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Verlage und "Verkäuflichkeit" von Fantasy mit sozialen Themen

Begonnen von Schneerabe, 17. Juni 2020, 20:04:25

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Schneerabe

Hallöchen allerseits,

da ich nach wie vor versuche, schlau aus der Verlagslandschaft zu werden wollte ich mal eure Meinung/Erfahrungen zu folgendem Thema einholen:

Wisst ihr eigentlich wie die Verlagswelt zu sozialen Themen in Fantasy steht? Hier hat ja vor kurzem eine Lektorin auf eigene Faust nach Fantasy mit diversem Cast gesucht. Allerdings war es ja mehr sie persönlich wenn ich mich recht entsinne? Zumindest was Diversity und auch LGBTQ in Fantasy angeht scheint das Großverlage ja nicht sooo arg zu interessieren? Jedenfalls nicht so das es ein pro Argument auf ihrer "Verkäuflichkeitsliste" wäre? (So verstehe ich es im Moment, ich kann mich auch irren.)
Wie steht es denn mit sozialen Themen insgesamt? Feminismus oder Mobbing in einem (High) Fantasy Setting ? (Letzteres würde mich vor allem betreffen, ich handle psychische Probleme in einem meiner Fantasy Romane ab.)

Von einer bekannten Großverlagsautorin, zu der ich im Rahmen eines Projekts Kontakt habe, hörte ich nämlich, dass Verlage sowas eigentlich nicht mögen. "realistische Themen" wie diese "gehören" nicht in Genrefantasy, zumindest aus Lektorensicht. Das soll eher einfach nur gute Unterhaltung sein. (So in der Art der Tonus)
Andererseits las ich vor einer Weile auf Liza Grimms Instagram-Account, das es beim Beurteilen von Manuskripten durchaus ein Punkt ist, ob sie virulente Themen abhandeln, weil man damit "Werbung" machen bzw "Publicity" herstellen kann. Und die Praxis, sich an aktuellen gesellschaftlichen Debatten aufzuhängen um etwas Öffentlichkeit zu bekommen, ist in der Medienbranche ja nicht neu. Disney macht das ja ständig und arrangiert neue Filme so, dass die Öffentlichkeit da an irgendeinem sozialen Thema knabbert, das dann letztlich aber komplett hintergründig ist. (Die Schöne und das Biest mit Lefou usw. )

Also hat einer von euch vielleicht noch Wissen darüber, ob so etwas jemandem bei einer Manuskriptbewerbung hilft oder eher schlecht ist oder ob es ziemlich egal ist?
"To hell or to Connacht."

Amanita

Zumindest Mobbing wird ja in veröffentlichten Fantasyromanen recht häufig thematisiert, zumindest in denen, die sich an jüngere LeserInnen richten. Da kann ich mir zumindest nicht vorstellen, dass es ein Ablehnungsgrund wäre.
Kombination aus Mobbing und Feminismus? Wird dann die Protagonistin gemobbt, weil sie eine Frau ist? Das habe ich jedenfalls so oder so ähnlich auch schon öfter in veröffentlichten Büchern gelesen. Mein Fall ist es jetzt nicht, aber das war ja nicht die Frage. ;)

Schneerabe

ZitatKombination aus Mobbing und Feminismus? Wird dann die Protagonistin gemobbt, weil sie eine Frau ist?

Oh, nein das nicht. Ich meinte Feminismus nur allgemein als zusätzliches Beispiel. Mein Projekt featured "nur" Mobbing... Allerdings in einem High Fantasy und nicht Urban Fantasy Setting. Was ich zugegebenermaßen noch in keinem Buch gelesen habe, aber so arg viel lese ich gerade auch nicht. Wäre also erleichtert, wenn es sowas schon gibt. ^^
"To hell or to Connacht."

Amanita

Der zweite Band von der "Gilde der Schwarzen Magier" von Trudy Canavan fällt mir da auf Anhieb ein. Das ist zwar auch ein Schulsetting mit Teenagern, aber in einer alternativen Welt und das Mobbing spielt eine zentrale Rolle. (Mir war das fast ein bisschen zu dick aufgetragen, aber es ging ja nur darum, wo es das grundsätzlich gibt.)

Linda

Ich denke, du kannst (fast) jedes Thema auch in einem High-Fantasy-Setting unterbringen. Es gibt ja auch viele Krimis, in denen ein Verbrechen aufgeklärt wird, und trotzdem Platz für Anderes bleibt. Ein guter Roman hat für mich immer mehrere Themen, die eben 'vorkommen', trotz der Haupthandlung (oder sie sogar stützen), denn die spielt ja auch nicht im luftleeren Raum. Ob ich als Lektor einen Fantasy-Roman nehmen würde, dessen einziges Thema ein etwas Genre-sperriges wie psychische Krankheit  ist, weiß ich allerdings nicht. Es braucht neben dem Thema ja auch eine Handlung! :-)
Wenn zwei Magierinnen losziehen, um einen wahnsinnig gewordenen König oder seine depressive Tochter mit einer noch zu entdeckenden Psychotherapie-Kur zu heilen: warum nicht.

Als kleinen Tipp: vielleicht hilft noch der Blick ins Märchenregal.
Anders als Verfilmungen und viele YA-Verwurstungen nahelegen, geht es im Märchen nicht darum, den Prinzen/Prinzessin fürs Leben zu finden und ins Happy End zu reiten. Oder jedenfalls nur gelegentlich.
Da geht es um Existenznöte, Armut, Inzest, Neid, Hass, Mord, Geschwisterkonkurrenz. Märchen strotzen vor Psychologie und "weichen" Themen und sind stets aktuell. Man muss sie halt decodieren...

Ryadne

Zitat von: Linda am 18. Juni 2020, 14:29:51
Ich denke, du kannst (fast) jedes Thema auch in einem High-Fantasy-Setting unterbringen. Es gibt ja auch viele Krimis, in denen ein Verbrechen aufgeklärt wird, und trotzdem Platz für Anderes bleibt. Ein guter Roman hat für mich immer mehrere Themen, die eben 'vorkommen', trotz der Haupthandlung (oder sie sogar stützen), denn die spielt ja auch nicht im luftleeren Raum. Ob ich als Lektor einen Fantasy-Roman nehmen würde, dessen einziges Thema ein etwas Genre-sperriges wie psychische Krankheit  ist, weiß ich allerdings nicht. Es braucht neben dem Thema ja auch eine Handlung! :-)

Eben das. Eigentlich steht es gar nicht so schlecht um das Einbringen sozialer Themen, was wir nicht zuletzt dem Dystopiehype zu verdanken haben - siehe z. B. Romane wie "Ophelia Scale", die in erster Linie als Romantasy beworben werden, aber durchaus beachtliche Sozialkritik einfließen lassen. Aber es muss eben eingebunden sein in eine verkäufliche Handlung. Früher habe ich oft Absagen für Manuskripte bekommen, weil sie zu verkopft waren, zu viele Themen einbringen wollten bei zu wenig Handlung. Seit ich Genreelemente und die mir wichtigen Themen stärker miteinander kopple, habe ich weniger Probleme. Erfahrungsgemäß kommt es aber auch da besser, sich auf ein oder zwei Themen (z. B. Feminismus + Klassenkritik) zu beschränken, anstatt zu viel auf einmal zu wollen - selbst wenn es realistischer wäre, mehrere Themen zusammen abzuhandeln.

Phantastische Romane, die z. B. psychische Probleme in den Mittelpunkt stellen, findest du eher im Bereich Mystery, siehe z. B. Oliver Plaschkas "Fairwater" oder "Hyde" von Antje Wagner. Sowas lieben die Kritiker:innen, aber allzu massentauglich sind sie nicht, fürchte ich. Bei internationalen Titeln geht mehr, aber ich fokussiere mich jetzt mal auf deutschsprachige Beispiele.

Trotzdem würde ich im Exposé ruhig erwähnen, wenn "soziale" Elemente vorkommen. Ich vermute, dass die aktuellen Diskussionen da in Zukunft mehr ermöglichen, v. a. wenn es um die Repräsentationsdebatte geht (die ich aber von sonstigen sozialen Themen eher etwas abkoppeln würde, da sie anders diskutiert und behandelt wird). In Netflixproduktionen beispielsweise wird das inzwischen eng mit dem Storytelling verwoben, ich könnte mir vorstellen, dass das mit Verzögerung auch bei uns relevanter wird.

Coppelia

#6
"Flügel aus Asche" hab ich damals ja verkaufen können. Es hat einen starken Fokus auf dem Thema Diskriminierung von Minderheiten.
Es war allerdings kein großer Erfolg und kann nicht als Argument dienen - dem Verlag hat wohl auch eher die Idee einer fliegenden Stadt gefallen.

Schneerabe

ZitatEin guter Roman hat für mich immer mehrere Themen, die eben 'vorkommen', trotz der Haupthandlung (oder sie sogar stützen), denn die spielt ja auch nicht im luftleeren Raum. Ob ich als Lektor einen Fantasy-Roman nehmen würde, dessen einziges Thema ein etwas Genre-sperriges wie psychische Krankheit  ist, weiß ich allerdings nicht. Es braucht neben dem Thema ja auch eine Handlung! :-)

;D Ja Handlung wäre gut. Ne, die habe ich zum Glück. Der Handlungsrahmen rotiert doch um etwas - meine ich - Genretaugliches. Ein wenig Court-Fantasy mit Intrigen, Flüchen und einer Kindheitsromanze. Ich habe nur eben auch den psychischen Aspekt, den man als Leser definitiv mitbekommt, aber ich müsste ihn in Exposé nicht so hervorheben, könnte mich auch an den "typischen Genremerkmalen" aufhängen, nur ist die Geschichte eben eigentlich ein wenig anders bzw. mehr als das, aber ich will die Lektoren nicht gleich mit einem völlig abgespacten Exposé vergraueln, daher die Frage. xD

Theoretisch kann man sich zwar an sozialen Themen aufhängen andererseits interessiert das die Zielgruppe von Ya-Fantasy vielleicht auch null, diese sozialen Debatten, sodass es wieder müßig ist. Wiederum andererseits bietet es vielleicht auch Identifikationspotential für manche. xD

ZitatTrotzdem würde ich im Exposé ruhig erwähnen, wenn "soziale" Elemente vorkommen. Ich vermute, dass die aktuellen Diskussionen da in Zukunft mehr ermöglichen

Ja kann sein... Eigentlich ist doch gerade psychische Gesundheit unter Jugendlichen ein Thema, das immer wichtiger wird. :hmmm:
"To hell or to Connacht."

Linda

Zitat von: Coppelia am 18. Juni 2020, 15:57:47
"Flügel aus Asche" hab ich damals ja verkaufen können. Es hat einen starken Fokus auf dem Thema Diskriminierung von Minderheiten.
Es war allerdings kein großer Erfolg und kann nicht als Argument dienen - dem Verlag hat wohl auch eher die Idee einer fliegenden Stadt gefallen.

definitiv springen Verlagsmenschen (wie andere Leute) auf Stichworte an (ich hab meinen letzten Thriller mit 'nem schrägen Pitch verkauft - war halt eine Idee von zweien).
  Der mangelnde Erfolg ist echt schade, Coppi! :knuddel: Ich glaube mittlerweile, man muss sich als Kreativer davon abkoppeln, damit die Enttäuschung nicht zu gewaltig wird.  Wenn nicht gerade ein Riesenbudget mit einem Titel verbraten wird, der unter den Erwartungen bleibt, dann ist das wohl eher der Normalfall, auch für Verlage. Der Ausnahmefall auf dem heutigen Markt wäre der Bestseller (das kann man sich nicht genug klarmachen)!  Eine Masse von soliden Titeln tragen eben auch zum Programm bei, wenn es dann genug Spitzentitel gibt, die das querfinanzieren, stimmt die Bilanz ja wieder.

Coppelia

#9
@Linda
Das ist lieb von dir, danke!
"Flügel aus Asche" wäre wahrscheinlich momentan relativ aktuell (vielleicht war es seiner Zeit voraus), aber jetzt ist es schon lange raus aus den Buchhandlungen. Und ich möchte nicht die aktuelle Situation und das Leid anderer Menschen für Eigenwerbung missbrauchen.

Ansonsten bin ich ja leider raus aus der Verlagswelt und muss/kann daher niemanden mehr mit meinen Ideen überzeugen. Ich "gönne" mir jetzt die Themen, die mir wichtig sind, auch wenn ich mit meinen Romanen vermutlich wenig bis nichts beitragen kann. Aber ich weiß, dass auch beim SP Genre und Konventionen eine wichtige Rolle spielen. Wie genau sich das gestaltet, werde ich dann hoffentlich herausfinden.

Edit: Zwei Sachen möchte ich dazu noch loswerden. Ich weiß, der Buchmarkt ist reiner Kommerz und es geht nur um Verkäufe. Aber:
1. Bestseller greifen in meinen Augen immer irgendwie aktuelle Probleme auf und treffen den Nerv der Zeit. Wenn auch vielleicht nicht so, wie man sich das immer wünschen würde, vgl. 50 Shades of Grey.
2. Ich verstehe, wenn verkopfte, langweilige, schwer zugängliche Geschichten abgelehnt werden. Eine gute Geschichte abzulehnen, weil sie wichtige Problemthemen anspricht, finde ich schade.

Mara

Ich würde auch sagen, dass soziale Themen in den letzten Jahren insgesamt in der Fantasy relevanter geworden sind. Gerade Autoren wie Brandon Sanderson sind ja dabei, das Genre ordentlich auf den Kopf zu stellen. Das merkt man ja auch an den Diskussionen, die in letzter Zeit in der Literaturszene stattfinden (auch jetzt gerade hier im Forum). Mit hochgewachsenen, blonden Mary-Sue-Elben, die mit strahlenden Schwertern dunkelgrüne Orks ausrotten (denn alle Orks sind böse. Auch die Kinder) kann man hoffentlich bald niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Zumindest in einer optimistischen Weltsicht ;)

Churke

Ich denke aber doch, dass die Verlage den Trends folgen und nicht die Trends den Verlagen. Man muss sich an die Spitze der Trends setzen, darf aber nie vor der Bugwelle landen, das ist Kassengift.

Trippelschritt

#12

@ Churke. Ich teile Deine Meinung. Verlage folgen Trends. dass sie mal einen lostreten, geschieht höchstens durch Zufall.

Wäre aber nicht das erste Mal, dass etwas neu entdeckt wird.

Für mich ist die Hoch-Zeit der sozialen Fantasy, wenn man sie so nennen darf, immer noch die erste Hälfte der Siebziger. Und der Anstoß kam wohl aus der SciFi, die damals nicht immer so deutlich von der Fantasy getrennt war, we es später der Fall war. Es war die Abkehr von den harten Wissenschaften (Ingenieurswissenschaften, Technik, Physik, Chemie etc.) hin zu den weichen wie Anthropologie/Ethnologie, die dann die Tür für andere Zweige wie Soziologie und Psychologie öffneten.

Selbstverständlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass diese Hybridliteratur (keine Elfen oder Zwerge, noch nicht einnmal Drachen) mit Fantasy jnichts zu tun hat, aber die Leser damals sahen das anders. Katherine Kurtz begründete damals den historischen Realismus in der Fantasy und verzichtete dabei konsequent auf eine fantasy-gerechte Sprache.

Könnte also Vieles von der Wahl des Zeitabschnittes abhängen.

Liebe Grüße
Trippelschritt