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Hütet euch vor Orks oder war Tolkien ein Rassist?

Begonnen von Maria, 10. September 2019, 13:20:56

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DunkelSylphe

@Puzzle:

Ich habe wie @NelaNequin mich jetzt auch etwas mehr eingelesen zum Thema (danke für die Links!) und bin dabei über diesen sehr interessanten Überblick einer Fanseite gestoßen, was Rassismus-Diskussionen bei Tolkien anbelangt: http://tolkiengateway.net/wiki/Racism_in_Tolkien%27s_Works

Dass die Zwerge mitunter als jüdische Karrikaturen interpretiert werden, war mir bis zu diesem Thread auch nicht bewusst. Tatsächlich kommt das nicht irgendwoher, Tolkien hat selbst in einem seiner Briefe geschrieben, dass die Zwerge an Juden erinnern sollen, und dass er sich bei ihnen um eine "semitische Sprache" bemüht hat.

Briefzitat (der verlinkten Seite entnommen):

ZitatThe dwarves of course are quite obviously - wouldn't you say that in many ways they remind you of the Jews? Their words are Semitic obviously, constructed to be Semitic.
Man braucht die Dunkelheit, um stärker leuchten zu können.

Tintenteufel

#46
Zitat von: Puzzle am 11. September 2019, 14:28:30
Da es allerdings hier auf den vorherigen Seiten mal aufkam: (Zitat geklaut von @Tintenteufel):
ZitatDa gibt es deutlich schlimmere Darstellungen bei Tolkien selbst, der die Zwerge (eindeutig semitisch/jüdisch kodierte Stereotypen) als goldgierige Maden im Fleisch der Welt beschreibt. 
Also dass Zwerge jüdisch kodierte Stereotypen symbolisieren, war mir so wirklich nicht bewusst. Könntest du das etwas näher erläutern? Wenn ich an jüdische Karrikaturen aus dem 2. Weltkrieg denke, dann sind das große, hagere, spindeldürre Gestalten mit Hakennase und Brille, die vor lauter Geldgier gezeichnet sind. Tolkiens Zwerge hatte ich als klein, untersetzt, tendenziell eher wohlgenährt und mit Bart in Erinnerung. Mehr als Gold- / Geldgier teilen sich beide "Varianten" jetzt nicht, aber vermutlich übersehe ich an dieser Stelle schlichtweg etwas oder bin einfach nicht umfassend genug informiert.
Bildet mich bitte  ;D

Das Argument ist bei mir etwas arg verkürzt. Mir geht es dabei hauptsächlich um drei Punkte.
1. Das Volk der Zwerge bei Tolkien ist von der Sprache her, die man bei Tolkien getrost als Eckstein ansehen darf, jüdisch. Bzw. natürlich semitisch. Dazu ein Ausschnitt aus "Jewish Dwarves", der ein paar Interviews mit Tolkien selbst zitiert. Das macht sie nicht zur jüdischen Karikatur und ich sage auch nicht, dass sie eine solche sind.
2. Die innerdiegetische Erklärung zu Zwergen ist: Nicht wie Elben und Menschen von Illuvatar geschaffen, sondern vom Maia Aule, auf sieben Clans und Königreiche verteilt und in die Welt geworfen, als Kinder von Aule sehr geschickt im Schmieden, mit Waffen, Geschmeide usw. Die innerdiegetische Geschichte der Zwerge (mit Smaug und dem Balrog z.B.) macht von der Ausgangssituation als große Schmiede und Bergmänner sind.
3. Das führt zu dem kritisierten Problem, dass da letztlich rassistische Untertöne bei durch kommen, die so womöglich nie angedacht waren, aber eben implizit aus der Situation schreien: Jüdisch konnotierte Nicht-Menschen, die das Gold derart gierig anhäufen, sodass deswegen buchstäblich der Teufel über sie kommt und sie ausrottet.

Das heißt weder, dass Tolkien Antisemit war, noch dass er rassistisch war und das so angedacht hat. Es gibt bei den Zwergen eine Menge positive Eigenschaften, der von mir verlinkte Artikel geht darauf noch näher ein.
Das heißt nicht einmal, dass das auf den Mist von Tolkien gewachsen ist - wie so oft hat Wagner das hundert Jahre vor ihm schon genau so behandelt: Der titelgebende Nibelung des Rings - Alberich - ist eine ziemlich eindeutige antisemitische Karikatur. Und ein Zwerg.
Bei Tolkien finden sich dann wiederum viele Einflüsse gerade aus dem Ring (was nicht mit einem alles beherrschenden Ring, der Leute in den Wahnsinn treibt und so).

Akirai

@DunkelSylphe @Tintenteufel : Danke für eure Antworten, jetzt habe ich wieder etwas gelernt!

Wie es ist, ich habe tatsächlich hier antisemitische Züge bei Tolkiens Gleichsetzung Juden = Zwerge rausgelesen, aber mit der Erklärung und wenn man sich auch den verlinkten Artikel durchliest, scheint ja (bis auf den Goldgier-Stereotyp) das Gegenteil der Fall zu sein.

Maria

Zitat von: Malinche am 11. September 2019, 13:16:02
Das ist doch alles überhaupt nicht der Punkt, und soweit ich hier mitgelesen habe, gibt es in diesem Thread genug Postings, die das erklären und aufdröseln. Es geht nicht darum, wie man eine einzelne Farbe verwendet oder ein einzelnes Fantasy-Volk. Es geht um die komplette Art und Weise, wie Figuren oder Gruppen von Figuren dargestellt werden, um Wortwahl, Assoziationen, um problematische Tropes.

Über das Wort "Trope" stolpere ich.
Ich kenne das nur von dieser Erklärung https://de.wikipedia.org/wiki/Tropus_(Rhetorik)

Kannst du mir das für diesen Zusammenhang aufdröseln, damit ich weiß, um was ich stilistisch einen Bogen machen muss?

Alana

Ein Trope ist ein Muster, das, wenn es zu oft vorkommt, irgendwann zum Klischee wird.

Das kann ein Thema sein, eine Message, eine bestimmte Art von Figur, ein bestimmter Konflikt ...

Eine Erklärung und unendlich viele Beispiele findest du hier: https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/Trope
Alhambrana

Maria

Vielen Dank für die Erklärung bezüglich TV.

Ich bin nur ein bisschen neben der Spur, weil ich dachte, für mich als Schreibende, wäre die literarische Bedeutung die korrekte.

Alana

#51
Diese Erklärung und auch die auf der Seite genannten Tropes lassen sich 1 : 1 auf Unterhaltungsliteratur übertragen. Der Begriff kommt aus dem Englischen.
Alhambrana

Barra

#52
Erst dachte ich: wow ich bin voll am Thema vorbei mit meinem Beitrag vor einigen Tagen. Jetzt denke ich: nee ICH bin am Thema vorbei. Ich komm hier gar nicht mehr mit. Geht es noch um Tolkien? Und um die Frage der Orks?

Versteht mich nicht falsch, ich bin Teilzeit-Ork - was Coppelia zwischendurch noch angedeutet hat, stimmt auffallend: "Schwertfutter", nichts anderes und wenn eine ausgedachte Rasse (mit oder ohne realem Vergleich) in einem ausgedachten Roman mit ausgedachter Handlung so behandelt wird, ist es Rassismus im ausgedachten Buch. Macht das den Autoren zum Rassisten?

Ich sehe ständig den Witz im Netz: "Ich bin Autor, aber wenn das BKA meinen Verlauf sieht, bin ich am A." -
Darf ich also für den ollen Hernn Tolkien dasselbe annehmen? Dass er nur weil er es geschrieben aht und sich überall bedient hat (Gimli, Gandalfr, Ringe, Alben, ...) einfach ein Autor war?

Ohne ihn in Schutz zu nehmen. Oder es mir einfach machen zu wollen. Aber vielleicht sehen wir in unserer heutigen, sensiblen Zeit auch zu viel. Zu seiner Zeit hat er sich sicher nicht gefragt, ob er political correct schreibt. Aber wir können es heuteund sollten das auch.

Guddy

Genau dazu wurde in diesem Thread doch schon was geschrieben. Kann gerade nicht zitieren weil ich am Handy sitze, aber ich bspw hatte auf Seite 1 genau das angesprochen und viele andere hier sagen Ähnliches. Ich glaube auch nicht, dass jemand behauptet hat, dass Tolkien deswegen definitiv ein Rassist gewesen ist.

Es geht einfach darum, rassistische Tropes zu hinterfragen und zu schauen, ob man das in seiner Geschichte nicht unbewusst reproduziert.
Klar, wir sind privilegiert, wir kriegen vieles nicht mit und meinen es oft auch gut. Aber das schützt dich nicht automatisch davor, Fehler zu begehen.

Rassismus ist real. Wir müssen ihn nicht auch noch in der Fiktion reproduzieren.
(Rassismus innerhalb der Welt ist wieder eine andere Geschichte. Um die geht's aber ja nicht.)

Araluen

Ich denke, was Tolkien angeht, ist der Drops gelutscht. Ihm können wir nicht mehr erklären, dass seine Orks rassistisch sind - versteht sich von selbst. Zudem glaube ich, dass Tolkien, auch wenn er ein Kind seiner Zeit war, sehr wohl wusste, was er da tat. Wenn nicht er die Macht der Sprache verstanden hat, wer dann? Aber er beschrieb seine Orks und den Rest von Mittelerde nicht, weil er Rassist war (das wage ich nicht, ihm vorzuwerfen), sondern weil er wusste, welcher Bilder er sich bedienen musste, um eine entsprechende Wirkung bei seinen Lesern hervorzurufen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass die Fantasy zu Tolkiens Zeiten noch in den Kinderschuhen steckte. Bis Tolkien kannte man Elfen, Zwerge und andere Gestalten nur als Teil verstaubter Märchen und Legenden. Nicht umsonst wird neben Sauron das ultimative Übel als eine riesige Spinne dargestellt. Vor Spinnen ekelt/fürchtet sich fast jeder, vor allem wenn sie plötzlich elefantengroß daherkommt. Da ist das Grauen greifbar und man versteht es ohne große Erklärung. In meinen Augen bediente er sich bei Elben, Orks und den anderen Völkern eines ähnlichen Tricks. Er verpackte das, was er ausdrücken wollte, in etwas, was die Leute kannten.
Jede Generation oder vielleicht besser Epoche hat ihr eigenes Feindbild. Dessen hat sich Tolkien bedient und seine lebende Kriegsmaschinerie an das Feindbild seiner Zeit angelehnt. Die Elben hingegen stehen für die Reinheit, Tugend und alles Gute. Zu diesem Thema waren die Helden der nordischen, keltischen und isländischen Sagen hoch im Kurs. Sie verkörperten all das, was Tolkiens Elben darstellen sollten und natürlich waren diese Helden starke Männer und Frauen mit heller Haar und heller Haut, denn so sahen die Leute, welche diese Sagen einst erfunden hatten nun einmal auch aus und idealisierten ihre Helden natürlich. Fehlten nur noch die spitzen Ohren.
Dass die Orks rassistisch sind, will ich dabei gar nicht leugnen. Das ist vermutlich tatsächlich Fakt. Gegen welche Völkergruppe sich dieser Rassismus richtet, kann nur Tolkien korrekt beantworten - und wenn ich das richtig herausgelesen habe, hatte er trotz dunkler Haut der Orks die Chinesen im Visier - alles andere sind Auslegungen von Leuten, die nach ihm kamen.
Das kann man für sich mitnehmen und im Hinterkopf behalten, wenn man selbst ein nichtmenschliches Volk kreiert oder sich direkt der Orks bedient. Was will ich darstellen und welcher Hilfsmittel bediene ich mich dabei? Stelle ich das antagonistische Volk dar, indem ich mich des aktuellen Feindbildes bediene oder finde ich andere Wege, um dem Leser die Bedrohung deutlich zu machen? Das ist die Kunst, der wir uns stellen müssen. Tolkien hatte seine Wahl getroffen und die war zu seiner Zeit legitim, aber aus heutiger Sicht nicht die richtige.

Trippelschritt

Zitat von: Guddy am 13. September 2019, 09:51:52
Rassismus ist real. Wir müssen ihn nicht auch noch in der Fiktion reproduzieren.
(Rassismus innerhalb der Welt ist wieder eine andere Geschichte. Um die geht's aber ja nicht.)

Wirklich nicht?
Wenn es Rassismus zu allen Zeiten gegeben hat, dürfen wir ihn dann aus unseren Geschcihten ausblenden?

Ich stelle diese Frage nicht ohne Grund. Ich arbeite gerade an einem Projekt, in dem der Rassismus eine zentrale Rolle und für viele Dinge entscheidend ist. Fiktion reproduziert Realität und verändert sie.
Meine Position ist, dass wir uns dem Rassismus stellen müssen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Anj

Gezielt das Thema Rassismus zu thematisieren ist aus meiner Sicht auf jeden Fall eine Möglichkeit für Autoren. Definitiv eine, die zur Sensibilisierung beitragen kann.

Unbewusst rassistische Stereotype zu produzieren ist dagegen etwas, das aus unserer heutigen Sicht vermieden werden sollte und für das sensitivity Reading und Diskussionen wie die hier hilfreich sein können. (Wobei meiner Erfahrung nach gilt: Frag 10 Betroffene und du hast mindestens 5 Meinungen, die sich z.T. widersprechen. Dennoch ist es besser als keine Sensitivität)

Bewusst rassistische Stereotype zu nutzen, um eine bestimmte Wirkung beim Leser zu produzieren ist mindestens ein zweifelhaftes, wenn nicht sogar hochgradig verletzendes und gefährliches Stilmittel des Autors. Das kann aus meiner Sicht auf rassistische Motive zurückgehen, Gedankenlosigkeit und fehlende Empathie sein oder die Inkaufnahme andere zu verletzen um Erwartungen zu füllen. Vielleicht auch die Angst vor einem Flopp, wenn Gewohnheiten im Genre verändert werden oder schlicht die Annahme, dass es nur rassistisch sei, wenn es bewusst so gemeint ist und das Gegenüber sich nicht so anstellen solle, es sei schließlich nicht so gemeint.
Welche Motive ein Autor hatte, lässt sich oft nur erraten und ist ja letztlich auch egal. Wichtig ist der eigene Umgang damit.

Zitat
Wirklich nicht?
Wenn es Rassismus zu allen Zeiten gegeben hat, dürfen wir ihn dann aus unseren Geschcihten ausblenden?
Ich denke dass es hier darum ging, dass eben nur das (un)bewusste reproduzieren von Rassismus Thema ist und es nicht wie in deinem Projekt um die gezielte Thematisierung von Rassismus geht.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Trippelschritt

#57
@ Anjana
Mir nicht. Wie Du bin ich der Meinung, dass die bewusste Thematisierung ein Weg ist, einmal über dieses schwierige Thema nachzudenken. Aber daneben gibt es noch viele andere schriftstellerische Möglichkeiten, von denen das Brechen eines Klischees vielleicht die bekannteste sein könnte. Aber mir geht es darum, was und wie immer man sich diesem Thema nähert im Großen wie im Kleinen es zunächst einmal in der Geschichte enthalten sein muss. Und Rassismus ist zumindest verdeckt allgegenwärtig. Ihn immer und überall zu eliminieren, entfernt den Geschcihten einen Teil der Realität.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Mondfräulein

Zitat von: Trippelschritt am 13. September 2019, 13:08:27
Und Rassismus ist zumindest verdeckt allgegenwärtig. Ihn immer und überall zu eliminieren, entfernt den Geschcihten einen Teil der Realität.

Setzt sich denn jede deiner Geschichten ausführlich mit Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Ableismus, Ageism und allen anderen Formen von Diskriminierung auseinander? Nicht jede Geschichte kann alles enthalten. Niemand sagt, dass niemand über Rassismus schreiben soll, aber Geschichten sind immer nur Auszüge eines größeren ganzen und können nicht alles enthalten. Es ist sinnvoller, sich auf etwas zu konzentrieren und das dann gut zu machen und es ist sinnvoller, nicht über Rassismus zu schreiben als schlecht darüber zu schreiben und es womöglich nur schlimmer zu machen.

Zumal Guddy ja auch nicht gesagt hat, wir sollen Rassismus niemals thematisieren:

Zitat von: Guddy am 13. September 2019, 09:51:52
Rassismus ist real. Wir müssen ihn nicht auch noch in der Fiktion reproduzieren.

Reproduzieren meint hier so wie ich es verstanden habe nicht, dass ich mich kritisch und sinnvoll mit dem Thema auseinandersetze und ein Buch schreibe, das eindeutig die Botschaft hat, dass Rassismus schlecht ist und aufzeigt, wie die unterschiedlichen Formen von Rassismus aussehen können. Ich verstehe es eher als das unhinterfragte Wiederholen von rassistischen Stereotypen.

Guddy

Ich hatte doch auch ausdrücklich geschrieben, dass Rassismus innerhalb der Geschichte ein ganz anderes Thema ist.