestet hat (nicht nur davon gelesen, sondern auspobiert), könnte aus dem Regelbrechen ein genialer Streich werden. Andersrum scheint mir das weniger realistisch.

Trippelschritt

Vielleicht bin ich deshalb zu einem Fan von Schreibratgebern geworden, weil sie mich nie in meiner Kreativität eingeschränkt haben, sondern sie im Gegenteil animiert haben. Immer wenn ich glaubte, einen Ratschlag verstanden zu haben, habe ich damit experimentiert und hatte sofort neue Szenen im Kopf. Die meisten waren richtig gut, auch wenn ich für sie nicht immer eine Verwendung hatte. Na ja, vielleicht waren sie gar nicht gut, aber ich hatte ein gutes Gefühl und das hat mich gleich weitergetragen.
Ich glaube, dass, wer sich durch die Ratschläge von Schreibraggebern einengen lässt, sollte mal in sich hineinhören, warum das so ist, und nicht den Schreibratgebern die Schuld dafür geben. Das ist jetzt natürlich nur so eine Idee, mit der ich niemanden einschränken möchte  :engel:

Liebe Grüße
Trippelschritt

Lukas

Weil es gerade um Ratgeber geht. Ich fand unter anderem auch https://www.youtube.com/user/WriteAboutDragons von Snaderson als Podcast hilfreich. Konnte ich morgens auf dem Fahrrad anhören. Sonst auch noch "Writing Fiction for Dummies" als Einsteiger. Ingmersson(?) et al. haben das echt witzig und mit schönen Beispiel illustriert. Mein Exemplar ist jetzt echt schon älter, aber ich weiß noch, wie ich mich mit 15 mit mangelnden Englischkenntnissen durchgequält habe.
Und ich muss Trippelschritt und Cailyn zustimmen. Auch wenn man nichts 1:1 übernimmt, erweitert fast jeder Schreibratgeber den eigenen Horizont. Man darf es halt nie als Regeln sondern immer nur als Richtlinien sehen. Deswegen bin ich auch dafür die ungeschriebenen Regeln zu brechen, wenn man der Meinung ist, dass es sein muss. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass gerade im Hinblick auf Veröffentlichung solche "Regeln" wichtiger werden können. Weil Verlage halt auch nach Marktforschung einkaufen. Was geht gut, was weniger.  :wart: