• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Phantastik-Paradoxon?

Begonnen von Hochkogler, 08. Januar 2020, 00:11:06

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Sascha

Zitat von: Maja am 09. Januar 2020, 14:08:15
Zitat von: Alana am 09. Januar 2020, 13:49:54
@Sascha Sorry, das weiß ich nicht. Da müsstest du mal bei Amazon schauen oder so.
Gerade nachgeschaut. Das gibt es, wie die meisten Schreibhandbücher, nicht auf Deutsch. Was mich nicht abschreckt. Danke für den Tipp!
Aha, danke.
Hmmm ... Fachbücher auf Englisch gehen ja noch. Mal sehen, ob ich es mir hole.
Ach kuck an: Da gibt es mehrere Seiten, die das PDF zum Download anbieten. Sind das jetzt Piraten oder ist es einfach frei verfügbar? Seltsam. :hmmm:
Neu soll es bei Amazon gut 13 Dollar kosten, man bekäme es aber auch gebraucht. Da hat der Autor/Verlag ja auch nix von. Aber Piraten will ich nicht unterstützen.

Maja

Hm ... Eine Webseite, die ein regulär lieferbares Buch kostenlos als PDF zum Download anbietet ... könnte das eventuell eine Piratenseite sein? Eine Seite, die kein Impressum hat, keinen Verantwortlichen und nur über eine Googlemail-Adresse kontaktierbar ist ...

Wirklich, musst du das noch fragen? Natürlich ist das eine Piratenseite.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Sascha

Es sind mehrere, und es gibt durchaus Fachbücher, die man gedruckt kaufen kann, die es aber auch in digitaler Form kostenlos gibt.
Aber okay, gehen wir von Finger-weg-Seiten aus ...

Trippelschritt

Mindestens eines dieser Fachbücher ist von mir.
Einfach geklaut.
Damals habe ich gar nicht gedacht, dass so etwas so einfach möglich ist.

Trippelschritt

Sascha

Ich meinte schon Fälle, in denen das definitiv legal war. Zum Beispiel gibt es ein Buch über Java mit dem Titel "Java ist auch eine Insel". Das durfte man sich ganz legal von der Seite zum Buch herunterladen. Weiß nicht, ob das heute noch so ist.

Maja

Das hat nichts mehr mit dem Thema dieses Threads zu tun, daher eine letzte abschließende Bemerkung von mir, und dann bitte nichts mehr über Fachbuch-Piraterie:

Wenn der Autor eines Buches oder der Verlag einen Titel selbst auf ihren eigenen Webseiten kostenlos zum Download anbieten, parallel zur käuflich zu erwerbenden Druckausgabe, dann ist der Download legitim. Um alles andere sollte man einen Bogen machen, weil mit allergrößter Wahrscheinlichkeit geklaut. Viele Fachbücher haben innen einen Code, mit dem sich jemand, der das Buch gekauft hat, zusätzlich ein PDF herunterladen kann. Diese PDFs laden dazu ein, sie auf Piratenwebseiten hochzuladen - da Fachbücher oft sehr teuer sind, wird das gerne genutzt. Es ändert aber nichts daran, dass es sich um Buchpiraterie handelt.

Und jetzt bitte zurück zum Thema.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Tintenteufel

Zitat von: Zitkalasa am 08. Januar 2020, 16:18:10
@Tintenteufel Was ist für dich Genre-Fantasy? Ich frage, weil mir nicht klar ist woran ihr das festmacht, was nun Genre ist und was nicht. Ehrlich gesagt empfinde ich Fantasy und Sci-Fi als Setting-Genre, also Genre, die besonders beim Drumherum Grenzen setzen und Messlatten anlegen. Es ist ja auch nicht abzustreiten, dass Transformers oder Terminator trotzdem SF-Elemente enthalten ( Menschmaschine, Aliens), wenngleich der Plot Abenteuer/ Action ist. High Fantasy ist da ja auch nur eine spezielle Abgrenzung, die halt im Gegensatz zum Allgemeinen Genre Fantasy mit vorgeschriebenem Plot daher kommt = Heldenreise, wobei die auch nicht speziell nur in diesem Genre vorkommt, und nicht jede HF diesen Plot benutzt.

Ich denke eher, dass die Leute allgemein nicht gerne lesen und dann auch noch zusätzlich den Hirnschmalz aufbringen, sich fantastische Welten vorzustellen? Da sind Filme viel einfacher zu konsumieren, vor allem für die große Masse an Nichtlesern.

Hups! Bitte entschuldige, @Zitkalasa, habe den @ zwar mitbekommen, aber irgendwie nicht darauf reagiert. Also etwas verspätet hier die Antwort.

Was das Nichtlesen und das "leichtere" Sehen angeht, halte ich das für eine Vermengung von zwei verschiedenen Dingen. Erstens gibt es zwar viele Nichtleser, aber es gibt auch eine ganze Menge an Viellesern. Lt. Statista etwa 9 Millionen, die täglich lesen. Das ist ne Menge. Zugegeben greift da dann wieder das Problem mit der Nischenbildung, weil ich mal behaupten würde die Fantasyleser sind eher Vielleser und damit hat man ein relativ kleines Publikum mit relativ hohem Konsum, aber naja. Und zum Beispiel greift ja jeder zweite Deutsche täglich(!) zur Zeitung, was auch mit Lesen verbunden ist.
Zweitens sind Film und Buch zwei verschiedene Medien und ich sträube mich sehr dagegen, das auf "gucken ist halt einfacher als lesen" runter zu brechen. Das hat den Beigeschmack von Arroganz, v.A. weil wir hier als Beispiele wirklich die dümmsten der dummen Filme nehme, die in visueller Sprache, Machart, Stil und allen Merkmalen von FILM auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner kommen und sich eher noch mit Groschenromanen vergleichen ließen als selbst mit Genreliteratur. Natürlich funktionieren Bilder in mancher Hinsicht intuitiver als Wörter. Aber man könnte genau so gut auch sagen: Ein Film dauert halt nur 90 bis 120 Minuten, ein Buch gerne mal fünf bis zehnmal so lang. Ich kann also entweder einen Band "Eis und Feuer" lesen.... oder mir in der Zeit sämtliche Marvel Filme anschauen.

Das aber nur als Nebenbemerkung. Was Genres angeht, muss ich vorweg schicken, dass ich eine etwas eigenwillige Definition von Genres habe, jedenfalls wenn ich von ein paar Gesprächen mit anderen Autoren bisher ausgehe.
Ich stimme dir voll zu, dass Fantasy und Sci-Fi oft eher weich sind. Setting-Genre würde ich das aus diversen Gründen nicht nennen, aber der Kern, den du da beschreibst, stimmt ja schon: Es gibt einige Werke, die einige Elemente von Fantasy benutzen, sich aber von denen unterscheiden, die irgendwie harte Klassiker von Fantasy sind - Herr der Ringe, Harry Potter, Narnia usw.
Der Unterschied ist meiner Meinung nach, dass das eine einen Modus von Kunst (so breit wie möglich aufgefasst) beschreibt, sich mit dem Rezipienten in Beziehung zu setzen und das andere eine konkretere Form von Kunst:

"Fantasy als Modus" würde für mich durchaus auch das umfassen, was die Wikipedia in meinem ersten Beitrag fälschlich als Genre Fantasy einordnet. Der Kleine Prinz, Kafkas Verwandlung, Meister und Margarita setzen sich, die Welt und den Leser auf eine Art und Weise miteinander in Beziehung, die anderen logischen Gesetzen folgt, die hauptsächlich emotional und thematisch bestimmt sind. Gregor Samsa findet sich in einen Käfer verwandelt, weil das emotional und thematisch mit der Story so passt - gleichgültig, ob das jetzt ein Fluch, ein schief gelaufenes magisches Experiment oder irgendein Kink in einem Magiesystem ist. Da findet, um mal kurz phänomenologisch zu werden, eine Konstitution von Welt* statt, die sich radikal von der Art und Weise unterscheidet, auf die andere Modi (z.B. Drama und Horror) in der Kunst ihre Welt konstituieren.

*Bitte nicht mit Weltenbau verwechseln. Ist was ganz anderes.

"Fantasy als Genre" geht dagegen darüber hinaus. Da werden zwar auch Inhalte, aber vor allem künstlerische Formen transportiert. Bei Genres geht es nicht um bestimmte Elemente, Tropes oder Plots, die sind so universal, die finden wir samt und sonders auch in der Ilias und der Odyssee oder dem Gilgamesch - sondern es geht um die Form, in die diese Elemente gebracht werden, die eine relativ stringente, interne Logik hat, die der Geschichte des Genres grob folgt und sich vor allem immer (bewusst oder nicht) darauf bezieht.
Da geht es nicht um Plots, sondern die Anordnung von Plots und Figuren. Nicht um die einzelnen Szenen, sondern die Struktur von Szenen im Gesamtbild des Werks und des Genres gleichermaßen. Die Heldenreise ist da nur der einfachste Weg, weswegen viele sich vermutlich auch darauf stürzen und das mit Fantasy gleichsetzen.
Das ist immer, aber auch immer, ein Schwanken zwischen Konservatismus und Innovation, von der Veränderung von einzelnen Teilen, die aber das Gesamtbild immer noch als "Genre Fantasy" erkennen lassen: "Eis und Feuer" ist Hardcore Fantasy, weil es sich den Herrn der Ringe schnappt und fragt, was denn wäre, wenn der ganze Welten-Retten-Kram zwar noch stattfinden würde, aber sich niemand dafür interessiert, weil alle damit beschäftigt sind, um den Thron von Gondor zu kämpfen. Und nicht, weil es Drachen und eine Blonde Tussi mit Messiahs-Plot gibt.
(Ja, ich bin Strukturalist. Fight me.)

Das Problem ist dabei, dass wir als Autoren und Leser selten zwischen "Fantasy als Modus" und "Fantasy als Genre" trennen. Ich selbst bin da zu unsauber, obwohl es da wunderbare Begriffe für gibt: Das eine ist ja eher Phantastik und das Andere tatsächlich Fantasy.
Über die Gründe kann man nur spekulieren. Ich würde behaupten das liegt am Drang von Nischenautoren, sich gerne in den Mainstream zu stehlen. Oder der kritiklosen Übernahme von englischen Begriffen.
Aber das ist wohl Zynismus.  ;D

Trippelschritt

Eine der Gründe für die Verunsicherung ist, dass all diese Begriffe sich im Laufe der Zeit wandeln und vor allem mit der steigenden Bedeutung von Marketing auch genau dieser Aspekt vestärkt hineingetragen wird. Ein Etikett = Genre für besseres Marketing.

Ursprünglich waren Hardcore-Fantasy Geschichten Geschichten ni mystischen Welten, die auch und vor allem durch eine besondere Sprache hervorstachen. Aber dafür muss mahn auch wirklich schreiben können, weil es sonst leicht lächerlich wirkt. Altmeisterin LeGuin hat ein paar Essays dazu geschrieben. Aber das ist lange her.

Als ich anfing verstärkt Fantasy zu lesen tauchten die entsprechenden Romane entweder in Phantastik (Edition Suhrkamp) oder in SF (vorwiegend Heyne) auf.  Viele Urban Fantasy Geschichten waren in der Tat näher an der SF als der heutigen Fantasy.

Ob all das etwas mit Viel- und Wenigleserei zu tun hat, bezweifele ich, kann es aber genau so wenig belegen wie das Gegenteil davon.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Ivy

Ich möchte kurz noch einmal mehr oder weniger auf das eingehen, was Tintenteufel und Zitkalasa geschrieben haben:

Ich merke an mir selbst, je älter ich werde, desto schwerer fällt einem das Lesen - einfach weil die Augen weniger mitmachen, die sogenannte Altersichtigkeit schlägt zu. Wenn man dann noch abends etwas müde ist vom Tag und vom Essen, ist es wesentlich einfacher, noch einen Film oder eine Folge einer Serie anzuschauen - nicht nur, weil sie zeitlich begrenzt sind, sondern Lesen ist für das Gehirn um einiges anstrengender als Filme anschauen. Buchstaben oder andere Zeichen (nehmen wir als ein anderes Beispiel mal die chinesische Schrift) umzuwandeln in Wörter und Sätze etc. pp. ist um einiges anstrengender als über einen Film Bilder und das gesprochene Wort aufzunehmen. Leider ist mein Studium schon eine Weile her und ich habe nach so vielen Jahren das meiste aussortiert (zu oft umgezogen), sonst würde ich jetzt mehrere Literaturangaben zum Thema Lesen (nicht nur Lesen lernen) im Unterschied zu dem Ding, in dem die Bilder laufen lernten, machen.
Noch dazu haben wir heutzutage Handys, Tablets, iPads etc. - und ein wesentlich höheres Angebot an Filmen und Serien als früher - und es ist leichter, an diese heran zu kommen. Früher musste man warten und warten und warten, bis die nächste Folge eines Filmes kam, verging meist eine Woche - in der Zeit hat man sich mit dem Lesen ähnlicher Geschichten getröstet, bis man endlich weiter schauen konnte ...
Lesen kostet in gewisser Weise Zeit, die man sich nehmen muss, und man braucht eine gewisse Ruhe dafür. Den Fernseher oder Tablet/iPad einzuschalten, ist irgendwie leichter, das kann man auch mal nebenher laufen lassen, es erfordert eine andere Art von Konzentration. Zum Lesen muss man sich (ich zumindest) quasi zurückziehen, einen kleinen Ruhebereich finden (früher war das die S-Bahn auf dem Weg zur Uni, heute ist das bei mir anders).
Worauf ich unter anderem hinaus möchte: ich möchte diesen Beigeschmack von Arroganz wegnehmen und noch einmal betonen, das Lesen für viele Menschen wirklich anstrengend ist. Die Zeitung, das geht auch mal zwischendurch, das sind verschiedene Artikel, die wiederum begrenzt sind von der Wortanzahl, aber einen dicken Roman oder gar eine Reihe, das ist noch mal was anderes.

Zum anderen habe ich während meines Auslandsaufenthaltes in UK des öfteren festgestellt, dass die Deutschen wesentlich konservativer in ihrer Einstellung sind, was gehobene und weniger gehobene Literatur angeht. Fantasy und Science Fiction zählen wohl in Deutschland noch immer zu dem Literaturbereich, der weniger angesehen ist, der eher als "Kinderkram" abgetan wird, weniger ernst genommen wird. So einen Film, den kann man sich mit seinem Kind oder seinem Enkel ja mal anschauen, wenn Kind/Enkel unbedingt darauf besteht, aber Romane Lesen ... nee, in der Zeit könnte man ja was "Sinnvolles" tun. In Amerika zum Beispiel sind die Science Fiction und Fantasy wesentlich weniger verpönt, weniger "niedrig" eingestuft. Zum Beispiel ist es dort auch kein Problem gleichzeitig als Wissenschaftler zu arbeiten und Autor von Science Fiction oder Fantasy-Romanen zu sein, und zwar mit Realnamen. Viele hier aus dem Forum haben bestimmt schon erlebt, wie schief man zum Teil angesehen wird, wenn man sagt, dass man Fantasy oder SF schreibt.

In Deutschland kommen denke ich einfach mehrere Punkte zusammen. Dazu kommt auch noch wie weiter oben angesprochen das Lizenzgeschäft, und so mancher Verlag geht doch lieber auf Nummer Sicher und kauft sich einen Roman ein, der in Amerika oder UK bereits ein Erfolg war und entsprechend beworben werden kann.

*drücke für die vielen Kleinverlage in Deutschland fest die Daumen, dass sich die Romane und Kurzgeschichten gut verkaufen und dadurch die Vielfalt der Verlagslandschaft weiter erhalten bleibt* 
I support we need diverse books !

Sparks

Zitat von: Tintenteufel am 08. Januar 2020, 15:17:44

Das ist so eines der Probleme, das wir als Phantasten bekommen, wenn wir Phantastik und Fantasy derart weit auslegen, dass alles drunter fällt: Fühlt sich zwar echt gut an, wenn acht der zehn erfolgreichsten Filme aller Zeiten Phantastik sind, aber dann steht man da und wundert sich, wieso trotzdem keiner Phantastik guckt, wenn's als Phantastik verkauft wird.

Bei Büchern dagegen... Also wirklich nicht. Weder in Deutschland noch in den USA noch weltweit, auch wenn da Vergleiche schwieriger werden. Mal als Vergleich Wikipedia wobei ich da die Einordnung einiger Werke scharf kritisieren würde. Stephen King? Einmal vorhanden. Nicht mit ES. Hunger Games? Unter ferner liefen. The Witcher? Nicht drauf. A Song of Ice and Fire? Harry Potter (Bis auf Band I), Discworld? Alle nur drin, wenn man *sämtliche* Verkäufe der gesamten Reihe zusammen zählt.
Der Meister und Margarita hat ganz alleine ganz entspannt zwanzig Millionen mehr verkaufte Bände als George Martin in seinem ganzen Leben zusammenkriegt. Der Kleine Prinz nochmal doppelt so viele.


Genau das ist das Problem. WAS GENAU ist Phantastik eigentlich? Phantastische Elemente in anderen Genres sind häufig. Zusätzlich zu den von Dir genannten "Der Meister und Margarita" und "der kleine Prinz" fielen mir spontan z.B. noch postmoderne Klassiker wie Kurt Vonneguts "Slaughterhouse five" oder ganz alt, Goethe mit seinem "Faust" ein, weil Mephisto für mich ganz klar eine phantastische Figur ist.

Ok, die Beantwortung dieser Frage ist vermutlich auch von der Person des Beantwortenden abhängig. Für mich als Atheisten ist z.B. auch die Bibel und damit die meisten anderen religiösen Schriften "Phantastik" im allerallerweitesten Sinne.

Möglicherweise ist daher die Einteilung, wie Verlage sie vornehmen, als "vornehmlich Unterhaltungsliteratur in der es um Fabelwesen, Schwertkämpfe und Zauberei geht" oder um  "vornehmlich Unterhaltungsliteratur in der es um Technologien, die den Rahmen des aktuell möglichen sprengen, extraterrestisches Leben und Zeitreisen geht", schon sinnvoll unter monetären Gesichtspunkten. Das obige war jetzt mal eine Umschreibung von mir. Möglicherweise existieren ja schon anderweitig solche Definitionsversuche, die deutlich besser sind.
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Depression

Exlibris

Zitat von: Sparks am 27. September 2020, 11:55:48


Ok, die Beantwortung dieser Frage ist vermutlich auch von der Person des Beantwortenden abhängig. Für mich als Atheisten ist z.B. auch die Bibel und damit die meisten anderen religiösen Schriften "Phantastik" im allerallerweitesten Sinne.


Okay, als Fast-Religionswissenschaftler möchte ich hier meinen Senf dazugeben. ;D

Wenn wir uns die Werke der Weltliteratur vor Augen führen, dann bemerken wir eine große Menge an Geschichten, die heutzutage als "Fantasy" eingestuft werden würden. Wie eingangs schon erwähnt, existiert da eine breite Palette: Das Gilgamesch-Epos, Ilias und Odyssee, die Äneis (Rom), die Kalevala (Finnland), Schahname (Iran), Die Drei Reiche (China) etc. etc. Natürlich bildet im antiken Kontext auch das Alte Testament einen wesentlichen Bestandteil dieser "Ur-Epen". Was ich aber hervorheben möchte: Diese Geschichten existierten nicht nur, sie gehörten auch zu den angesehensten. Die Äneis bildet für mich dabei das beste Beispiel: Kaiser Augustus hat Mark Anton gerade besiegt und will dem gebeutelten Weltreich endlich Stabilität bringen. Dafür braucht er unter anderem auch ein literarisch-kulturelles Steckenpferd. Warum nimmt er keinen Catull und keinen Ovid? Er braucht ein NationalEPOS. Eine Geschichte, die die Römer nicht nur zum "Mitschaudern" bringt, sondern die ihre Herzen alle für einen einzigen Helden gewinnt - einen Helden, mit dem sie sich identifizieren können und der für sie alle gleichermaßen wichtig ist. Und prompt schreibt dieser Vergil eine Geschichte über den mythischen Stammvater aller Römer, knüpft an die alten griechischen Geschichten an und erschafft so das perfekte Nationalepos.

In diesem Kontext möchte ich noch anführen, was Thomas Mann einmal anmerkte. Den genauen Wortlaut weiß ich leider nicht mehr (ich weiß, nicht sehr professionell ::)), aber die Grundaussage lautet: Vielleicht ist es das Ewig-Homerische, die mythische Vergangenheitsschöpfung, die die Menschen so fasziniert (wenn man "Doktor Faustus" gelesen hat, weiß man, dass Thomas Mann das auch in die Tat umsetzte).

Tut mir leid, ich bin abgeschweift. Worauf ich damit eigentlich hinauswollte: Fantasy im Tolkien'schen Stil steht - zumindest für mich - genau in der Tradition dieser Mann'schen Vergangenheitsschöpfung. Wenn wir im Sinne Nietzsches mit unserem heutigen Wissensstand "Gott getötet" haben und mit ihm sämtliche Magie in unserer Welt, dann ist die Fantasy die logische Konsequenz. Wir KÖNNEN unsere Vergangenheit nicht mehr mythisch betrachten (zumindest in den meisten Fällen). Wir haben uns selbst desillusioniert: Oder möchte wirklich jemand ein gewaltiges Versepos über den Zweiten Weltkrieg?

Wenn wir dazu noch die Arbeit von Mircea Eliade ("Schöpfungsmythen") und Edmond Rochedieu ("Von der Antike bis zum Mittelalter"/"Der Schintoismus") berücksichtigen, bemerken wir, dass das "Epos" sich nicht einfach von der Religionsgeschichte lösen lässt. Der Übergang ist fließend. Aus diesem Grund bildet die (High) Fantasy eine Notlösung: Unsere Welt ist "entzaubert", also erschaffen wir eine neue. Wir können die Magie, die unsere Vorfahren überall zu sehen glaubten, immer noch genießen, ohne unser modernes Weltbild zu zerstören.

So, UND JETZT WORAUF ICH WIRKLICH HINAUSWOLLTE: (Das ist nur eine klägliche Idee, die mir gerade kam) "Große Epen" tendieren dazu, wenig Nebenbuhler zuzulassen. Es existiert eben nur ein "definitiv bestes Nationalepos". Was, wenn die Gattung des Epos (auch in Form eines Fantasy-Epos) die Zahl seiner potenziellen Rivalen ohnehin drastisch reduziert? Würde das einen gewissen "Lesekonservatismus" erklären ("Ich will wieder Herr der Ringe, nur mit anderen Namen")? Oder ist es einfach menschlich, gewisse Texte herauszupicken und sie als dogmatische Richtschnur zu benutzen?

Wie gesagt, der Gedanke kam mir gerade erst. Mich würde interessieren, was ihr dazu sagt. :vibes:
"Turning history into avantgarde"
- Krzysztof Penderecki

NatNat

Ich persönlich denke gar nicht, dass Fantasy "weniger" Anklang findet bei Verlagen. Wie Maja einst schrieb, nehmen Verlage gerne Debütanten.
Ich glaube, viel wichtiger ist, sich vernünftig vermarkten zu können. Viele Leute geben sich kaum Mühe oder schreiben eben etwas, was schon Drölfmillionen Mal auf dem Markt ist - beides wird dann natürlich nicht genommen.
Vielleicht hat man auch einfach Pech und es landet beim Falschen, der es dann einfach blöd findet und auf den "Müll"-Stapel schmeißt.
Dennoch bin ich der Meinung, wenn man so schreiben kann, dass es den Leser - der ja auch die Person des Verlages ist, den ich anschreibe - fesselt, dann hat man genauso gute Chancen wie mit einem Krimi.
Gerade in Zeiten wie diesen wollen die Leute gerne aus dem Alltag in fremde Welten flüchten, zumindest ist es das, was auch Buchhändler mir immer wieder sagen ...

Daher denke ich, man sollte einfach optimistisch bleiben ... Auf sein Können und sein Glück hoffen und es nicht aufgeben.

ZitatIn diesem Kontext möchte ich noch anführen, was Thomas Mann einmal anmerkte. Den genauen Wortlaut weiß ich leider nicht mehr (ich weiß, nicht sehr professionell ::)), aber die Grundaussage lautet: Vielleicht ist es das Ewig-Homerische, die mythische Vergangenheitsschöpfung, die die Menschen so fasziniert (wenn man "Doktor Faustus" gelesen hat, weiß man, dass Thomas Mann das auch in die Tat umsetzte).

Tut mir leid, ich bin abgeschweift. Worauf ich damit eigentlich hinauswollte: Fantasy im Tolkien'schen Stil steht - zumindest für mich - genau in der Tradition dieser Mann'schen Vergangenheitsschöpfung. Wenn wir im Sinne Nietzsches mit unserem heutigen Wissensstand "Gott getötet" haben und mit ihm sämtliche Magie in unserer Welt, dann ist die Fantasy die logische Konsequenz. Wir KÖNNEN unsere Vergangenheit nicht mehr mythisch betrachten (zumindest in den meisten Fällen). Wir haben uns selbst desillusioniert: Oder möchte wirklich jemand ein gewaltiges Versepos über den Zweiten Weltkrieg?

Schöne Erklärung und schönes Zitat ;) Genauso sehe ich das auch, wenn ichs so auch nicht wirklich formulieren könnte, wie du es tust. ;D

Exlibris

Zitat von: NatNat am 16. August 2021, 16:46:18
Ich glaube, viel wichtiger ist, sich vernünftig vermarkten zu können. Viele Leute geben sich kaum Mühe oder schreiben eben etwas, was schon Drölfmillionen Mal auf dem Markt ist - beides wird dann natürlich nicht genommen.


Aus der Masse herauszustechen ist sicher ein wichtiger Punkt, allerdings bedeutet das auch eine gewisse Gratwanderung, da man Leser schließlich auch irgendetwas Bekanntes bieten sollte, einen Ankerpunkt, an dem sie sich festhalten können (#Lesekonservatismus :rofl:). Da eine "gesunde Mitte" zu finden ist möglicherweise wirklich die Königsdisziplin in unserem Metier ...

Zitat von: NatNat am 16. August 2021, 16:46:18


Schöne Erklärung und schönes Zitat ;) Genauso sehe ich das auch, wenn ichs so auch nicht wirklich formulieren könnte, wie du es tust. ;D

Danke, das freut mich! :vibes:
"Turning history into avantgarde"
- Krzysztof Penderecki

NatNat

Zitat von: Exlibris am 17. August 2021, 10:25:42

Aus der Masse herauszustechen ist sicher ein wichtiger Punkt, allerdings bedeutet das auch eine gewisse Gratwanderung, da man Leser schließlich auch irgendetwas Bekanntes bieten sollte, einen Ankerpunkt, an dem sie sich festhalten können (#Lesekonservatismus :rofl:). Da eine "gesunde Mitte" zu finden ist möglicherweise wirklich die Königsdisziplin in unserem Metier ...


Ich denke, genau darauf kommt es an. Die Leute, die diese Mitte finden, sind die, die hinterher groß rauskommen oder verlegt werden - das sind halt verdammt wenige, wenn man sich die Einsendungen einmal anschaut ;D

Zit

Was das Verlegtwerden angeht: Ich denke, es gewinnen auch oft Manuskripte, die nicht mehr viel Arbeit machen. Am besten ist ein Manu, über das vielleicht nur noch mal final ein Korrektor drüber muss. Die wenigsten Chance hätte dann jemand mit Plotlücken, Weltenbaulücken/ Inkonsistenz der Welt, Formulierungsproblemen, Rechtschreibfehlern, Problemen im Spannungsaufbau, etc.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt