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Findet ihr es wichtig, einen einzigen Protagonisten zu haben?

Begonnen von ShainaMartel, 12. Oktober 2009, 03:03:17

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Tanrien

#15
Zitat von: Tenryu am 12. Oktober 2009, 23:52:38
Ich frage mich, ob der Protagonist auch unbedingt eine Identifikationsfigur sein muß?

Ich denke, vielleicht nicht unbedingt Identifikationsfigur, aber zumindest ein Etwas, zu dem man eine emotionale Bindung eingehen kann. Sei es nun, dass man dieses Etwas bemitleidet, hasst, sich damit identifiziert etc. pp.

Ich habe bei der Eigangsfrage sofort an Naturdokumentationen gedacht. Da gibt es einerseits den Hauptprotagonisten Natur (Regenwald, Amazonas, etc.), dann wiederum wird ja meistens auch noch lose die Geschichte des Rudels Löwen, oder des kleinen Wals von Geburt bis Tod "verfolgt". Letzteres wäre der offensichtliche Protagonist/die Identifikationsfigur, die eingebaut wird, um das Ganze ansprechender zu machen.

Im Eingangsabsatz habe ich dieses Ding, den Protagonisten, als Etwas bezeichnet, weil ich denke, dass man auch so über, zum Beispiel, das Schicksal einer Kirche vom Aufbau bis in die Gegenwart durch die Augen vieler verschiedener Menschen, berichten kann - ohne, dass es ein Sachbuch ist, und trotzdem interessant für den Leser.

Dementsprechend würde ich sagen: Ein menschlicher/tierischer Protagonist muss nicht sein, ist aber einfacher und vielleicht ansprechender; was aber sein muss, damit die Geschichte gelesen wird, ist das Etwas, zu dem wir die Bindung aufbauen könnten. Nennen wir das Etwas jetzt einfach "Unkonventioneller Protagonist" (oder gar "Thema"?) und schon wäre die Antwort:
Ja, jede Geschichte braucht irgendeine Art von Protagonist.

Romy

Zitat von: Joscha am 12. Oktober 2009, 22:00:45
Ich habe allerdings nichts gegen Romane mit einem einzigen Protagonisten, was meiner Meinung nach allerdings eine sehr anspruchsvolle Art des Schreibens ist, die ich mir selbst nicht zutraue.

Zutrauen würde ich es mir schon, ich fände es nur etwas langweilig, aber gut, das ist Geschmackssache.
Allerdings weiß ich ehrlich gesagt nicht, was daran anspruchsvoller sein soll, nur einen Prota zu haben?  :hmhm?: Wenn man mehrere Protas mit mehreren Handlungssträngen hat, die vernünftig miteinander verknüpft werden müssen, ist das m.E. viel anspruchsvoller, als einen einzigen Prota und einen einzigen Handlungsstrang zu haben.

Joscha

Anspruchsvoll ist es meiner Meinung nach eher, den Leser trotz eines einzigen Protagonisten mitfiebern zu lassen und z.B. auch die "Gegenseite" mehr zu beleuchten bzw. Vielfalt entstehen zu lassen. Ein einzelner Protagonist wird, wenn er nicht gut gestaltet ist, mMn verhältnismäßig schnell eintönig.

Wuo Long

Um mal auf diese Frage eine Antwort zu geben:

Auch ich denke, dass es ganz darauf ankommt, was der Autor möchte.

Die zwei Romangeschichten, an die ich bisher schreibe haben beide mehr als einen Protagonisten. Das liegt unter anderem daran, dass ich - wie wahrscheinlich auch die meisten anderen Schreiber aus diesem Forum - mein Hauptaugenmerk auf die Handlung lege und auch auf die Kreierung einer eigenen Welt und da hilft es meiner Meinung nach definitiv, diese für den Leser fremde und neue Welt aus mehr als nur einer Perspektive zu beschreiben, sie aus mehr als nur einem Blickwinkel zu betrachten.

Das heißt aber nicht, dass ich Geschichten mit nur einem Protagonisten nicht reizvoll finde, ganz im Gegenteil: Momo von Michael Ende hatte nur eine einzige Protagonistin und die war super gelungen. Ein vielleicht etwas abstruses Beispiel, aber auch Goethes Faust hat meiner Meinung nach nur einen Protagonisten, Faust halt, und die Charakterentwicklung hinter diesem Epos ist... ich glaub ich lese es demnächst noch einmal, mir fehlen gerade die Worte.   :d'oh:

Worauf ich hinaus möchte ist, dass in einem Buch mit einem Protagonisten die Handlung mit einer Charakterstudie verbunden werden sollte. Natürlich kann man sich um die genaue Natur einer solchen Studie streiten, aber um es in einfache Worte zu fassen: Die Figur soll erleben, sich entwickeln, noch mehr erleben, wachsen, stürzen, sich wieder aufrappeln und seinen möglichst verschlungenen Lebensweg gehen und dafür bleibt in einem Roman meist nur für einen Charakter Platz...dem Protagonisten halt.

Ich stelle mir eine gelungene Charakterstudie schwierig vor. Ich habe mich bisher noch nicht an so was getraut.


Issun

Ich finde es spannend, mehrere Protagonisten ins Rennen gehen zu lassen. Sie müssen nicht immer dieselben Ziele verfolgen. Auf jeden Fall sollten es eigenständige Charaktere sein und nicht Klone mit unterschiedlichen Aufgaben, die nur dazu dienen, die Handlung voranzutreiben (auch das ist mir schon passiert  ::)). Der Leser kann dann selbst entscheiden, bei welchem dieser Protagonisten seine Sympathien liegen.

Ich glaube schon, dass auch an einer Vielfalt von Protagonisten Charakterstudien betrieben werden können, allerdings nicht in dem Ausmaß, das Wuo Long angesprochen hat. Einem einzelnen Prota kommt viel mehr Wichtigkeit zu als einem unter vielen, daher darf seine Entwicklung auch mehr Platz beanspruchen. Einen Roman mit etlichen Figuren zu schreiben, die sich alle von A nach Z entwickeln, würde viel Zeit und Nerven beanspruchen - außerdem machen ja nicht alle Charas eine so radikale Entwicklung durch.

ZitatOder findet ihr die Idee einfach verrückt, keinen Protagonisten herauszuarbeiten?

Nicht alle Erzählungen brauchen einen Protagonisten. Kurzgeschichten zum Beispiel kommen auch ohne aus, wenn einem das Skurrile gefällt.

Moa-Bella

Ich habe lieber 2-3 Protagonisten, allerdings lässt sich das manchmal nicht realisieren. Bei einem meiner Projekte kommen generell nur sehr weniger Personen vor da das Buch in einer, sagen wir sehr einsamen Gegend spielt und mehr als eine Hauptperson ist nicht drin. Bei mehreren bietet es einerseits mehr Abwechslung, andererseits ist es auch spannend, die verschiedenen Entwicklungen zu schreiben. Ich neige aber leider dazu, eine Lieblingsfigur zu haben, alle anderen ebenfalls so intenriv herauszuarbeiten ist schwierig.

Kolibri

Also ich finde es ja schon wichtig, dass es Hauptpersonen in einer Geschichte gibt.. Wenn man das neutral schreibt, ohne die Handlung auf jemanden/eine Gruppe zu fixieren.. kann dabei keine richtig gute Story rauskommen, oder?

Ansonsten kann es natürlich auch mehrere Hauptpersonen geben, mein Musterbeispiel sind hier immer die Gefährten aus Herr der Ringe.
Wie man das letzten Endes macht, kommt aber wirklich auf den Autor an.
Ob nun nur einen, oder mehrere Protas, hängt von der Geschichte ab. Aber Hauptpersonen generell sind wichtig, auch weil ich mir nicht vorstellen könnte, eine Geschichte zu schreiben, wo es keine Hauptperson gibt. Man baut ja automatisch zu den Personen eine gewisse Beziehung auf..

Nachtaktive

Ich glaube auch, dass es eine große Rolle spielt wie viel Zeit in der Geschichte vergeht.
Wenn eine Erzählung nur von einem einstündigem Gespräch beim Tee handelt braucht man keinen
Protagonisten, aber wenn jetzt eine Geschichte beispielsweise durch Jahrzehnte hindurch geht, dann
kommt man glaub ich nicht drum herum mehrere Protas miteinzubeziehen, weil so nunmal das Leben spielt.
Wer lebt jahrelang alleine bzw. trifft nie Leute mit denen er etwas näheren Kontakt hat? (Außer vielleicht Einsiedler,
aber deren Leben ist wohl im allg. nich interessant genug um darüber einen Plot zu schreiben der inhaltlich Jahre beinhaltet....)

Redwood

Ich persönlich finde, dass ein Autor auf der einen Seite darauf achten sollte, dass, wenn er nur
eine Perspektive verwendet, es nicht zu eintönig werden darf. Auf der anderen muss man bei
mehreren (gegen z.b.3 ist ja auch nichts einzuwenden) aufpassen, dass die Handlung nicht unübersichtlich wird. Es sollte dem Leser bei mehreren Perpektivträgern die Zeit gegeben werden,
sich jedes mal in die Geschichte einfühlen zu können. :)

Roland

Mhm, eine gute Frage!

Ich für meinen Teil schätze, dass es auf die Story ankommt, wie viele Protas man braucht/benutzt. Schreibt man eine Story, in der der Prota ein knallharter Überlebensjunky ist, kann es gut und gerne reichen, wenn man nur einen hat. Es kann dann aber auch gut tun, wenn er Leute um sich rum hat, die ihn beeinflussen.
Ist man eher auf eine etwas "sozialere" Story aus, geht es ja auch gut mit mehreren. Aber ich stimme den anderen zu, dass es dann darauf ankommt, wie man jeden einzelnen gewichtet.

Grüssli, Wulf!

Sin

Keinen Protagonisten zu haben, kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Aber sicherlich kann man es probieren.
Bei nur einem Prota kann man sich gut hineinversetzen, vor allem, wenn es noch aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Ist zumindest meine Meinung.
Genauso interessant ist es, mehrere Protas zu haben. Man kann aus verschiedenen Sichtweisen schreiben und die Beziehungen zwischen ihnen in der Geschichte herausarbeiten.

Es muss auch zur Geschichte passen, genauso wie zum Schreibstil und den eigenen Vorlieben. Man merkt als Leser schon einen Unterschied, finde ich.


Bisou

Oookay, ich habe mich hierzu noch gar nicht geäussert, merke ich gerade. Das muss geändert werden :)

Ich halte es so, dass ich meine Geschichte sowieso nie von Anfang an im Kopf habe. Mir fliegen Szenen zu, Dialoge, Namen. Und die fordern dann lautstark meine Aufmerksamkeit. Wird eine dieser Szenen aus Sicht einer Frau erzählt, die starke Selbstzweifel hat, lässt sich das nicht mit einem strahlenden Helden vereinen. Für mich braucht es spätestens dann mehrere Protagonisten.
Um von meiner aktuellen Geschichte zu sprechen: es fing an, als ich mich einfach vor den PC setzte und angefangen habe, zu schreiben. Die erste Protagonisten war geboren. Gleich im zweiten Kapitel sprang die Perspektive über zu demjenigen, an den sie gedacht hatte. Die Perspektiven werden später zwar zusammengeführt und die des Mannes verschwindet, aber da sie zu Anfang beide wichtig für den weiteren Verlauf der Handlung sind, bleiben sie. Eine Krönungszeremonie schreibt sich halt am besten von "mittendrin".
Insgesamt gibt es in meinem Roman sechs Perspektiventräger im ersten teil, die im zweiten Teil entweder weg sind oder weitergeführt werden, jedenfalls reduziert sich das auf zwei Perspektiventräger.

Deswegen würde ich sagen: wenn man es sinnvoll am Text begründen kann und es für die Geschichte sinnvoll ist, dann ist es meines Erachtens sogar gut, mehrere Träger zu haben. So wird die Geschichte aus mehreren Perspektiven erzählt, die sich einander nicht ausschließen müssen.
Das finde ich persönlich spannend.

LG

Nessa

Mal eine Frage, wer oder was ist der Protagonist?
Zitat von: Wikipedia.deDer Protagonist  bezeichnet in der griechischen Tragödie den Darsteller der ersten Rolle (ggf. vor Deuteragonist und Tritagonist, d. h. zweiter und dritter Hauptrolle).
Dementsprechend kann es nur einen Protagonisten geben.
Es gibt in allen Büchern, die ich bisher gelesen habe, nur einen Protagonisten.
Warum?

Da kommen wir zum Thema Schreibtheorie

Was ist die Funktion des Protagonisten?
Der Protagonist ist derjenige, der die Handlung vorantreibt. Es ist derjenige, mit dem die Handlung überhaupt in Gang kommt. Beispielsweise Herr der Ringe, weil es hier schon angesprochen worden ist, hat als Prota Frodo und nur Frodo allein trägt die Handlung. Es gibt Nebenhandlungen, jawohl, doch bei Frodo liegt die Haupthandlung.
Frodo entscheidet den Ring zum Schicksalsberg zu bringen. (1. Wendepunkt)
Frodo entscheidet sich, den Weg ohne seine Freunde weiter zu gehen. (2. Wendepunkt)
Frodo wirft, wenn auch unabsichtlich, den Ring in das Feuer des Schicksalberges (3. Wendepunkt)
(Das sind meiner Meinung nach, die wichtigsten, in der gesamten Geschichte, doch ist es möglich für jedes Buch die zwei wichtigsten Wendepunkte herauszuarbeiten.)
Die Geschichte um Merry und Pippin ist ein Nebenstrang, ebenso die von Aragorn und den anderen.

Wenn ihr Filme schaut, überlegt, welche Figur ist der Protagonist. Wer ist es, der die Handlung in Gang bringt?

Überlegt genau, wer ist der Träger der eigentlichen Handlung? Das ist der Protagonist. Es geht nicht ohne ihn. Es geht auch nicht mit mehreren.
Der Protagonist hat eine innere und eine äußere Motivation, die die Handlung voranbringt, sie ist das Motiv für die Geschichte. Wenn mehrere Protagonisten (tschuldigung, mir rollen sich grad die Fußnägel hoch, weil das ein Widerspruch in sich ist), die gleiche äußere Motivation hätten und auch die innere identisch wäre, so wären es identische Persönlichkeiten. Es kann sein, dass sich die Motivation von Charakteren innerhalb der Handlung überschneiden, dass sie sich gleichen, aber niemals sind beide Motivationen identisch. Hmm, obwohl, wenn beide die gleiche Frau lieben - äußere Motivation - und sie wollen beide von ihr geliebt werden - innere Motivation - so würde sich das doch überlagern, allerdings wird nur einer sein Ziel erreichen können.

Dementsprechend, redet von Charakteren, nicht von mehreren Protas.
Ich weiß selbst, wie schwer es fällt, sich wirklich für einen zu entscheiden, doch wenn man eine Geschichte richtig entwickelt, kommt man um diese Entscheidung nicht drumherum.

LG Nessa

Lomax

@Nessa:
Bei deinem Einwand stolpere ich über einen methodischen Mangel, den man am deutlichsten wohl an zwei Punkten festmachen kann:
"Der Protagonist  bezeichnet in der griechischen Tragödie ..."
"Wenn ihr Filme schaut, überlegt, welche Figur ist der Protagonist ..."

Du siehst, worauf ich hinauswill ... das alles sind Beispiele aus der dramatischen Form, aber wir reden über Romane, die epische Form. Und die ist erheblich freier, insbesondere im modernen Roman. Und genau das ist der Punkt, wo dein Einwand zu eng wird, denn ...
Zitat von: Nessa am 18. Dezember 2009, 19:32:05Da kommen wir zum Thema Schreibtheorie ...
... er geht nicht von "der Schreibtheorie" aus, sondern nur von "einer Schreibtheorie", die ihre Aussagen zur Erzähltheorie vor allem aus der Dramentheorie ableitet. Diese Sichtweise ist derzeit recht populär und in vielen Schreibratgebern sehr präsent; nicht zuletzt darum, weil vor allem der zeitgenössische Genre- und Unterhaltungsroman sehr stark in den Sog des Mediums Film geraten ist. Sprich: Es ist gerade sehr modern, Romane wie einen Film aufzubauen, vor allem, um ein Publikum anzusprechen, das inzwischen den Film als Leitmedium akzeptiert.

Aber es ist eben auch nicht mehr als eine Sichtweise, eine bestimmte Schule unter vielen. Wenn die auf filmische Einfachheit setzt, hat sie damit vielleicht sogar ein recht gut funktionierendes Muster gefunden, und in der Anlehnung an das Drama womöglich sogar das am besten funktionierende und publikumswirsamste Muster überhaupt.
  Aber im Thread hier ging es ja gerade um die Frage, ob der epische Roman tatsächlich immer an dieses Muster gebunden ist und ihm folgen muss. Muss er natürlich nicht. Gerade der moderne Roman erlaubt halt nicht nur das, was gerade besonders modern ist ;) Er muss nicht mal figurengetrieben sein.

Und am Rande - mich schüttelt es immer besonders, wenn von "Charakteren" geredet wird :( Die gehören doch eher ins Rollenspiel. In der Literatur sollte man, wenn man sich vom "Protagonisten" abgrenzen will, wenigstens von "Figuren" reden.

Lavina

Ich kann es mir nicht so richtig vorstellen, wie ich eine meiner Geschichten hätte schreiben sollen ohne einen Protagonisten zu haben, der die Geschichte erlebt.
Manche können vielleicht solche Geschichten schreiben aber ich glaube, die Gefahr, dass der Leser ziemlich schnell das Interesse verliert, weil er nicht klar erkennt um was es geht oder es einfach zu lange dauert (bis er es erkennt), ist einfach zu groß.
Ich muss mich in eine Person hinein versetzen können, um das Gefühl zu haben, die Geschichte richtig erzählen zu können. Wenn es keinen Prota gäbe, würde ich womöglich meinen roten Faden verlieren.