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Sind Kinder in der High Fantasy unsichtbar?

Begonnen von Aphelion, 19. September 2019, 21:58:25

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Aphelion

Im Moment habe ich das Gefühl, dass es in der High Fantasy, die sich an Jugendliche und Erwachsene richtet, selten Kinder als Statisten oder eher unwichtige Nebenfiguren gibt, die nicht an den Beschützerinstinkt appellieren.

Mit Statisten meine ich Figuren, die fast mehr zum Setting als zu den Figuren gehören: Sie stehen dumm herum, wenn die handlungsrelevanten Figuren vorbeigehen, und sagen vielleicht mal einen Satz, der aber eigentlich ,,nur" zur Atmosphäre beiträgt.

Edit, zur Klarstellung: Ich suche also gerade die Statisten, die Unwichtigen, die nur mal am Rande erwähnt werden – keine Hauptfiguren etc.

Die geringe Anzahl an Kindern (in den Büchern, die mir in letzter Zeit untergekommen sind) finde ich insofern interessant, als dass in vielen High-Fantasy-Welten allein aufgrund des Settings eigentlich eine geringe Lebenserwartung vorherrschen müsste, ergo müssten anteilig viel mehr Kinder und Jugendliche herumlaufen als heute in Mitteleuropa.  :hmmm:

Mir ist bewusst, dass es für eine hohe Lebenserwartungen auch in einer Welt mit primitiven Technologien Erklärungen geben kann, aber ich beziehe mich hierbei nicht auf solche Welten, die direkt oder indirekt eine solche Erklärung liefern – ich meine solche, bei denen z.T. sogar unüberlesbar beschrieben wird, wie schwer es die Menschen haben.

Paradoxerweise habe ich auch den Eindruck, dass viele Autoren den Anteil der Alten erhöhen, wenn sie signalisieren wollen, dass eine Gesellschaft arm dran ist – obwohl die Bevölkerung gerade dann ja überdurchschnittlich jung sein müsste?  ???

Jetzt habe ich natürlich keinen repräsentativen Überblick über die Fantasy-Literatur, deshalb die Frage an euch: Wie seht ihr das?

Maubel

Kann ich jetzt ehrlich nicht so sagen. Meine zwei Lieblingsromane zum Beispiel: Robin Hobbs Weitseher-Trilogien: Fitz beginnt als Kind, es gibt im ersten Band auch viele Szenen mit anderen Kindern und in der dritten Trilogie ist seine Tochter Bee zweite Hauptfigur im Alter von ... 10? Als sie auch noch nicht durch die Weltgeschichte touren gibt es auf dem Anwesen eine ganze Menge anderer Kinder. Unsichtbar würde ich das nicht nennen.
Dann das Lied von Eis und Feuer: Die Starkkids sind alle Kinder, teilweise auch noch am Ende und auch dort wird ständig von Kindern gesprochen, über und überall.
Auch bei Lynn Flewellings Tamir-Trilogie kommen viele Kinder vor, wieder in den ersten Bänden, weil sie selbst Kinder sind, aber sie sind nicht die einzigen ;)

Klar, wenn ich auf eine Abenteuerreise gehe, nehme ich selten einen Haufen Kinder mit, aber ich habe sie in den High Fantasy Welten noch nie unsichtbar gesehen. Da ist mir schon öfter der Trope vom weisen/altklugen Kind aufgefallen. Das läuft nämlich auch oft mit und ist etwas ganz Besonderes.

Was stimmt, sprich: ich bestätigen kann, ist dass die Lebenserwartung oft höher ist. Die wenigstens sterben in ihren 40er/50er (außer beim Mord- und Totschlag). Ich würde sagen, es ist einfach nicht so extrem wie unser Mittelalter, aber gänzlich unsichtbar sind die Kinder nicht und die sagen auch oft mehr als nur einen Satz.

Angela

Die Belgariad Geschichte hat einen kindlichen Helden, der erst nach und nach begreift, was um ihn herum geschieht. In der Richtung habe ich auch schon etliche andere Geschichten gelesen, als Erwachsenenbücher verkauft, aus dem englischsprachigen Raum.

Maja

Ich habe das hier verschoben, weil es doch den Kernbereich unseres Schaffens betrifft und nicht "die Phantastikszene".

Zitat von: Angela am 20. September 2019, 00:19:43
Die Belgariad Geschichte hat einen kindlichen Helden, der erst nach und nach begreift, was um ihn herum geschieht. In der Richtung habe ich auch schon etliche andere Geschichten gelesen, als Erwachsenenbücher verkauft, aus dem englischsprachigen Raum.
Garion ist sicherlich sechszehn Jahre alt, kein Kind mehr, sondern im typischen stürmischen Jungheldenalter. Den würde ich nicht als Beispiel heranziehen, wenn es ausdrücklich um Kindre und noch nicht mal um Jugendliche geht. Jugendliche sind in der Fantasy sehr gut sichtbar. Mit Kindern sieht das in der Tat anders aus. Da würde ich eher auf die Stark-Sippschaft verweisen, die wirklich noch im Kinderalter sind, als die Geschichte anfängt.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Aphelion

#4
Irgendwie geht das teilweise in die falsche Richtung - vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt.

Meine Beobachtung war, dass es zu wenig kindliche Statisten gibt. Überspitzt gesagt: Als Werkzeuge tauchen Kinder auf, aber ansonsten sind sie unsichtbar. Ich suche also gerade die Statisten, die Unwichtigen, die nur mal am Rande erwähnt werden – keine Hauptfiguren etc. :)

Edit, bevor das untergeht: Das soll keine Verallgemeinerung sein, sondern war nur bei den letzten neueren Büchern so, die ich gelesen haben. Inwiefern die Beobachtung allgemein zutrifft, will ich ja herausfinden.

Ich gehöre zu den drei Menschen auf diesem Planeten, die das "Lied von Eis und Feuer" nicht gelesen haben und auch sonst nicht viel von der Geschichte mitbekommen haben, aber das klingt schonmal nach einem guten Hinweis, danke!

@Maja
Danke für's Verschieben.

Trippelschritt

Ich denke, Du hast Recht damit. Halbwüchsige Hauptfiguren gibt es viele, aber wenn Erwachsene wichtig sind, gehen die Kinder aus dem blickfeld verloren. Auch in meinen eigenen Geschichten kommt zwar mal hin und wieder Kinderlärm oder -geschrei vor, aber vor meinem eigenen Augen sind sie nicht präsent.

Wenn Du sie jetzt in Deinen Geschichten etwas emporhebst, wär das doch eine schöne Innovation - und außerdem auch noch auf Deiner eigenen Beobachtung gewachsen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Alina

Wenn ich an die Geschichten denke, die ich zuletzt gelesen habe, würde ich dir Recht geben. Wenn man bedenkt, dass es in diesen Gesellschaften eigntlich viele Kinder geben müsste, tauchen sie in den Geschichten, an die ich mich jetzt erinnere, vergleichsweise selten auf.
Zumal ja in solchen wenig entwickelten Gesellschaften, auf die du dich beziehst, die Kinder viel sichtbarer sein sollten, als wir es aus unserer Gesellschaft kennen: sie gehen dann eher selten zur Schule, stattdessen müssen sie mitarbeiten oder sie treiben sich im Freien und auf den Straßen herum.
Interessante Fragestellung, werde ich in Zukunft beim Lesen mal drauf achten.

In meinen eigenen Geschichten kommen Kinder häufig vor, in Haupt- und Nebenrollen und als Statisten, das liegt wohl daran, dass ich einen mütterlich geprägten Blick habe  ;)

Cooky

#7
Da spiegelt sich vielleicht die Kinderlosigkeit unserer westlichen Gesellschaft wieder? Und den Wunsch, Kinder zu verstecken, weil sie stören könnten?
Es gibt heutzutage so viel Möglichkeiten, dass Kinder versorgt sind. Krippe, Kindergarten und inzwischen viel längere Schultage.
Vor ein paar Monaten gab es einen Bericht über ein Restaurant, in dem ab einer gewissen Zeit keine Kinder mehr erlaubt sind.
Wenn man selber keine hat, könnte man bei so viel "Schutz" beinahe vergessen, das es sie gibt. Das zeigt sich wohl auch in der Literatur.

Denke, ich werde mir für den Nano eine eigene Challenge setzen und irgendwo eine Kindergruppe einbauen. :)

Edit: Der Name des Windes von Patrick Rothfuss kann auch noch als Beispiel für Kinder dienen. Aber da ist es eben, wie im Beispiel von @Maubel so, dass auch die Kindheit des Protagonisten geschildert wird. Wenn man das macht, kommt man wohl nicht so leicht drumrum, auch andere Kinder zu erwähnen.

Ary

Könnte es vielleicht auch daran liegen, dass viele High Fantasy-Romane doch eher für Erwachsene geschrieben sind, die Geschichten über erwachsene Protagonisten lesen wollen und Kinder deswegen eher nur am Rande auftauchen, es sei denn, die erwachsenen Protagonisten sind selbst Eltern oder aus irgendeinem Grund mit Kindern beschäftigt?
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Guddy

Kinder als Hintergrundkulisse gibt es denke ich schon ab und zu, zumindest ist mir das Fehlen nicht so aufgefallen.

Was aber auch zugegebenermaßen daran liegen könnte, dass ich keine große Kinderfreundin bin und sie in meinen eigenen Geschichten nur dann einsetze, wenn sie plotrelevant sind.

Dabei ist die Darstellung von Kindern (und die Behandlung derer etc.) wichtig für die Weltendarstellung. Daher danke für das heads up. :)

Antennenwels

Das ist eine interessante Beobachtung und ist mir bisher nie wirklich aufgefallen. Könnte es nicht sein, dass dies vor allem mit der Perspektive zu tun hat? Wenn die Geschichte aus Sicht eines Erwachsenen geschrieben ist (oder auch eines Teenagers), dann wird dieser kaum auf Kinder achten, es sei denn die Person hat Kinder oder jüngere Geschwister etc.
Ich selbst bin kinderlos und ganz ehrlich...ich interagiere praktisch nie mit Kindern. Alle meinen engen Freunde sind ebenfalls kinderlos, wie auch meine einzige Schwester und ich komme daher schlicht nicht in Kontakt mit ihnen. Natürlich sehe ich hin und wieder Kinder, aber ich achte kaum jemals bewusst darauf. Wieso sollte es in einem Roman anders sein? In Büchern die strikt personal geschrieben sind, ist die Abwesenheit von Kindern als Statisten daher gar nicht so erstaunlich in meinen Augen.
Und wie schon von anderen angesprochen, liegt wohl auch daran, dass Kinder in unserer Zeit "versteckter" sind, da sie weniger am Leben der Erwachsenen teilhaben (nicht arbeiten) und dies dann in die Geschichten übertragen wird. Obwohl es in einem mittelalterlichen Setting natürlich realistisch wäre, wenn die Protagonisten beispielsweise Essen an einem Marktstand kaufen, der von einem Kind betreut wird.
Ich werde in Zukunft mehr darauf achten, auch Kinder zu erwähnen. Danke für den Hinweis.
"You still prided yourself on three things: firstly, bloody-minded composure; secondly, an inhuman intellect for necromancy; thirdly, being very difficult to kill."

- Muir, Tamsyn. Harrow the Ninth

Tigermöhre

Zitat von: Maja am 20. September 2019, 00:29:43

Zitat von: Angela am 20. September 2019, 00:19:43
Die Belgariad Geschichte hat einen kindlichen Helden, der erst nach und nach begreift, was um ihn herum geschieht. In der Richtung habe ich auch schon etliche andere Geschichten gelesen, als Erwachsenenbücher verkauft, aus dem englischsprachigen Raum.
Garion ist sicherlich sechszehn Jahre alt, kein Kind mehr, sondern im typischen stürmischen Jungheldenalter. Den würde ich nicht als Beispiel heranziehen, wenn es ausdrücklich um Kindre und noch nicht mal um Jugendliche geht. Jugendliche sind in der Fantasy sehr gut sichtbar. Mit Kindern sieht das in der Tat anders aus. Da würde ich eher auf die Stark-Sippschaft verweisen, die wirklich noch im Kinderalter sind, als die Geschichte anfängt.

Bei der Belgariadsaga (Und noch stärker bei der Fortsetzung der Malloreonsaga) kommen aber auch einige Kinder als Statisten vor. Neben seinen Kindheitsfreunden sucht Garion zum Teil sehr bewusst nach andern Kinder-/Jugendlichenkontakt. Und ständig bekommen da die Nebenfiguren Babys und unterhalten sich darüber, wer jetzt wie viel hat, wie groß und alt die sind etc.
Allgemein meine ich, gerade in älterer High-Fantasy kommen wirklich viele Kinder vor. Gerade in Kriegsszenarien, um den Schrecken noch zu verdeutlichen. Wie das in aktuelleren Büchern ist, weiß ich gerade nicht. Da lese ich zur Zeit echt wenig.

Maja

Es hängt sicher auch mit der Zielgruppe zusammen und dass Erwachsene sich lieber mit Erwachsenen identifizieren. Ich habe im "Gefälschten Siegel" eine vierzehnjährige Perspektivträgerin (neben zwei erwachsenen Perspektivträgern), und da haben sich viele Rezensenten darüber beklagt, dass sie sich zu kindisch verhält, zu sehr wie ein Teenie - auch wenn sie wirklich ein Teenie ist.

Kinder als Kulisse sind etwas anderes, aber Kinder in Hauptrollen sind schwer an erwachsene Leser zu vermitteln.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Tintenteufel

Ich überlege gerade, aber mir fallen absolut keine Beispiele der High Fantasy ein. Wahrscheinlich, weil ich sie einfach überlese. Nur in anderen Medien/Genres kenne ich Beispiele: Fallout 3 hat eine Siedlung voller Kinder, die erwachsen gewordene Bewohner automatisch ausschließt und Stephen Baxters "Stone Spring" spielt in der Jungsteinzeit und die Hauptcharaktere sind ausnahmslos Kinder.

Ich finde den Hinweis aber interessant, dass es eine Unregelmäßigkeit im Weltenbau ist. Ich werde bei der nächsten Lektüre mal mehr darauf achten.

Cooky

An Fallout hatte ich auch gedacht, aber ab den zweiten Teil. In dem wurden alle Kinder für die deutsche Version entfernt, damit keine Gewalt gegen Kinder ausgeübt werden kann. Wenn einige Autoren sie für die Betonung von Gräueltaten extra einbinden, könnten andere vielleicht auch Hemmungen haben und lassen sie ganz weg.
Oder sie wurden nur in den deutschen Übersetzungen entfernt.  ;)