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Bösewichte und unsympathische Charaktere

Begonnen von Sanjani, 12. November 2010, 12:08:43

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Sanjani

Hallo ihr Lieben,

ich hoffe, ich habe keinen Thread übersehen, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Und zwar stelle ich häufig fest, dass es mir unheimlich schwer fällt aus der Sicht von sog. Bösewichten bzw. Antagonisten zu schreiben. V. a. wenn der Charakter unsympathisch herüberkommen soll, ist er mir persönlich meist auch so unsympathisch, dass ich nicht aus seiner Sicht schreiben kann. :wums:
Außerdem finde ich es oft schwierig mich in "böse" Charaktere einzufühlen. Also das gilt nicht für so Sachen, die einem selbst auch bekannt sind (sei es von sich selbst oder aus dem Freundeskreis). Einmal habe ich z. B. eine gehabt, die war neidisch auf ihre Bandkollegin und hat sich dementsprechend aufgeführt, hat auch in deren Tagebuch gelesen und Sachen durchwühlt und so etwas. Das war teilweise sogar lustig zu schreiben, aber sie war trotzdem noch menschlich.

Aber wenn man so Charaktere hat, die über Leichen gehen und denen das nichts ausmacht, da hört es bei mir irgendwie auf, weil mir persönlich das einfach zu fremd ist irgendwelche Ziele ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen.

Kennt das Problem hier vielleicht auch jemand? Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass es daran liegt, dass ich den Chara nicht gut genug kenne, aber vielleicht möchte ich ihn auch nicht kennen lernen. Andererseits weiß ich z. B. von meinen Sirenen der Nacht, die ja weder gut noch böse sind, dass sie z. B. das Wort Vertrauen in ihrer Bedeutung nicht kennen und es ihnen auch nichts wert ist. Die machen halt das, wozu sie gerade Lust haben. Manchmal helfen sie aus Mitleid, ein andermal ist es ihnen egal und sie lassen den Hilfsbedürftigen links liegen, mal überspitzt gesagt. Aber aus ihrer Sicht schreiben könnte ich wohl trotzdem nur sehr schwer.

Das alles heißt nicht, dass es bei mir nur rosig zugeht, sondern nur, dass ich lieber aus der Sicht der "Guten" schreibe und das Böse erzähle, was ihnen widerfährt. Aber eine andere Sicht bringt ja oft auch noch andere Aspekte mit ein, weil Böse ja auch vom Standpunkt abhängt, an dem man sich befindet.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Wollmütze

Hallo Sanjani,

Vielleicht solltest du dich einfach mal mehr mit deinen Bösewichten beschäftigen.
Böse ist man nicht einfach so, man wird es.  :darth:
Vielleicht weil einem irgendetwas Schreckliches in der Vergangenheit widerfahren ist und man danach eine schützende Mauer um sich herum aufbaut. Du brauchst Motivationen und Vergangenheit. Kein Mensch ist böse oder gut, Menschen handeln nur böse oder gut, und warum deine Antas so handeln wie sie es tun, ist dir überlassen.
Am gruseligsten ist es, wenn man als Leser merkt, dass man das Handeln eines Antagonisten tatsächlich nachvollziehen und sich teilweise(wenn auch nicht in so krassem Ausmaß oder in geschilderten Situationen) darin wieder finden kann. Wenn ich mich dabei ertappe, ist dem Autor der Charakter wirklich gelungen.

Alles Liebe,
Die Wollmütze.

Lomax

Da fühle ich mich jetzt natürlich angesprochen. ;)

Erst mal vorneweg: Es gab in den letzten Jahrzehnten einen zunehmenden Trend zu "coolen" Bösewichten, zum "Flirt mit dem Schurken", bei dem der Antagonist dem Protagonisten gerne den Rang abläuft oder bei dem der Protagonist selbst als weniger gut gezeichnet wird. Und auch wenn ich mich selbst derzeit etwas darauf eingeschossen habe, sehe ich die Entwicklung nicht unkritisch. Irgendwann war das mal ein neues, erfrischendes Muster, eine Abkehr von Klischees. Inzwischen ist es eine eigene Sammlung von Klischees geworden, oft mit sehr problematischer Abgrenzung oder einem naiven Relativismus. Man kann also kaum noch davon sprechen, dass diese Art zu erzählen origineller ist, und eigentlich ist das ganze Spektrum vom "farbigeren Touch" bis hin zu den schlimmsten Übertreibungen hier auch schon abgegrast.
  Mein Fazit also: Man muss sich nicht mit "bösen Figuren" anfreunden, um eine Geschichte zu erzählen. Genauso gut kann man nach wie vor bei den Guten bleiben, aus deren Sicht erzählen und das "Böse" nur aus deren Perspektive schildern. Dafür wird immer ein Markt da sein, und weil man halt nicht automatisch origineller ist, wenn man den "Bösen" zu Wort kommen lässt, verliert man auch nicht viel, wenn man auf gewollte Auftritte desselben verzichtet.
  Man kann den Bösen näher thematisieren, aber man kann es auch bleiben lassen. ;)

Wenn man es tun will, gibt es dafür sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten. Ich schildere mal die Erfahrungen, die ich in dieser Richtung gemacht habe, und vielleicht sind ja Linien dabei, mit denen du dich anfreunden kannst und die dir Ansätze geben, dich in Bösewichte einzufühlen.
  Mit meinen "Finstervölker-Büchern" habe ich ja ganz explizit die klassischen Bösewichte zu Hauptfiguren gemacht, also die klassischen Bösewichter der Fantasy. Eingeführt habe ich das ganze mit einem leicht parodistischen Touch - man findet bei den üblichen "guten" Völkern auch genug Eigenschaften, über die man sich ärgern könnte. In der Regel werden sie in der Fantasy mit einem liebevollen Blick gezeichnet, teilweise als "Völkerklischees" mitgetragen, über die man etwas lächeln kann. Der arrogante Elf, der schmuddelige und rauflustige Zwerg ... Aber all diese "typischen" Charakterschwächen kann man auch mit einem boshaften Auge betrachten, das nichts entschuldigt, sondern genau diese typischen Eigenschaften auf eine Weise zeigt, die unsympathisch macht.
  Und damit hatte ich für meine Romane schon mal die erste Umkehrung der Rollen geschaffen. Die Elfen sind auf eine verächtliche Weise überheblich, Zwerge schmutzig, brutal, penetrant und oberflächlich. Damit hat man schon mal einen negativen Blick auf die klassischen "Guten" - und einen ersten Schritt in die Perspektive der Bösen.
  Ich denke also, das könnte helfen, sich in die Welt der "Bösen" hineinzuversetzen - sich die "liebenswerten Schwächen" seiner guten Figuren zu überlegen, über die Freunde freundlich hinwegsehen, und dann einfach weiterspinnen, wie sie ohne diesen freundlichen Blick empfunden werden können. Da findet man sicher schon eine Menge, bei dem man sich in die "Bösen" einfühlen kann und gut versteht, warum sie die "Helden" nicht mögen.
  Das nächste, was ich bei den Finstervölkern gemacht habe, war, "das Spektrum zu dehnen". Ich habe den Völkern ihre beobachtbaren Eigenschaften belassen, der Troll war etwas dumm und ziemlich eklig brutal; der Goblin kampfeslustig, die Nachtalbe verschlagen - aber ich habe ihnen zusätzliche Motivationen gegeben. Damit hatte ich unter den Bösen ein Spektrum von den eher zu Schabernak geneigten Gnomen bis hin zum wirklich unberechenbar bösen Wardu ... der aber auch seine eigene Geschichte hatte und dadurch irgendwo zwischen tragischer und elender Gestalt stand. Insgesamt wurden die bösen so nicht mehr böse, sondern entweder ganz normal menschlich-verkorkst oder einfach nur fremd - an sich sympathische Gestalten, die in manchen Dingen halt nicht die menschlichen Wertmaßstäbe anerkennen, also genau wie du das bei den "Sirenen" beschreibst.
  Auf diese Weise sollte es eigentlich möglich sein, sich in Figuren einzufühlen, die den klassischen Guten gegenüberstehen und böse Dinge tun - aber so, dass man selbst trotzdem mit ihnen fühlen kann und sie vielleicht sogar dem Leser sympathisch werden können.
  Eine zentrale Figur der beiden ersten Romane war der Gnom Darnamur. Das war in vielerlei Hinsicht die böseste Figur. Von der Anlage her war er einfach ein Psychopath, im klinischen Sinne, mit genau den Defiziten, die dieses Krankheitsbild auszeichnen, und mit einem etwas krudem Weltbild, mit dem er für sich selbst diese Lücken gefüllt hat. Und dazu kam, dass er in dem, was er tat, wirklich gut war - in dieser Hinsicht ein echter Held. Und in der Summe ein ziemliches Monster. Ich habe das Gefühl, damit ist er auch zu einer ziemlich verhassten Figur geworden ...
  Aber er hatte auch ein paar Loyalitäten, konnte zwischendurch Kameradschaft pflegen und hatte auch so seine Gefühle, und insgesamt konnte ich sehr gut mit ihm leben. Er tat mir oft einfach leid, weil er genug Anknüpfungspunkte hatte, an denen man sehen konnte, wie gut er hätte sein können. Wären die äußeren Umstände andere gewesen, hätte er zum richtigen Zeitpunkt selbst Führung gehabt, wäre sein Charakter ein bisschen weniger verkorkst, dann wäre es ein Held mit Potenzial gewesen, und das schwang für mich immer mit, wenn ich aus Sicht dieser Figur geschrieben hatte. Und in der ein oder anderen Szene habe ich von Lesern ähnliches gehört.
  Ich denke darum, das ist eine weitere Möglichkeit, sich bösen Figuren anzunähern, indem man sie vielschichtig genug macht, um sich ein anderes, besseres Verhalten von ihnen auszumalen und dadurch, wenn sie Böses tun, immer gleich im Kopf zu haben, was sie dazu bringt, warum sie das jetzt tun - und dann kann man die Figuren die schlimmsten Dinge tun lassen und empfindet gleichzeitig ein gewisses Verständnis, warum es so kommen musste. Die Distanz zu den Taten an sich wird ersetzt durch eine gewisse Traurigkeit über das, was hätte geschehen können, aber nicht geschehen kann.

Das wäre dann auch schon der zweite Teil des "Bösen", das "menschliche Böse". Bei den oben angesprochenen Finstervölker-Romanen habe ich ja in erster Linie die klassischen bösen Völker verwendet. Aber ähnlich wie bei deinen Sirenen ist es da noch leichter, sich dem Bösen anzunähern - einfach weil man ein theoretisches Konstrukt setzen kann, warum diese Völker gewisse Dinge tun, die man als Böse empfinden kann, aber warum sie dabei trotzdem "ganz nett" sein können. Man hat halt nicht menschliche Völker, denen man ein paar Eigenschaften unterschieben kann, die zu unschönen Taten führen, ohne den Charakter per se zu beschädigen. Man kann die bösen Eigenschaften begrenzt halten und darum herum einfach einen sympathischen Gesamtcharakter konstruieren. Nicht zuletzt darum, weil die Distanz zum "wirklichen Bösen" in der menschlichen Welt gegeben ist.
  Bei Darnamur und dem Wardu hatte ich eigentlich schon eine typisch menschliche Psychologie im Hintergrund, und ich muss sagen, es tut irgendwie umso mehr weh, je näher man der Wirklichkeit kommt.
  Und entsprechend bleibe ich bei dem Roman, den ich jetzt schreibe, eigentlich den Bösewichten treu, auch wenn das nur unter Menschen spielt und diese Menschen jetzt sogar diejenigen sind, die fürs Gute kämpfen. Aber sie sind trotzdem irgendwie noch härter drauf und noch düsterer als all die Goblins, Nachtalben und Trolle aus den ersten Romanen, und die Art, wie ich Kontakt zu ihnen halte und aus ihrem Standpunkt erzähle, ist im Grunde dieselbe wie bei Darnamur: Da ist ein wenig Mitleid und Verständnis dabei, weil ich zu jeder Zeit nicht nur weiß, was sie tun und was ich gerade schreibe, sondern auch, warum sie es tun und wie sie so geworden sind, wie sie sind. Und wenn man weiß, wie sie sich eigentlich selbst das Leben schwer machen oder wie das, was mit ihnen passiert ist, es ihnen jetzt eigentlich unmöglich macht, wieder auf die "richtige Spur" zu kommen, dann ist das Mitgefühl ganz von selbst dabei.
  Und "mitfühlen" ist es ja, was man können sollte, um aus der Perspektive des Bösen zu schreiben. Und es heißt nicht, dass man es selbst gutheißen muss, man muss die Figuren nur irgendwie verstehen können; und zum Verständnis reicht es halt auch schon, zu wissen, wo und warum die Figur anders ist als man selbst.
  Ich denke, das kannst du vielleicht auch erreichen, indem du dich einfach auf die Figur einlässt, sie kennenlernen willst und ihr zuhörst und dann beschreibst, was sie tut, ohne immer nur "aus dir selbst heraus" zu schreiben.

Ob du es tun solltest, ist eine andere Frage. Wie oben gesagt, müssen muss man es sicher nicht. Und warum sollte man bei einer Figur bleiben, die Dinge tut, die man nicht ertragen kann? Denn selbst wenn man weiß, warum sie das tut, und Verständnis für die Figur entwickelt, kann es dennoch sein, dass die Taten dieser Figur einem weh tun, und man ist ja immer selbst derjenige, der das schreibt.
  Da muss man sich sicher auch nicht kaputtmachen, wenn einem das nicht liegt und wenn man das gar nicht so genau beschreiben will - und vor allem nicht auch noch die Gedanken des Täters dabei in seinem Kopf haben möchte. Die Frage wäre also immer noch, wenn man es nicht muss, ob man unbedingt etwas schreiben sollte, was einem eigentlich völlig gegen den Strich geht.
  Sicher gibt es auch genug andere Arten, eine abgerundete Geschichte zu erzählen, und man sollte sich als Schreiber ruhig auf das konzentrieren, was einem liegt - nicht auf irgendwas, von dem man glaubt, dass man es schreiben sollte. Wenn man sich zwingen muss, aus der Sicht des Bösen zu schreiben, oder wenn man feststellt, dass man den Bösen dabei allzu sehr "korrigiert" und nicht das schreibt, was er eigentlich tut, sondern nur das, was man selbst ihm noch zugesteht - dann sollte man es vermutlich lieber bleiben lassen.
  Und persönlich ganz schlimm finde ich es, wenn die Darstellung des Bösen darunter leidet - wenn also der Bösewicht plötzlich blass, farblos und harmlos wirkt, weil der Autor so viel Verständnis für ihn entwickelt hat, dass er glaubt, das auch dem Leser nahebringen zu müssen und der Welt zu beweisen, dass sein Bösewicht im Grunde ja doch ein netter Kerl ist. Wenn man aus der Perspektive des Bösewichts schreibt, sollte man auch den Mut haben, ihn wirklich böse, unentschuldbare Dinge tun zu lassen, die ihn auch als Bösewicht wirken lassen. Ansonsten hat man am Ende keine interessante zweite Perspektive, sondern einen lauen Text; und das wäre nun wirklich das Böseste, was ein Autor tun kann  ;D

Thaumaturgon

Da kann ich nur zustimmen. "Böse Menschen" sind ja in erster Linie Menschen, und nur in zweiter Hinsicht (aus der Perspektive anderer) "böse". "Böse" werden Leute genannt, die ihre eigenen Interessen durchsetzen gegenüber den Interessen anderer, so einfach ist das. Es gibt für alles mindestens zwei Sichtweisen. Ich selbst finde es viel interessanter, die verschiedenen Ziele, Handlungen und Methoden der Charaktere zu beschreiben und es dem Leser zu überlassen, was und wen er gut heißt und was nicht. Meine "Guten" sind nicht immer gut, und meine Bösen nicht nur böse. Sowas wäre ja für kleine Kinder gerade noch zumutbar, aber Heranwachsende oder Erwachsene langweilt das.

"Böse" zu sein ist keine primäre Eigenschaft. Versuch, die Antagonisten nicht als böse zu sehen (mit dem resultierenden Problem, wie Du ihn möglichst böse bekommst), sondern frage Dich, welche Ziele er hat (die denen der Protagonisten entgegenstehen) und wieso er diese Ziele so vehement verfolgt (tut er das nicht, gibt er nach und der Konflikt erledigt sich von selbst). Es muss klar sein, warum er von dem Ziel nicht ablassen kann, und warum das Erreichen des Zieles für ihn ALLES bedeutet und wichtiger ist als Nettigkeiten oder das Leben eines Unbeteiligten - je nachdem, worum es geht.

Böse Leute tun nicht alles dafür, böse zu sein; sie tun alles, um ihre Ziele zu erreichen. Und das kann auch beinhalten, nett zu sein, zu verführen, eloquent zu sein und höflich. Der Böse kann auch menschlich und zuvorkommend, ja, aufopfernd sein, solange ihn das nicht von seinem Ziel entfernt. Warum auch nicht? :-) Umso echter wird er, umso mitreißender, umso erschreckender.

Grüßle

Thauma :-)

Sonnenblumenfee

Ich kann meinen Vorschreibern nur zustimmen.

Ich kenne mich leider mit dem Thema nicht sehr gut aus, aber in meinem diesjährigen NaNo-Roman habe ich (zum ersten Mal) Protas, die aus Sicht einiger anderer Charaktere ganz sicher als "böse" bezeichnet werden könnten. Sie selbst sind nur so überzeugt von sich und den Überzeugungen, die ihnen über Jahrhunderte eingetrichtert worden sind. Dazu kommen dann noch religiöse Ansichten.
Ihrer eigenen Überzeugung nach sind sie "gut", aber als halbwegs objektiver Betrachter würde ich dem nicht zustimmen. In ihrem sozialen Gefüge sind sie vollkommen in Ordnung, aber sobald man an Grenzschichten geht oder sie von außerhalb betrachtet, werden sie böse.

Man muss also mMn bei den "Bösen" unterscheiden, ob sie wirklich von grund auf "böse" sind (sprich: Eigenschaften und Angewohnheiten haben, die mit unserer menschlichen Normenvorstellung  gar nicht vereinbar sind), ob sie, wenn man ihre Geschichte und Motivation berücksichtigt verständliche Gründe für ihr "böses Verhalten" haben, oder ob sie einfach nur "missverstanden" werden/ werden können.
"Discipline is my freedom" - Gretchen Rubin

Lomax

Zitat von: Sonnenblumenfee am 12. November 2010, 14:39:44Man muss also mMn bei den "Bösen" unterscheiden, ob sie wirklich von grund auf "böse" sind (sprich: Eigenschaften und Angewohnheiten haben, die mit unserer menschlichen Normenvorstellung  gar nicht vereinbar sind), ob sie, wenn man ihre Geschichte und Motivation berücksichtigt verständliche Gründe für ihr "böses Verhalten" haben, oder ob sie einfach nur "missverstanden" werden/ werden können.
Ich denke, im Rahmen der Fragestellung ist diese Fragestellung nicht so wichtig. Vor allem ging es Sanjani ja darum, dass ihr persönlich diese "bösen" Verhaltensweisen zu fremd sind, um unbefangen aus dieser Perspektive schreiben zu können. Es geht also wohl vor allem um das, was aus unserer Sicht und nach den Normen des Autors unvertretbar ist. Also "böses" Verhalten, so wie wir es jetzt verstehen.
  Wenn man sich beispielsweise eine Kultur vorstellt, die Hexenverbrennungen gut findet und nach dem Motto "schmerz reinigt die Seele" Folter für eine gute Tat hält, dann wäre möglicherweise eine Figur, die so lebt, nach den Vorstellungen dieser Kultur gut, und jemand, der Sanftmut predigt und Hexen vor dem Scheiterhaufen rettet böse - trotzdem gehe ich mal davon aus, dass Sanjani im Rahmen ihrer Fragestellung dann eher Probleme hätte, die "Guten" dieser Kultur zu beschreiben, als den sanftmütigen Befreier. Es geht also wohl wirklich eher darum, was wir als "böse" empfinden. Das ist durchaus ein Problem an sich, weil man dasselbe ja auch dem Leser vermitteln muss, dem die Normen der anderen Gesellschaft vermutlich auch ferner liegen als seine eigenen Vorstellungen von gut und böse.

Sanjani

Hallo zusammen,

@Wollmütze: Mein Problem ist auch oft beim Lesen, dass ich die Sichtweise des aus meiner Sicht Bösen nur schlecht nachvollziehen kann, geschweige denn mich damit identifizieren. Das muss der Geschichte und dem Gesamtkonzept keinen Abbruch tun, nur ich habe Probleme es zu lesen und es zu verstehen. Und in dem Punkt kann ich dann wohl auch nicht durch Lesen lernen.

@Lohmax: Danke für deine Ausführungen, das hilft mir schon ein bisschen weiter.
Ich kann schon auch schlimme Dinge in meinen Büchern passieren lassen, aber halt einfach nicht aus der entsprechenden Sicht schreiben, wie du das mit dem sanftmütigen Befreier angedeutet hast. In meiner Geschichte foltern Schattenkrieger z. B., weil sie dadurch auf irgendeine, vllt magische Weise Kraft bekommen. Aber ich könnte nie schreiben, wie z. B. ein Schattenkrieger sich darauf vorbereitet, dass er gleich ein besonders gutes Opfer hat und die Vorfreude darauf. Das wäre jetzt auch für die Geschichte nicht wichtig, aber um mal ein Beispiel zu bringen. Ich finde es legitim, dass die das machen, aber ich kann es eben nicht aus ihrer Sicht schreiben.

Aber vielleicht muss ich das ja auch nicht.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Telas

#7
Ich gehe in Wollmützes Richtung.

Die Sichtweise eines Bösewichts sollte sich vor allem aus dessen Ursachen ableiten, weswegen er überhaupt böse wurde.
Sicher, Schurken gibt es in der Literatur genug, aber so verschieden, wie sie auf den ersten Blick, vielleicht wirken, sind sie gar nicht.

In Krimis sind zum Beispiel gerne psychopathische Einzelgänger die Mörder, die selbst eine schwere Kindheit hatten und dementsprechend fehlgeleitet wurden. Man kann ihre Sicht auf die Welt fast schon als kindlich- verwirrt beschreiben so als wüssten sie gar nicht, was sie da tun.

Dann gibt es die Antas, die von der Gier besessen sind. Bei mir sind das zum Beispiel irgendwelche Fürsten, die gar nicht genug Gold und schöne Frauen haben können. Ich glaube das nie endende Verlangen nach Geld kann auch böse machen.

Oder aber der Anta hatte selbst einen schweren Schicksalsschlag, vielleicht einen Autounfall mit Todesfolge oder einen Mordfall in der Familie und wird mit der Ungerechtigkeit nicht fertig. Deshalb will er sich an der ganzen Welt rächen.

Das jetzt nur als drei Beispiele. Man muss immer Ursachenforschung betreiben, von Natur aus böse ist wohl niemand. So dürfte es vielleicht leichter fallen, nachzuvollziehen wie jemand denkt, dessen Prinzipien man ablehnt. Man muss sich nur überlegen, wie wurde derjenige zum Wahnsinn getrieben und vor allem, wie hätte ich mich in so einer Situation verhalten.

Sonnenblumenfee

Zitat von: Lomax am 12. November 2010, 15:04:55
Ich denke, im Rahmen der Fragestellung ist diese Fragestellung nicht so wichtig. Vor allem ging es Sanjani ja darum, dass ihr persönlich diese "bösen" Verhaltensweisen zu fremd sind, um unbefangen aus dieser Perspektive schreiben zu können. Es geht also wohl vor allem um das, was aus unserer Sicht und nach den Normen des Autors unvertretbar ist. Also "böses" Verhalten, so wie wir es jetzt verstehen.

Ich finde schon, dass das eine Rolle spielt. Wenn ich mir nämlich bewusst mache, ob die Figuren wirklich "böse" sind oder nicht, hilft mir das beim Schreiben schon enorm viel. Ich kann dann zum Beispiel versuchen, mich in die Kultur einzufühlen, statt nur in den bestimmten Chara.
"Discipline is my freedom" - Gretchen Rubin

Mika

Interessant dass dieses Thema hier ausgerechnet jetzt aufkommt. Gestern habe ich ein Buch bei mir in der Arbeit gefunden dass sich genau mit diesem Thema befasst und das ich irrsinnig interessant finde. Es befasst sich mit der Konzeption der Bösewichte in der Literatur, angefangen beim Fall der Engel, über den Sündenfall bis hin zu den verschiedensten Arten des Bösen das man bei namenhaften Autoren finden kann. So befasst es sich unteranderem mit Poe, Schiller, Hegel, Kleist, Stare, Genet und vielen anderen Autoren. Überaus interessant finde ich dass dieses Buch soweit ich bislang gelesen habe auch immer versucht die Motive die hinter dem bösen Stecken abzuklären.
Vielleicht wäre das ja etwas das dir weiter helfen würde dich in deine Bösewichte einzufühlen?
Mit dem Buch kann man eben einfach sehen wie sich das Böse in der Literatur über Jahrhunderte hinweg entwickelt hat und welche Arten von Bosheit es gibt und teilweise auch wie verständlich diese ist.

Ich denke es verlangt keiner von dir dass es dir leicht fällt aus der Perspektive des Bösen zu schreiben, dass ist einfach eine Frage der persönlichen Einstellung. Mal abgesehen davon muss man ja eigentlich gar nicht aus der Perspektive des Bösen schreiben. Es ist durchaus recht gängig nur aus der Perspektive der "Guten" zu schreiben, warum sollte man sich also mit den Bösen abmühen wenn es einem nicht liegt? Ich denke sowas quält einen nur wenn man sich verzweifelt versucht zu zwingen auch aus der schlechten Perspektive zu schreiben obwohl man nicht will.

Mir persönlich fällt es teilweise beängstigend leicht aus der Sicht meiner momentanen Bösewichte zu schreiben, was sie tun, wie sie es tun, wie gemein und grausam sie zeitweise sind, allerdings versuche ich in meinem aktuellen Projekt immer die Motive herauszustellen, warum die Personen so geworden sind, nicht um mich in irgendeiner Art und Weise zu rechtfertigen, aber um es einem potentiellen Leser (falls es die jemals geben sollte) einfach ein Gefühl zu vermitteln warum diese Personen so sind wie sie sind und es ist auch für mich wichtig ihre Motive zu kennen, nur so kann ich sie beschreiben, mich in ihre Perspektive hineinversetzen und meine eigenen Moralvorstellungen ausblenden.

Ich weiß nicht ob das jetzt wirklich weiter geholfen hat, aber einen Versuch war es wert.

Grüße

mika

Ps. das Buch von dem ich geschrieben habe heißt: Ästhetik des Bösen, erschienen beim C.H.Beck, von Peter-André Alt. Vielleicht hilft es dir ja was?

Runaway

Ich kenne das Problem und deshalb verstehe ich es auch gut. Inzwischen achte ich mehr drauf und in dem, was ich aktuell schreibe, hab ich es mir besonders schwer (oder vielleicht eher leicht?) gemacht, denn ich habe eine Antagonistin, die psychisch krank ist und ich hab viele Szenen, die ich aus ihrer Sicht beschreibe. Jetzt muß ich natürlich einen Ton treffen, der realistisch ist. Das ist schwer. Was es einfacher macht, ist die bewußte Auseinandersetzung mit dieser Figur.
Ich find sie zwar völlig unsympathisch und abgedreht, aber sie ist eine interessante Figur und ich habe mir viel Mühe mit ihr gegeben. Das macht das Schreiben leichter. Wobei ich auch sagen muß: Ich kann nicht viel über sie schreiben. Ich brauche schnell Ablenkung, denn es ist sehr anstrengend und auch sehr deprimierend.
Leicht fallen muß es einem nicht, aber man sollte schon etwas Sorgfalt drauf verschwenden, denke ich.

Sanjani

Hallo Mika,

wie heißt denn das Buch und von wem ist es? Vielleicht wäre das auch eine Empfehlung für die Bibliothek?

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Mika

Ästhektik des Bösen, von Peter-André Alt, erschienen beim C.H.Beck Verlag 2010, ISBN: 978 3406 605031
(Hab das Buch auch bei mir in der Arbeit in der Fakultätsbib gefunden und von dem was ich bislang gelesen habe kann ich es nur empfehlen)

Sanjani

Hallo Mika,

herzlichen Dank. Dieses Buch gibt es bei uns in der Unibibliothek auch und es ist viel gefragt, verliehen mi 2 Vormerkungen. Hab mich mal bei den Vormerkenden eingereiht ;-)

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Luna

Interessantes Thema. Reibe mir gerade die Hände :snicker:. Die sog. Bösewichte, speziell skrupellose Tyrannen nebst Handlangern haben mich schon immer fasziniert und schließe mich da voll und ganz dem Trend für Schurken an. Ich versuche gerade eine komplette Story aus ihrer Sicht zu schreiben, was mir zugebener Maßen nicht leicht fällt, von fehlender Erfahrung mal ganz abgesehen.
Meine sind allerdings nicht derart pervers, wie solche Serienmörder, die Leichen zerstückeln odar aber Kinderschänder. Da kann und will ich mich auch nicht einfühlen. Meine sind eher Machtbesessen und gehen daher über Leichen. Das kann ich eher nachvollziehen. Meine Schattenkriegerin ist aufgrund eines Traumas und bedingt durch ihre harte Ausbildung emotional hinüber.
Ich persönlich habe es bislang so gehandhabt, dass ich meine Figuren über Morde, Eroberungsfeldzüge und dergleichen habe emotionslos nachdenken, bzw zynisch kommentieren lassen, wobei ich verdammt aufpassen muss, dass ich da nicht zu sehr ins Klischee oder ins parodistische gleite.

LG Luna