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Bösewichte und unsympathische Charaktere

Begonnen von Sanjani, 12. November 2010, 12:08:43

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Mala

#15
Hallo Sanjani!

Ich hab jetzt nicht alle Antworten gelesen (obwohl sie sicher interessant waren, verzeiht! Die Müdigkeit *gähn*), aber mir ging spontan die Frage durch den Kopf, wie du zu deinen eigenen "dunklen" Seiten stehst.

Als Menschen sind wir, das klang ja schon an, nicht per se gut oder böse. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle zumindest theoretisch das Potential in uns tragen, wirklich "böse" Dinge zu tun  :darth:
"Böse" meint in dem Zusammenhang ja in erster Linie, Anderen etwas Unangenehmes, Schmerzhaftes, Qualvolles anzutun und - noch schlimmer - es vielleicht sogar richtig zu genießen. Was allgemein als "gut" und was als "böse" gesehen wird, wie das zustande kommt und wer das wann wie definiert, das ist sicher eine interessante Diskussion.

Hier scheint das Problem ja eine ganz persönliche Angelegenheit zu sein. Wie kannst du persönlich Zugang zu den dunklen Seiten deiner Charaktere finden? Wie schaffst du es, sie dir zu eigen zu machen?

Um die Extase, die wahnsinnige Erregung und 'Freude' eines psychopathischen Killers wirklich lebendig und glaubhaft aus seiner Perspektive zu schildern, darf man nicht davor zurückschrecken diese Abgründe in sich selbst zu suchen. Das heißt nicht, dass ich glaube man müsse selbst zu einem Mörder werden (um bei dem Beispiel zu bleiben), um sowas glaubhaft schreiben zu können  ;) Aber ich glaube es ist sehr hilfreich (so ist das bei mir jedenfalls), wenn man die Angst und moralische Bedenken sich mit destruktiven Impulsen und Energien auseinander zu setzen, abbaut oder gar ganz außen vor lässt. Du bist nicht der Charakter, den du geschaffen hast und selbst, wenn du dich in einen absoluten Schurken hineinversetzt, seine Freude beim Quälen eines anderen Menschen nachvollziehst, bist du deswegen nicht selbst ein schlechter Mensch.

Ich hoffe es ist okay, dass ich einfach frei von der Leber weg schreibe, auch ohne, dass wir uns kennen. Das sind einfach meine Erfahrungen und du kannst mitnehmen, was für dich passt und den Rest einfach liegen lassen.

Früher hatte ich Angst (oder zumindest große Scheu) davor, mich mit den dunklen Seiten der Menschen zu identifizieren. Ich selbst habe in meinem Leben ein paar Mal zu oft zu spüren bekommen, was Menschen anderen Menschen antun können. Ich wollte absolut nichts mit denen gemeinsam haben, die mich verletzt haben. Aber als ich wirklich begriffen habe, dass ich so viele Gedanken- und Gefühlsexperimente machen kann, wie ich will, ohne dadurch ein schlechterer Mensch zu werden, ist der Knoten geplatzt.

Mittlerweile finde ich düstere Charaktere sehr faszinierend. Die kleinen, unsympathischen Eigenschaften, die jeder Mensch (oder welches Wesen unserer Fantasywelten auch immer) an sich hat, sind nur eine Seite. Die wahrhaft dunklen Abgründe, die uns in unserem Lebensalltag meist völlig fremd sind, sind die andere. Ich habe vor einer Weile ein paar Kapitel aus der Perspektive eines Mannes geschrieben, den man getrost als wahnsinnig bezeichnen kann. Er ist Telepath und von dem Wunsch nach Rache zerfressen. Die Szene, kurz bevor er mit einer zerstörerischen Bombenexplosion unzählige Menschen in den Tod reißt, hab ich noch immer lebhaft vor Augen. Er war elektrisiert und hat den Schmerz, die Angst und das Leid der Menschen - durch seine telepathischen und "empathischen" Fähigkeiten - ganz unmittelbar als reine Extase erlebt und genossen. Ziemlich ... böse. Wertfrei betrachtet aber auch ziemlich faszinierend und intensiv. Und intensiv ist gut ;)

Ich glaube, es ist eine fantastische Chance durch die Augen selbstgeschaffener Charaktere Dinge zu erleben, die uns in unserem eigenen Leben niemals begegnen werden. Dazu gehören auch zerstörerische, "böse" Erfahrungen. Der Schlüssel für mich ist, ihre Handlungen, Gefühle und Motive wertfrei anzunehmen und keine Urteile zu fällen.

Ob dir jemand dabei helfen kann einen Zugang zu deinen Bösewichten zu finden, weiß ich nicht genau. Mein Rat wäre in jedem Fall, sich etwas intensiver mit den eigenen Ängsten und Moralvorstellungen auseinander zu setzen. Sich mit einem selbst erschaffenen Charakter so weit identifizieren, dass man seine Motive und Gefühle nachempfinden kann und dennoch keine Angst haben sich selbst dabei zu verlieren, das ist meiner Meinung nach das Ziel.

Ich weiß nicht, ob das hilfreich war, aber das musste ich jetzt einfach loswerden  :innocent:

Liebe Grüße und viel Erfolg auf dieser spannenden Suche!
Mala

Lavendel

Ich würde vorschlagen, mal Filme wie Lord of War, American Gangster, der Pate etc. zu gucken. Im Grunde haben die alle das gleiche Konzept. Es geht um Männer, die böse, böse Dinge tun und gleichzeitig Menschen sind (das Klischee heißt in diesem Falle und wohl auch in allen anderen Filmen dieser Kategorie, dass sie ihre Familie lieben, obwohl sie zu vielen anderen Leuten unglaublich fies und auchs sonst gewissenlos sind. Manchmal werden sie zur Moral bekehrt, manchmal nicht, manchmal werden sie nur vom (filmischen) Schicksal gestraft, aber die Grundidee zu den Charakteren ist immer die gleiche). Um das Nachdenken anzufangen, kann man sich sowas ja mal unter dem psychologischen Gesichtspunkt angucken. Ich habe letztens auch RED im Kino gesehen, und die Figur, die Carl Urban spielt, folgt genau dem gleichen Konzept.

Die Klischeefalle ist natürlich da. Ich würde auch einfach mal Krimis gucken. Überlegen, aus was für Motiven die Mörder handeln. Vielleicht ist das ganz gut, weil im Krimi ja gewöhnliche Leute zu Mördern werden. Ich würde mich lieber gar nicht aufs Fantasy-Genre beschränken. Da gibt es eh zu viele Oberböse, die einfach nur wahnsinnig sind, Spaß am töten und quälen haben und manchmal irre Lachen.

Selbst wenn man perspektivisch bei 'den Guten' bleibt, ist es für meine Begriffe nicht ganz verkehrt, wenn man auch seine Antagonisten als Menschen sieht, die vielleicht skrupellos und manchmal grausam sind, die aber trotzdem noch menschliche Sehnsüchte und Bedürfnisse haben.

Zonka

Was ist gut und was ist böse?

Ein wichtiger Ausgangspunkt zum Zugang zu "Bösewichtern" scheint mir doch das Hineinversetzen in die Denkweise und Motivation zu sein. Selten bezeichnet sich ein Bösewicht auch selbst als böse. Autobiographien, oder Interviews mit totalitären Staatschefs, Kriegsverbrechern, Mördern, Kriminellen, und Betrügern sind da sehr erhellend. Da gibt es meist Hinweise darauf, dass derjenige davon überzeugt ist, das Richtige zu tun und dann der Zweck die Mittel heiligt. Um das für andere als "böse" wahrgenommene Handeln wird oft eine vom "Bösewicht" wohl durchdachte Legitimation konstruiert.
Ich ziehe auch psychologische Wälzer über Persönlichkeitsstörungen, Suchtkrankheiten zu Rate, das hilft beim Verstehen einer sperrigen Figur. Wenn ich etwas verstehe und auch literarisch stimmig darstelle, muss das nicht gleichbedeutend damit sein, dass ich es auch "gut" finde.
Oft sind die "Bösen" die, die sich nicht an Recht und Gesetz der sozialen Gemeinschaft in der sie leben gebunden fühlen. Selten ist aber jemand durch und durch böse und wenn der Antagonist ohne menschliche Schwächen, gute Seiten und Fähigkeiten dargestellt wird, dann wirkt er zu eindimensional und langweilig. An so einer Figur reizen den Leser doch meist die Widersprüche.

LG
Zonka


Churke

Da möchte ich doch noch einmal den Blick auf die Wahrnehmung durch Zeitgenossen und Anhänger richten.

Wir unterstellen gerne, dass ein Bösewicht abstoßen oder diabolisch faszinieren soll. Dabei kennt die Geschichte zahllose Massenmörder, die von ihren Anhängern als Helden gefeiert wurden.
Eine Ebene darunter agieren dann die fleißen Arbeiter ("Schreibtischtäter"), die nur ihren Job machen und ansonsten treusorgende Familienväter sind.
Und ganz unten die Männer fürs Grobe mit robustem Nervenkostüm.
So lange sich die Verbrechen gegen "Verbrecher" richten, kann man das seinen Leuten ziemlich gut als gerechte Vergeltung oder Rettung des Vaterlandes verkaufen.

Sanjani

Hallo zusammen,

@Mala: Danke für deine Ausführungen. Ich vermute mal, jeder hat eine ganz persönliche Grenze, bis zu der er sich Dinge vorstellen kann und möchte. Bei mir hängt das sehr stark davon ab, in welcher Stimmung und Lebenssituation ich mich gerade befinde. Wenn ich z. B. seeeehr ungerecht behandelt werde, kann ich mir auch Sachen vorstellen, was ich mit den betreffenden Leuten tun wollte, aber ich kann mir das nicht jetzt aus heiterem Himmel vorstellen. Ebenso machen mich z. B. schreiende Babys manchmal tierisch aggressiv, da darf ich gar nicht schreiben, was ich mit ihnen tun möchte (wovor ich auch Angst habe, dass ich das wirklich mal machen könnte, wenn es meins wäre), aber ob ich das wirklich aus dem Nichts heraus gut rüberbringen könnte, was da passiert, weiß ich nicht, v. a. weil das schon länger nicht mehr vorkam. Und das ist auch nur ein Beispiel. Was ich sagen möchte, ist, ich muss das, was ich schreibe, zumindest ein bisschen mitfühlen, sonst klappt es nicht. Und gleichzeitig stelle ich bei Filmen oder Büchern aber oft fest, dass ich mir die Sachen fast nicht anschauen kann, weil ich ständig denke: Warum machst du das so? Warum machst du es nicht anders? Das könnte aber auch was mit mir persönlich zu tun haben, da werde ich mich mal mit mir selbst beschäftigen :)

Krimis finde ich übrigens langweilig, nicht unbedingt wegen der Charaktere, sondern weil sie immer nach demselben Schema ablaufen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen. Und ich will ja auch nichts Abgekautes schreiben.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Mala

Hallo Sanjani,

ZitatIch vermute mal, jeder hat eine ganz persönliche Grenze, bis zu der er sich Dinge vorstellen kann und möchte.

In meinen Augen spielt das Wörtchen "möchte" hier die Hauptrolle. Aber da spreche ich nur für mich, nicht für die Allgemeinheit. Es fällt mir persönlich sehr leicht, mich in alle möglichen und unmöglichen Leute / Situationen hineinzuversetzen. Begrenzt wird das in erster Linie dadurch, dass ich vor Dingen zurückschrecke und mich nicht noch intensiver damit befassen will - mal bewusster und mal weniger bewusst. Vielleicht, weil sie zu unangenehm sind, mich zu sehr berühren oder auch, weil ich Angst davor bekomme, ob ich fähig wäre das was ich mir vorstellen kann auch zu tun.

Den Impuls, ein schreiendes Baby, das einen mit seinem Lärm den letzten Nerv raubt, irgendwie zum Schweigen zu bringen, kennen sicherlich viele viele Menschen. Auch wenn die wenigsten so etwas offen aussprechen. Aber wir (Menschen) sind in der Regel in der Lage solche Impulse zu kontrollieren. Es gibt einen himmelweiten Unterschied zwischen unseren Vorstellungen und unseren Taten. Es zählt letztlich nur, was wir auch wirklich tun und nur wenige Menschen sind überhaupt in der Lage dazu ihre dunklen Phantasien auszuleben. Bei der Masse an Krimiautoren gäbe es sonst sicherlich deutlich mehr Serienkiller ;)

Aber die Angst, die du beschreibst, kann ich trotz allem gut nachvollziehen.

Zitat"Der Dichter macht sich selbst zum Seher durch eine lange, unerhörte und wohlüberlegte Entgrenzung aller seiner Sinne. Alle Formen der Liebe und des Leidens, des Wahnsinns; er durchforsche sich selbst, er schöpfe alle Gifte seines Wesens aus und bewahre nur ihre Quintessenz für sich. Unsagbare Folter, für die er seinen ganzen Glauben braucht, seine ganze, übermenschliche Kraft, und durch die er unter allen Wesen der große Kranke, der große Verbrecher, der große Verdammte – und der Allwissende wird! – Denn er kommt an im Unbekannten! Weil er seine Seele die schon reich ist, noch reicher ausgebildet hat als je ein Mensch! Er kommt im Unbekannten an."

Das ist von Arthur Rimbaud und irgendwie passt das an dieser Stelle ziemlich gut.

Was die Krimis angeht... Ich habe in meinem Leben vielleicht eine handvoll davon gelesen. Die fand ich zwar teilweise dann doch spannend, aber das lag deiner Theorie nach wahrscheinlich nur daran, dass ich so wenige kenne  ;D
Allerdings will ich da auch den Krimiautoren, die sich verrenken und immer neue Kostüme für immer gleiche Geschichten erfinden, nicht Unrecht tun. Im Grunde wurde jede Geschichte, die Mensch sich ausdenken kann, schon einmal erzählt. Auch Fantasy läuft doch im Grunde oft nach dem gleichen Schema ab. Es wurde schon viel zuviel geschrieben, um noch etwas wirklich Neues zu erzählen. Trotzdem wollen die Menschen diese Geschichten von Helden, von Bösewichten und großen Herausforderungen immer wieder lesen. Originell werden Geschichten, in meinen Augen, vor allem durch die individuellen Charaktere und ihre Interaktion. Aber das führt jetzt etwas zu weit am Thema vorbei, fürchte ich.

Liebe Grüße aus dem nebligen Berlin,
Mala

Sanjani

Hallo Mala,

ich glaube auch, dass man v. a. den Willen haben muss sich bestimmte Dinge vorzustellen. Damit verknüpft sich ja auch irgendwie - zumindest für mich - die angst, doch unter bestimmten Umständen, zu so etwas fähig zu sein.
Du sagst zurecht, wir Menschen können unsere Impulse kontrollieren, aber beim Schreiben geht es ja v. a. darum zu schreiben, wie jemand den letzten Schritt geht und doch tut, was 99 andere sich vielleicht nur vorstellen.

Und dann gibt es ja auch so Einstellungen zum Leben, die man mitunter beschreiben muss, wenn man aus der Sicht eines "Bösewichtes" schreiben möchte. Hier hat mal jemand Machtgier erwähnt, glaube ich, das ist z. B. so etwas, das ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Oder wenn Leute sehr egoistisch sind. Ich kenne z. B. eine Person, die hält nur dann Kontakt, wenn sie von anderen irgendetwas braucht. Ich denke mal, dass das auch ein stückweit aus ihrer Lebensgeschichte hervorgeht, aber ich weiß nicht, was sie genau motiviert, ob sie das bewusst so macht (was ich eigentlich nicht glaube) oder irgendwas anderes. Dazu müsste ich offen mit ihr reden um mir ein Bild zu machen, aber das kann ich nicht, weil es, na ja, recht schwierig ist mit ihr über so etwas zu reden. Wie könnte ich also über so jemanden schreiben? Das ist z. B. so eine Person, die definitiv auch ihre guten und angenehmen Seiten hat, aber einfach eine Einstellung zum Leben, die ich in einem Buch nicht wiedergeben könnte, weil sie mir zu fremd ist. Das heißt nicht, dass ich mich nicht in andere Menschen hineinversetzen könnte, nur über einen längeren Zeitraum gesehen finde ich das schwierig. Und natürlich hängt es auch stark davon ab, worum es sich handelt, sei es Egoismus, Eifersucht, Verbitterung, Rachsucht, Neid o.ä. Ich habe zu diesen Themen sehr unterschiedliche Zugänge, manche sind offen, andere schwer begehbar und andere wiederum so gut wie verschlossen.

Na mal sehen, wie es wird, wenn eine meiner ursprünglich guten Figuren auf die böse Seite wechselt ;-) Da kenne ich zumindest die Motivation ganz gut, also wird es schon werden.

LG und danke für die vielen Anregungen,

Sanjani

PS: Noch was zum Thema Krimi: Natürlich erfindet man das Rad nicht neu, aber bei Krimis ist es mir als einziges so stark aufgefallen, dass immer dieselben Muster auftauchen, v. a. bei so Krimis, wo viel aus der Sicht eines Kommissars erzählt wird. Das ist immer das gleiche, Spurensicherung, Verhöre, Unstimmigkeiten und Widersprüche, neue Spuren, überraschende Wendung, Aufklärung des Falles. Mir persönlich kommt Fantasy da doch facettenreicher vor, aber das ist sicher auch Geschmacksache.
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Churke

Zitat von: Sanjani am 18. November 2010, 17:40:29
Und natürlich hängt es auch stark davon ab, worum es sich handelt, sei es Egoismus, Eifersucht, Verbitterung, Rachsucht, Neid o.ä.

Der Egoist, Eifersüchtige, Verbitterte oder Rachsüchtige denkt ja auch nicht in diesen Kategorien.  ;D
Eogismus heißt, erfolgreich voran zu kommen. Eifersucht, dass irgendein Schnösel jemandes Kreise stört. Und so weiter. Aus der Sicht des Bösewichts muss man diese Dinge einfach positiv sehen. Für ihn ist der Gute einfach nur ein Trottel - und wenn Trottel unverdient Erfolg haben - ist das gerecht? Steht der Erfolg, stehen die Ämter, die Reichtümer und das Mädchen nicht eher dem Tüchtigen zu?  :engel:

Sanjani

Hallöchen Churke,

ja das ist schon klar, dass der Betroffene nicht in diesen Kategorien denkt, :) aber ich als Autor denke natürlich schon so, weil ich mir ja Gedanken darüber machen muss, was ich genau ausdrücken möchte bzw. auch, wie es bei anderen ankommen soll.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Zit

Was du ausdrücken willst und wie du es am Besten tust, darüber musst du dir sicher Gedanken machen, keine Frage. Trotzallem bist du aber nicht der Charakter und wenn der Antagonist oder gar Protagonist nun mal tötet, weil es für ihn der einzige Weg ist um, keine Ahnung, die Welt zu retten (vll. aus Utilitarismus) - dann musst du kein schlechtes Gewissen haben. Im Gegenteil: Es ist von dir als Autor sogar ziemlich inkonsequent und lasch, wenn dein Egoist plötzlich auf das Stück Kuchen (oder die Beförderung) zu Gunsten eines anderen verzichtet - ohne dass für ihn daraus Vorteile entstehen. Also, wie soll ich sagen, deine Werte und Moral kannst du in deiner Planung miteinbeziehen - bei der Charakterzeichnung solltest du sie aber zu Gunsten deiner Charaktere mal zurück stellen. Vll. hilft es dir dann Dinge zu beschreiben, die deiner Meinung nach beschrieben werden müssen, dir persönlich aber völlig fern liegen?

(Ich behaupte auch einfach mal, dass ich als Autor an Erkenntnis gewinne, wenn ich meine Charaktere entgegen meinen Werten handeln lasse. ;D)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Churke

Sanjani, vielleicht denkst du da zu abstrakt.
Wenn man sich in eine Figur hinein versetzt und dabei ständig an die Wirkung denkt, verliert man das eigentliche Ziel aus den Augen. Meiner Meinung nach kommt die Wirkung von selbst, wenn die Figur glaubwürdig und dreidimensional dargestellt ist. Man muss sich nur darüber im Klaren sein, warum jemand etwas tut, und nicht, was die Leser darüber denken. Das kommt vielleicht dann, wenn man den Text überarbeitet.

Sanjani

Hallo,

@Churke: du hast es auf den Punkt gebracht. Und genau da hakt's bei mir, wenn ich aus Sicht eines "Bösen" schreiben soll.

@Zitkalasa:
ZitatIm Gegenteil: Es ist von dir als Autor sogar ziemlich inkonsequent und lasch, wenn dein Egoist plötzlich auf das Stück Kuchen (oder die Beförderung) zu Gunsten eines anderen verzichtet - ohne dass für ihn daraus Vorteile entstehen.

Nee, so etwas würde ich auch nicht schreiben ;) Nur, wie soll ich sagen? Ich würde halt nicht aus der Sicht dieses Charas schreiben, sondern aus der Sicht desjenigen, der von dem anderen ungerecht behandelt wird.

Zitatdeine Werte und Moral kannst du in deiner Planung miteinbeziehen - bei der Charakterzeichnung solltest du sie aber zu Gunsten deiner Charaktere mal zurück
stellen. Vll. hilft es dir dann Dinge zu beschreiben, die deiner Meinung nach beschrieben werden müssen, dir persönlich aber völlig fern liegen?

Bisher schiebe ich das thema (d. h. die konkrete Umsetzung, nicht die theoretische ;) ) noch so ein bisschen von mir weg, aber was ich definitiv weiß, ist, dass ich einen Chara nicht authentisch rüberbringen kann, wenn ich das, was in ihm vorgeht, nicht zumindest ein bisschen fühlen kann, und das fällt mir halt manchmal schwer.
Ich unterscheide da aber auch, ob ich über Menschen schreibe oder z. B. über andere Rassen, denen ich schon von grundauf etwas merkwürdige Eigenschaften zugeschrieben habe, z. B. dass die Sirenen kein Vertrauen kennen und auch nicht wirklich wissen, was ein schlechtes Gewissen ist. Es ist von mir ja grundsätzlich in diesem Fall schon beabsichtigt, dass der Leser die Motivationen eines solchen Lebewesens nicht zu 100% nachvollziehen kann, aber das dann umzusetzen, finde ich schwierig, d. h. noch mal schwieriger, als wenn ich über Menschen schreibe.

Aber vielleicht ist es auch gerade so schwierig, weil ich zur Zeit überhaupt nichts Vernünftiges zu Papier bringe und mich da wirklich in etwas vertrackten Gedanken verliere :)

LG und gute nacht,

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Lomax

Zitat von: Churke am 18. November 2010, 20:43:12Der Egoist, Eifersüchtige, Verbitterte oder Rachsüchtige denkt ja auch nicht in diesen Kategorien.
Hm, wäre ich mir jetzt auch nicht immer so sicher. Ich für meinen Teil habe durchaus immer in der Kategorie "Rache" gedacht, wenn mir jemand auf die Füße getreten ist und ich mich ... äh, rächen wollte. Ich meine, wie soll man das sonst nennen? ;D Und wenn ich eifersüchtig war, habe ich mir durchaus auch gedacht, dass ich da jetzt gerade eifersüchtig bin und handele.
  Natürlich gibt es in der Realität selten den Fantasybösewicht, der einfach jeden Morgen aufsteht und sich überlegt, was er denn als nächstes Böses tun könnte. Aber man sollte auch nicht in den umgekehrten Irrtum verfallen und glauben, dass jeder Mensch sich die ganze Zeit nur überlegt, was er als nächstes Gutes tun könnte oder sich für alles, was er tut, zumindest eine (moralisch) gute Begründung zurechtlegt.
  Man kann durchaus auch mal Sachen tun, von denen man weiß, dass sie moralisch nicht so der Norm entsprechen, sich dessen auch vollkommen bewusst sein, ohne Euphemismen zu suchen - und sie halt trotzdem tun. Sogar ohne übertrieben schlechtes Gewissen dabei, weil es neben dem moralischen auch konkurrierende Wertesysteme gibt (Utilitarismus beispielsweise wurde ja schon genannt), nach dem man das Verhalten dann trotzdem zumindest auf dieser Ebene ganz okay findet. Jetzt jeden Antagonisten rumlaufen zu lassen und nach einem Euphemismus zu suchen, mit dem er jede Tat vor sich selbst rechtfertig und verklärt, wäre sicher auch übertrieben.

Churke

Zitat von: Lomax am 19. November 2010, 03:30:30
Ich meine, wie soll man das sonst nennen? ;D

Gerechtigkeit?  ;D
Du hast schon recht. Jedoch frage ich mich, ob singuläre Beweggründe wie "Rache" oder "Eifersucht" allein einen richtigen Fiesling tragen können. Wenn er seine Rache hat und das Mädchen und vielleicht noch den Thron, müsste er doch wieder ein ganz netter Typ sein...

Sanjani

Hallo,

@Churke: Ich weiß nicht, ob ein einziger Beweggrund einen Fiesling trägt, wahrscheinlich eher nicht, aber ich denke mal, dass in der Diskussion hier mit einfachen Beispielen leichter umgegangen werden kann, als wenn wir uns jetzt einen total komplexen Chara ausdenken und den als Beispiel benutzen :-)
Ich denke auch, es kommt ein bisschen darauf an, wie der Chara gestrickt ist. Der eine wird sich vielleicht nicht bewusst sein, dass er handelt wie ein Eifersüchtiger, wenn er nur im Sinn hat, dass er möglicherweise hintergangen wird. Ein anderer wird vielleicht so konstruiert, dass er sich in wachen Momenten fragt: Ey, was mach ich da eigentlich?

Bei mir ist es aber, glaube ich, doch eher etwas, das in Richtung Mala geht. Hab mir da heute Nacht noch mal Gedanken gemacht. Im Rahmen meines Psychologiestudiums machte ich neulich ein Praktikum. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich bei sehr vielen Problemen emotional voll mitgegangen bin und es für mich schwer war mich abzugrenzen, weil ich den Eindruck hatte das zu fühlen, was der Patient gerade beschreibt. Andere Dinge habe ich aber von mir geschoben, z. B. wenn jemand weiß nicht irgendwelche unangenehmen Fantasien geäußert hat, die der "Normale" vielleicht auch hat, aber halt nicht äußert bzw. nicht in diesem Ausmaß braucht. Ich hatte aber auch das Gefühl, dass es mir gut tut da nicht so mitzugehen, dass das so eine Art Schutzmechanismus ist, den ich für die anderen Sachen (z. B. Traurigkeit) noch nicht besitze. Im therapeutischen Setting werden diese Mechanismen, denke ich, für mich sehr wichtig sein, aber vielleicht behindern sie mich beim Schreiben. Das muss man noch sehen. Ich bin auf jeden Fall jetzt einen Schritt weiter als vorher.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)