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Die "böse" Seite

Begonnen von Feuertraum, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Lavendel

'Böse' ist wohl immer eine Sache des Blickwinkels. Jemand, der plant einen Menschen umzubringen und die Tat dann ausführt ist böse, nicht?
Aber wenn Dolores ihren Ehemann mit Absicht in den Brunnen stürzen lässt, weil sie jahrelang unter ihm gelitten hat und weil er am Ende ihr ganzes Geld eingesackt und die gemeinsame Tochter missbraucht hat - ist das wirklich böse oder nur verzweifelt?
Man kann sogar einen fiesen Mafiaboss ganz leicht zum Sympathieträger machen, wie wir alle wissen.

Manche Leute tun gemeine Sachen. Manche Leute fügen anderen Leuten skrupellos Schaden zu - aus Gier oder Rache oder einem von den anderen 'niederen Beweggründen'. Aber in welchem Fantasyroman ist schon der Zwerg, der den fiesen Drachen erschlägt um seinen Hort auszunehmen, der Böse? In welcher Fantasygeschichte ist das kleine Mädchen, das seine Familie durch die marodierenden Horden des grausamen Herrschers verloren hat und als gestandene Frau endlich auf Rache sinnt, die Böse?

So einfach ist das alles also nicht. Wer ist denn in Wirklichkeit schon wahsinnig genug, sich wirklich die Weltherrschaft aufhalsen zu wollen?

Sarina

Also ich wollte dich nicht ignorieren!

Meintest du ein bereits veröffentlichtes Buch oder "nur" eins was du geschrieben hast?

Du hast in jedem Fall recht, dass Gut und Böse im Auge des betrachters liegen!

Lennard

Ich habe schon des öfteren Romane mit Hauptcharakteren gelesen, die in der Fantasy eigentlich traditionell böse sind (Orks, Vampire etc.), aber im Rahmen der Erzählung zu Sympathieträgern gemacht werden. Eine mittlerweile gern genommene Variante.

Im Grunde gilt: Böse sind jene, die Böses tun  ;)

Aber ich glaube, die Frage war auch etwas anders gemeint. Einen Roman, der im Wesentlichen von den Charakteren handelt, die "Böses tun" und gewissermaßen an die Stelle des Helden gesetzt werden, habe ich nocht nicht gelesen. Ich glaube auch nicht, das so ein Roman große Erfolgsaussichten hat. Ein Leser muß eine Beziehung zu den Charakteren aufbauen können, um nicht zu sagen Sympathie.
Wenn der Leser aber nur Charakteren folgen muß, die "Böses tun", dann wird der Leser das Buch recht schnell wieder aus der Hand legen (es sei denn, er ist irgendwie pervers veranlagt  ;D).

Lavendel

Ignoriert? *kopfkratz*

Ich denk mal, du wolltest sagen, dass der schöne Spruch 'Evil is, who evil does' nicht ganz greift. Ich war der Ansicht, ich hätte das unterstützt, aber nun gut...

Und noch mal zu den VertreterInnen des oben genannten Sätzchens: Ich finde, dass der/die böse AntagonistIn mit Weltherrschaftsambitionen wirklich etwas abgegriffen ist. Ich meine, diese Leute, die einfach von Natur aus grausam sind, Spaß daran haben, andere zu quälen, es cool finden, wenn alle vor ihnen auf dem Boden kriechen und nichts anderes im Sinn haben, als ihre eigene Macht zu vergrößern. Über solche Leute will ich jedenfalls nicht mal mehr aus der Perspektive eines Helden lesen. Das sind einfach keine spannenden und glaubwürdigen Charaktere.

Ich denke, man kann nur relativ böse sein. Und solange man sich in die Taten einer Figur einfühlen kann, wenn man dafür Verständnis aufbringt (selbst, wenn man sowas selbst vielleicht niemal tun würde), kann man auch über einen 'bösen' Charakter schreiben.

Warlock: Dass die Leute sich in Gruppen zusammenrotten und sich anhand gewisser Kriterien gegen andere Gruppen abgrenzen, ist ja ein bekannter Mechanismus. Wer anders ist ist dann also 'böse' bzw. nicht erwünscht oder minderwertig. So funktioniert leider unsere Gesellschaft. Sonst käme Herr Bush sicherlich nicht darauf, dass es sowas wie eine 'Achse des Bösen' gäbe. Und es käme auch kein Mensch darauf, dass ein Mann mit einem Turban ein islamischer Fundamentalist sein müsse, nur weil er etwas anders aussieht.

Drachenkind

Wir hatten ja bei den Elfen/Zwergen/Orks&Co auich kurz das Seitenthema, wie man die "Bösen" überzeugend gestaltet.
dazu habe ich einen inspirierenden Ansatz im neuen Buch von Kristen Britain gefunden.
Auf den ersten Seiten skizziert sie eine reine Idylle. Ein Flüchtlingslager in einer pittoresken Gebirgslandschaft, eine gütige Großmutter, die sich um die Kinder kümmert, einem kleinen Jungen Heilkräuter für seine hustende Mutter gibt, ihre eigene zurückgeblieben Enkeltochter aufzieht - wir erfahren, dass die ganze Gruppe zu dieser Frau, die von allen Großmutter genannt wird, aufsieht und sich auf sie verlässt.
dann wird kurz erzählt, wie viel besser die Kinder das Flüchtlingsleben verkraften, weil sie es als Abenteuer erleben. Sie spielen Zweites Imperium gegen Soldaten des Königs und immer gewinnt das Imperium.

Hier wird der erfahrene Leser das erste Mal stutzig, denn das zweite Imperium, das sind die Bösen in Britains Büchern.

Und dann verwandelt sich diese gütige Großmutter vor den Augen des Lesers in ein Monster, das aus nachvollziehbaren Gründen einen jungen Mann, der ihre Sache zu verraten drohte, grausam hinrichtet.
Es tut ihr sogar aufrichtig leid, muss aber sein.

Ich habe diese Szene mit offenem Mund gelesen, weil hier wirklich das Böse in seiner eigenen Selbstverständlichkeit daher kommt. Für sich selber sind sie eben nicht die Bösen und ihre eigene Überzeugung, dass sie die Guten sind und die anderen die Bösen wird nicht mit Argumenten, sondern mit ein paar Bildern skizziert: Das Lager im Gebirge, die spielenden Kinder, die alte magische Kunst des Knotenknüpfens, Großmutters Korb und der schreckliche Tod des Verräters.

Das ganze Gut-Böse-Gefüge, an das der Leser sich gewöhnt hatte, wird einmal spielerisch in die Luft geworfen, dreht sich um sich selbst und landet umgekehrt wieder in der Hand.

Ich habe bisher noch keine richtigen Bösen als Volk kreiiert, finde es auch schwieriger, das zu tun, als reine Projektionsflächen für unsere dunklen Triebe (Orks) zu entwerfen, aber ungefähr so müsste es funktionieren.

saraneth

Ohoh... die "guten" Bösen. Ja, daran feile ich auch gerade in meinem 2. Handlungsstrang. Da zieht die eine Gruppe los um ihr Land zu befreien und ist sich sicher, dass sie im Recht ist, weil das ja schließlich ihr Land ist und die andere Gruppe zieht los um ihre neue Heimat zu verteidigen.

Wer hat Recht? Wer ist der Böse?

Ich denke, das beide ein gewisses Recht haben... aber ich bin mir einfach nicht sicher.

Silvia

Muß man denn immer jemanden/ein Volk als "den/die Bösen" aufbauen und deklarieren? Mir sträubt sichs seit einiger Zeit immer, wenn ich diese Einteilung lese oder von jemandem höre, der über eine Geschichte redet.
Ich halte es eher damit, den unterschiedlichen Parteien ihre eigenen Gründe und Ziele zu geben, aus denen sie Dinge tun oder halt nicht tun. Hängt eben alles vom Standpunkt und der Sichtweise des einzelnen/der Gruppe ab. Jeder kann "böse" agieren oder "gut" agieren, auch wenn das den Anhängern des Gutseins nicht gefällt, weil man da ja die eigenen dunklen Seiten, die jeder in sich drin hat, anschauen und akzeptieren müsste, dass sie da sind.
Gebt den Leuten ein nachvollziehbares Motiv und möglichst noch ein bißchen Hintergrundgeschichte und ein paar nette Seiten, die jeder andere Mensch auch hat. Und das "platte Böse", das immer nur ein Konstrukt war, hat ausgedient.

saraneth

@ Silvia: Das meinte ich auch. Es sind halt zwei Gruppe bei mir tätig und die jeweils andere wird immer als "die Bösen" hingestellt, auch wenn sie das nicht sind, weil sie beide ihre Beweggründe haben und für eine Sache kämpfen, die ihnen wichtig ist.

Wobei man auch sehen muss, dass es Dinge gibt, die man nicht als gut darstellen kann oder sollte und das ganz besonders auf unsere Vergangenheit bezogen.
Auch, wenn diese Menschen, von denen ich spreche, ihre Beweggründe hatten (die meiner Meinung nach mehr als fragwürdig waren) und privat vielleicht liebende Väter/Mütter waren, war das, was sie getan haben so schlecht, wie etwas sein kann und daran kann man nichts schön reden.

Dilian Cortex

Völker, die per se "gut" oder "böse" sind, halte ich auch für Quatsch.
Jede Einstellung ist von der richtigen Seite betrachtet, entweder "gut" oder "böse".
Diese Thematik fasziniert mich auch, weswegen ich in meiner Buchreihe (soweit es dazu kommt) geplant habe, gute Leute böse, böse gut und wieder umgekehrt zu machen.
Vorallem der Hauptdarsteller ist in permanentem Gewissenskonflikt.

FeeamPC

Fantasy ist vielseitig. Warum soll es nicht einmal ein Volk geben, daß durch und durch böse ist oder zumindest auf uns so wirkt? Wir stammen von Säugetieren ab, mit der ganzen dazugehörigen Gefühlswelt. Was, wenn ein Volk von einer ganz anderen Tierspezies abstammt ? Würde ein Alligator-Mensch aus unserer Sicht nicht wohl völlig böse wirken?

Dorte

FeeamPC, vielleicht, weil das böse Volk in der Fantasy mittlerweile so ein abgenudeltes Klischee ist, dass es einfach nett ist, wenn es in Büchern mal fehlt? ;)

Lavendel

Ich möchte mal anmerken, dass es nicht unbedingt gleich eine ganz andere Rasse braucht, um für unsere Begriffe abstoßende Sitten und Bräuche zu entwickeln. Ich erinnere nur an versunkene, südamerikanische Hochkulturen, in denen Menschenopfer Gang und Gebe waren. Oder an einen Brauch aus dem skandinavischen Raum: Die Frau mit ihrem verstorbenen Ehemann zu verbrennen.
Durchaus barbarisch für meine Begriffe und nicht mir unseren heutigen Moralvorstellungen vereinbar. Allerdings bezweifele ich stark, dass ein Mensch, der in einer entsprechenden Kultur aufgewachsen ist, sowas als böse eingestuft hätte.

Man kann einfühlsam über sowas schreiben, aber da muss man sich - denke ich - schon sehr in diese Welt einfühlen können. Ob das dann 'gute Böse' sind kann ich nicht so genau entscheiden. In dem Fall kommt es wohl wirklich auf den Perspektive an.

FeeamPC

Dorte, es ist nur ein bestimmter Typ "böse", der - für mich- abgenudelt ist (so der Typ machhungriger Zauberer, der sich dem Bösen verschrieben hat). Überzeugend kalt und böse und damit für uns durch und durch fremdartig sind die wenigsten Fantasy-Figuren, noch weniger ganze Völker. Selbst die Orks zeigen für gewöhnlich recht menschliche Züge. Auch wenn sie zur Seite des Bösen gehören, sind sie doch soweit verständlich, daß wir uns vorstellen können, unter gewissen äußeren Umständen bei ihnen leben zu können. Richtig böse sind für mich Kreaturen, die keinen Raum für normales menschliches Denken zeigen und statt dessen mit einer eigenen Rationalität arbeiten.
Unter Menschen wäre das für mich der Typ Serientäter, der ohne Motiv und ohne inneren Drang tötet, weil er gerade mal nichts besseres zu tun hat, oder weil er einfach testen will, wieviel schlauer er ist als die Polizei.

Grey

Aber dann hättest du den Satzteil "oder zumindest so auf uns wirkt" nicht schreiben dürfen. Der arme Alligator fällt nämlich bestimmt nicht in die eben von dir beschriebene Kategorie ... ::)

Espérance

Die Gestaltung des Bösen ist meiner Meinung nach immer deshalb problematisch, weil, wie ja schon oben angemerkt, es das Böse per se erstmal nicht gibt. Ich versuche meinen Antagonisten auch immer einen Grund zu geben, warum sie handeln wie sie handeln, warum sie so geworden sind wie sie nunmal nicht. Keiner entwickelt sich so ohne Grund. Klar, es gibt charakterliche Unterschiede und der eine hat weniger Skrupel als andere aber böse von grundauf nur sehe finde ich nicht realistisch.

Bei einem Buch von mir habe ich quasi zwei Protagonisten, die ich gegeneinanderrennen lasse, um es mal bildlich auszudrücken. Jeder ist aus Sicht des anderen der Böse. Für den Leser aber ist es keiner, weil beide die Motivation der Protagonisten kennen.