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Tragik - was ist zuviel?

Begonnen von Coppelia, 20. November 2008, 07:21:38

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Coppelia

Mir geht in letzter Zeit eine Geschichte von enormer Tragik im Kopf herum ;) (nein, es ist nicht der Lottiroman). Aber ich habe mich gescheut, genauer daran zu plotten, weil sich mir die oben stehende Frage gestellt hat. Jetzt würde ich gern eure Meinung hören, nicht nur zu meinem Roman, sondern generell.
Bei mir geht es grob gesagt um zwei verfeindete Männer. Einem widerfahren lauter tragische Dinge (Krankheit, Verlust von Angehörigen, Verschwörung, Verrat und hastenichtgesehen). Darüber hinaus kann ihn dann auch noch niemand leiden. Dem anderen passieren auch tragische Dinge, wenn auch nicht ganz so schlimme. Ich hab mich noch nicht genau entschieden, aus wessen Perspektive ich erzähle, weil ich mir die Frage nicht beantworten konnte.

Wann ist Tragik ok, und wann ist sie zuviel?
Wenn immer nur gaaanz schreckliche Dinge geschehen, hat dann überhaupt noch jemand Lust mitzulesen?
Baut man Mitleid zu dem Charakter auf, oder schmeißt man das Buch mit einem verärgerten "Ist aber mal gut!" weg?
Was kann man machen, damit es dem Leser nicht zu viel wird?

Ary

Hi Coppi,
das ist eine Frage, die ich mir auch laufend gestellt habe, als ich Feuersänger schrieb. Der Ärmste it auch so en vom Schicksal gebeuteltes Wesen. Ich glaube, ich kann nicht vernünftig schreiben und kann keine für mich packenden Charaktere aufbauen, wenn sie nicht irgnd etwas tragisches an sich haben. Zu sehen, wie ein Charakter leidet, macht ihn mir erst sympathisch, wenn das Ganze richtig aufgebaut ist, pcken mich leidende Charaktere eher als dauernd das Glück mit Löffeln fressende Sunnyboys/girls.
Was ich gar nicht mag, sind Jammerlappen. Natürlich darf eine Romanfigur sich mal so richtig auskotzen, wenn wirklich alles danebengeht, sie darf trauern, weinen, schreien, wüten, mit dem Schicksal hadern, aber bitte nicht durgehend nur jammern, wie schrecklich doch alles ist.
Für mich kann es ein Zuviel an Tragik gar nicht geben - aber zwischendurch sollte auch mal ein kleiner Lichtstrahl auftauchen, udn dr mit der Tragik konfrontierte Charakter sollte nicht nur jammern und maulen. Und auch nicht NUR in Selbstmitleid versinken (nein, ich meine jetzt auch nicht Lotti  ;D ).
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Chuck

Ja, mit der Tragik beschäftige ich mich desöfteren. Ich habe ja schon einmal erwähnt, dass ich eine Vorliebe für blinde Frauen in meinen Geschichten haben. Mein bequemer Weg für Tragik. Naja.

Auch aktuell sind meine beiden Protas zwei behinderte Menschen. Was im ersten Augenblick sehr schlimm klingt, aber eigentlich nicht so schlimm ist. Denn ich bin ein Freund der Hoffnung, des Guten in jedem Teil von uns. (Chuck du alter Christ ;) )

Daher kommt es wohl, wie immer, auf den Kontext an. Ich stehe darauf, wenn alles zusammenbricht, die Welt Feuer fängt und dennoch Hoffnung zu spüren ist. "Das ist Leben ist schön" ist ja so etwas. Oder auch "Pans Labyrinth". Auch die typischen 80ziger Jahre Actionfilme sind geprägt von dieser Thematik. Frau und Kind werden umgebracht, Haus fliegt in die Luft etc., aber dann macht der Prota Karamba Karacho und es ist wieder Hoffnung da.

Ich denke, sobald zu viel Tragik eingebaut wird, ist diese nicht nur mehr Teil und Motivation eines Charakters, sondern Intention des Autors. Also irgendwann müsste mit den negativen Ereignissen für eine Person Schluss sein, da er im Prinzip schon genug Motivation zum Handeln haben müsste. Allerdings mögen Ausnahmen die Regeln bestätigen. Das Dritte Reich zum Beispiel - da ist der Anteil von Tragik um ein Vielfaches höher, allerdings wäre es ja auch beinahe unmöglich über jedes Schicksal dieser Zeit zu schreiben, womit der Anteil der Tragik zumindest um einen Teil gesenkt werden würde.

Die Frage stellt sich natürlich auch: Wovon handelt der Roman? Von dem Weg aus der Tragik heraus, dann sollte diese sich im Laufe des Romans abschwächen. Ist die Tragik aber Komponente des Charakters, dann zieht sie sich gleichbleibend durch den Roman. Ich würde beides lesen.

Kaeptn

Das Licht am Endes des Tunnels ist wichtig... Entweder alles ist tragisch aber der Leser glaubt, der Charakter kann es noch schaffen... Oder die Tragik schleicht sich an und kommt erst später, dann darf auch alles in Tragik enden... Aber Tragik von vorne bis hinten wäre dann IMO doch zuviel...

Churke

Tragik ist unverdientes Schicksal und sie wird dann zuviel, wenn massenhaft und willkürlich auftritt und dadurch unglaubwürdig wirkt. Das ist vielleicht das Einzige, worauf man achten sollte: Kein Sammelsurium von Zufällen, ein Schaulaufen der Schickalsschläge ("Und es kam noch schlimmer..."), sondern ein innerer Zusammenhang. Und natürlich eine Figur, die sich gegen das Schicksal stemmt. 

 

Jara

Hallo,
also ich denke unabhängig wie viel Tragik du einbaust unglaubwürdig wird die Geschichte so gut wie nie wirken.
Also zumindest nicht nicht auf jemanden der Ahnung vom Leben hat.
Ich möchte mal ein echt blödes Beispiel aus meiner Arbeit geben.
Es gibt Leute, die auf einer Leiter vom Blitz getroffen werden, 10 Meter in die Tiefe fallen, vom Auto überfahren werden und das ganze auch noch überleben. Wie gesagt blödes Beispiel, aber was ich eben sagen will:¨
Der beste Lehrmeister für Tragik ist das Leben.
Außer der Glaubwürdigkeit ist aber natürlich noch entscheidend, ob man einen  zu leidgeprägten Roman, dessen Plot zum Großteil aus dem Leiden selbst besteht, lesen will. Mir wäre das zu viel.
Die andere Frage ist, ob du ein Buch durchgehend einige hundert Seiten lang so schreiben willst.
Ich habe es versucht und inzwischen bin ich beim fast beim Ende angelangt und es wird mal wieder ein typisches Jara- Happyend.(Wobei meine Enden auch noch ne Klasse für sich sind :d'oh:)
Dabei war oder ist das ein kurzer Roman von vielleicht drei- bis vierhundert Seiten.
Aber wie gesagt, wenn du es so schreiben kannst und willst, mach es!
Liebe Grüße,
Jara

Chuck

ZitatDer beste Lehrmeister für Tragik ist das Leben.

Ja, dem stimme ich zu. Es ist ja auch häufig so, dass die Dinge wirklich nicht willkürlich passieren:

Ein Mann arbeitet sehr viel und es kommen Eheprobleme auf. Schließlich wirft jeder jedem etwas vor, was schließlich dazu führt, dass der Mann tatsächlich noch mehr in die Arbeit flüchtet. Darauf geht die Ehe ganz kaputt, der Mann ist schlecht drauf und verliert dadurch seinen Job. Rechnungen können nicht bezahlt werden, das Auto muss weg. Und wenn alles noch nicht genug wäre, lebt er jetzt in Umständen die er einfach nicht kennt, wodurch sich wieder Fehler in seinen Handlungen einschleichen.

Manchmal hat man eben kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu.

Lavendel

Dramaturgisch gesehen wirkt ein Verlust für einen fiktiven Charakter auf die Leser/innen wahrscheinlich m intensivsten, wenn vorher Hoffnung bestand, alles könnte gut werden. Wenn die Figur auch noch aktiv versucht, das schlimme Schicksal abzuwenden und dann scheitert, naja, das kann einen auch als Leser/in schon mitnehmen.

Wichtig finde ich auch, dass Protas nicht zu Heulsusen werden (Buhuhuuuu, das Schicksal und die Götter sind gegen mich, mein Leben ist verpfuscht und überhaupt hat mich keiner lieb! Das geht gar nicht).

Man muss Charaktere zum Leiden bringen. Jedenfalls ist das meine Meinung. Sie müssen mehr ertragen, als ein normaler Mensch aushalten könnte und trotzdem immer weiter kämpfen, ihre Ideale verraten, anderer Leute Tod verschulden, ihre Freunde betrügen, und das alles, um etwas zum Guten zu wenden, was sich nicht zum Guten zu wenden ist. Und in dem Moment kommt dann die Erkenntnis - alles umsonst. Ja, das ist fies. Aber Menschen sind keine Blumenkinder. Das Leben ist kein Ponyhof. Es ist hart und böse. :darth:

Astrid

Kurzer Einwurf: Tragik im klassischen Sinn ist ja nicht, wenn das Schicksal irgendwem einen ganzen Berg von Unfällen und Böswilligkeiten vor die Füße schmeißt, sondern wenn ein Mensch seinen Untergang durch seine Taten selbst heraufbeschwört, weil sein inneres Prinzip ihn nun mal nur so und nicht anders handeln lassen kann.

Wer dann dieses Schicksal nicht annimmt, sondern rumheult, wie gemein doch alle sind, ist kein Held, sondern ein Jammerlappen.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Ich glaube, du kannst einem Zuviel an Tragik nur entkommen, indem du Humor oder Stolz dagegensetzt. Und der Held muss ein Ziel haben, das er gegen alle Widrigkeiten und auch gegen sein eigenes Wohlbefinden durchsetzt. Dann kann die Geschichte auch funktionieren, obwohl man tausend Seiten lang das Gefühl hat, in einen Abgrund zu fallen.

Lomax

Ich als Betroffener will mich da mal Astrid anschließen ;D. Ich mag die klassische Tragik, und da bedeutet Tragik ja nicht, dass irgendwie schreckliche Dinge passieren und jemand ganz furchtbar leidet, sondern im Zentrum der Tragik steht ein Konflikt, ein dynamisches Element.

Ich halte Tragik also dann für angemessen, wenn sie dramatisiert ist und in eine Handlung eingebettet und/oder in Figuren verankert. Wenn es nur das Unterbewusstsein des Autors ist, das sich auskotzen will, indem es irgendwelche düsteren, trüben Schnippsel aneinanderreiht, dann ist es auf jeden Fall zu viel. Viele "tragische" Geschichten gerade von jüngeren Autoren, die es nicht zu einer Veröffentlichung schaffen, lesen sich leider genau so.
  Wobei es natürlich so ist, dass die Beurteilung oft auch im Auge des Betrachters liegt. Was für den einen zu viel ist, ist für den anderen gerade richtig. Das Ende der "Thronräuber" beispielsweise fand der ein oder andere Testleser zu hart, und daher habe ich explizit nachgefragt, ob man das nicht doch "netter" gestalten muss. Aber die Lektorin war eben davon sehr angetan, also ist es geblieben. Vermutlich wird es immer so aussehen. Andere Leser werden bei demselben Buch vermutlich ebenfalls zu unterschiedlichen Urteilen kommen.
  Tragische Momente können sehr gut wirken, aber wenn man nicht alles mit Zuckerguss erzählt, wird man immer auch Leser damit abschrecken, denen es sehr früh "zu viel" wird. Andere Leser gewinnt man auch, aber im Grunde ist es immer so, dass man durch Tragik die Qualität der Buch-Leser-Beziehung zu Lasten der Quantität erhöht. Dabei ein richtiges und tragfähiges Mittelmaß zu finden, ist eher eine Frage des Fingerspitzengefühls und eines Gespürs dafür, was für Leser man mit einer gewissen Geschichte überhaupt erreichen kann. Ein klares "zu viel" ergibt sich erst dann, wenn die Tragik Selbstzweck und völlig unmotiviert ist.

Falckensteyn

Auch ich kann mich Astrid nur anschliessen. Solange der oder die Protagonisten ein Ziel verfolgen, eine Motivation oder einen Lebensgrundsatz, worum sich der ganze Handlungsbogen dreht, dann kannst Du nicht sehr viel falsch machen. Über Geschmack lässt sich sowieso nicht streiten. Oder doch?

Ich jedenfalls mag die klassische Art von Geschichten, in denen der junge/unerfahrene/unbekannte/schwache/ durchs Dunkel gehen muss, daran wächst und reift und dann wieder ans Licht emporsteigt, um seine Aufgabe zu bewältigen oder sein Ziel zu erreichen. Die Dramatik, die dabei verwendet wird, muss für mich glaubhaft sein und sie muss mich berühren.

Lomax

Zitat von: Falckensteyn am 20. November 2008, 13:14:59Ich jedenfalls mag die klassische Art von Geschichten, in denen der junge/unerfahrene/unbekannte/schwache/ durchs Dunkel gehen muss, daran wächst und reift und dann wieder ans Licht emporsteigt, um seine Aufgabe zu bewältigen oder sein Ziel zu erreichen. Die Dramatik, die dabei verwendet wird, muss für mich glaubhaft sein und sie muss mich berühren.
Na ja, das wäre dann aber keine Tragik. Tragisch wäre es dann, wenn dieser Held in den Untergang gehen muss, oder alles verliert, was ihm lieb und teuer ist, um sein Ziel zu erreichen. Oder wenn er sein Ziel aufgeben muss, um seine Werte zu wahren.
  Der tragische Held steigt niemals wieder zum Licht empor.

Coppelia

#12
Danke für eure Antworten. :) Mit dem Tragikbegriff habt ihr natürlich Recht, den habe ich nicht ganz korrekt verwendet. Mea culpa. ;) Aber Hauptsache, euch ist klar, was ich meine.
Das berühmte tragische Dilemma spielt allerdings auch bei beiden Charakteren eine wichtige Rolle, aber das gehört zu meiner Handlung, über die ich natürlich nicht rumspoilern will.

Zufall sind diese Schicksalsschläge nicht. Die sind schon in der Handlung begründet und nötig, um schließlich zum "Showdown" ;D hinzuleiten. Ich frag mich nur, wie viele ich davon bringen sollte.

Womit ihr Recht habt, ist, dass der Betroffene nicht alles passiv hinnehmen darf. Aber das finde ich teilweise ein bisschen schwierig. Man stelle sich vor, die Verwandten sterben - was soll man tun, außer passiv zusehen, wenn man ihnen nicht mehr helfen kann? Ihnen gut zureden? Na ja, da hört es dann aber auch schon auf. Und was soll man dann unternehmen? "Mein Onkel ist gestorben, das ist sehr schlimm für mich, jetzt werde ich erst recht den Drachen töten?" Hm, Logik, Logik, komm zu mir! ;D
Mit Humor und Stolz kann mein Betroffener leider auch nicht so recht dienen, zumindest hat er Pflichtgefühl ... er ist ja wie gesagt ein Herrscher.
Ich brauche aber wohl etwas Zuckerguss ... *überleg* Eine Liebesgeschichte ist ja auch enthalten, aber was ist schrecklicher als eine Liebesgeschichte, die schlecht endet?
Zumindest ist mir allmählich klar, wer der wahre Protagonist der Geschichte ist.

Falckensteyn

Zitat von: Coppelia am 20. November 2008, 13:43:00
was ist schrecklicher als eine Liebesgeschichte, die schlecht endet?

Eine Eltern-Kind-Beziehung, bei der die Eltern oder ein Elternteil hilflos mit ansehen muss, wie ein Kind oder die Kinder sterben?

Oder eine Eltern-Kind-Beziehung, bei der die Kinder die Eltern töten?

Coppelia

Den unteren Punkt kannst du von der Liste streichen. ::)

Aber ich muss ehrlich sagen, die Diskussion hilft mir, in die Puschen zu kommen.