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Doppelte Gesinnungswechsel

Begonnen von Telas, 19. April 2011, 15:56:16

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Telas

Hallo Zirkelmitglieder.

Mir brennt wieder einmal eine sehr spezielle Frage auf den Nägeln. Natürlich hoffe ich, dass jemand schon Erfahrung damit gemacht hat. Oder wenn nicht, wenigstens seine Meinung zu folgendem abgeben kann:

Mich würde interessieren, ob es für euch denkbar ist, dass ein Charakter mehrfach in einem Werk seine Gesinnung wechselt. Geläuterte Bösewichte und Helden, die plötzlich zu Mördern wurden, gab es in der Literatur sicher schon viele. Aber wäre es auch denkbar, dass ein Charakter erst böse ist, danach durch einen Schicksalsschlag gut und dann im Laufe der Zeit wieder böse wird? Ist so ein Charakter überhaupt glaubwürdig? Bekommt der Leser nicht das Gefühl, dass der Charakter die ganze Zeit über böse war und einem nur was vorspielen wollte?

Übrigens, die Ereignisse, wieso die Gesinnungswechsel eintreten, sind noch nicht geplottet. Ich möchte nur einen Wechselbalg ins nächste Werk einbauen und wissen, wie sehr ich das Spiel auf die Spitze treiben kann, ehe es den Leser nervt oder verwirrt. Das Schlimmste wäre natürlich, dass man sich für dumm verkauft vorkommt, wenn die Charaktere zu oft die Gesinnung ändern.

Alaun

Hm, es kommt wahrscheinlich wie immer darauf an, wie gut es gemacht ist. Aber ehrlich gesagt würde ich mich als Leser fragen, ob der Autor wusste, wo er mit der Figur hinwollte  :-\

Malinche

Na ja, was heißt böse, was heißt gut? Die wenigsten Figuren werden von sich selbst behaupten, dass sie böse sind ... Was sich also höchstens ändert, ist seine Überzeugung dessen, was richtig ist, und welche Mittel notwendig sind, sein Ziel zu erreichen.

Ich kann mir schon vorstellen, dass eine Figur im Lauf der Handlung mehrmals die Seiten wechselt, und das kann auch durchaus plausibel beschrieben werden. Schicksalsschlag ist ein gutes Stichwort. Ungeahnte Enthüllungen können auch ein guter Grund sein, meinetwegen. Und dann gibt es ja noch die Möglichkeit, dass die Figur konsequent ihr eigenes Süppchen kocht und schaut, wo ihr Bleiben am vorteilhaftesten ist ... aber ich bin nicht sicher, ob du das auch dazuzählen würdest, ob dir also ein "äußerlicher" Gesinnungswandel reicht oder ob du es wirklich auf die innersten Empfindungen der Figur anlegst.

Wenn die Figur lebendig gezeichnet und sämtliche Motive und Impulse nachvollziehbar sind, dann sehe ich auch bei mehrfachen inneren Umschwüngen kein Problem.
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Thaliope

Für mich wirkt es jetzt gar nicht so ungewöhnlich, dass jemand kurzfristig geläutert ist, sich dann aber alte Gewohnheiten (böse sein) wieder einschleichen. Gerade wenn man durch einen akuten Schicksalsschlag und Todesangst zur guten Seite gerät, geraten die Gründe dafür gerne in Vergessenheit, wenn es einem wieder besser geht.

LG
Thali

Churke

Mit einer flexiblen Gesinnung ständig die Seite zu wechseln ist etwas anderes als zwischen Gut und Böse zu pendeln. Die moralische Flexibilität eines solchen Mannes rührt daher, dass er eben keine Gesinnung hat.

Die  Frage erinnert mich an die Charakterentwicklung in "24", wo die Guten die Bösen werden und dann die Guten sind und am Schluss - Überraschung! - doch wieder böse. Dramaturgisch und psychologisch wenig überzeugend.


Maran

Man beachte Spike ... allerdings weiß ich nicht, wie dessen Gesinnung letzten Endes aussah. Soweit ich mich erinnere, hüpfte der irgendwie permanent hin und her.

Ob gut oder böse liegt m.E.n. im Auge des Betrachters. Ein Fluch ist genauso ein Segen.

Gesinnungswechsel gibt es prinzipiell einfach nicht. Das hängt vor allem mit Bewußtseinserweiterung zusammen, sprich beispielsweise neuen Informationen/Fakten/Sichtweisen/wasauchimmer. Wenn in dem Charakter keinerlei Bereitschaft angelegt ist, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, dann tut er es auch nicht und basta.

Ein Charakter, der im Grunde genommen ein absoluter Egoist ist, wird stets seinen Vorteil im Auge behalten, und somit höchstwahrscheinlich auch des Öfteren die Seiten wechseln. Ist er deswegen "böse", oder eher ein Überlebenskünstler?
Ein Charakter, der absolut loyal und treu aus Überzeugung seinem Herren dient, ist der deswegen "gut"? Oder einfach nur dumm, weil er nicht über den eigenen Tellerrand hinausschaut und die Augen vor dem verschließt, was sein Weltbild eventuell über den Haufen werfen könnte? Er könnte auch ... bequem ... sein, da er das Denken anderen überläßt.

@Andoras: Ich, wäre ich an Deiner Stelle, würde, wenn ich vorhätte, ein solches Werk zu veröffentlichen, seehr vorsichtig bezüglich der "Gesinnungs"wechsel sein. Zuviel Umdenken und Umschwenken macht einen Charakter eher unglaubwürdig. Und zudem denke ich, daß Leser sich gerne mit Charakteren identifizieren. Es käme schon sehr auf den Inhalt und die Zielgruppe an.

Dämmerungshexe

Ich denke was durchaus passieren kann ist, dass wenn es tatsächlich um einen böse > gut > böse Konstellation geht, der "Böse" nur gut gespielt hat um irgendetwas zu erreichen. Das wäre durchaus glaubhaft ("Ach, ihr habt mich geläutert!" --> Backstab!)

Das mit dem tatsächlichen Gesinnungswandel finde ich etwas schwieriger. Ich schließe mich meinen Vorredner an: das kann sehr ungeplant und ehr nervtötend wirken. Aber es kommt natürlich wie immer auf die Art an wie du das verpacken möchtest.

Ganz allgemein würde ich sagen, dass solch eine Figur auf den Leser vielleicht nicht unbedingt abschreckend wirken muss - nur verwirrend und undurchschaubar. Wenn das dein Ziel sein sollte - kein Problem.

Eine weitere Möglichkeit, die ich als vollkommen plausibel erechten würde, ist eine Figur die einfach vollkommen wahnsinnig ist, bei der solche Wandel und Schwankungen einfach normal sind. Solche Charaktere sind aber sehr schwierig zu schreiben.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Sprotte

Der Klassiker für scheinbare Gesinnungswechsel ist Jack Sparrow im ersten Film.
"Auf welcher Seite ist Jack?" - "Im Augenblick?"
Er hat aber nie wirklich einen Gesinnungswandel durchgemacht, sondern immer nur an sich selbst gedacht. Das ist verständlich und glaubwürdig, zur Verfolgung eigener Ziele (das Jack nie aus den Augen verloren hat) das Fähnlein in den Wind zu hängen.

Aber komplette Gesinnungswandel in eine Richtung sind schon selten. Hin und Zurück: Nein.

Runaway

Also ich steh dem Ganzen sehr aufgeschlossen gegenüber. Ich konnte bisher jedem Leser einen einmaligen Gesinnungswechsel sehr plausibel verkaufen und denke, daß man das durchaus auch mit einem "Rückgesinnungswechsel" an den Mann bringen kann - vorausgesetzt, man macht es wirklich gut!
Denn sonst sähe das wohl wirklich etwas unentschlossen aus. Aber ich würd der Sache auf keinen Fall eine grundsätzliche Absage erteilen! Wenn man das sauber hinkriegt, ist das doch klasse.

Alia

Gesinnungswechsel im Sinne von böse zu gut und andersrum kann ich mir auch nur schwer vorstellen. Es ist aber durchaus glaubwürdig, dass ein Charakter immer das macht, was ihm gerade am erfolgsversprechenden erscheint. (siehe Sparrow...)
Anders ist es, wenn du zB jemanden hast, der gegen den Monarchen rebelliert. Der Monarch schafft es durch seine sympathische Art und mit (leeren) Versprechen ihn auf seine Seite zu ziehen. Wenn der Rebell dann merkt, dass er die ganze Zeit nur an der Nase herum geführt wurde (und vielleicht sogar alles noch schlimmer ist, als er zuvor dachte), ist es glaubwürdig, wenn er von einem Fürsprecher wieder zu einem Gegner wird. Evtl. sogar zu einem noch erbarmungsloseren als vorher.
Muss ja auch kein Monarch sein. Kann jeder andere Mensch sein (Komm, lass es uns noch einmal versuchen, Liebling. Ich bleibe dir auch treu...), kann eine Regierung sein oder es kann eine Entwicklung wie zB neue Energiequelle nutzen sein.

Telas

Das Ganze scheint also nicht unbedingt empfehlenswert zu sein, genau, wie ich befürchtet habe. Ich denke, ich werde es so machen, wie einige hier auch vorgeschlagen haben. Der Bösewicht läutert sich erst und im Laufe der Zeit fällt er in sein altes Muster zurück. Das ist durchaus nicht unrealistisch. Außerdem bin ich gerade am Überlegen, ob der Charakter den Wechsel vielleicht nicht doch nur vorspielen soll, um am Ende besonders hinterlistig zu wirken. :snicker:

Zit

Zitat von: AndorasAußerdem bin ich gerade am Überlegen, ob der Charakter den Wechsel vielleicht nicht doch nur vorspielen soll, um am Ende besonders hinterlistig zu wirken. :snicker:

Sei vorsichtig, dass es am Ende nicht nach reinen Stylepoints aussieht. ;)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Simara

Mein Mizuki ist vom Königstreuen Gardisten zum Veräter geworden und seit seiner Flucht wechselt er die Seite je nach dem wo er für sich die größten Überlebenschancen sieht. Zählt das? ???  Insgesamt kommt es wohl immer auf die Art und Weise der Aufmachung an, und darauf wie "Böse" welche Seite wirklich ist...

Sanjani

Hallo Andoras,

nun möchte ich meinen Senf auch noch kurz dazugeben ;)

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Charakter, der zuerst egoistisch und grausam ist, plötzlich selbstlos und hilfsbereit wird und danach wieder egoistisch und grausam. Jedenfalls nicht so, dass sein Charakterbild sich völlig umkehrt.

In meiner Welt gibt es allerdings zwischen allem ein Gleichgewicht, also zwischen Hass und Liebe, Egoismus und Altruismus, Dominanz und Nachgiebigkeit usw. Deshalb gibt es schon Möglichkeiten diese Seiten an jemandem hervorzukehren, weil immer beides in jedem Wesen vorhanden ist, aber oftmals lebt eine Seite stärker als die andere. Aber das zweimal zu machen, würde ich mir auch nicht zutrauen.
Ausnahme sind meine Sirenen der Nacht. Da habe ich bei Daria einen ähnlichen Fall, sie ist zuerst gut, dann böse und am Ende wieder gut. Allerdings wandeln Sirenen bei mir genau zwischen gut und böse und wissen nicht so recht, wo sie eigentlich hingehören. Deshalb konnte ich das machen, aber deshalb ist es auch das ganze Buch lang so, dass zumindest der eine oder andere Protagonist ihr nie voll über den Weg traut, weil keiner weiß, wieso sie Dinge tut, ob sie sich davon was verspricht oder ob sie es wirklich ehrlich meint. Und ich glaube, Daria weiß das selbst manchmal auch nicht.
Aber das ganze war von vornherein so konzipiert und ich glaube, es ist nicht zu schlecht geworden ;)
Vielleicht hilft es dir ja auch beim Plotten und später beim Schreiben darauf zu achten, ob sich das, was du da schreibst, für dich auch richtig anfühlt. Ich fahre damit ganz gut, glaub ich jedenfalls.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Telas

Hallo Sanjani,

ja, den Gedanken, dass sich die Figur vom überzeugten Bösewicht zur guten Seite wandelt und dann noch einmal die Kehrtwende zum Bösewicht macht, habe ich verworfen. Das wäre einfach zu übertrieben. So viele Schicksalsschläge kann man gar nicht in ein einzelnes Leben einbauen, um diese Wechsel glaubhaft zu bewirken. Den Gedanken, dass die Figur nicht weiß, was sie will, habe ich beim Plotten auch berücksichtigt. Am Ende war sie aber zu böse, um gut zu sein. Also spielt sie es den anderen nur vor, gut zu sein, während sie in Wahrheit nie die Seite wechselt.

Aber danke für die Anregung, auf jeden Fall.

LG Andoras