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Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?

Begonnen von Maria, 10. September 2019, 13:20:56

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FeeamPC

ZitatElisabeth I. war zum Beispiel eine spannende Person in einer Zeit geprägt von Frauenfeindlichkeit. Ich könnte entweder direkt über sie schreiben oder aber ich orientiere mich beim Schreiben an sie. Den Sexismus der Zeit kann ich durchaus darstellen, ohne ihm Recht zu geben. Ich kann ihn vielmehr zu hinterfragen und darstellen, warum Sexismus ein Problem in dieser Zeit war.

Mondfräulein, hast du bei diesem Satz auch mal daran gedacht, dass die Menschen damals ganz anders gedacht habe? Für die war das nicht Sexismus, sondern die natürliche Weltordnung. Aus der sich die Königin erhob,nicht, weil sie emanzipiert war, sondern weil sie als Königin von Gottes Gnaden mit entsprechender Abstammung und Macht für die damalige Bevölkerung eben nicht als normale Frau zählte?
Elisabeth wollte keine Frauen emazipieren. Sie wollte regieren und erwartete von anderen Frauen, dass sie ganz brav den Platz einnahmen, den die Gesellschaft ihnen zuwies. Würde ich also modernes Gedankengut in ein Buch über Elisabeth geben, würde ich ihre Figur verfälschen. Und wenn ich in damaligem Denken Sexismus sehe und das so ausdrücke, würde Elisabet selbst, wenn sie einmal hereinschauen könnte, vermutlich am allermeisten erstaunt sein.

Mondfräulein

Zitat von: FeeamPC am 16. September 2019, 23:55:23
ZitatElisabeth I. war zum Beispiel eine spannende Person in einer Zeit geprägt von Frauenfeindlichkeit. Ich könnte entweder direkt über sie schreiben oder aber ich orientiere mich beim Schreiben an sie. Den Sexismus der Zeit kann ich durchaus darstellen, ohne ihm Recht zu geben. Ich kann ihn vielmehr zu hinterfragen und darstellen, warum Sexismus ein Problem in dieser Zeit war.

Mondfräulein, hast du bei diesem Satz auch mal daran gedacht, dass die Menschen damals ganz anders gedacht habe? Für die war das nicht Sexismus, sondern die natürliche Weltordnung. Aus der sich die Königin erhob,nicht, weil sie emanzipiert war, sondern weil sie als Königin von Gottes Gnaden mit entsprechender Abstammung und Macht für die damalige Bevölkerung eben nicht als normale Frau zählte?
Elisabeth wollte keine Frauen emazipieren. Sie wollte regieren und erwartete von anderen Frauen, dass sie ganz brav den Platz einnahmen, den die Gesellschaft ihnen zuwies. Würde ich also modernes Gedankengut in ein Buch über Elisabeth geben, würde ich ihre Figur verfälschen. Und wenn ich in damaligem Denken Sexismus sehe und das so ausdrücke, würde Elisabet selbst, wenn sie einmal hereinschauen könnte, vermutlich am allermeisten erstaunt sein.

Damit hast du natürlich vollkommen Recht, aber es widerspricht nicht dem, was ich gesagt habe. Gerade das macht Elisabeth doch zu einer sehr spannenden Figur, anhand derer ich unter anderem das Frauenbild der Zeit reflektieren könnte. Gerade ihren Standpunkt kann man in Kontrast mit ihrer Rolle setzen. Elisabeth muss ja nicht verstehen, dass Sexismus schlecht ist, sondern nur die Leser*innen. Ich kann hinterfragen, ich kann die negativen Konsequenzen aufzeigen. Dafür muss ich Elisabeth kein modernes Gedankengut auf die Zunge legen, aber ich werde nicht darum herum kommen, das moderne Gedankengut in die Geschichte selbst einfließen zu lassen, weil Leser*innen sie unweigerlich durch die Linse unserer heutigen Zeit lesen werden. Nur weil die Rollenverteilung den Menschen damals als natürliche Weltordnung vorkam, muss sich die Geschichte nicht auch auf ihre Seite stellen. 

Coppelia

Dazu lohnt sich auch Schillers "Maria Stuart", finde ich.

ZitatAber mein Eindruck ist, dass gerade in den jüngeren Generationen (natürlich aber auch nicht nur) das Bewusstsein für diese schön genannten "-ismen" wächst. Diese Gruppe wird sich vermutlich eher kritisch zu Romanen positionieren, die solche "-ismen" unreflektiert verbreiten. Aber wie schon gesagt, das ist dann eine bewusste Entscheidung darüber, welche Zielgruppe man bedienen will.
Dazu noch mal: Aus meiner Zeit als Lehrerin habe ich definitiv nicht den Eindruck. Weil mir einige Themen sehr am Herzen lagen, habe ich häufiger Stunden mit entsprechendem Schwerpunkt gehabt wie z. B. das Hinterfragen von Rollenbildern. Selbst bei jüngeren Kindern waren diese Bilder schon sehr verankert, und es fiel ihnen häufig sehr schwer, die Probleme dahinter zu sehen. Ich habe mich auch immer bemüht, die noch sehr traditionellen Denkstrukturen bezüglich Partnerschaften zu durchbrechen, die im Schulstoff oft vorhanden waren. Manche Klassen haben das recht gut angenommen, aber andere waren dadurch verwirrt.
Genau das ist ein Grund, in dieser Richtung weiterzumachen. Durch geschriebene Texte wird man aber die meisten Kinder schlecht erreichen, weil sie einfach nicht lesen (und das auch in früheren Zeiten nicht getan haben). Streamingdienste und Computerspiele sind hier auch in der Verantwortung.

Trippelschritt

Zitat von: Mondfräulein am 17. September 2019, 00:11:13
Gerade das macht Elisabeth doch zu einer sehr spannenden Figur, anhand derer ich unter anderem das Frauenbild der Zeit reflektieren könnte. Gerade ihren Standpunkt kann man in Kontrast mit ihrer Rolle setzen. Elisabeth muss ja nicht verstehen, dass Sexismus schlecht ist, sondern nur die Leser*innen. Ich kann hinterfragen, ich kann die negativen Konsequenzen aufzeigen. Dafür muss ich Elisabeth kein modernes Gedankengut auf die Zunge legen, aber ich werde nicht darum herum kommen, das moderne Gedankengut in die Geschichte selbst einfließen zu lassen, weil Leser*innen sie unweigerlich durch die Linse unserer heutigen Zeit lesen werden. Nur weil die Rollenverteilung den Menschen damals als natürliche Weltordnung vorkam, muss sich die Geschichte nicht auch auf ihre Seite stellen.

Aber Du merkst doch wohl schon, dass Du die ganze Zeit vorschlägst, worüber wie geschrieben werden sollte. Dass allerdings liegt allein in der Verantwortung des jeweiligen Autors. Wenn Du eine solche Geschichte über Elisabeth haben möchtest, wobei mir klar ist, dass diese Figur nur ein Beispiel von dir ist, dann würde ich empfehlen, selbst eine entsprechende Geschichte zu schreiben. Im kommenden Nano vielleicht?

Liebe Grüße
Trippelschritt

Amanita

#79
Ich habe den Eindruck, dass in der Diskussion aktuell zwei Dinge vermischt werden.

Soll eine Geschichte heutzutage eine utopische Menschheit darstellen, der Sexismus, Rassismus, Mobbing etc. pp. völlig fremd sind, weil sonst irgendjemand verletzt bzw. negativ beeinflusst werden könnte? Ich denke, dass die Antwort hierauf eindeutig "nein" lauten muss, denn ohne Konflikte zwischen Menschengruppen, auch gravierender Art, fehlt es an Konflikten. In einer Fantasywelt müssen diese aber nicht eins zu eins die reale Situation heute oder in der Vergangenheit abbilden, sondern können sich anders äußern, dies erfordert dann aber ein gewisses Maß an Reflexion zu diesen Problematiken.
Ich glaube auch nicht, dass es wirklich nötig ist, als Autor ein Neonschild "das ist böse" dazuzuschreiben, solche Darstellungen, wo der Antagnoist ein homophober, rassistischer Sexist ist, gehen mir eher auf die Nerven. Wenn die Auswirkunen dieser Denkweisen realistisch beschrieben werden, traue ich den meisten Lesern durchaus zu, beurteilen zu können, dass dies nicht die Vorstellung des Autors vom moralisch Richtigen widergibt.
Ehrlich gesagt sehe ich da eine Normalisierung eher beim Rassismus als beim Sexismus, denn letzterer kommt deutlich öfter als normale und natürlich Weltordnung rüber, wo es vielleicht die eine Heldin gibt, die anders ist als die anderen Frauen, aber kein grundsätzliches Hinterfragen. Da würde ich mir gelegentlich andere Herangehensweisen wünschen.

Der zweite Inhalt des Diskussion ist aber ein anderer. Ist es heute noch legitim, rassistische Stereotype zu verwenden, um antagonistische Nebenfiguren schnell zu charakterisieren? Diese Frage würde ich klar mit "nein" beantworten und ich kann mir aktuell auch keine Geschichte vorstellen, wo ich unbedingt eine Nebenfigur bräuchte, die an einen "geizigen Juden" erinnert. Selbst wenn man eine negative Schnellcharakterisieriung möchte, geht dies ja auch problemlos ohne irgendwelche schädlichen Klischees gegen reale Menschen zu reproduzieren. Ich persönlich ziehe aber sowieso Geschichten vor, die implizieren, dass jeder seine eigene Geschichte hat, auch wenn die bei den Nebenfiguren natürlich nicht ausgearbeitet sein kann.
Eine zweite Frage in diesem Themenkomplex ist folgende: Ist es legitim, eine reale Gruppe, die als feindlich empfunden wird, als Inspiration für Antagonisten zu nutzen? Die Antwort hierauf ist deutlich schwieriger, meine sind teilweise schon in gewisser Weise von IS und Co inspiriert, aber ich achte darauf, dass es auch ausreichend große Unterschiede gibt und am Ende ähneln sich die Verhaltensweisen von skrupellosen Kriegsparteien immer wieder.

FeeamPC

Sie müssen sich zwangsläufig ähneln, weil das sozusagen die Programmierung der Species Mensch ist. Eine Programmierung, die wir anscheinend nur zum Teil und nur zeitlich begrenzt durchbrechen können und die immer wieder aufflackert.

AlpakaAlex

Zitat von: Amanita am 17. September 2019, 06:32:08
Soll eine Geschichte heutzutage eine utopische Menschheit darstellen, der Sexismus, Rassismus, Mobbing etc. pp. völlig fremd sind, weil sonst irgendjemand verletzt bzw. negativ beeinflusst werden könnte?
Das hat doch niemand verlangt. Man kann *istische Charaktere schreiben, sogar als Helden, solange man in der Geschichte darüber reflektiert und es klar ist, dass dies nicht gutes Verhalten ist.  Ich hatte darüber vor zwei Wochen auch gebloggt, da ich genau das immer wieder verteidigt sehe. Denn ich kenne leider zu viele Geschichten, in denen Leser argumentieren, dass der *ismus eine Charakterschwäche sei - weil sie als Leser es halt sehen und nicht geil finden, die Geschichte aber per se mögen wollen - in denen die Geschichte es aber eben nicht so behandelt, weil sie unreflektiert ist.

Natürlich sind Charaktere *istisch, weil sie in einer *istischen Gesellschaft aufwachsen. Aber das ist ja eben die Sache. Es ist ein Unterschied ob man unreflektiert oder reflektiert dabei ist, diese Dinge darzustellen. Es kann sogar sehr interessant sein, diese Dinge in den eigenen Charakteren darzustellen, wenn es doch Sinn macht im Kontext der Geschichte. Meine Prota ist in den 80er Jahren in einer konservativen amerikanischen Familie aufgewachsen. Natürlich hat sie internalisierten Rassismus. Aber da die Geschichte in Südafrika spielt, ist die Mehrheit der Figuren auch BPoC und kann sich daran entsprechend stören. (Speziell ein Charakter fährt darüber mehrfach richtig hoch.) Meine Werwolfsgesellschaft derweil ist voller Sexismus. Aber genau das ist auch Absicht, um die Charaktere darüber reflektieren zu lassen.

Und das ist eben das wichtige. Dass reflektiert wird. Dafür sind Geschichten auch ein tolles Mittel. Aber es muss sowohl in der Geschichte, als auch durch di*en Autor*in reflektiert werden. Und das heißt eben auch ein wenig tiefer gehend ...

Zitat von: Amanita am 17. September 2019, 06:32:08
Die Antwort hierauf ist deutlich schwieriger, meine sind teilweise schon in gewisser Weise von IS und Co inspiriert, aber ich achte darauf, dass es auch ausreichend große Unterschiede gibt und am Ende ähneln sich die Verhaltensweisen von skrupellosen Kriegsparteien immer wieder.
Das hier wäre übrigens auch ein interessantes Thema zum drüber reflektieren. Ähneln sie einfach nur dem Stereotyp eines islamistischen Gotteskriegers oder ist das Thema einer Gesellschaft, die durch Interventionalismus einer großen Kriegsmacht soweit destabilisiert wurde, dass eine extremistische Gruppe, deren Kernphilosophie es ist, alles aus der Kultur dieser Kriegsmacht abzulehnen und zu verteufeln, mehr zulauf bekommt und so zu einer terroristischen Miliz werden kann, in die Geschichte inkludiert?

Denn kommen wir zu den Orks zurück ist eben das ja ein zentrales Problem. Orks haben selten berechtigte Probleme mit dem Status Quo. Orks sind zurückgebliebene Wilde, die einfach unbegründet böse sind. After Hours (möge die Show in Frieden Ruhen oder so) hatte dazu mal dieses schöne Video gemacht. Ja, das passt nicht zu Tolkiens Mythologie, doch als Gedankenexperiment fand ich es spannend. Es geht eben in dieselbe Richtung, wie mein Problem mit den "bösen Hyänen" in König der Löwen. Denn selbst als Kind und ohne Verständnis für möglicherweise rassistische Implikationen in der Darstellung, saß ich da: "Die armen Hyänen können doch nichts dafür. Wenn eine Gruppe in einem System hungern muss und jemanden kommt und ihnen verspricht das System zu ändern, ist es doch nicht verwunderlich, dass sie dem Folgen. Immerhin ist die Wahl letzten Endes Tod oder Folgen. Natürlich sehen sie Scar als Befreier!" (Ja, mich hat es mit 6 sehr fertig gemacht, dass die Hyänen böse sein sollten.)
 

Yamuri

Ich glaube bei dem Thema ist Alanas Hinweis auf das richtige Zuhören ganz wichtig. Ich denke auch, dass hier eigentlich alle eine ähnliche Meinung haben, aber zeitweise andeinander vorbei geredet wird. Manchmal missversteht man etwas, weil man von einem best. Wort getriggert wurde und dann nicht mehr richtig weiter gelesen hat. Das ist glaub ich das Hauptproblem bei dem Thema.

Denn ich denke wir können uns alle auf den Konsens einigen: dass über schwere Themen geschrieben werden darf, dass auch bösartige Charas vorkommen dürfen, dass diese aus jeder Kultur stammen dürfen, aber dass wir eine differenzierte Darstellung wählen sollten und uns von Verallgemeinerungen jeglicher Art fernhalten.

Ich mochte homogene Darstellungen des Bösen noch nie. Das ist der Grund weshalb meine Antagonisten nie nur böse sind, zumindest hoffe ich, dass sie nicht als rein böse wahrgenommen werden. Und wenn Testleser einen Chara als nur böse wahrnehmen würden, würde ich darüber reflektieren wie ich das ändern kann. Denn ich mag dieses gut - böse Denken nicht. Jeder Mensch hat sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften. Zudem finde ich die Frage spannender: inwieweit der Zweck die Mittel heiligen darf, da das Böse auch aus gut gemeinten Ratschlägen und Zielen entstehen kann.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Trippelschritt

Der Zweck heiligt die Mittel,
aber der Weg adelt das Ziel.

hat einer meiner Chars mal gesagt. Weiß aber nicht mehr welcher. ;)

Trippelschritt

Mondfräulein

Zitat von: NelaNequin am 17. September 2019, 10:32:45
Das hat doch niemand verlangt. Man kann *istische Charaktere schreiben, sogar als Helden, solange man in der Geschichte darüber reflektiert und es klar ist, dass dies nicht gutes Verhalten ist.  Ich hatte darüber vor zwei Wochen auch gebloggt, da ich genau das immer wieder verteidigt sehe. Denn ich kenne leider zu viele Geschichten, in denen Leser argumentieren, dass der *ismus eine Charakterschwäche sei - weil sie als Leser es halt sehen und nicht geil finden, die Geschichte aber per se mögen wollen - in denen die Geschichte es aber eben nicht so behandelt, weil sie unreflektiert ist.

Das is wirklich ein sehr guter Artikel, dem ich nur zustimmen kann. Besonders wichtig finde ich den Punkt, dass es eben keine Schwäche ist, wenn die Figur sie nicht überwinden muss (oder scheitert, weil sie sie nicht überwinden kann) um ihr Ziel zu erreichen. Prinz Zuko (Avatar) ist immer ein gutes Beispiel für eine Figur, die als Antagonist beginnt und auf der guten Seite endet, aber das funktioniert bei ihm nur, weil er all die schädlichen Ideale, die er von seinem Vater übernommen hat, ablegen muss, bevor er sein Ziel erreichen kann. Sie stehen ihm im Weg. Eine sexistische Figur, die nur belächelt wird, wie in deinem Beispiel, ist schlecht umgesetzt. Gut funktionieren könnte aber eine sexistische Figur, die scheitert, weil sie keine Hilfe von Frauen annehmen will und erst zum Ziel kommt, wenn sie ihre sexistischen Ideen überwunden und abgelegt hat.

Es kommt am Ende eben darauf an, wie ich es mache, aber um es richtig zu machen, muss ich mir bewusst sein, welche Klischees in meiner Geschichte gerade vorkommen und welche Folgen sie haben, warum sie schädlich sind. Wichtig ist, welche Botschaft die Geschichte hat, mit welchem Gefühl sie die Leser*innen hinterlässt.

Schneerabe

ZitatWissenschaftlich gesehen (und dafür gibt es tatsächlich Belege, die kann ich morgen irgendwann gerne raussuchen) funktioniert genau das aber nicht. Geschichten ändern nachweislich die Einstellungen der Leser*innen, ein unterschwelliger Bias existiert definitiv (das ist wirklich wahnsinnig gut belegt, ich weiß nicht, wovon du da redest) und Geschichten ändern Einstellungen anders als sachliche Argumente, wodurch Leser*innen die präsentierten Argumente und Einstellungen weniger kritisch hinterfragen. Die Einstellungsänderung geschieht unbewusst, das hat alles nichts damit zu tun, schlau genug zu sein, zu erkennen, was real ist und was nicht. Gerade bei Einstellungen konträr zur eigenen Einstellung kann man Menschen durch Geschichten besser beeinflussen als durch sachliche Argumente. Dazu gibt es zahlreiche Studien.

Das man anders mit Informationen in Geschichten als in Sachtexten umgeht bestreite ich nicht. Aber nur weil wir Game of Thrones gelesen haben, erschießen wir unseren Vater nicht mit einer Armbrust auf der Toilette, das ist alles worauf ich hinaus will und mir ist wissenschaftlich eben auch nichts bekannt, in dem gegenteilige Ergebnisse zu solch drastischen Sachlagen vorgestellt werden. Es mag daran liegen das ich Bias in diesem Zusammenhang sehr viel drastischer als sagen wir "bias leute umzubringen" verstanden habe und da ist die Differenz zwischen Realität und Fiktion für mich einfach zu gewaltig, als dass ich mir vorstellen könnte, dass wir solche fiktiven Verhaltennsweisen in unser tägliches Leben adaptieren können... Und gerade bei Fantasy Geschichten mit eigener Welt sehe ich noch mal eine zusätzliche Hürde darin propagierte Handlungsweisen in die eigene Realität zu übernehmen, denn nur weil jemand im Mittelalter mit einem Mord davonkommt muss ich es ja in meiner heutigen Welt nicht tun - nur weil jemand in einem fiktiven Universum Menschen diskriminieren darf und damit durchkommt, gilt das auch nicht für mich in der Realität. Ich glaube schon dass die Tatsache, dass solche Geschichten in einer anderen Welt spielen, nochmal einen Unterschied bei der Rezeption machen. Wenn du Studien speziell für Fantasy Texte hast würden die mich auf jeden Fall interessieren, ich sehe da aber einfach eine recht große Hürde solche Verhaltensweisen zu übernehmen, wenn sie in einer Welt stattfinden, die sehr verschieden von unserer ist. Aber ich lasse mich auch gern widerlegen wenn es Studien zu Fantasy-Romanen gibt ich bin auch nicht sonderlich beschlagen in Gebiet.
"To hell or to Connacht."

Mondfräulein

Nein, niemand erschießt deshalb jemanden und ich habe auch nicht behauptet, dass die Darstellung von Gewalt dann auch wirklich zu Gewalt führt. Aber die Einstellungen gegenüber Minderheiten in einem Fantasy-Setting, die auf das reale Leben übertragen werden können, werden von den Rezipient*innen übernommen und haben dann zwar andere Folgen als in der Geschichte selbst, aber durchaus immer noch negative Folgen.

Speziell mit Fantasy-Romanen wirst du wahrscheinlich nicht so viel finden, weil die meisten Studien eher mit Kurzgeschichten oder kürzeren Auszügen arbeiten. Mahood und Hanus (2017) haben mit Fallout 3 gearbeitet, ich glaube aber, sie haben nicht explizit Einstellungsänderungen untersucht, wohl aber Transportation und der Zusammenhang zwischen Transportation und Einstellungsänderung ist gut erforscht (die Studie ist trotzdem spannend). Die Ergebnisse, die es zu nicht-Fantasy Medien gibt, müssten aber auch auf Fantasy übertragbar sein, wenn man beachtet, dass nicht alle Einstellungen kompatibel sind. Ich werde wohl nicht die Einstellung übernehmen, dass es gut ist, seinen Vater zu erschießen, aber wenn in einem Fantasy-Roman alle Frauen generell als schwächer als Männer dargestellt werden, dann sehe ich keinen Grund, warum ich nicht in dieser Einstellung genauso geprägt werden sollte wie von einem nicht-Fantasy-Roman. Auf der anderen Seite können Geschichten aber auch nachweislich Vorurteile abbauen und ich sehe keinen Grund, warum eine homosexuelle Figur in einem Fantasy-Roman nicht genauso Vorurteile gegenüber homosexuellen Menschen abbauen könnte wie in einem nicht-Fantasy-Roman.

Trippelschritt

Zitat von: Mondfräulein am 17. September 2019, 12:22:49
Es kommt am Ende eben darauf an, wie ich es mache, aber um es richtig zu machen, muss ich mir bewusst sein, welche Klischees in meiner Geschichte gerade vorkommen und welche Folgen sie haben, warum sie schädlich sind. Wichtig ist, welche Botschaft die Geschichte hat, mit welchem Gefühl sie die Leser*innen hinterlässt.

Wenn ich eines hasse, dann Geschichten mit Botschaft. Glücklicherweise enthalten die meisten Geschichten keine, sodass ich da recht ungefährdet bin.

AlpakaAlex

Zitat von: Trippelschritt am 17. September 2019, 14:52:55
Wenn ich eines hasse, dann Geschichten mit Botschaft. Glücklicherweise enthalten die meisten Geschichten keine, sodass ich da recht ungefährdet bin.
Nenn mir eine Geschichte, ohne eine Botschaft. Mir ist bisher nämlich noch keine begegnet.

Alles in leben hat eine Botschaft. Nicht immer gleich laut. Nicht immer gleich deutlich. Nicht immer gleich beabsichtigt. Doch egal was es ist: Es gibt dahinter eine Botschaft. Auch in der Fiktion.
 

Trippelschritt

Dass ich möglicherweise eine Botschaft in etwas sehe, bedeutet nicht, dass sie auch darin ist. Und selbst wenn sie darin sein sollte, bedeutet das nicht, dass der Autor sie auch hineingetan hat. Und das war es, worauf es Mondfräulein ankam, wenn ich sie recht verstanden habe. Und weil Leser in allen Dingen etwas entdecken können, entziehen sich solche Reaktionen auch den Möglichkeiten des Autors. Es sein denn, er wählt ein Genre, in dem das beabsichtigt ist wie z.B. Horror oder alle möglichen formen der Spannungsliteratur.

Aber vielleicht verstehen wir unterschiedliche Dinge unter dem Begriff Botschaft. Eine Botschaft hat einen Absender und einen Empfänger und wurde mit einer Absicht versandt.
Eine Geschichte kann auch eine Aussage haben, etwas mitteilen, aber das ist keine Botschaft.

Ein Autor kann beispielsweise einfach nur eine Szenerie durch Menschen und Handlungen beschreiben wollen, oder er möchte seinen Lesern einen oder viele Denkanstöße gebe. Beides sind Angebote, keine Botschaften in meinen Augen.

Wenn ein Autor eine Botschaft versenden möchte, dann muss er auf ganz andere Dinge achten, als wenn er lediglich unterhalten möchte.

Liebe Grüße
Trippelschritt