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Zufall vs Deus Ex Machina

Begonnen von Derexor, 03. Juli 2011, 00:20:14

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Derexor

Hallo liebe Zirkler!

Ich bin im Moment am Überlegen in wie weit der Zufall eine tragende Rolle in einem Roman einnehmen sollte.
Ein Deus Ex Machina ist für mich ein Ereignis, dass ein Problem für den Helden zufällig löst.

Ich finde, dass ein Deus Ex Machina einfach von schlechtem Stil bzw. Planung kündet, allerdings der Zufall als Stilmittel sparsam eingesetzt werden darf.
Wie seht ihr das?


Grüße

Derexor

Dämmerungshexe

ich glaube das is auch immer eine Frage wir groß der Zufall tatsächlich ist - wenn die Kavallerie bzw. die Adler plötzlich auftauchen und für den Helden den Tag retten ist das natürlich irgendwo fragwürdig (meiner meinung nur dann einsetzbar, wenn man es im Vorfeld schonmal irgendwie angekündigt und begründet hat). Aber wenn der Held grad in der größten Not eine kleine Hilfe findet (das richtige Stück Metal um damit ein Schloss zu knacken um sich selbst zu befreien, o.ä.) ist das durchauch vertretbar. Ohne solche kleinen Zufälle würde, glaube ich, keine Geschichte wirklich funktionieren.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

caity

Hallo Derexor,

mmh. Ein "Deus ex macchina" ist eigentlich eher eine Person, die aus dem Nichts auftaucht und das Geschehen in eine andere Richtung lenkt, also mehr als ein Ereignis. "Der Gott aus der Maschine" heißt es ja wörtlich übersetzt. Das war ein beliebtes Stilmittel in den griechischen Dramen, in denen dann eben die Götter auftauchten und die Helden dorthin trieben, wo die Geschichte hin soll.

Ich persönlich mag beides nicht so, zumindest nicht, wenn da nicht irgendwie mehr dahinter steckt. Imho sollte sich die Geschichte aus allen notwendigen Faktoren selbst dorthin entwickeln, wo sie hin soll. Andererseits ist es teilweise wirklich schwierig, ein Problem zu lösen, ohne Hilfe von außen heranzuziehen.

Im Prinzip habe ich in "Avaril" ebenfalls mindestens eine Art "Dea ex macchina", wobei ich die Idee, die hinter ihr steckt, immer noch besser finde als wenn sie eine gewöhnliche "Helfer-Göttin" wäre (aber ich darf wohl trotzdem nicht zu laut über die Methode lästern).

Es ist definitiv Geschmackssache. Ich glaube nicht so Recht an "Zufälle", deshalb finde ich sie in Geschichten auch oft unglaubwürdig. Ich würde aber weder den Zufall noch den "Deus ex macchina" zwangsläufig verteufeln, sondern es sehr von der jeweiligen Situation abhängig machen.
Trotzdem ganz allgemein gehalten: wenn sich die Geschichte aus den Charakteren und deren Fähigkeiten heraus ergibt, gefällt mir das besser als wenn Autor solche Methoden heranziehen muss ;)

Bye
caity
Wenn ein Autor behauptet, sein Leserkreis habe sich verdoppelt, liegt der Verdacht nahe, daß der Mann geheiratet hat. - William Beaverbrook (1879-1964)

Thaliope

Ich habe neulich einen sehr interessanten Artikel über das Thema gelesen. Daraus ging - kurz zusammengefasst - hervor, dass Zufälle in Hülle und Fülle verwendet werden dürfen, wenn sie den Helden tiefer in die ... äh ... Bredouille reiten. Aber niemals, um ihn aus einem Schlamassel zu befreien. Die Lösung des Konflikts sollte in der Geschichte angelegt sein.

Es gibt allerdings Fälle, in denen dein offensichtlicher Deux ex Macchina eingesetzt wird, um die Ausweglosigkeit der vom Menschen geschaffenen Situation zu verdeutlichen (zB. Kleist im Erdbeben von Chili). Man kann den Deus ex Macchina also ganz bewusst einsetzen, um den Leser stutzig zu machen.

LG
Thali

Lomax

Ich möchte ganz allgemein davon abraten, den "deus ex machina" mit "Zufall" zu verknüpfen. Sonst hat man den Begriff irgendwann genauso falsch verinnerlicht wie viele SF-Fans, die den Begriff mit "Magie" verknüpft haben und gerne von "deus ex machina" sprechen, wenn beispielsweise in einem Fantasyroman der Held sein Problem mit Magie löst - selbst dann, wenn es in dem Roman um Magie geht, der Held diese Magie vorher dreihundert Seiten lang gelernt und weitere zweihundert Seiten angewandt hat, so dass eigentlich selbst der dööfste Leser kaum noch überrascht sein kann, wenn derselbe Held dann auch im Finale diesen Zauber verwendet. :P

Denn genau darum geht es beim "deus ex machina" eigentlich: Dass in einer entscheidenden und an sich für den Helden aussichtslosen Stelle der Geschichte irgendein Plotelement auftaucht, das in der Geschichte gar nicht angelegt ist, das also "fremd" und "von außen kommend" dem Helden zur Hilfe eilt. Das hat nur manchmal und indirekt mit "Zufall" zu tun. Nicht jeder Zufall ist automatisch ein "deus ex machina", beispielsweise dann nicht, wenn der Zufall doch irgendwie in der Geschichte angelegt ist, wenn beispielsweise "die Macht des Zufalls" ein Grundthema der Geschichte ist, so dass das Eingreifen des Zufalls vorher angelegt wurde; oder wenn die Situation nicht wirklich entscheidend oder aussichtslos ist - zwischendurch können auch schon mal unerwartete Wendungen dem Helden zur Hilfe kommen, wenn die Lösung des Problems nicht wirklich wichtig für die Dramatik ist, aber die unerwartete Wendung durch Humor, Einführung einer neuen Figur etc. mehr zur Handlung beiträgt als das Problem, das dadurch gelöst wird.
  Umgekehrt kann natürlich auch einiges als "deus ex machina" wirken, auch wenn es kein Zufall ist. beispielsweise die oben zitierte Magie. Denn wenn der Held plötzlich einen Zauberspruch kennt, der sein Problem löst, obwohl das vorher nie erwähnt wurde, oder wenn gar ein Gott dem Helden zur Hilfe kommt, weil er sein Schicksal schon lange verfolgt (was vor dieser Szene nie gesagt wurde) und ihn jetzt natürlich nicht sterben lassen kann, dann ist das ja kein Zufall (der Held kann halt den Zauber/der Gott hat einen guten Grund, warum er erscheint). Aber ein Deus ex Machina ist es trotzdem, weil es in der Geschichte vorher nicht angelegt war.

Also im Zusammenhang mit Deus ex Machina bitte die Stichwörter "in der Geschichte nicht angelegt" und "Rettung (des Helden oder des Plots) aus bedeutungsvoller und aussichtsloser Lage" merken, und nicht zu sehr auf "Zufall" zuspitzen. Sonst sieht man irgendwann Dei ex Machina, wo keine sind, oder übersieht diejenigen, die nicht so zufällig wirken.

Churke

Ich denke, die Skepsis gegenüber dem Deus ex machina ist eine Folge unserer, äh, säkuralisierten Gesellschaft.

In einer Gesellschaft, die göttliches Eingreifen nicht nur als normal ansieht, sondern sogar erwartet, ist der Deus ex machina logische Konsequenz. Der Zufall wird also zum göttlichen Wirken. Der Punkt ist ja nicht, dass es keine glücklichen Zufälle gäbe. Nur ist es eben extrem unwahrscheinlich, dass mir sie gerade jetzt passieren, wenn ich sie brauche. Bin ich aber religiös, dann wird der Zufall zum Schicksal.


Das alles hilft mir natürlich wenig, wenn die Leser das anders sehen. Geschickt eingesetzt und wohl dosiert können solche "Zufälle" aber auch gute Mittel sein, um die Vorstellungen der Welt näher zu bringen. Sprich: Wenn es in einer Welt Götter gibt, warum sollten die nicht auch mal einen Finger rühren?

Zitat von: Lomax am 03. Juli 2011, 10:39:59
Denn genau darum geht es beim "deus ex machina" eigentlich: Dass in einer entscheidenden und an sich für den Helden aussichtslosen Stelle der Geschichte irgendein Plotelement auftaucht, das in der Geschichte gar nicht angelegt ist, das also "fremd" und "von außen kommend" dem Helden zur Hilfe eilt. Das hat nur manchmal und indirekt mit "Zufall" zu tun.

Ich möchte aber meinen, dass es gerade das Wesen des Zufalls ist, dass er unverhofft aus heiterem Himmel daher kommt. Daher rührt dann ein Legitimationsproblem im Plot.


Tanrien

Zitat von: Lomax am 03. Juli 2011, 10:39:59
Also im Zusammenhang mit Deus ex Machina bitte die Stichwörter "in der Geschichte nicht angelegt" und "Rettung (des Helden oder des Plots) aus bedeutungsvoller und aussichtsloser Lage" merken, und nicht zu sehr auf "Zufall" zuspitzen.

Da würde ich zustimmen. Um den Zwischenbereich noch zu erfassen, der zwischen "Zufall" (für den Leser ganz plötzlich aus heiterem Himmel) und "Deus ex Machina" liegt, verwende ich gerne "arg konstruiert" als Beschreibung. Das ist dann nicht ganz Deus ex Machina, aber eben auch nicht wirklich ein schmeidiges Umschiffen des Hindernisse, sondern nur der Versuch der Vermeidung der von dir, Lomax, genannten Stolperfallen, aber eben so, dass es dem Leser oder zumindest dem Betaleser auffällt.

Zitat von: Churke am 03. Juli 2011, 11:00:18
Ich möchte aber meinen, dass es gerade das Wesen des Zufalls ist, dass er unverhofft aus heiterem Himmel daher kommt. Daher rührt dann ein Legitimationsproblem im Plot.

Ich denke, hier geht es eher darum, zu sagen, dass nicht jeder Zufall Deus ex Machina ist, wobei jedes "richtige" (Lomax' Kriterien) Deus ex Machina ein Zufall ist.
Deus ex Machina = Zufall (für den Leser) + Wichtiger Rettungsmoment
Die verschiedenen Auffassungen rühren dann daher, dass Deus ex Machina gleich Zufall gesetzt wird oder (!) dass es unterschiedliche Interpretationen gibt, sowohl was "Zufall" angeht als auch, was als "wichtiger Rettungsmoment" zählt. So kann mir als Leser der Aufbau des Moments nicht auffallen, ich halte also etwas für "Zufall", was angelegt war. Ich kann denken, der Moment sei bedeutsam, wenn er es nicht ist, und schreie dann Deus ex Machina, wobei der Autor es eigentlich nur als unwichtigen Zufall abgetan hatte. Etc.

Churke

Zitat von: Tanrien am 03. Juli 2011, 12:13:14
Ich kann denken, der Moment sei bedeutsam, wenn er es nicht ist, und schreie dann Deus ex Machina, wobei der Autor es eigentlich nur als unwichtigen Zufall abgetan hatte. Etc.

Nun ist aber der Autor alleiniger Konstrukteur des Plots und damit jeder "Zufall" volle Absicht. Der Unterschied besteht eigentlich nur in der Bereitschaft des Lesers, einen solchen "Zufall" zu akzeptieren.

Lomax

Zitat von: Tanrien am 03. Juli 2011, 12:13:14..., wobei jedes "richtige" (Lomax' Kriterien) Deus ex Machina ein Zufall ist.
Nicht ganz. Man kann sonst als Autor ja auf die Idee kommen, einen Deus ex Machina nachträglich zu erklären. Damit könnte man zeigen, dass er für den Leser vielleicht unerwartet kam, aber keineswegs zufällig ist. Ein Deus ex Machina bleibt er trotzdem, weil er halt nicht vorher in der Geschichte angelegt war und sich nicht aus der bisherigen Geschichte heraus entwickelt hat.

Um es an einem konkreten Beispiel zu erläutern. Ich kann in der Geschichte beschreiben, wie der Held einem Bettler hilft. Später behandelt der Bösewicht auf dem Weg zum Showdown einen Bettler mies. Der Bettler ärgert sich über den Schurken, behält ihn im Auge, stellt fest, das er den Helden bedroht, der ihm einmal geholfen hat - und holt Hilfe. Damit habe ich dann keinen Deus ex Machina mehr, weil die Hilfe beim Showdown in der Geschichte vorbereitet wurde und jeder Leser damit rechnen kann, dass der Bettler eine Rolle spielt, wenn er vorher zweimal so symmetrisch erwähnt wurde.
  Umgekehrt kann ich auch den Bettler im ganzen Buch nicht erwähnen. Nur im großen Showdown taucht dann plötzlich die Polizei auf, verhaftet den Schurken und rettet den Helden. Ein klassischer Deus ex Machina. Der auch dann einer bleibt, wenn, nachdem der Bösewicht abgeführt wurde, plötzlich der Bettler aus dem Off tritt, dem Helden berichtet, wie der Bösewicht ihm übel mitgespielt hat, wie er ihm gefolgt ist, wie er dann den Helden wiedererkannte, der ihm irgendwann (in einer Zeit vor Beginn des Buches) geholfen hatte (oder besser noch: dessen Vater ihm irgendwann mal geholfen hat  :D) und wie er darum die Polizei rief.
  Streng genommen ist in beiden Fällen nichts anderes passiert. Die Polizei war in beiden Fällen nicht zufällig da, sondern aus genau denselben Gründen. Nur die Kausalkette, wie es dazu kam, ist im letzteren Fall nachgeschoben worden und war zum Zeitpunkt des Auftauchens der Polizei nicht in der Story verankert.  Und das macht sie zum Deus ex Machina.

Ein Zufall eignet sich halt nur besonders gut für einen Deus ex Machina, und, wie Churke schon feststellte, Zufälle bringen immer auch ihre eigenen storytechnischen Probleme mit sich, selbst wenn sie nicht gerade formal einen Deus ex Machina konstituieren. Aber im Prinzip sind Zufall und Deus ex Machina erst mal zwei unabhängige Elemente, die nur mitunter korrelieren können - und die vor allem dadurch zusammenkommen, dass ein Leser einen Deus ex Machina immer als "zufällig" bzw. "beliebig" empfindet, selbst wenn sich herausstellt, dass es formal betrachtet kein Zufall war.

Tanrien

#9
Nur kurz zur Klärung, weil zumindest bei mir die Frage nach der "allgemeinen" Definition aufgetreten ist:
Zitat von: WikipediaHeute gilt der Ausdruck auch als eine sprichwörtlich-dramaturgische Bezeichnung für jede durch plötzliche, unmotiviert eintretende Ereignisse, Personen oder außenstehende Mächte bewirkte Lösung eines Konflikts.

Zitat von: Lomax am 03. Juli 2011, 13:16:56
Aber im Prinzip sind Zufall und Deus ex Machina erst mal zwei unabhängige Elemente, die nur mitunter korrelieren können - und die vor allem dadurch zusammenkommen, dass ein Leser einen Deus ex Machina immer als "zufällig" bzw. "beliebig" empfindet, selbst wenn sich herausstellt, dass es formal betrachtet kein Zufall war.

Aber gibt es denn auch Deus ex Machina, wo das Element "wichtiger Rettungsmoment" bleibt, die aber nicht als zufällig für den Leser angenommen werden? (Ich gehe jetzt mal, das geht auch an Churke, davon aus, dass der Leser die letztendliche Autorität hat, darüber zu entscheiden, was Zufall in der Geschichte ist und was nicht.)

Eigentlich nicht, würde ich sagen: Wenn der Leser DeM schreit, dann sieht er immer einen Zufall vor sich. Und begründete Kritik am Stil des Autors ist es, wenn es sich dabei um einen "wichtigen Rettungsmoment" handelt. Das wäre dann die Unterscheidung, die wieder gelernt werden müsste: Dass in "unwichtigen Momenten" der "vom Leser gesehene Zufall" kein Deus ex Machina ist. Oder zumindest keines, was schlimm ist/unbedingt ausgemerzt werden müsste.

Dann würde ja wieder/wirklich die Gleichung
Deus ex Machina (böse) = Zufall (für den Leser) + Wichtiger Rettungsmoment
passen.

Die letztendliche Frage wäre doch dann, wie man, angenommen den Leser nervt Deus ex Machina allgemein und er unterscheidet nicht zwischen Zufall und Deus ex Machina, den "Zufall" (= Zufall für den Leser) so begründet aufbaut, dass man ihn im wichtigen Rettungsmoment verwenden kann, also es kein Zufall für den Leser mehr ist.

Lomax

Zitat von: Tanrien am 03. Juli 2011, 14:44:16Eigentlich nicht, würde ich sagen: Wenn der Leser DeM schreit, dann sieht er immer einen Zufall vor sich.
Das würde ich so nicht unterstreichen. Ich hatte oben ja das Beispiel von vielen SF-Fans genannt, die bei jeder Problemlösung durch Magie "deus ex machina" rufen. Die sehen dann keinen Zufall von sich, sondern Magie ... bzw. das auslösende, gefühlte Element bei diesen Lesern ließe sich wohl eher als "unreal/unwissenschaftlich" o.ä. bezeichnen. ;D

Insofern hast du schon recht, dass vermutlich das Gefühl des "zufälligen" durchaus etwas ist, was ein Deus ex Machina bei vielen Lesern bewirkt. Aber ich möchte halt davor warnen, die Definition eines Deus ex Machina an einem "Gefühl des Lesers" festzumachen - denn da fühlt jeder Leser bei jeder Situation etwas anderes. Ich würde also lieber nicht vom "gefühlten Zufall" sprechen, sondern nur von Dingen, die sich durch formale Analyse am Text selbst und unabhängig vom Empfinden des Lesers nachweisen lassen.
  Und da lässt sich halt zeigen, dass ein textimmanenter Zufall nicht unbedingt mit dem Deus ex Machina zusammenfällt und auch nicht unbedingt mit dem "gefühlten Zufall". Ob man einen Deus ex Machina als Leser nun eher als "zufällig", "beliebig", "unrealistisch", "unbegründet" oder was auch immer empfindet, hängt wohl eher mit der Sozialisation zusammen - sprich, man neigt dazu, wenn man die ersten Beispiele für einen Deus ex Machina gezeigt bekommt und sie als "zufällig" empfindet, in Zukunft Deus ex Machina instinktiv mit "Zufall" gleichzusetzen, genau wie man gerne "Magie", "Götter" etc. als Deus ex Machina ansieht, wenn die ersten Fälle von Deus ex Machina, die man gezeigt bekommen hat, solche Beispiele waren.
  Aber diese Gleichsetzung von "empfundenen Qualitäten" mit dem formalen Phänomen ist eben genau die begriffliche Ungenauigkeit, die leicht zu Fehleinschätzungen führt, und die man darum lieber ganz vergessen sollte, anstatt genauer darüber zu grübeln, wie man diese empfundenen Qualitäten denn nun besser greifen und als Definitionsgrundlage nutzen kann.

Also Deus ex Machina = empfundener Zufall mag für viele Leser und Lesesituationen schon irgendwie mehr oder minder genau die Stimmungslage treffen - aber halt nur sehr intuitiv und vage, und weil man da nie eine präzise Definition des Deus ex Machina mit zustandekriegt, an der man sich beim Schreiben und bei der Textkritik orientieren kann, und weil so eine Gleichsetzung in der Praxis doch nur zu vielen Fehleinschätzungen einlädt, vergisst man den "Zufall" in dem Zusammenhang besser ganz.
  Wie gesagt, die Definition des Deus ex Machina benötigt den Begriff des Zufalls, empfunden oder textimmanent, gar nicht. Das lässt sich auch ganz formal als "Deus ex Machina (böse) = nicht im vorangegangenen Text angelegt + Wichtiger Rettungsmoment" definieren. Und schon kann man jeden Deus ex Machina erkennen, ohne über die flüchtigen Gefühle von Lesern spekulieren zu müssen  ;)

Tanrien

#11
Zitat von: Lomax am 03. Juli 2011, 15:51:45
"Deus ex Machina (böse) = nicht im vorangegangenen Text angelegt + Wichtiger Rettungsmoment" [...] Und schon kann man jeden Deus ex Machina erkennen, ohne über die flüchtigen Gefühle von Lesern spekulieren zu müssen  ;)

Okay, da kann ich zustimmen. :) Kannst du sagen, ob das jetzt denn "nur" deine Erklärung ist oder die, die auch (von Autoren/Lektoren) angewendet wird, um DeM zu vermeiden? Leser sehen das ja anscheinend oft anders.

Um wieder zur Ausgangsfrage zurückzukommen, läge es dann am Autor selber, ob er "nur" formale DeMs vermeiden will oder auch die gefühlten. Da wäre dann wichtig bei letzterem, dass der Autor im Genre drin ist, also weiß, was als DeM angesehen wird. (Die von dir, Lomax, erwähnte Sozialisation, die der Autor zumindest (er)kennen müsste bzw. darüber spekulieren.)

Ach, und um die Frage zu beantworten:
Zufall = geht in Ordnung.
gefühltes Deus ex Machina = hmmmm... bedenklich.
formales Deus ex Machina = nicht gut.

Lomax

Zitat von: Tanrien am 03. Juli 2011, 16:17:52Okay, da kann ich zustimmen. :) Kannst du sagen, ob das jetzt denn "nur" deine Erklärung ist oder die, die auch (von Autoren/Lektoren) angewendet wird, um DeM zu vermeiden? Leser sehen das ja anscheinend oft anders.
Ich würde mal sagen, das ist eine Erklärung, um korrekt zu identifizieren, was auch Profis als Deus ex Machina bezeichnen würden. Das hilft vor allem dabei, ohne Missverständnisse darüber zu reden. Wenn man sich Gedanken darüber macht, was man besser "vermeidet", dann geht es natürlich immer um die gefühlte Wirkung auf den Leser - und damit ums Abwägen. Und abwägen bedeutet nicht immer, abzuwägen, was beispielsweise ein Deus ex Machina ist, es bringt auch wenig, abzuwägen, ob irgendwas als solcher empfunden werden könnte. Sondern letztendlich geht es vor allem darum, ob man damit rechnen muss, wie die Wirkung auf einen relevanten Anteil der Zielgruppe ist ... wo dann natürlich der Vergleich zu konkreten Werken im Genre wichtig ist, an denen man sehen kann, was in welcher Weise angekommen ist, was (noch) funktioniert, was welche Leser als störend empfinden.
  Und, ja, letztendlich ist das in gewisser Hinsicht immer auch eine Spekulation über die "literarische Sozialisation" der angesprochenen Leser bzw. der Leser des bedienten Genres.
Zitat von: Tanrien am 03. Juli 2011, 16:17:52Zufall = geht in Ordnung.
gefühltes Deus ex Machina = hmmmm... bedenklich.
formales Deus ex Machina = nicht gut.
Ich würde die Skala eher so setzen:
(1) Deus ex Machina = besser immer vermeiden
(2) Zufälle = kann man mitunter mit Bedacht einsetzen, sind aber immer potenziell problematisch. Am wenigsten dann, wenn sie die Lage für den Helden verschlechtern und so für mehr Dramatik sorgen (aber auch das kann, zu viel eingesetzt, irgendwann nerven)

Die dritte Kategorie, "Zufall, der nur fälschlich als Deus ex Machina empfunden wird", ist entbehrlich und bedarf keiner besonderen Betrachtung, sie fällt einfach in Kategorie 2: Da hat der Autor entweder den Zufall nicht überlegt genug eingesetzt, oder er ist halt einfach an einen besonders empfindlichen Leser geraten, dessen Meinung man nach reiflicher Überlegung auch missachten kann. Dass der Leser dann fälschlicherweise diesen Zufall als Deus ex Machina bezeichnet, kann man einfach als begriffliche Ungenauigkeit abtun und sollte sich davon auch nicht irritieren lassen.

Farean

Zitat von: Derexor am 03. Juli 2011, 00:20:14
Ich bin im Moment am Überlegen in wie weit der Zufall eine tragende Rolle in einem Roman einnehmen sollte.
Im gleichen Maße wie im wirklichen Leben? ;)

Zufall an sich sehe ich in einer Geschichte nicht als problematisch an, ja, er muß sogar drin sein, damit die Geschichte glaubwürdig bleibt. Problematisch wird es, wenn sich die "günstigen Zufälle" häufen und den Charakteren so jede Menge Arbeit abnehmen.

Wenn es dagegen die Aufgabe des Protagonisten bleibt, auf die vielen, kleinen Zufälle zu reagieren, von denen er ohnehin ständig umgeben ist; und dann die günstigen Gelegenheiten zu erkennen und zu nutzen; dann trägt der Zufall - für mein Empfinden - in jeder Hinsicht positiv zum Szenario bei.

Lomax

Zitat von: Farean am 04. Juli 2011, 12:03:51Im gleichen Maße wie im wirklichen Leben? ;)
Oh nein, bloß nicht. Da habe ich im wirklichen Leben Zufälle erlebt, die in Romanen die Glaubwürdigkeit und die Geduld des Lesers arg strapazieren täten. ;D Das Leben schreckt leider gar nicht davor zurück, ganz entscheidende Wendepunkte durch Zufälle herbeizuführen; und die Art, wie man durch eigene Tat das beeinflussen kann, sieht oft so aus, dass man auf statistische Wahrscheinlichkeiten Einfluss nimmt und damit der passende Zufall früher oder später herbeikommt.
  Nichts wäre langweiliger in einem Roman, wo der Leser doch unmittelbare Tat und Ergebnis sehen möchte. Oder, wenn schon, einen richtig knackigen Zufall, der als "Schicksalsschlag" daherkommt, und gerade nicht "als im Prinzip statistisch beeinflussbare Größe" *schnorch*