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Wie weit darf man gehen?

Begonnen von Bisou, 27. Dezember 2009, 23:02:41

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Lomax

Ich schließe mich da in gewisser Hinsicht dem Churken an. ;)
  Man verfolgt eine Geschichte, es geschieht etwas. Man fiebert mit, man opfert seine Zeit und denkt, es ginge um eine Sache, die Bedeutung hat. Man erlebt Figuren, die kämpfen und leiden, die ein Ziel anstreben, und wenn die Geschichte glückt, fiebert man zumindest mit ihnen mit, oder gegen sie, man bezieht Position und sucht einen Sinn in dem ganzen - wenn sich dann am Ende herausstellt, dass alles keinen Sinn hatte, dann komme ich mir extrem verarscht vor.
  Das hat nichts mit gutem oder schlechtem Ende zu tun, und nicht damit, wer gewinnt. Es gibt eine Menge Enden, die mir mehr oder minder gut gefallen, mit denen ich aber zurechkomme. Nicht zurechkommen tu ich allerdings mit allen Enden, die die komplette Geschichte zurücknehmen und mir, nachdem ich als Leser Zeit und Emotionen geopfert haben, mitteilen: Ätsch, da war gar nichts! Alles nur Zeitverschwendung, womit du dich beschäftigt hast.
  Das ist zumindest bei mir als Leser der sicherste Weg, dafür zu sorgen, dass ich nicht nur das Buch unbefriedigt weglege, ich bin dann auch regelrecht sauer. Ich wüsste keinen besseren Grund, ein Folgebuch nicht zu lesen, mich überhaupt nicht mehr auf die Geschichte einlassen zu wollen.

In der Praxis passiert so was häufiger - beispielsweise, wenn die Figuren am Ende eine Entdeckung machen, die sie nicht wissen dürfen, und dann ihre Erinnerung verlieren. Und Schluss. Für mich ist das so, als wären die Ereignisse nie passiert, denn für die Figuren sind sie es ja nicht, und denen bin ich gefolgt. Ich hasse solche Geschichten.
  Anderes Beispiel, Alien.3 - ist ja ein umstrittener Film. Viele hassen ihn, andere verweisen darauf, dass er ja gar nicht so schlecht ist. Für mich ist das gar nicht der Punkt. Für mich ist der Punkt, dass Alien 3 nicht wie eine ehrliche Fortsetzung da weitermacht, wo der Vorgänger aufhört, sondern erst mal den Vorgänger und die Ergebnisse von dessen Handlung komplett zurücknimmt und sich die Ausgangssituation für die Story so zurechtbiegt, wie's dem Regisseur gerade am besten passt. Für mich ist das also so ziemlich dieselbe Ausgangssituation, die du (wenn auch am Ende deines ersten Bandes) schon für deine Fortsetzung schaffst - und gerade darum habe ich Alien.3 gehasst. Es ist mir im Grunde egal, wie gut die Qualitäten der eigentlichen Geschichte des Films sein mögen, ich hasse ihn allein schon darum, weil er nur existieren kann, indem er den Vorgänger zurücknimmt, und weil ich unter diesen Prämissen gar nicht bereit bin, mich auf die Fortsetzung einzulassen.
  Ich habe das Gefühl, vielen, die Alien 3 ablehnen, geht es im Grunde genauso - und die Tatsache, dass diese Fortsetzung auf breiter Front durchgefallen ist und die Ablehnung förmlich eine Mauer darstellte, zeigt recht deutlich, dass das nicht nur meine persönliche Meinung ist, sondern dass das Publikum einen derartigen Bruch grundsätzlich nur sehr schwer schluckt. Gerade weil diese Fortsetzung für sich genommen gar nicht so schlecht war, und es dennoch über 10 Jahre gedauert hat, bevor überhaupt die ersten zaghaften Stimmen gewagt haben, mal auf die guten Seiten des Films hinzuweisen. Eine Fortsetzung, die nur auf dem Kadaver eines beliebten Vorgängers überlebt, kriegt dafür halt schon mal Unsympathiepunkte - umso mehr, je beliebter der Vorgänger war. Man vergrault sich damit also tendenziell auch noch die Fans am meisten, denen die erste Geschichte am besten gefallen hat  :-\

Womit ich gar keine Probleme habe, sind subjektive Geschichten. Ereignisse, die aus einer Sicht erzählt werden und sich als Lüge/Irrtum/Selbsttäuschung erweisen. So wie bei Hero, beispielsweise. So was finde ich sogar sehr interessant, es lädt zu vergleichen ein und zur mitunter zur Spekulation darüber, was denn nun wirklich geschehen ist.
  Da wird ja auch nichts zurückgenommen, denn irgendwas ist ja wirklich geschehen, auch wenn es von dem abweicht, was erzählt wird. Und, wie gesagt: Geschehen ist für mich das, was die Figuren erlebt haben - genau so wie ich es als Zurücknehmen der Handlung empfinde, wenn die Figuren sich nicht mehr daran erinnern, genauso akzeptiere ich eine Geschichte auch, wenn sie nur der Fantasie, dem Gefühl oder sonst einem Impuls der Figuren entsprungen ist. Denn für die Figuren haben die geschilderten Ereignisse dann ja immer noch eine Bedeutung, und damit auch für mich als Leser - ob sie nun geschehen sind oder nicht.
  Also - ich hasse es, wenn eine Geschichte zurückgenommen und bedeutungslos gemacht wird. Ich liebe allerdings das Spiel mit subjektiven Erzählperspektiven. Wenn in der Geschichte etwas erzählt wird, was nicht wirklich geschehen ist, muss halt deutlich fühlbar gemacht werden, dass es sich nur um eine Geschichte in einer Geschichte handelt. Solange die Subjektivität in der Geschichte selbst verankert ist und nicht nur am Ende als "Deus ex Machina" der fertigen Geschichten den Entwerterstempel aufdrückt, ist das okay. Der Erzähler darf wie jede der Figuren sich irren und sogar lügen - wenn es irgendwie in der Geschichte erfahrbar wird.

So viel zu meiner Einschätzung. Und wo die Grenzen zwischen beiden Polen genau verlaufen, dürfte wohl auch noch bei jedem einzelnen Leser ein wenig anders sein (auch wenn ich niemanden kenne, der die "Löschen-wir-ihr-Gedächtnis"-Masche in irgendeiner Form befriedigend findet; keine Ahnung, warum das immer noch gebracht wird). Aber ich bin mir ziemlich sicher, kein Leser fühlt sich am Ende gerne verarscht. Das Gefühl sollte man zumindest bei seiner Kernzielgruppe vermeiden.

Kati

Ich weiß nicht, Bisou. Der Gedanke, dass das alles dann gar nicht wirklich passiert ist, würde mir gar nicht gefallen. Wieso sollte ich einen Roman lesen, dessen Handlung gar nicht passiert?
Ich meine, natürlich gibt es kaum einen Roman dessen Handlung wirklich geschehen ist, aber wenn ich ein Buch lese, möchte ich mir nicht die ganze Zeit sagen müssen: "Ach, das passiert ja eh alles nicht."
Schließlich freundet man sich mit den Charakteren an. Außerdem würde es glaube ich die Spannung ein wenig wegnehmen. Es kann noch so spannend werden, ich würde ständig denken, dass ich keine Angst um die Charas haben muss, weil ja alles nicht "echt" ist.
Und, wenn erst am Ende rauskommen würde, dass das alles gar nicht wirklich geschehen ist, würde ich mir schon veralbert vorkommen. Ich denke da gerade an Romane, die mit Sätzen wie "Und dann wachte sie auf" enden. Ich finde das ein wenig blöd.
Wenn du eine gute Idee für einen Roman hast, dann reicht es doch, wenn du sie auf "gewöhnliche" Art und Weise zu Papier bringst.

Ich denke dabei gerade an das Ende meiner Lieblingsromanreihe. Es hat mir damals gefallen, aber als ich es letztens noch einmal gelesen habe, ist mir etwas aufgefallen.
Damit am Ende alles gut wird, reist die Prota in der Zeit zurück und verhindert einen Mord. Erst vor kurzem ist mir aufgefallen, dass sie damit eigentlich alle vorangehenden fünf (!) Teile ungeschehen macht. Das hat mich dann doch ein bisschen traurig gestimmt.
Bei deinem Roman wäre es ja dann noch viel extremer. Ich glaube nicht, dass mir so etwas gefallen würde.
Aber das ist ja bloß meine Meinung. Ich glaube am Ende musst du selbst wissen, ob du das machen möchtest oder nicht.

LG,

Kati

Judith

Ich bilde dann hier mal die Gegenstimme, denn ich mag so etwas.
Ich fand das Ende vom schon angesprochenen "Abbitte" klasse und finde allgemein so überraschende Wendungen sehr schön.
Mir kommt das auch nicht vor wie ein "übers Ohr hauen" und hätte das auch noch nie so gesehen. Ich muss gestehen, dass ich sehr überrascht war, als ich hier die Antworten las, da ich gar nicht erwartet hätte, dass das für viele ein Problem sein könnte.

Sin

Ich muss zugeben, dass ich erstmal lange darüber nachdenken musste.

Nun bin ich aber der Meinung, dass es in Ordnung wäre, wenn du so etwas machst. Es hat durchaus seine Reize, so ein Buch zu lesen. Aber wie andere schon vor mir gesagt haben, bei einer Fortsetzung musst du aufpassen.

Die Magier mit der Kristallkugel, müssten meiner Meinung nach auch in der Geschichte vorkommen. Vielleicht hat ja die Hauptfiguer ein Problem und wlill es von ihnen lösen lassen.

Eine Lösung, die mir eingefallen ist, wäre, wenn sich die Geschichte in wichtigen Punkten berührt. Schreibst du eine ganz andere Geschichte, wird man nicht ganz mitkommen. Und schreibst du wieder mit den gleichen Charakteren, hat man das gleiche Problem, wie schon vorher geschrieben, dass man sie anders kennt und vielleicht sogar nicht damit einverstanden ist.

Wie wäre es, wenn du in der Fortsetzung, anderen Figuren die Hauptrolle gibst und die Hauptpersonen, teilweise, als Nebenfiguren in der Fortsetzung einsetzt. Z.B.: Im ersten Teil tötet HP 1 den Magier, weil er denkt, es wäre besser so. Dadurch nimmt die Geschichte ihren Weg.
In Teil Zwei aber, schafft er es nicht und der Magier überlebt. Die Geschichte nimmt eine andere Wendung und der Magier ist ab da einer der wichtigen Charaktere, weil er ja etwas bestimmtes vorhat.

Klingt alles ziemlich wage, aber ich weiß ja nicht, was genau du in deinem Roman vorhast. :)

Aber vielleicht helfen dir diese Ideen ja ein bisschen weiter. :)

LG
Sin

Bisou

Nachdem ich so lange nicht geantwortet habe (tut mir leid, ich habe mich zwischenzeitlich nochmal lange mit meinen Betalesern und auch mit mir selbst beraten), mache ich es jetzt.

Erst mal tausend Dank euch allen für die sehr ausführlichen und zahlreichen Antworten, die mir alle weitergeholfen haben. Letztendlich bin ich doch zu dem SChluss gekommen, dass ich keinen Roman schreiben kann, in dem sich nichts doppelt und der die Leser vielleicht letztendlich doch enttäuscht, weil alles anders kommt als geplant war.
Ich habe auch nochmal mit meinen Betalesern gesprochen und die meinten, dass ich ja beide Versionen mal ausprobieren könnte. Ein Prolog und ein Epilog schreiben sich schließlich recht schnell.

Andererseits halte ich es auch für sehr schwierig, da bei mir sowieso mehrere Handlungen parallel zueinander ablaufen, die alle anzudecken, bzw. nachträglich zu verändern. Die Idee, dass ein Magier an einen bestimmten Punkt springen könnte und etwas verhindern, bzw. einleiten könnte, hat mir gefallen, aber was macht er danach? Dann schreibe ich den ersten Roman ja im Prinzip nochmal, nur wird er dann um das Ereignis herum anders konstruiert werden. Und da greift dann wieder die Argumentation, dass der Leser damit massiv unzufrieden sein könnte, weil das ja auch die Figuren, die man vielleicht lieb gewonnen hat, noch einmal neu und völlig anders kennen lernen würde.
Und nachdem ich das mal reflektiert habe, gefällt mir die Idee auch gar nicht mehr.  ;D

An dieser Stelle euch allen noch einmal vielen vielen Dank für eure Mühe und dafür, dass ich mir de Mühe sparen kann, weil es mir eigentlich gar nicht mehr wirklich gefällt. :gruppenknuddel:

Liebe Grüße und einen guten Rutsch

Alex