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Findet ihr es wichtig, einen einzigen Protagonisten zu haben?

Begonnen von ShainaMartel, 12. Oktober 2009, 03:03:17

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Maran

Zitat von: Valaé am 21. Dezember 2012, 22:40:52
Das ist durchaus das, was normalerweise als Diskussionsgrundlage dient und jahrelang Standard war. Gerade die neuere Literatur kennt da aber auch Probleme. Ich nehme mal ein Beispiel, das die meisten hier wahrscheinlich kennen: Könnt ihr einen Protagonisten in "Das Lied von Eis und Feuer" benennen? Hier gibt es so viele Figuren, aber keine ist wirklich herausragend, keine nimmt die "wichtigste" Rolle ein - und trotzdem gibt es Nebenfiguren.

Ich denke nicht, daß das so neu ist. Ich beziehe mich jetzt (wieder einmal) auf Tolkiens Herrn der Ringe. Wer ist denn in diesem Werk der Protagonist? Frodo? Oder Aragorn?
M.b.M.n. ist diese Frage nicht wirklich zu beantworten, denn die Geschichte erfordert die Verbindung dieser beiden Charaktere, weil die Geschichte Mittelerdes in diesem Zeitraum wichtig ist. Nicht das Schicksal der Figuren, sondern das Schicksal der Welt ist wichtig. Darum geht es. Entweder erzählt man als Autor die Geschichte einer Figur, oder aber die "größere" Geschichte, indem man die Figuren als Mittel zum Zweck nimmt.

("Das Lied von Eis und Feuer" habe ich nicht gelesen, sry.)

Valaé

Ich persönlich finde an sich auch, dass man nicht zu mehreren Figuren Protagonist sagen sollte, weil es eben nicht der Wortbedeutung entspricht, ich tue es trotzdem hin und wieder, weil es  meiner Meinung nach dem Diskurs darum einfach noch an einem richtigen Wort dafür fehlt, auf Hauptfiguren weiche ich auch gerne aus, nur ist mir das Wort zu schwach irgendwie. Eine Hauptfigur steht für mcih im Kontrast zur Nebenfigur die eben keine wichtige Rolle spielt an sich, es kommt bei mir aber durchaus vor, dass ich 3 oder mehr Figuren mit wichtiger Rolle (und Perspektive) habe, von denen dann aber noch einmal 2 herausstechen und wirklich die zentrale Rolle übernehmen, mir fehlt da irgendwie noch eine Staffelung, als einzige Staffelung Hauptfiguren und Nebenfiguren zu haben, ist mir zu wenig. Manchmal grenze ich dann ab mit Perspektivträgern und Hauptfiguren, aber dann fragen mich immer alle, ob meine Hauptfiguren keine Perspektive haben, was auch verständlich ist weil ich dann zwei vollkommen unterschiedliche Kategorien durcheinander werfe - deswegen habe ich es mir abgewöhnt.
Meistens nenne ich in einem solchen Szenario die beiden dann doch Protagonisten, einfach weil mir ein anderes Wort dafür fehlt und ich sie sonst nicht von den anderen Hauptfiguren abgrenzen kann.

Und es ist bei mir auch wirklich so, dass diejenigen, die ich dann beide damit beschreibe, genau gleich wichtig sind- sie haben beide eine Perspektive (beide meistens dieselbe, sodass auch keine Gewichtung durch die Perspektivenart zustande kommt), sie gehen beide durch eine gleich starke Entwicklung und auf beider Geschichte und Besonderheit liegt der Fokus - gerne funktionieren sie antithetisch - sie erleben ähnliches und entwickeln sich genau entgegengesetzt.

Hier und da kann ich manchmal einen Aspekt herausfinden, der dann doch dazu tendiert, den einen als Protagonisten zu bezeichnen, aber meistens gibt es dann etwas anderes bei dem Anderen, dass die Waage in seine Richtung verschiebt. Beispiel 1: Eine Figur hat eine Perspektive aus der 1. Person erzählt, die andere aus der 3., somit wird der Leser stark durch die Gefühle von Nr.1 gelenkt und der Fokus liegt stark auf Nr.1, aber auf der anderen Seite hat Nr.2 mehr Auftritte und eine deutlicher gezeichnete Hintergrundgeschichte, womit auch der Fokus der Gesamtstory ein wenig mehr zugunsten Nr.2s Entwicklung verschoben wird - und nun?

Auch Alanas Konstellation hatte ich schon - wenn auch nicht beide mit Perspektiven aus der 1. Person erzählt, sondern mit welchen aus der 3. Person.

Ich finde im Übrigen alle Modelle sehr interessant und bin manchmal selbst verwundert dass es mir selbst so schwer fällt, eine Geschichte mit einem festen Protagonisten zu schreiben - vielleicht spuke ich zu gerne sehr lange und ausführlicg in verschiedenen Köpfen herum und beleuchte zu gerne aus mindestens 2 gleichberechtigten Sichtweisen ... :hmmm:.

ZitatIch denke nicht, daß das so neu ist.
Nicht unbedingt, aber es gibt in der moderneren Literatur durchaus einen verstärkten Trend dazu - Tolkiens Werk ist im Übrigen noch nicht so alt, dass man es in diesem Zusammenhang nicht schon noch als "neuere" Literatur bezeichnen könnte, wobei ich dir allerdings nicht unbedingt zustimme, was die Frage angeht, wer bei Tolkien der Protagonist ist - das ist für mich durchaus eindeutig Frodo.
Und warum? Zum Einen weil Frodo der Einzige ist, dessen volle Geschichte, mit Vorgeschichte und bis zum Ende erfahren, die anderen Geschichten werden uns nur angedeutet oder in Appendixen erzählt. Dann kommt die Tatsache dazu, dass der Herr der Ringe durchaus eine relativ klassische Heldenreise-Struktur aufweist und Frodo nun einmal derjenige ist, der den "Quest" akzeptiert, er erhält den "call to adventure", er muss sich entscheiden, die Bürde des Ringes auf sich zu nehmen und das Abenteuer anzunehmen - die anderen unterstützen ihn dabei. Es ist eine ganz einfache Sache - das ganze Abenteuer wäre denkbar ohne Aragorn, ohne Gimli, ohne Legolas und auch ohne jeden anderen Gefährten - aber nicht ohne Frodo. Zumindest kann Frodo nicht ersatzlos gestrichen werden, denn dann hätte man keinen Ringträger mehr und das würde die ganze Geschichte ad acta legen - es ist Frodos Geschichte und Frodo schreibt sie dann auch am Ende in Bilbos Buch, niemand sonst. Das ist ganz folgerichtig, den Frodo ist der Protagonist.

ZitatEntweder erzählt man als Autor die Geschichte einer Figur, oder aber die "größere" Geschichte, indem man die Figuren als Mittel zum Zweck nimmt.
Ich denke, das ist vor allem eine Frage der Wertlegung auf Charakter oder Plot - also eine character-driven Story oder eine plot-driven. Aber auch eine Geschichte, die plot-driven ist, kann einen Protagonisten haben. Letztlich erzählen viele alte Heldensagen (man nehme beispielsweise die Eneis) von großen Ereignissen (der Geschichte der Flucht des trojanischen Volkes nach dem Fall von Troja und ihrer neuen Heimatfindung) und heißen trotzdem nach ihrem Protagonisten (Eneas), welcher auch im Vordergrund steht. Eine Geschichte kann durchaus von sehr großen Dingen, auch vom Schicksal eines Volkes oder einer Welt erzählen und trotzdem einen Protagonisten haben. Viele High- Fantasy Romane drehen sich um das Schicksal einer Welt und haben trotzdem ganz klare Protagonisten - meistens, weil die Rettung der Welt einen "Helden" braucht. Tolkien hat es uns da schon etwas schwieriger gemacht und seinen Helden nicht so klar gezeichnet wie beispielsweise Eragon, aber trotzdem würde ich Frodo ganz klar als Protagonisten benennen wollen.

Envo

Zitat von: ShainaMartel am 12. Oktober 2009, 03:03:17
...oder denkt ihr, dass man auch eine Geschichte in einer Welt wiedergeben kann, wenn man sehr viele / gar keine wirklichen Protagonisten besitzt? Ich finde zwar, dass die Geschichte neutraler wirkt und nicht Gefahr läuft, sich nur um den einen Charakter zu drehen, der der Protagonist der Geschichte ist, wenn man sich nicht hauptsächlich auf einen/mehrere Personen versteift, doch ist es dann natürlich erheblich schwieriger, eine richtige Story aufzubauen. Wie seht ihr das? Oder findet ihr die Idee einfach verrückt, keinen Protagonisten herauszuarbeiten?  :o ;)

Martin löst das in seinen Büchern hervorragend. Ich mag inzwischen nicht mehr gern Fantasy-Romane lesen, in denen nur aus Sicht einer einzigen Person (also den Protagonisten) erzählt wird, weil man weiß, ihm passiert, wenn überhaupt, erst ganz zum Schluss etwas und daher gibt es in den Szenen vorher nur Pseudospannung.

Romy

#48
Ich bin ja entzückt, dass ich zu dem Thema im Großen und Ganzen noch immer dieselbe Meinung habe wie 2009. ;D Trotzdem kann ich es mir nicht verkneifen, noch mal was zum Thema zu schreiben.

Zitat von: Alana am 21. Dezember 2012, 22:54:26
Ich habe in einem Buch auch zwei Protagonisten mit gleichberechtigten Perspektiven, beide Ich-Erzähler. Wie sollte ich da bestimmen, wer DER Protagonist ist? Ich gebe aber zu, das Wort in letzter Zeit etwas zu locker verwendet zu haben. Ich gelobe Besserung. ;D
Dazu zwei Sachen:
1) Obwohl ich seit 2009 weiß, dass es einen Protagonisten, Deuteragonisten usw. gibt, verwende ich den "Prota(gonist)" auch immer noch sehr locker und oft auch, wenn ich alle Hauptfiguren als Gesamtheit meine. Das Wort kommt mir einfach besser über die Lippen, bzw. kommt beim Tippen hier im Forum leichter raus. Es ist vermutlich einfach Gewöhnungssache. An sich benutze ich Hauptfigur(en)/Protagonist(en) und Perspektiventräger synonym. Das ist für mich dasselbe. Wer keine Perspektive hat ist Nebenfigur. - Aber auch ich gelobe, mit dem Begriff Protagonist in Zukunft sorgfältiger umzugehen.
2) Zu den Ich-Erzählern. Mein NaNo-Roman von 2010 hat auch zwei Ich-Perspektiven, trotzdem lässt sich eindeutig bestimmen, wer Protagonistin und wer Deuteragonistin ist. An sich wechseln sich die Kapitel der beiden ab, dann allerdings habe ich noch eine dritte Perspektiventrägerin (aus der 3. Person), die nur 2 Kapitel im ganzen Roman hat und die anstelle der Deuteragonistin gesetzt sind. Von daher hat die Deuteragonistin schon mal 2 Kapitel weniger, als die Protagonistin. Davon abgesehen sind die Kapitel der Protagonistin oft auch wesentlich länger, als die der Deuteragonistin. - Also, es ist wahrscheinlich wirklich etwas schwieriger, bei zwei Ich-Perspektiven eine Abstufung zuzuweisen, aber unmöglich ist es ganz sicher nicht. ;)


Zum Herr der Ringe: Darüber zerbreche ich mir jetzt auch gerade den Kopf. Es ist zu lange her, dass ich HdR gelesen habe, sodass ich es nicht mehr ganz sicher beurteilen kann. Aber ich neige dazu, Maran zuzustimmen, dass Frodo und Aragorn beide *die* Hauptfiguren sind. Frodo ist demzufolge der Protagonist und Aragorn der Deuteragonist. Ketzerisch gesagt könnte man letztlich genausogut beide streichen und andere Figuren dafür einsetzen und die dann ganz genauso aufbauen. Z.B. könnte Frodo genauso ein Zwerg sein, dem der Ring ebenso zufällig in die Hände fiel, wie Hobbit Frodo und der ebenso ein gutes Herz und einen tollen Kumpel hat, mit dem er zum Schicksalsberg marschiert. Aragorn könnte genauso gut eine Frau sein, oder was auch immer. Tolkien hätte es so erzählen können und an der Geschichte an sich hätte sich quasi nichts geändert im Vergleich zu dem, wie wir sie tatsächlich kennen.
Das sehe ich als Unterschied zwischen einer Geschichte, die Figuren-driven und einer die Plot-driven ist.
Bei einer Plot-driven-Story könnte man die Figuren relativ leicht austauschen und durch beliebige andere Figuren ersetzen. Es ist wichtig, dass die Handlungen, die sie ausführen von irgendwem ausgeführt werden; die Figuren sind eigentlich nur Mittel zum Zweck. - Tendenziell sind gerade bei diesem Modell auch mehrere Perspektiventräger nötig, um alle Aspekte der Geschichte zu beleuchten.
Bei einer Story, die Figuren-driven ist, können ausschließlich ganz genau diese Figuren und keine anderen die Handlung ausführen, allgemein ist auch das Innenleben und die persönlichen Belange der Figuren wichtiger, als irgendeine große Weltenrettungsstory. - Eine Geschichte nach diesem Modell funktioniert auch schon mal eher aus Sicht nur eines Perspektiventrägers. Gibt es z.B. zufälligerweise gerade einen Krieg, kann der auch als Rahmenhandlung dienen, aber man braucht dann nicht x-Perspektiventräger, um alle Aspekte dieses Krieges, die dafür irgendwie wichtig sein könnten, zu zeigen. Wichtig ist/sind halt nur der/die Perspektiventräger und was dem gerade zustößt und wie sich z.B. der Krieg gerade auf sein Leben auswirkt und mit den persönlichen Problemen vermischt. Ob nun die ein oder andere Seite den Krieg gewinnt, ist für die Geschichte an sich aber womöglich total nebensächlich.

FeeamPC

Ich mag beides und benutze beides. Entweder ein einziger Perspektiventräger, dessen Sichtweise konsequent durchgehalten wird, oder mehrere, die relativ gleichwertig sind, z.B. die verschiedenen Mitglieder einer Familie. Manchmal lasse ich sogar dieselbe Szene aus verschiedenen Blickwinkeln durchspielen.

canis lupus niger

Geht mir genauso.

Ich habe jetzt mit allem experimentiert: Ein Protagonist- eine Erzählperspektive, ein Protagonist -  mehrere wechselnde Erzählperspektiven. Vier Protagonisten - vier wechselnde Erzählperspektiven.

Mir selber haben alle Modelle mehr oder weniger gefallen. Die Kritiker haben sich teils positiv, teils negativ dazu geäußert, zum selben Text teils völlig gegensätzlich. Deshalb denke ich einfach, dass diese eine Mode- und Geschmacksfrage ist. Jemanden, dessen Erlebnisse oder Schicksal ich als Leser verfolgen kann, brauche ich aber. Zumindest habe ich noch keinen Roman gelesen, in dem es gar keinen Protagonisten gab, und kann mir auch nicht vorstellen, dass das funktionieren würde.

Zit

#51
Zitat von: Romy am 30. Dezember 2012, 03:02:59
Wer keine Perspektive hat ist Nebenfigur.

Holmes ist aber keine Nebenfigur, er ist der Protagonist, auch wenn Watson der Perspektivträger (und zweite Hauptfigur) ist. Lestrade ist aber eine (konstante) Nebenfigur und Moriarty der Antagonist, wenngleich er persönlich selten auftritt. So einfach ist es dann doch nicht.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Mithras

Ich könnte mich nicht auf einen einzigen Hauptcharakter beschränken - es würde mich langweilen, nur an dessen Perspektive gebunden zu sein. Ein breites Spektrum an potentiellen Protagonisten bietet mir eine große Auswahl an Möglichkeiten, den Leser an der Nase herumzuführen, denn normalerweise unterscheiden sich Hauptcharaktere in vielerlei Hinsicht - ohne diesen Kontrast wäüren sie schließlich austauschar. Und da sie möglichst unterschiedlich sein sollen, haben sie auch unterschiedliche Moralvorstellungen, halten Dinge für wahr, die andere als absurd bezeichnen usw. Man kann also durch die Verwendung mehrerer Perspektiveträger eine Vielzahl von Widersprüchen einflechten, die man als Autor nicht unbedingt aufklären muss, und der geneigte Leser ist dann dazu aufgefordert, sich selbst einen Reim darauf zu machen. Mir als Leser, aber auch als Autor macht das immer sehr viel Spaß.

Außerdem: Wenn es nur einen Protagonisten, also nur einen Perspektivträger gibt - kann der dann sterben? Wahrscheinlich nicht, denn dann wäre die Geschichte in den meisten Fällen beendet. Mehr Charaktere sorgen auch gerade deshalb für Unberechenbarkeit und Abwechslung - abgesehen davon, dass man natürlich mehr über die Welt erfährt und Einblick in Dinge erhält, die ein einzelner Charakter kaum überblicken könnte.

Man sollte natürlich darauf achten, man das Gleichgewicht wahrt. ch würde sagen, dass im meiner Geschichte Welt und Handlung im Vordergrund stehen und die Hauptcharaktere vor allem dazu dienen, einen Blick auf alle Facetten zu ermöglichen, nichtsdestotrotz sind sie für mich keineswegs Statisten, die unbedeutend und austauschbar wirken. Tatsächlich habe ich Probleme mit Büchern, in denen Charaktere nur Mittel zum Zweck darstellen und entsprechend mittelmäßig ausgearbeitet sind. Eriksons Spiel der Götter ist da so ein Beispiel...

Einige meiner Charaktere sind mir wirklich ans Herz gewachsen, und anderen Wünsche ich seit Jahren den Tod. Ich muss ihnen Raum lassen, sich zu entfalten, und das mache ich liebend gerne.Auf etwa fünf zentrale Personen und etwa genauso viele Nebenperspektivträger konzentriert, wobei diese nicht gleichzeitig als solche eingeführt werden. Der Tod ist allgegenwärtig, und es kann vorkommen, dass ein neuer Charakter die Lücke schließt, die ein anderer hinterlassen hat. Im Übrigen sind natürlich nicht alle zentralen Charaktere Perspektivträger - das wäre ja noch schöner, schließlich sollten Ziele und Pläne der Strippenzieher nicht zu früh bekannt werden.

Romy

Zitat von: Zitkalasa am 14. Januar 2013, 00:57:30
Holmes ist aber keine Nebenfigur, er ist der Protagonist, auch wenn Watson der Perspektivträger (und zweite Hauptfigur) ist. Lestrade ist aber eine (konstante) Nebenfigur und Moriarty der Antagonist, wenngleich er persönlich selten auftritt. So einfach ist es dann doch nicht.
Ausnahmen bestätigen die Regel. ;) 8)

Davon abgesehen habe ich:
1) gesagt, dass *ich* die Begriffe synonym benutze. So ein Fall, wie bei Holmes hatte ich noch *nie* in einer meiner Geschichten.
2) Ich habe zwar viele Holmes-Verfilmungen gesehen, aber noch keinen der entsprechenden Romane oder Kurzgeschichten gelesen. Von daher kann ich das spezielle Beispiel eh nicht wirklich beurteilen.
3) Auch wenn es vielleicht etwas flapsig und zu einfach klingen mag zu sagen, dass Ausnahmen die Regel bestätigen, ist da definitiv was Wahres dran. ;) Ich denke, das Holmes-Beispiel ist wirklich eher eine Ausnahme. Im Normalfall ist es doch so, dass Hauptfiguren auch zugleich eine Perspektive haben. - "Zentrale Charaktere" wie Mithras sie nennt, müssen andererseits nicht zwangsweise Hauptfiguren/Perspektiventräger sein. Das sind halt einfach "nur" Figuren, die eine wichtige Rolle spielen. z.B. der König, dem der Protagonist dient und der für den Prota und die Handlung sehr wichtig ist. Aber um für den Prota im Mittelpunkt zu stehen, braucht der ja keine Perspektive und keinen Hauptfigurenstatus (obwohl es natürlich trotzdem so sein könnte).

Und wo ich schon mit blöden Sprüchen um mich werfe: Man muss die Regeln kennen, um sie zu brechen. ;D Der Herr Arthur Conan Doyle hat es halt drauf gehabt. ;D

Lemonie

Holmes ist tatsächlich eine Ausnahme, und da liegt es meiner Meinung nach daran, dass seine Perspektive... schwieriger geworden wäre. ;)
Ich denke, Watsons Perspektive ist genial gewählt, weil man eine Figur wie Sherlock Holmes am besten von außen kennenlernt, aus der Sicht von jemandem, der ihn ebenso kennelernt wie der Leser und dem noch auffällt, wie unkonventionell Holmes sich teilweise verhält. Da geht es ja gerade darum, dass man Holmes (trotzdem die Hauptfigur!) aus Sicht eines "Normalos" kennenlernt, in den man sich hineinversetzen kann. Die Konstellation gibt es in manchen Geschichten, aber viel öfter hat der Protagonist tatsächlich eine Perspektive, würde ich jetzt zu behaupten wagen.


Ratzefatz

ZitatIm Normalfall ist es doch so, dass Hauptfiguren auch zugleich eine Perspektive haben. - "Zentrale Charaktere" wie Mithras sie nennt, müssen andererseits nicht zwangsweise Hauptfiguren/Perspektiventräger sein. Das sind halt einfach "nur" Figuren, die eine wichtige Rolle spielen. z.B. der König, dem der Protagonist dient und der für den Prota und die Handlung sehr wichtig ist. Aber um für den Prota im Mittelpunkt zu stehen, braucht der ja keine Perspektive und keinen Hauptfigurenstatus (obwohl es natürlich trotzdem so sein könnte).

Eine interessante Mischung liefert George R. R. Martin in "A Song of Ice and Fire" ab. Während die meisten seiner Perspektivträger Hauptfiguren sind, hat er doch auch ein paar "Watsons" dabei. So würde ich zB Catelyn und Davos weniger als Hauptfiguren bezeichnen; die eigentlichen Hauptfiguren sind hier Robb Stark und Stannis Baratheon, also Catelyns Sohn und der König, dem Davos dient. Bei Davos und Stannis scheint der Hintergedanke zu sein, dass Stannis, ein eher schwieriger Charakter, dem Leser eigentlich nur dadurch sympathisch wird, dass der sympathischere Davos eine so hohe Meinung von ihm hat. Bei Catelyn und Robb ist der Grund vielleicht einfach logistischer Natur (sprich, wenn Robb der Perspektivträger wäre, hätten wir zB in "Clash of Kings" die Eroberung des Crag unmittelbar mitbekommen, dagegen aber Jaime Lannisters Flucht nur aus zweiter Hand); zumindest denke ich, dass es für meine Empfingungen als Leser keinen großen Unterschied machen würde, wenn Catelyns Perspektive durch Robbs ersetzt wäre.

LG
Ratzefatz
,,Dein Name ist Venko", raunte Zoya in sein Ohr. ,,Venko, Venko, Venko." Sie gab ihm für jedes ,,Venko" einen Kuss und ermahnte ihren Mann: ,,Vergiss deinen Namen nicht!"
,,Wie könnte ich ihn vergessen, meine Zoya", raunte er zurück, ,,wenn ihn vergessen auch dich vergessen hieße?"

Zit

#56
"Ausnahmen bestätigen die Regel" ist so ein Totschlagargument. Außerdem, gerade in dieser Diskussion, doch eher deplatziert. Meine Intension war es, zu zeigen, dass es eben auch anders geht. Dass die erste Hauptfigur eben nicht immer auch eine eigene Stimme braucht; und dass die Frage, welche Figur bekommt eine Stimme, sich aus den Figuren und dem folgenden Spannungspotential ergibt. Damit lässt sich die Frage eben nicht so einfach mit einem "alle anderen machen es auch so" abschmettern.
(Zumal es auch Geschichten gibt, die Holmes aus seiner Sicht erzählt: Die Gloria Scott, Das Musgrave-Ritual, Die Löwenmähne und teilweise in Das leere Haus, als Klärung, was mit ihm am Reichenbach passierte.)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Robin

Für mich ist das Thema jetzt dahingehend interessant, weil ich noch damit herumspiele, wie ich in meiner Geschichte meinen Protagonisten präsentieren will - den Hauptprotagonisten, noch dazu. :hmmm:

Normalerweise hab ich es immer so gehandhabt, dass die Perspektivträger auch immer die Protagonisten sind, also auch die hauptsächlichen Akteure. Aber diesmal will ich ausprobieren, wie weit ich komme, wenn ich den Protagonisten nur selten zu Wort kommen lasse, und stattdessen andere Perspektivträger seine Geschichte erzählen lasse. Ob ich damit weit komme ist natürlich die Frage...
~Work in Progress~

Amaya

Eine Freundin hatte die Idee, eine Geschichte nur in Form von Briefen, E-mils, Tagebucheinträgen, Telephonaten und anderen Kommunikationsmedien zuschreiben.
Allerdings geht es um zwei Organisationen. Die eine versucht die andere auszuschalten.
Es gibt keinen richtigen Prota, denn es geht um die Geschichte und den Kampf der beiden Gruppen gegeneinander.

Was ich damit sagen möchte ist, dass es meiner Meinung nach möglich ist, ohne einen oder mehreren Protas zuschreiben.
Es kommt aber stark auf den Inhalt an.


Fianna

#59
Aber man muss sich doch auf eine gewisse Personenzahl begrenzen... Selbst wenn jede Mail denselben Adressstamm hat, ist es doch zu verwirrend, wenn 2 von sandra@wir-sind-die-guten.com stammen, 3 von Adam@wir-sind-die-guten.com und je 1 von ungefähr 8 anderen Personen.

Auch wenn der Mailstamm, Briefkopf oder was auch immer gleich bleibt (in 2 Versionen, pro Lager eines) und man die Absender diesen Organisationen zuschreiben kann, ist es zu verwirrend, wenn da ständig andere Namen stehen.

Außerdem ist fast jede funktionierende Organisation hierarchisch aufgebaut, in dem vorliegenden Fall vermutlich sowieso (damit sie schnell handlungsfähig ist) und so hat man automatisch Dokumente, die sich gewissen Personen höherer Rangstufe vermehrt zuordnen lassen.
Interessant ist ja auch das Zusammenspiel oder Nicht-Zusammenspiel der "Fußsoldaten", die vielleicht aus taktischen Gründen Anweisungen missachten und so den Plan des Obermackers in Gefahr bringen, die die Pläne anzweifeln und sich vorsätzlich diesen widersetzen oder die mit Leuten zusammen arbeiten, die sie auf den Tod nicht ausstehen können oder deren Arbeitsweise nicht gut harmioniert... Oder es gibt noch andere Gründe/Spannungsteigerer, doe dazu führen, dass man in den unteren Rängen auch mehrere Personen öfter zu Wort kommen lässt.

Somit hat man dann mehrere Personen, die mehr Dokumente stellen als andere, was vom Leser automatisch als Perspektivträger eingestuft wird (auch wenn meine literaturwissenschaftlich geschulten Kollegen mir gleich sagen sollten, dass sie es trotzdem nicht sind :) )