• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?

Begonnen von Rakso, 10. November 2010, 20:56:08

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 3 Gäste betrachten dieses Thema.

Lomax

Zitat von: Churke am 08. Dezember 2010, 22:40:43Dass es so etwas wie Fortschritt gibt, ist eine Vorstellung der Neuzeit. Man kann sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass man alles weiß und dass Neuerungen nur schädlich sind.
Nun, da muss man die Vorstellung von Fortschritt aber vom Fortschritt an sich trennen. Fortschritte bzw. neutral ausgedrückt "Entwicklungen" gibt es immer, selbst in Epochen, die nicht daran glauben. Die Epochen, die nicht daran glauben, sind allerdings deutlich in der Mehrheit. ;)
  Und dass eine Veränderung, die man als "Fortschritt" deuten kann, so schnell kommt wie heute, das ist auf jeden Fall eine Besonderheit der Moderne. Bei 20 Jahren muss man sich je nach Setting tatsächlich nicht viele Gedanken machen. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich über Jahrhunderte gar nicht viel verändert. Veränderungen gibt es dann schon - Könige wechseln, ein Dorf wird vom Krieg zerstört - aber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wird es danach genau mit den gleichen Werkzeugen wieder aufgebaut werden, die schon der Urururgroßvater beim Bau des ersten Dorfes verwendet hat.
  Denn Neuerungen, die die Wirtschaftsform betreffen, sind tatsächlich in Vormodernen Gesellschaften viel seltener, als wir das heute gewöhnt sind. Und bis da so viele Veränderungen zusammenkommen, dass man das als Autor wirklich in die Geschichte einfließen lassen muss - da muss die Geschichte schon einen sehr großen Zeitraum umspannen. Der historische Regelfall wird eher sein, dass der Enkel das Schwert seines Großvaters aus dem Schrank holt und dann immer noch mit der topmodernsten State-of-the-Art Waffe seiner Zeit in den Krieg ziehen kann. Entsprechender Erhaltungszustand vorausgesetzt. ;D

Bei 20 Jahren wird man sich mehr Gedanken um politische als um technische bzw. gesellschaftliche Veränderungen machen müssen. Dass hat sogar nur indirekt mit der "Moderne" zu tun - auch wenn grundsätzlich bei vielen Hochkulturen eine dezidiertere Entwicklung in Kleinigkeiten zu beobachten ist (so haben die Römer zum Beispiel eine Menge auf die Beine gestellt), so ist es doch nicht immer so, dass eine entwickelte Hochkultur mehr technische Entwicklung hat als eine stärker traditionelle, stammesmäßige Gesellschaft.
  Da kommt dann oft auch die "Mentalität" einer Kultur zum tragen. So war die chinesische Gesellschaft beispielsweise über lange Zeiträume hinweg so konservativ, dass sie selbst vorhandene technische Ansätze und Entdeckungen eher zögerlich um- und eingesetzt hat und so die "Durchdringung" der Gesellschaft durch (technische) Entwicklungen deutlich geringer blieb, als es uns heute selbstverständlich vorkommen würde. Man kann also selbst modernere und entwickelte Gesellschaften noch glaubwürdig so darstellen, dass sich am "Look & Feel" des Alltags selbst über lange Zeiträume aus Sicht von Protagonisten wenig ändert, wenn man nur die Kultur mit einer entsprechenden Skepsis gegen Neuerungen zeichnet.

FeeamPC

Irgendein Wissenschaftler hat mal gesagt, daß genügend entwickelte Technik sich nicht mehr von Magie unterscheidet. Da wäre also der Berührungspunkt.

Und was den Weltenbau angeht- für mich war immer Darkover von Marion Zimmer Bradley die beste Welt mit einer gelungenen Mischung von Science Fiction und Fantasy. Eine hochtechnische Zukunft mit Raumfahrt, aber auf Darkover regieren Familien mit magieartigen Psi-Kräften (Laran),  die durch geheimnisvolle Steine verstärkt werden, zusätzlich existieren irgendwelche mehr oder weniger realen Wesen der Vorzeit als durchaus körperlich eingreifende Götter. Und das alles paßt prima zusammen.

Churke

Zitat von: Lomax am 09. Dezember 2010, 02:07:00
Nun, da muss man die Vorstellung von Fortschritt aber vom Fortschritt an sich trennen. Fortschritte bzw. neutral ausgedrückt "Entwicklungen" gibt es immer, selbst in Epochen, die nicht daran glauben.
Das ist wohl war. Und je länger man das Rad der Zeit anhält, desto heftiger setzt es sich irgendwann in Bewegung.
Dennoch: Wissenschaftlicher Fortschritt erfordert die Bereitschaft, alte Weisheiten in Frage zu stellen. Die Überzeugung, dass Galen nicht falsch liegen kann, verhinderte über Jahrhunderte jeden medizinischen Fortschritt.

Zitat von: FeeamPC am 09. Dezember 2010, 08:36:35
Irgendein Wissenschaftler hat mal gesagt, daß genügend entwickelte Technik sich nicht mehr von Magie unterscheidet. Da wäre also der Berührungspunkt.
Kein Wissenschaftler, das war Arthur C. Clarke.

In der Foundation-Triologie beschreibt Asimov, wie sich das Galaktische Imerpium vom Stillstand über den Rückschritt bis zum Zusammenbruch entwickelt. Eine Schüsselszene hierzu ist der Besuch des kaiserlichen Gesandten auf Terminus. Der Gesandt ist ein gelehrter Mann, aber für ihn besteht "Forschung" daraus, in der Bibliothek von Trantor die Argumente großer, vor Jahrhunderten verstorbener Kapazitäten abzuwägen und sich dann einer Meinung anzuschließen.

Thaumaturgon

Das mit der "Luminarität der Entwicklung" ist so eine Sache. Entwicklungen gibt es immer, manche sieht man im Nachhinein als Fortschritt, andere nicht. Entwicklung ist nicht überall gleich schnell. Manche Regionen springen regelrecht vorwärts, andere treten auf der Stelle oder machen sogar Rückschritte. Wie hoch die Fortschrittsgeschwindigkeit ist, hängt auch vom Umgebungsdruck ab. Hätten die Chinesen nicht die Mongolen vor der Nase gehabt, hätten sie die Mauer nicht gebaut und vielleicht auch nicht im zwölften Jahrhundert schon Raketen gehabt. Wozu sich den Kopf zerbrechen, wenn es keine Bedrohung gibt? Wenn aber, dann richtig. Das Militär war und ist eine der Hauptfortschrittsantreiber überhaupt.

Wenn man über das Verhältnis von Magie und Technik spricht, muss man sich letztlich auf eine Perspektive festlegen, die "alchimistische", oder die "rationalistische". Wenn ein Zauberer etwas tut, das ein anderer nicht durchschauen kann, könnte der andere glauben, es sei magisch. In dem Moment bedeutet das erst einmal, dass derjenige nicht versteht, wie das ging, also was die Technik dahinter ist.
Worin man sich als Autor entscheiden muss, ist nun: versteht nur keiner der anderen die Technik des Zaubernden, oder GIBT es TATSÄCHLICH keine Technik in dem Sinne, dass der Zaubernde genau weiß, was er tut? Wenn er nur einem funktionierenden Ritual folgt, und gar nicht weiß, warum es funktioniert, dann sind wir in einer anderen Welt. GIBT es ein naturwissenschaftliches System in der Welt, das letztlich all diese "magischen" Effekte ermöglicht, und das der Zauberer bewusst oder unbewusst einsetzt, oder ist es eine mystische Welt, in der die Logik sozusagen Grenzen hat, in der es Bereiche gibt, die nicht unerklärt sind, sondern per se unerklärLICH? In der ersten Welt trifft es zu, dass Magie und Technik sich irgendwann treffen, in der zweiten nicht.

Für eine der Welten muss sich der Autor eben entscheiden.

Oder gibt es noch mehr Möglichkeiten? :-)

Grüßle

Thauma

Rakso

#19
Hallo,

Zitat von: Zitkalasa am 08. Dezember 2010, 21:59:53
Ich würde sagen, Instant-Magie gibt's in Form von Zaubertränken schon einige Zeit. ;D

äh, ich meinte das eher im Sinn von, Packung auf drübba. Aber auf Zaubertränke bin ich noch nicht gekommen.

@Lomax:
Die 20 Jahre waren eher salopp gewählt. Es hätten auch 50, 70 oder 120 Jahre sein können. Aber zum Beispiel wenn man einen Roman schreiben würde, der zwischen 1753 bis 1773 handelt, dann würde ja auch die Erfindung der Dampfmaschine in diesen Zeitraum hinein fallen. Aber grundsätzlich stimme ich zu.

@Thaumaturgon:
Ich denke mal auch hier gilt wieder die Formel: Wenn's stimmig ist, kann man's machen.

Aber wir leben ja mitten drin, in einer Zeit, in der alles katalogisiert und erforscht wird. Warum sollte das in einer anderen Welt nicht genauso sein? Mann hat zum Beispiel früher nicht verstanden, wie Leben im eigentlichen Sinne funktioniert (bis heute hat man es nicht ganz richtig verstanden) oder es gibt Philosophen die sich auch mit der Frage auseinandergesetzt haben, warum alles nach unten fällt. Es könnte ja auch nach links, rechts, oben oder nach links, einen Bogen machen und dann nach oben verschwinden. Heute weiß man, dass das mit der Anziehungskraft der Erde zu tun hat.
Das heißt dann im Folgeschluss: Dass, in einer Welt die relativ modern ist, eine Entmythisierung statt finden könnte, dass man versucht Magie auf Logik zu reduzieren (was bestimmt nicht so einfach ist) und versuchen wird sie in bestimmte Gesetze einzuteilen usw. Das wäre dann das Ende vom magischen Ahh-Effekt, eine Entromantisierung von Magie. Und das wäre, in meinen Augen, für einen Fantasy-Autor glatt "Geschäftsschädigend".
Entweder schafft man nun einen Gegenpol, religiöse Sekten die Forschung als Sünde sehen oder Herrscher die kein Interesse an Fortschritt haben, (aber dann würde ja erst recht Geforscht werden) oder man bildet eben eine Übergangszeit ab.

Äch, jetzt brummt mir der Schädel  ??? 

Churke

Zitat von: Esteve am 13. Dezember 2010, 20:47:45
Heute weiß man, dass das mit der Anziehungskraft der Erde zu tun hat.
Das heißt dann im Folgeschluss: Dass, in einer Welt die relativ modern ist, eine Entmythisierung statt finden könnte, dass man versucht Magie auf Logik zu reduzieren (was bestimmt nicht so einfach ist) und versuchen wird sie in bestimmte Gesetze einzuteilen usw.

Die alten Griechen haben die Welt ebenfalls entmythisiert und sie durch Naturgesetze erklärt, Götter spielten darin keine Rolle mehr.
Das Gleiche galt für Zauberei und andere übernatürliche Phänomene.

Im 4. Jahrhundert n. Chr. stand schon auf die Nichtanzeige von Zauberei die Todesstrafe. Die Hexenjagden der Spätantike waren erheblich schlimmer als die des Mittelalters bzw. der frühen Neuzeit.

Auch heute lässt sich durchaus eine gewisse Tendenz zur Irrationalität und Esoterik erkennen. Ich will nicht ausschließen, dass man in 200 Jahren Gesetze gegen Vampire erlässt.

Alles, was man dazu braucht, ist eine Entkoppelung von Volksglaube und Wissenschaft, eine Überwindung der Wissensgesellschaft.

AlpakaAlex

Nun, ich bin jemand, der bevorzugt Urban Fantasy schreibt und liest, weswegen meine Antwort natürlich ist: So modern wie möglich.

Um ehrlich zu sein reizen mich diese mittelalterlichen Fantasy-Welten so gar nicht. Auf der einen Seite sind sie einfach nur super ausgelutscht vom Konzept her (sorry, not sorry) und häufig halt auch nicht wirklich gut durchdacht. Also es macht einfach keinen Sinn, warum diese Welten auf dem Stand vom Mittelalter rumhängen, obwohl es so viele Faktoren gibt, die dagegen sprechen. Magie allen voran. Denn in meinen Augen sollte Magie eher ein Aspekt sein, der für technischen Fortschritt spricht, als dagegen.

Spannend finde ich auch Fantasy-Welten, die sogar leicht futuristisch angehaucht sind. Oder auch weniger leicht. Ich bin halt bspw. auch ein riesiger Fan von Shadowrun und finde solche Settings unglaublich spannend.

Allgemein finde ich es eigentlich komisch und wenig nachvollziehbar, warum die Fantasy so oft am (europäischen) Mittelalter festklebt, anstatt den Rest der Menschheitsgeschichte zu erforschen.
 

Zit

Zitat von: AlpakaAlex am 29. August 2021, 15:01:02
Allgemein finde ich es eigentlich komisch und wenig nachvollziehbar, warum die Fantasy so oft am (europäischen) Mittelalter festklebt, anstatt den Rest der Menschheitsgeschichte zu erforschen.

Ich denke, die Antwort darauf lässt sich im kurzen Thread bereits finden: Unsere moderne Welt ist entmystifiziert. Wir haben die Erklärung der Welt durch Religion und Aberglauben mit Wissenschaft ersetzt. Sich also innerhalb einer Welt zu bewegen, die diesen Schritt noch nicht (vollends) gegangen ist, macht es etwas einfacher. Daneben spielt dann sicherlich auch eine Rolle, dass Märchen ebenso im gefühlten, zeitlosen Mittelalter-Limbus spielen und dass das Mittelalter in Romanen exotisiert und romantisiert wird (und ich das Gefühl habe, dass Romantisierung vergangener Epochen eine Art inneres Bedürfnis im kollektiven Gedächtnis/ der kollektiven, menschlichen Psyche ist?). Heißt natürlich nicht, dass es nicht auch in der Moderne magische Elemente gibt, nur die Erklärung dieser Magie ist regelmäßig eher naturwissenschaftlicher Natur, s. Vampire und Zombies durch Viren. Oder bewegt sich in religiösen Bereichen, in denen Engel und Dämonen wenig magisch sind, sondern eine höhere/ andere Lebensform. Religion hat für sich ja auch immer den Anspruch gepachtet, nicht nur wahr sondern auch real zu sein wodurch sich dann kaum Dissonanzen ergeben, wenn bspw. der Teilchenphysiker mit Raphael über Gottes Pläne diskutiert. (Oder so ähnlich. ;D)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

AlpakaAlex

Zitat von: Zit am 29. August 2021, 15:19:33
Wir haben die Erklärung der Welt durch Religion und Aberglauben mit Wissenschaft ersetzt.
Wobei das halt eben auch nur erklärt, warum man etwas nicht in der modernen Welt spielen lässt, allerdings nicht, warum alles ausgerechnet im Mittelalter angesiedelt ist und nicht bspw. in der Antika oder einer noch früheren Zeit, wo es ja noch einmal deutlich mehr Aberglauben gab.

Ich meine, gut, letzten Endes kenne ich die Antwort: Im Rahmen des Kolonialismus wurde das Mittelalter halt zu diesem romantischen, idealen Etwas hochstilisiert, das wir heute kennen und bis heute auch in der Fantasy gerne verwenden. Ziel damals war halt eben dabei eine Narrative zu erreichen, in der Europa halt schon immer viel besser als alle anderen war, es also komplett begründet und sinnvoll ist, dass Europa es ist, das alle anderen Gebiete kolonialisieren kann - immerhin war Europa schon immer mystisch toll.

Aber genau deswegen geht es mir halt auch so auf den Keks, dass genau dieses koloniale Narrativ wieder und wieder reproduziert wird, ohne dass großartig darüber nachgedacht wird.

Und Schwerter. Schwerter in Fantasy nerven. Gebt mir Speere.
 

Zit

Ja, in die koloniale Verklärung habe ich nicht gedacht. Ich denke, es liegt vielleicht auch daran, dass "Antike" keine Epoche ist, in der wir Deutschen besonders geglänzt haben (sollen). Natürlich haben wir nicht alle im Dreck gelebt, aber auf dem Zivilisationsstand der Römer waren wir auch nicht. :hmmm: Was wohl das koloniale Narrativ ist, von dem du sprichst.
Wobei mir jetzt auch Titel aus dem Zirkel einfallen, die in der römischen Antike spielen, aber ich kann dir gerade nicht sagen, ob die alle so phantastisch sind.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Amanita

#25
Ich bin selber auch kein Fan von mittelalterlichen Settings und schreibe in einer Fantasywelt auf technologisch und gesellschaftlich modernem Stand.
Trotzdem kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, warum pseudomittelalterliche Settings so beliebt sind. Anders als in späteren Epochen gibt es da einerseits noch keine Elemente, die nach Meinung vieler Fantasyfans stören würden (Schusswaffen, naturwissenschaftliches Denken...), aber dafür Monarchien und Adel, die ja bei vielen sehr beliebt sind. Im Gegensatz zur Antike mit Sklaverei, Gladiatorenkämpfen und extremem Sexismus und zu den später folgenden, von Hexenverfolgung, brutalen Religionskriegen und Kolonialsierung geprägten Jahrhunderten sind die damaligen (christlichen) Werte aber zu großen Teilen nah genug an unseren heutigen, dass man sich damit identifizieren kann, oder werden zumindest so dargestellt. Dazu kommt dann auch noch die Verklärung einer gefühlt besseren Vergangenheit im Einklang mit der Natur und ohne Entfremdung durch Großstädte, Industrie usw. ein Topos, der ja auch bei Tolkien eine zentrale Rolle spielt.

Letzteres macht auch ein antikes Setting ziemlich schwierig. Wenn es nicht gerade um ein Grim and Gritty-Setting geht, soll in der Fantasy ja normalerweise die bestehende Kultur als schützenswert und moralisch integer dargestellt werden, Helden, die ohne ersichtlichen Grund gegen ihr Umfeld rebellieren und moderne Sichtweisen vertreten, sidn ja bekanntlich eher unbeliebt. Mit einer antiken Gesellschaft, wo Sklaverei ganz selbstverständlich dazugehört und friedliche Prediger zu Tode gefoltert werden, ist das aber kaum machbar.
Dass die eher klägliche Rolle unserer Vorfahren in dieser Zeit viele Autoren abschreckt, halte ich eher für unwahrscheinlich, wobei ein Fantasyroman, mit blonden, hellhäutigen, pseudogermanischen Eingeborenenstämmen, die sich gegen das südliche Imperium verteidigen müssen und dabei von der Versklavung bedroht sind, vielleicht auch aus ganz anderen Richtungen auf Kritik stoßen würde. Könnte man auch wunderbar für rechte Propaganda instrumentalisieren.

Persönlich fände ich auch gerade 18. und 19. Jahrhundert bis frühes 20. Jahrhundert als Setting recht spannend, gerade wegen der vielen Konflikte, aber da findet man wenn überhaupt eher die viktorianischen Werke, die in unserer Welt spielen und dann auch häufig noch aus  für mich unerfindlichen Gründen den Sexismus dieser Zeit romantisieren.

Yamuri

Mir stellt sich hier zunächst die Frage. Wie definieren wir Fantasy? Was zeichnet Fantasy aus? Gibt es eine allgemeingültige Definition?

Denn die Antwort auf die Threadfrage steht in Abhängigkeit dazu, wie Fantasy definiert ist. Fantasy Welten dürfen so modern sein, wie es im Bereich der Definition des Genres liegt. Wenn das Genre z.B. dadurch definiert ist, dass es vergangene Welten als Inspiration hat, dann liegt die Grenze anders, als wenn die Definition keinen Zeitrahmen festlegt.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Archibald

Zitat von: AlpakaAlex am 29. August 2021, 15:01:02
Allgemein finde ich es eigentlich komisch und wenig nachvollziehbar, warum die Fantasy so oft am (europäischen) Mittelalter festklebt, anstatt den Rest der Menschheitsgeschichte zu erforschen.
Das beschränkt sich nicht nur auf die Fantasy, würde ich sagen. Wie viele Historienromane spielen in (und mit) dieser Zeit?
Ich denke, es liegt einerseits daran, dass der überwältigenden Anteil der meisten AutorInnen aus Europa kommt und dass wir in vielen Ländern Europas – auch heute noch – mehr als nur Überreste der damaligen Epoche(n) vorfinden. Kathedralen, Burgen, Klöster, jahrhundertealte Häuser, und auf der anderen Seite viele schriftliche Quellen verfügbar sind, die je nach Bedarf hemmungslos ausgeschlachtet werden. (Königreiche, Fürstentümer, Könige, Kaiser, Schlachten, Belagerungen, Pest, Hunger, Elend, Leibeigenschaft usw.)
Ich denke, es ist sehr bequem, aus diesem reichhaltigen Fundus auszuwählen und es erhöht die Immersion, da – selbst wenn ich eine fantastische Geschichte drumrum spinne, mein Unterbau doch sehr plausibel erscheint, und ich als Leser weiß, was ein König ist, ein Kaiser, ein Schankwirt ist etc. Ich erspare mir also viel Arbeit, indem ich das Setting nicht groß zu erklären brauche.

Mondfräulein

Ich habe den Eindruck, dass High Fantasy da einfach so festgefahren ist. Man macht das so, weil man die Vorstellung hat, dass das Genre halt so ist. Vielleicht auch, weil man sich noch zu sehr an Tolkien orientiert.

Ich finde es aber umso spannender, wenn Romane da ausbrechen. Die Grisha-Welt orientiert sich eher am 18. Jahrhundert und das fand ich viel interessanter. Dadurch kommen auch gleich ganz neue Themen auf, zum Beispiel, dass Schusswaffen die magische Grisha-Armee irgendwann überflüssig machen könnten. Die Neuzeit ist ja auch eine Epoche, die sich über 500 Jahre erstreckt, und ich glaube nicht, dass ich irgendwann mal einen wirklich mittelalterlichen Fantasy-Roman schreiben werde, wenn ich mich auch irgendwo da ansiedeln kann.

Obwohl ich ehrlich sagen muss, dass ich den Gedanken eines wirklich abstrahierten Disney-Mittelalters auch spannend finde. Die Märchen-Version, wie damals in der Gummibärenbande, die es so wirklich nie gab.

Yamuri

Zitat von: MondfräuleinIch habe den Eindruck, dass High Fantasy da einfach so festgefahren ist. Man macht das so, weil man die Vorstellung hat, dass das Genre halt so ist.

Den Eindruck habe ich auch. Und ich muss da gestehen, ich klebe auch an dieser Vorstellung, dass Tolkien dieses Genre definiert. Daher frage ich mich momentan aber auch: ist diese Vorstellung vielleicht falsch? Was wäre wenn High Fantasy viel mehr sein dürfte? Was wäre, wenn High Fantasy einfach nur bedeutet, ich habe eine Heldenreise und Mythologie, die nicht wissenschaftlich erklärt werden muss? Dann könnte man quasi ein Setting entwerfen, das entweder in mythischen Zeitaltern der Erde spielt oder in einer fernen Zukunft, nur ohne Technologie und stattdessen Magie? Man wäre viel freier, wenn die Vorstellung, High Fantasy sei sowas wie Tolkien, falsch wäre.

Irgendwo habe ich ein Projekt, das sehr mythologisch ist und quasi in einem Zeitalter der sagenumwobenen Kontinente wie Mu/Atlantis oder gar selbst erfundene versunkene Kontinente spielen würde. Aber wegen meiner Vorstellung, dass High Fantasy ja sowas wie Tolkien ist, würde mir nie in den Sinn kommen, das als High Fantasy zu klassifizieren. Wahrscheinlich werde ich es zwar deutlich zu Science-Fantasy machen, aber so grundsätzlich ist es eigentlich schade, wenn man sich so einschränken muss, nur weil man an einer best. Vorstellung von High Fantasy klebt.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman