• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Fiktive Zitate am Kapitelanfang

Begonnen von Leo, 15. Juni 2011, 10:34:48

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Leo

Hallo Leute,

als ich gestern Abend darüber nachgrübelte, wie ich denn die Geschichte meines Antagonisten etwas beleuchten könnte, kam mir unter anderem die Idee, dass ich kleine Auszüge aus seinem Tagebuch an den Anfang der Kapitel packen könnte. So etwas ähnliches kenne ich aus Brandon Sandersons Mistborn-Trilogie; bei Torsten Fink gibt es Zitate und Sprichwörter, in Tad Williams' Otherland sind es Nachrichten - das sind so die Beispiele, die mir spontan einfallen.

Unabhängig von meiner speziellen Idee frage ich mich nun, was ihr von so etwas haltet. Kennt ihr weitere Beispiele, die ihr gelungen oder nicht gelungen findet? Habt ihr das selber schon gemacht, oder würdet ihr es machen, wenn es sich anböte?
Was mir noch besonders wichtig wäre: Kann man in diese kleinen Auszüge wirklich relevante Informationen stecken, oder sollten sie bloß nette Gimmicks bleiben?

LG, Leo

Felsenkatze

Ich kenne solche Zitate (kann dir momentan außer "Blutgabe" ;) aber kein konkretes Beispiel nennen). Ich mag es eigentlich gerne, weil es - in Fantasyfällen - die Welt schön beleuchten kann, oder bei nicht-Fantasybüchern Charaktere oder Situationen besser herausstellen kann.
In "Schmetterlingsschatten" habe ich es teils selbst gemacht, mit kurzen Tagebucheinträgen, und da habe ich schon relevante Informationen untergebracht, ganz abgesehen davon, dass ich damit die verstorbene Schwester meiner Protagonistin ein bisschen plastischer gemacht habe.

Dadurch, dass eine fiktive Person sehr direkt spricht, eignet sich das auch ganz gut, um zum Beispiel falsche Fährten zu legen - nicht alles muss ja so sein, wie es sich für den "Sprecher" so dargestellt hat.

Es ist ein schöner Trick, und wenn man den Infodrop nicht überstrapaziert für den Leser auch angenehm. Aber irgendwelche Info sollte schon drin sein, denke ich. Völlig aus dem Zusammenhang gerissene philosophische Überlegungen des Protas oder Antas könnten leicht zur Leserlangeweile führen.

Farean

Ist grundsätzlich immer eine schöne Idee. :) Sehr gelungen finde ich den Einsatz dieses Stilmittels in dem Zyklus "Die Hüter der Flamme", wo die Zitate anfangs ausschließlich real sind, d.h. von echten historischen Persönlichkeiten stammen. Ab Band 4 mischen sie sich zunehmend mit Zitaten von den Hauptpersonen, die im Zuge des Zyklus selbst zu Prominenten der Fantasy-Welt geworden sind.

Mit fiktiven Zitaten zu realen Persönlichkeiten arbeitet auch Robert Asprin in seiner Dämon-Reihe. Teilweise einfach göttlich. Mein persönlicher Favorit lautet:
Zitat
"Sorgfältige Planung ist der Schlüssel zu einem sicheren und zügigen Reiseverlauf." -- Odysseus

Nicht ganz so gut gefällt mir, wie Frank Herbert mit Zitaten aus der fiktiven Chronik im "Wüstenplanet" hantiert. Da kommt es mir doch sehr aufgesetzt vor, wie billige Effekthascherei.

Brillant finde ich dagegen die Auszüge aus der Encyclopaedia Galactica, mit denen Asimov in seinem Roboter-und-Foundation-Zyklus manche Kapitel einzuleiten pflegt. :) Jedesmal eine grandiose Einstimmung.

Zitat von: Leo am 15. Juni 2011, 10:34:48
Habt ihr das selber schon gemacht, oder würdet ihr es machen, wenn es sich anböte?
Wenn es sich anböte: klar. :) Ich habe schon damit geliebäugelt, aber bislang hat es noch in keinem meiner Projekte so richtig gepaßt.

Zitat von: Leo am 15. Juni 2011, 10:34:48
Was mir noch besonders wichtig wäre: Kann man in diese kleinen Auszüge wirklich relevante Informationen stecken, oder sollten sie bloß nette Gimmicks bleiben?
Bislang kenne ich sie nur als nette Gimmicks, eventuell auch als Teaser. Asimov bringt in seinen Auszügen aus der Encyclopaedia gern eine Vorahnung dessen unter, worum es in dem Kapitel gehen wird. Ein gelungenes Beispiel für plotrelevante Informationen, die das Zitat für das Verständnis der Geschichte unverzichtbar machen, kenne ich da noch nicht, aber das heißt ja nicht, daß du's als Autor nicht mal probieren kannst. :hmmm:

Artemis

Ich bin auch am Überlegen, solche Zitate (bzw. in meinem Fall fiktive Zeitungsartikel) reinzubringen. Problem: Ich habe einige Kapitel, über 30 an der Zahl. Das hieße, ich müsste auch genauso viele Zitate erfinden. Erstens ist das für mich wieder ein ziemlicher Brocken, das aus dem Ärmel zu schütteln, und zweitens vergrault man, wenn man es übertreibt, gern die Leser.

Ein Kompromiss zum Eindampfen wäre, dass man das Buch in Abschnitte teilt und immer zu jedem Abschnitt (dann auch gern etwas ausführlicher) ein solches Zitat einbringt.

Ziemlich gut gemacht hat das mit den Zitaten zu jedem Kapitel Tad Williams in Otherland. Da wurden immer kleine Abrisse aus Nachrichten eingebastelt, die den Alltag der Welt beleuchten. 

Sprotte

Pratchetts Nomentrilogie (Trucker, Wühler, Flieger): Die Kapitel beginnen mit einem Zitat aus einem der Bücher, die die Nomen selbst schreiben.
Im ersten Band aus der "Bibel" der Nomen, im zweiten und dritten aus Reiseberichten und Handbüchern.

zDatze

Oh, die Zitate in Otherland und bei Greys Blutgabe fand ich einfach toll. Ich bin generell ganz einfach mit solchen Gimmicks zu kriegen, aber natürlich sollten die Zitate nicht völlig an der Story vorbeigehen.

Bei meiner aktuellen Geschichte habe ich es so gemacht, wie Arti schon erwähnt hat. Eine grobe Unterteilung und bei jedem Abschnitt packe ich zwei Zeilen von einem Songtext dazu. Das wollte ich von Anfang an schon so machen und ich freu mich schon total drauf, wenn ich die Zitate endlich einbauen und schön formatieren kann. :D

Sven

Ist es denn schon so lange her, dass ich "Otherland" gelesen habe? Ich kann mich gar nicht an die Zitate erinnern.
Farean hat die Zitate im "Der Wüstenplanet" schon erwähnt. Sie sind sehr müßig zu lesen. Nicht immer kann man den Zusammenhang zum Kapitel herstellen und erst nach der Hälfte des Buches entfalten sie ihren Reiz.
Ich denke, man sollte sich gut überlegen, ob man Zitate einfügt oder nicht. In der "Foundation Trilogie" sind sie wichtig, denn sie sorgen für einen Zusammenhang, der bei einer erzählten Zeitspanne von Tausenden Jahren verloren gehen kann.
Die Zitate sollten prägnant sein und Stimmung machen.
Beste Grüße,
Sven

Faol

Ich fand das mit den Zitaten in der Blutgabe auch gut. In Robinrot steht zu Beginn jedes Kapitels ein Eintrag aus den Chroniken der Wächter. Diese sind oft zu lang finde ich und habe sie nicht alle gelesen.

Also kurze Zitate finde ich gut. Falls es längere werden sollten, müssen sie entweder spannend genug sein, oder seltener.
Noch ein Tipp wäre nicht zu wichtige Informationen in diese Zitate zu packen. Es gibt Leute (meine Schwester zum Beispiel) die solche Zitate gar nicht wahrnehmen und auch nicht lesen.
Two roads diverged in a wood, and I -
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.
(Robert Frost - The Road Not Taken)

Lomax

Zitat von: Leo am 15. Juni 2011, 10:34:48Habt ihr das selber schon gemacht, oder würdet ihr es machen, wenn es sich anböte?
Was mir noch besonders wichtig wäre: Kann man in diese kleinen Auszüge wirklich relevante Informationen stecken, oder sollten sie bloß nette Gimmicks bleiben?
Ich habe so etwas in allen Finstervölker-Büchern gemacht. Bei den "Gefährten des Zwielichts" waren es jeweils "Lexikoneinträge" zu den Völkern oder historischen Hintergründen, beim "Tag der Messer" politische Reden und Schriften einzelner Akteure und im "Lichtbringer" wiederum Lexikoneinträge meist zu technischen Besonderheiten dieser Welt.
  Ich habe dabei darauf geachtet, dass möglichst nichts in den Zitaten enthalten ist, was für das Textverständnis nötig ist. Man muss ja damit rechnen, dass die Leser sie überspringen, also beschränke ich mich eher auf einen "Mehrwert" als auf "Storyrelevantes". Enthalten waren also Zusatzinformationen zur Welt, zu dem, was "hinter" dem Geschehen vielleicht noch abgeht, oder genaue Erklärungen zu Dingen, die im Text erwähnt werden, die bei Erklärung im Text den Storyfluss hemmen, die man aber auch nicht unbedingt genau erklärt haben muss, um zu verstehen, was sie im Kontext der Story bedeuten - als eher zusätzliche Infos für Nerds, die's ganz genau wissen wollen. ;D Und zuletzt habe ich auch noch mitunter komplizierte Dinge im Klartext da hingeschrieben, die man zwar aus dem Text schon erschließen konnte, bei denen ich aber befürchten musste, dass vielleicht nicht jeder das so mitkriegt; oder Darstellungen aus einer anderen Perspektive als der, die der Text einnimmt, so dass man quasi eine "zweite Meinung" zu dem erhält, was im Text steht, und sich über die Unterschiede so seine Gedanken machen kann.

Ich würde also sagen, vor allem Gimmicks. Ich fand die Informationen schon "relevant", und sie haben den Geschichten noch ein paar andere Aspekte eröffnet - aber ich habe darauf gachtet, dass die eigentliche Story auch ohne die Zitate funktioniert.
  Hoffe ich jedenfalls  :engel:

Kaeptn

In der Hexer-Saga von Sapkowski kommt das auch vor. Zu 90% Fantasy-Zitate aus fiktiven Abhandlungen über die Legende, Geschichtsbüchern usw, die leider manchmal etwas vorweg nehmen. Manchmal nutzt er sie aber auch, um z.B. ein Monstrum vorab zu Beschreiben, dass der Hexer anschließend zur Strecke bringen muss.

Grey

Also, ich persönlich - Überraschung! ;) - mag solche Zitate, ich verwende sie auch sehr oft, nicht nur in der Blutgabe.
Allerdings würde ich nichts wirklich plotrelevantes hineinschreiben, was nicht im eigentlichen Text auch nochmal erklärt wird. Denn es gibt wirklich viele, die solche Zitate einfach nicht mitlesen. Gerade auch bei Songtexten, die dann vielleicht auf Englisch sind, "klickt" der Leser sie vielleicht einfach weg. Bei der Blutgabe habe ich zum Beispiel sehr unterschiedliche Reaktionen zu Blue bekommen: Die einen sagen, sie war als Figur Null greifbar, weil sie fast gar nicht vorkommt. Wenn man nur den Fließtext liest und die Zitate skippt, kann ich diese Ansicht sehr gut nachvollziehen. Andere Leser wiederum haben gesagt, Blue wäre ihre *Lieblings*figur gewesen, weil sie durch die Zitate über den Kapiteln mit so wenigen Worten so eindrücklich rüberkommt. Natürlich ist das sicher auch ein subjektiver Eindruck, aber ich glaube schon, dass diese Differenzen vor allem daran lag, dass ich Blue fast nur über die Zitate charakterisiert habe. Manchen Lesern ist es ja sogar nicht einmal aufgefallen, dass da Zitate über den Kapiteln standen, bis ich sie darauf hingewiesen habe. Seither bin ich etwas vorsichtiger, was den Informationsgehalt solcher Zitate angeht.

Grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass man damit ganz toll Stimmung erzeugen kann. Ich lese sowas auch wirklich gern. :)

Ary

Tol. Jetzt will ich auch Header-Zitate für mein laufendes Projekt. Mal überlegen.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Thaliope

Als Leser kann ich nur sagen: Wenn Zitate, dann ganz kurze. Wenn das Buch nämlich spannend ist, habe ich nicht den Nerv, mir so ein Zitat durchzulesen und mir am besten noch Gedanken über die tiefere Bedeutung zu machen, dann will ich wissen wie es weitergeht. Punkt. Manchmal nehme ich mir dann vor, die Zitate später in einem Extradurchgang zu würdigen. Aber ... meistens mach ichs nicht.  :versteck:

Wollmütze

Zu den bisher genannten Beispielen ist mir spontan noch Tintenherz eingefallen, aber die Zitate an den Kapitelanfängen dort sind ja nicht fiktiv sondern stammen von realen Personen oder aus anderen Geschichten, wenn ich mich recht erinnere.  :hmmm:
Ich selbst hab es bisher so gehalten, dass ich Kapitel entweder nur mit Nummern oder mit Namen betitele, aber dafür meine Geschichten in - je nach Länge - 2-3 große Abschnitte einteile. Neben den Namen dieser Abschnitte steht dann meistens ein von mir ersonnenes Zitat, welches meistens irgendwie eine Steigerung zu dem letzten beinhaltet.
Knappe Verdeutlichung:
Mein erster "Akt" heißt Asche, der zweite Glut und der dritte Feuer. Dazu kommen dann eben passende Zitate, die das "Auferstehen" aus der Asche zum Feuer untermalen oder eben vorbereiten. 
(Ich hoffe man kann sich darunter jetzt was vorstellen und ich red nicht total wirres Zeugs  ::))
Als Leser seh ich das wie Thaliope: Bitte nicht zu lang am Kapitelanfang. Meistens überspringe ich sie sowieso, weil man die Geschichte auch ohne sie verstehen kann und sie gerade bei Spannung oft nur noch nerven.
Bei der Blutgabe war das gut gelöst, dass die Zitate nur bei Reds Kapiteln kamen. Alles andere wäre mir auch zuviel geworden, denke ich. Aber so hat es einen schönen Effekt erzielt.  :)

LG,
Wolli

Rosentinte

Hallo,
also Claudia Kern hat das in "Sturm" auch gemacht. Sie hat Lexikonartikel zu den Ländern, Bewohnern etc. an den Anfang der Kapitel gestellt, die manchmal geholfen haben die Leute besser zu verstehen und die Atmosphäre gut untermalt haben.
Ich finde es ganz schön, vor allem, wenn es Teaser zu den Kapiteln sind, aber ich denke auch, wenn die Zitate zu lang sind, sollte man sie weglassen.
LG, Rosentinte
El alma que anda en amor ni cansa ni se cansa.
Eine Seele, in der die Liebe wohnt, ermüdet nie und nimmer. (Übersetzung aus Taizé)