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Vertraute Begriffe verwenden, obwohl sie in der Fantasywelt nicht existieren?

Begonnen von Rhagrim, 26. Mai 2021, 17:13:13

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Rhagrim

Ich hoffe, ich habe keinen Thread übersehen, in dem das Thema schon einmal besprochen wurde :)

Ich zerbreche mir jetzt schon seit langem immer wieder mal den Kopf über folgendes Problem: In einer Welt, in der die Bezeichnung "Mensch" nicht als Sammelbegriff für die dort lebenden humanoiden Völker existiert, und es auch viele Tiere (z.B. Wölfe, Pferde, Katzen,...) nicht in der uns bekannten Gestalt gibt, müsste ich doch - streng genommen - auf all diese Begriffe verzichten.  :hmmm:
Bis jetzt hab ich mir folgende Möglichkeiten überlegt.


  • Menschen, Wölfe, Katzen, Pferde gibt es nicht, aber ich verwende die Begriffe trotzdem, einfach weil sie jedem vertraut sind und sich einfach alles leichter (für mich) beschreiben und (für den Leser) nachvollziehen lässt. z.B. "ein fellüberzogenes, menschliches Gesicht", "ein Wesen, halb Mensch halb Pferd", "katzenhafte Bewegung", "ein wölfisches Grinsen", etc.
    Nachteil: Wirkt vielleicht unstimmig, da es all das eben streng genommen gar nicht gibt in dieser Welt.
  • Ich streiche all diese Begriffe konsequent und umschreibe sie stattdessen. Geht schon, macht aber vieles, was ansonsten mit einem vertrauten Wort sofort ein Bild im Kopf erzeugen könnte, unnötig kompliziert. Zu umständlich? Zu mühsam zu lesen? Ist es das, zugunsten der vielleicht größeren Stimmigkeit wert?
  • Ich verwende die gleichen Begriffe für ähnliche Wesen. Also z.B. heißt meine Kreatur Pferd, obwohl sie einem "echten" Pferd nur entfernt ähnlich sieht. Pro: Der Leser muss sich nicht an fancy Fantasybegriffe gewöhnen, von denen es oft eh schon mehr gibt, als man sich merken kann. Kontra: Eventuelle Verwirrung, weil die Tiere eben nicht so aussehen wie das Original.

Wie seht ihr das? Würde euch das auffallen bzw. stören, wenn ihr in einer Geschichte Vergleiche und Beschreibungen lest, die streng genommen gar nicht verwendet werden dürften, wiel sie in der Fantasywelt nicht existieren?
Würde es einen Unterschied machen, wenn nur der Erzähler mit solchen Begriffen arbeitet, die Charaktere diese in Dialogen und Gedanken aber nicht verwenden?
"No tree can grow to Heaven unless it's roots reach down to Hell."
- C.G. Jung

Araluen

Aus Lese- und TV Erfahrung muss ich sagen, dass ich es merkwürdig find, wenn eine Spezies, die zwar humanoid ist aber kein Mensch von menschlich spricht. Bei Star Trek hatte mich das teils total verwirrt, wenn der Angehörige einer Spezies von unmenschlichen Verhalten spricht, er selbst aber kein Mensch ist und auch noch nie einen Menschen bis zur Begegnung mit der Voyager gesehen hat (gut hier kann man wohl mit dem universalübersetzer argumentieren, aber stimmig fand ich es nicht.)
Genauso seltsam fänd ich es, wenn du ein Tier in Pferdegröße mit Pfoten und Geweih beschreiben würdest und es Pferd nennst, weil es wie eines verwendet wird.

Märchen

Ich finde das etwas kniffelig. Wenn du humanoide Tiere hast, also z.B. einen humanoiden Wolf oder Fuchs, finde ich es durchaus in Ordnung der Einfachheit halber von einem "wölfischen Grinsen" oder einem "wiehernden Lachen" zu schreiben.

Wenn du allerdings, so wie @Araluen meinte, noch mehr Tiere mischst, also eine Art Zentaur mit Geweih, Hörnern oder Federn, fände ich es auch besser, wenn es einen "eigenen" Namen bekäme, selbst wenn das Tier als "Pferd" bzw. als Reittier genutzt wird.
"Doors are very powerful things. Things are different on either side of them." (Diana Wynne Jones, Howl's Moving Castle)

Rhagrim

Zitat von: Araluen am 26. Mai 2021, 17:21:13
Aus Lese- und TV Erfahrung muss ich sagen, dass ich es merkwürdig find, wenn eine Spezies, die zwar humanoid ist aber kein Mensch von menschlich spricht.
Geht mir genauso! Deswegen habe es bisher so gemacht, menschlich und alles was es sonst nicht gibt komplett zu streichen, und das stattdessen zu umschreiben. Aber ich dachte, vielleicht bin das nur ich mit meinem Hang, alles bis ins letzte Detail auseinanderzunehmen und zu zerdenken. Vielleicht ist das Blödsinn und nervt nur beim lesen, anstatt die Welt glaubhafter zu machen.  :rofl:

Zitat von: Märchen am 26. Mai 2021, 17:42:41
Ich finde das etwas kniffelig. Wenn du humanoide Tiere hast, also z.B. einen humanoiden Wolf oder Fuchs, finde ich es durchaus in Ordnung der Einfachheit halber von einem "wölfischen Grinsen" oder einem "wiehernden Lachen" zu schreiben.
:hmmm: Das knifflige ist auch, ein Tier das z.B. halb Mensch halb Wolf ist, überhaupt zu beschreiben, wenn es weder Menschen, noch Wölfe gibt und der Vergleich somit wegfällt. Ich mag ja die Herausforderung, Dinge komplett "neu" zu beschreiben, aber keine Ahnung, ob sowas dann auch gut ankommt. Vielleicht ist es "leserfreundlicher", bekannte Begriffe zu verwenden, anstatt 3 Sätze lang ein Wesen zu beschreiben, das sich auch mit einem Wort zusammenfassen ließe.
"No tree can grow to Heaven unless it's roots reach down to Hell."
- C.G. Jung

Soly

Ich finde das immer einen schwierigen Spagat, Begriffe so zu verwenden, dass sie zur Welt passen und andererseits nicht die Leser*innen mit Wortneuschöpfungen zu überschütten.

Zur Beschreibung von Mensch-Wolf-Hybriden in einer Welt ohne Menschen und Wölfe würde ich sagen, du brauchst diese Begriffe auch nicht unbedingt. Bei solchen Fabelwesen kannst du davon ausgehen, dass eh jede*r Leser*in ein individuelles Bild im Kopf hat - da reicht es meiner Meinung nach, die wichtigsten Merkmale abzuhandeln, am besten verknüpft mit der Handlung.
Also "Fell", "Gesicht", "Pfoten", "Finger", "Mund", "Lefzen" verwenden, wo immer es gerade passt - dann weiß ich nach ein paar Seiten grob, wie die Wesen aussehen. Ganz ohne seitenlange Detailbeschreibungen und ohne unpassende Benennungen.


Bei Redewendungen oder metaphorischen Begriffen wie "wölfisches Grinsen" oder "menschliches Verhalten" denke ich, dass es immer ein Synonym gibt, das ohne diese Begriffe auskommt. Die würde ich dann auch konsequent nicht benutzen, aber mich würde es auch stören, wenn solche Wörter auf die jeweilige Fantasywelt umgemünzt werden. Wenn zum Beispiel ein Ork zu einem anderen Ork über das Verhalten eines dritten sagt: "Das ist ja so unorklich!", finde ich das ganz furchtbar. Dann lieber ein Synonym wie "Das ist ja so unmoralisch!" oder was eben in der Situation gerade passt.
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

Malou

Wie viele Kreaturen, auf die das zutrifft, hast du denn? Gibt es auch noch so einige Bekanntes oder ist quasi alles neu?

Sind es nicht allzu viele Spezies, finde ich, kann man schon mit Eigennamen arbeiten. Eine gekonnte Beschreibung, die das Wort Pferd oder Wolf zwar nicht beinhaltet, aber wichtige Stichwörter umfasst, so dass das Bild im Kopf des Lesers auftaucht (Feedback geben lassen), löst hier so manches Problem. Ich verstehe gut, wenn du Umschreibungen wie "katzenhafte Bewegung" nicht verwenden willst. Was ich tun würde: ich würde genau diese Art von Bewegung googeln und alle Begriffe notieren, die genau das beschrieben, nur das Wort "katzenhaft" eben nicht beinhalten. Das Tier könnte einen Buckel machen, lautlos auf samtigen Pfoten heranschleichen, ein aufgebauschtes Fell haben usw. So gebrauchst du das Wort katzenhaft nicht, beschreibst aber eine Katze.

Der Name für die Spezies darf im Allgemeinen nicht zu kompliziert sein, es muss leicht zu merken und auszusprechen sein. Die beste Beschreibung hilft auch nix, wenn die Spezies am Ende Honorificabilitudinitatibus heißt  ;D Um es dem Leser leichter zu machen, könntest du zumindest die Anfangsbuchstaben verwenden, ein W vorne für die wölfische Spezies und ein P für die "Pferde". Weiß nicht, wie andere das sehen, aber ich fände das nicht schlimm.

Ein Glossar könnte helfen, in dem du die Namen der Spezies aufzählst und ihre wichtigsten Eigenschaften beschreibst, falls man mal vergisst, was das war.

»Anders als die Kultur, die die Unterschiede zwischen uns betont, die Menschen und Gruppen voneinander trennt, verbindet die Natur uns miteinander. In ihr sind alle Menschen gleich.« (Der Gesang des Eises, Bakic)

Gwee

Also, ich persönlich fände es irgendwie auch komisch, wenn du unsere Begriffe nutzt, obwohl sie eigentlich nicht richtig zutreffen. Ich lasse dir Mal einen Lesetipp da: Trudi Canavan. In ihren Reihen "Die Gilde der Schwarzen Magier" und "Das Zeitalter der Fünf" hat sie ein komplett eigenes System geschaffen, in dem es z.B. auch keine Pferde gibt. Und sie schafft es trotzdem, alles recht stimmig zu vermitteln. Wenn sie ein rattenähnliches Tier meint, redet sie beispielsweise von einem Nagetier, um es dem Leser zu erklären. Daher würde ich auch eher damit arbeiten, Oberbegriffe zu nennen. Wenn deine Pferdekreatur Hufe hat, ist sie ja z.B. ein Huftier. Und natürlich mit Beschreibungen im Generellen arbeiten. Das ist ohnehin immer besser, damit das Kopfkino anspringt.
Ich persönlich finde es richtig stark, wenn ein Autor es schafft, mir neue Wesen selbst zu vermitteln. In der Regel wirst du ja vermutlich nicht seitenlang Tiere und intelligentere Lebewesen vorstellen, daher sollte es nicht allzu unmöglich sein.
Es ist so eine Art Obsession, glaube ich. Das Schreiben fasziniert mich so sehr,
daß, wenn es mir verboten würde, ich langsam daran sterben würde.
Johannes Mario Simmel

Kare

@Rhagrim

ich stimme dem Rest hier auch zu - wenn es die Tiere nicht gibt, sind auch Vergleiche mit denen merkwürdig.

Statt Mensch könnte man einen Oberbegriff für "Bewusstseins- und Vernunftbegabte Lebewesen" einführen, der dann die verschiedenen Völker einschließt.

Bei der Komplexität / Fremdartigkeit ist bei mir immer eine Abwägung der Länge - wer nur einen Einzelband schreibt, darin aber eine ganz andere hochkomplexe Welt mit lauter eigenen Völkern und Tieren erschafft, braucht ja die erste Hälfte allein, um das Setting aufzubauen. Da du eine lange Reihe planst, und solche Infos über viele Bände einfließen lassen kannst, sehe ich da kein Problem.  :hmmm:

Mich würde irritieren, wenn der Erzähler Begriffe verwendet, die den Charas nicht bekannt sind - vor allem, weil deine Erzählperspektive sehr Charakternah ist. Mit so Widersprüchen brichst du die.
"Die Vergangenheit interessiert mich nur soweit, wie sie mir hilft, die Zukunft zu planen."  ~ Dravos Kanael Salanos - "Drakan"


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Araluen

Das sehe ich auch wie @Kare. Der Erzähler sollte sich sprachlich ans Setting und den begleiteten Figuren anpassen, damit es stimmig bleibt.

Rhagrim

Super, danke euch! Dann kann ich guten Gewissens dabei bleiben, alles zu umschreiben und die bekannten Wörter einfach ganz rauszulassen. :jau:

Zitat von: Malou am 26. Mai 2021, 20:10:19
Wie viele Kreaturen, auf die das zutrifft, hast du denn? Gibt es auch noch so einige Bekanntes oder ist quasi alles neu?
Alles neu. :)

Zitat von: Gwee am 27. Mai 2021, 00:05:50
Ich lasse dir Mal einen Lesetipp da: Trudi Canavan. In ihren Reihen "Die Gilde der Schwarzen Magier" und "Das Zeitalter der Fünf" hat sie ein komplett eigenes System geschaffen, in dem es z.B. auch keine Pferde gibt. Und sie schafft es trotzdem, alles recht stimmig zu vermitteln.
Danke für den Tipp! Die kannte ich noch nicht.  :buch:

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- C.G. Jung