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Der Charakter des Charakters

Begonnen von Belgerog, 04. März 2019, 15:12:32

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Belgerog

Hallo zusammen,

bei meiner aktuellen Idee möchte ich meinen Protagonisten als jungen, weltfremden Fach"idioten" starten lassen.
Er ist ein Genie in seinem Job und steht kurz davor seinen Meister zu machen.
Er ist durch und durch ein liebervoller NERD mit durchaus seltsamen Hobbies.

Sein Leben ist so speziell, das er nicht einmal bemerkt, dass seine beste Freundin total in ihn verknallt ist. Sie ist halt seine beste Freundin und mehr Interesse zeigt er auch nicht am andere Geschlecht.
Das erstmal im groben zu seiner Einordnung.

Ohne zu sehr ins Detail zu gehen:
Die Geschichte soll dahin führen, dass er durch gewisse Umstände eine Art Besessenheit erlebt. Dadurch erlebt er einen Persönlichkeitswandel der ihn ziemlich zum negativen hin verwandelt. Es ist quasi bei ihm ein innerer Kampf. Altes ICH gegen das neue ICH. Die Zeit wird zeigen welches ICH überlebt oder welches neue ICH daraus entsteht.

Die Frage die ich nun einfach habe ist.. Wie sehr verzeihen die Leser "böse" Taten die er in dieser Zeit begeht.

Als einfaches Beispiel:
Er könnte während dieser Zeit sein ICH als attraktiver Mann erkennen und seinen Charme dazu nutzen um einige Frauen, vielleicht auch ein paar mehr, zu verführen.
Das würde natürlich seine beste Freundin total verletzen.
Oder aber er erkennt ihren Status und nutzt sie nun aus.

Wieweit darf man gehen und was lässt man lieber weg.
Ist da weniger mehr oder darf das extrem auch ausgereizt werden?

Sicherlich kommt es da immer auf den Kontext an.
Letztendlich ist er ja der Protagonist und er soll ja sympatisch bleiben.

Aber wie seht ihr das und wie habt ihr das gehandhabt. Ein paar Meinungen und Beispiele von euch würden mich interessieren.

PinkPuma

Wie viel Leser verzeihen ist natürlich immer sehr individuell, manche verzeihen mehr, manche weniger. Prinzipiell finde ich aber, der Prota "darf" fast alles, insofern es durch die äußeren/inneren Umstände, durch seine Persönlichkeit, durch die Besessenheit, die du thematisieren möchtest, nachvollziehbar ist. Ich möchte als Leser nicht diesen "what-the-fuck-Moment" haben, weil mir die Handlungen überzogen und unverständlich vorkommen. Aber es darf (für mich) ruhig extrem und schockierend sein - eben solange es irgendeine nachvollziehbare "Begründung" für sein Verhalten gibt und solange das Verhalten auf irgendeiner Ebene (wenigstens im Nachhinein) reflektiert wird.

Alana

#2
Es kommt vor allem auch aufs Genre an. Für welche Zielgruppe schreibst du das? Im Liebesroman wirst du da sehr auf Probleme stoßen, aber in anderen Genres kann man sowas durchaus machen.
Alhambrana

Belgerog

#3
Also wenn ich die Vorlagen aus dem Genre Thread nehme wäre das was ich vorhabe unter:

High Fantasy für NA (New Adult) einzuordnen. Ich denke das passt am besten.

So ganz genau kenn ich mich damit noch nicht aus.
Der Prota und die meisten anderen wichtigen Nebencharaktere sind alle im Bereich 25-29 Jahre geplant.
Ich möchte keine typische Coming of Age Story schreiben. Sondern das "Abenteuer" beginnt mit einem fertigen Charakter, der bereits fest im Leben steht.


Turquoise

Eine mögliche Lösung wäre meiner Meinung nach, wenn dein Prota selbst entsetzt von seinem eigenen Verhalten wäre, zumindest zu Beginn. Dass er beispielsweise seine Freundin mit dem verletzt was er tut und es dann selbst realisiert und sich selbst in Frage stellt. Er könnte sich dann hinterfragen, so à la: Was habe ich getan? Soweit ich es verstanden habe vollzieht er diese Veränderung nicht absichtlich/willentlich, richtig? Er könnte dadurch eben mit sich selbst in Konflikt geraten, dass er nicht mehr als Nerd von allen wahrgenommen werden will und ihm durch diese Besessenheit sein Status als "Außenseiter" erst richtig klar wird. Durch seinen Wandel verletzt er natürlich seine Freundin und stößt sie vor den Kopf und folglich würde sich auch ihr Verhalten ihm gegenüber ändern. Er könnte nun diesen Wechsel ihr zuschreiben und ihr erst recht aus dem Weg gehen.

An diesem Punkt hättest du zwei Optionen: Entweder du lässt den Leser auch denken, dass die Verhaltensänderung von ihr ausging, oder du zeigst ihnen deutlich, dass es an ihm liegt. In ersterem Fall würdest du ihm eine Art Motiv für sein Verhalten geben und ihn dem Leser sympathischer machen. Im zweiten Fall zeigst du deutlicher, dass er sich zum schlechteren wandelt, riskierst aber auch, dass er für den Leser deutlich unsympathischer rüberkommt.

Ich hoffe, man versteht meine Vorschläge ungefähr und sie sind nicht zu verwirrend  ;D

Alana

#5
New Adult ist irreführenderweise keine Zielgruppe, sondern ein Romance-Genre, das sich durch extrem intensive Liebesgeschichten auszeichnet. Also wenn du New Adult High Fantasy schreiben würdest, hättest du zum Beispiel eine Geschichte, die sich ganz extrem auf die Love Story einer Magierin und eines Elfenprinzen (Alter der Figuren ca. 19 bis 23) fokussiert und für die die anderen Elemente der Geschichte nur der Rahmen sind.

Wenn du hingegen High Fantasy mit Figuren schreibst, die um die 20 sind, es aber keine wirkliche Love Story gibt, dann ist das eben Fantasy für Erwachsene, aber kein New Adult. In einem High Fantasy Setting, indem die Liebesgeschichte keine große Rolle spielt, kannst du eine Charakterentwicklung wie von dir beschrieben sicherlich gut machen, würde ich denken.
Alhambrana

KaPunkt

Wie viel die Leser einem durchgehen lassen, ist von Leser zu Leser unterschiedlich.
PinPuma hat Recht, wenn sie sagt, dass sehr viel geht, wenn es nachvollziehbar ist. Wenn der Leser versteht, warum da gerade was abgeht.
Ein weiterer Punkt, der nicht vernachlässigt werden sollte ist die Haltung deines Protas sich selbst, der 'Besessenheit' und seinen Taten gegenüber. Wenn er ein schlechtes Gewissen hat, selbst unter seinen Taten leidet, geht ebenfalls eine ganz Menge. Dabei ist es wichtig zu schauen, wann das schlechte Gewissen deutlich wird. Wenn er erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Handlung begreift, was er angerichtet hat, kann es sein, dass der Leser von vorher das Buch gefrustet in die Ecke schmeißen.

Alana hat auch Recht. Es kommt aufs Genre und den Ton der Geschichte an, was geht und was nicht. Wenn di Geschichte ohnehin schon dunkelgrau ist, geht mehr als in Rosa-Bonbon Land. (Dass ist für mich das einzige Problem, dass ich mit Walter Moers Zamonien habe. Da kommen nämlich gern mal in bisher völlig harmlosen Geschichten richtig böse Sachen. Auch in der Brautprinzessin von William Goldmann hat für mich einen reichlich heftigen Bruch drin)

In einem Plot in einer ähnlichen Ausrichtung (Urban Fantasy, Prota Ende zwanzig) hat mir der Beta verboten, den Prota sein Haustier in einem schwarzmagischen Ritual zu opfern. "Kicking the Puppet" war dann doch zu viel.  ;) Dabei ging es genau darum, deutlich zu zeigen, wie sehr zum schlechteren sich Prota gerade verändert, auf dass sie später anständig bereuen kann. Umbringen durfte ich auch keinen (Menno! Nichts darf man hier!) Eine Untergebene mobben war dann aber in Ordnung.  :gähn: Da kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. (Eigenwerbung Overkill: In "Der letzte Winter der ersten Stadt" gibt es einen dreißigjährigen Prota, der fest im Leben steht und einige äußerst grenzwertige Dinge tut. Ein Beta wollte halb durch das Buch den Prota in die Wüste schicken und mit einer Nebenfigur als Helden weitermachen ... Wenn du wissen willst, wie ich an der Stelle das ganze angepasst habe, gerne als pn)

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Belgerog

#7
Ok. Also tituliere ich das ganze als High Fantasy für Erwachsene und lass das New Adult weg^^

Die romantischen Verwicklungen sollen in der Geschichte einfach da sein.  Allerdings spielen diese nur untergeordnet eine Rolle.
Es gibt da zum einen die beste Freundin und den Helden, den Nerd. Auf der Reise lernt er dann eine weitere Frau kennen, merkt aber ebenfalls nicht das diese sich für ihn interessiert.
Ich dachte einfach daran ein wenig die Spannungen zwischen bester Freundin und neuer Frau mit einzubinden ohne all zusehr den Fokus darauf zu legen.
Neben der normalen Geschichte wird die Romanze ein Nebenelement sein, welches zum Schluß aufgelöst wird auf die ein oder andere Weise.

Zwar Romance Elemente.. aber nicht primär.

@KaPunkt
Manno, ich fühle mit dir. Das Puppet muss auch mal über die Klinge springen dürfen. *g

Ich würde mein Setting in der Art Ende 18. Anfang 19. Jahrhundert bei uns ansiedeln. Eine gewisse technische Entwicklung hat stattgefunden und die "Reichen" unterdrücken die Armen um noch reicher zu werden. Es gibt eine deutliche Klassenbildung.
Rosa Bonbon plane ich eigentlich nicht.
Ernst aber nachvollziehbar.

Ich schreib dir per PN nochmal wegen deiner Lösung, das interessiert mich.

Achja... Betas sind Testleser nehm ich an? Wenn das nun eh gerade zur Sprache kommt. Wie macht ihr das? Wenn ihr einen Teil geschrieben habt, dann sucht ihr euch Leute für euer Feedback? Oder schreibt ihr komplett und dann gebt ihr das raus? Wissen die Betas vorher komplett worum es geht ?

Ich frage deshalb, weil ich einige Menschen im Bekanntenkreis habe, die ich später (das dauert sicher noch ne ganze Ecke *gg) gerne als Testleser hätte.
Nur stehe ich vor der Frage, wann ist der beste Zeitpunkt diese einzubinden? Wenn ich zu früh mit der ganzen Geschichte rauskomme und derjenige schon alles weiss und ähnlich einem Expose, komplett informiert ist. Dann fehlen vielleicht AHA Momente.

Ich merk schon.. ich flieg gerade von einem ins andere *gg

KaPunkt

Ausflug Betas

Betas sind Beta-Leser, genau. Testleser. Die gibt es in allen Geschmacksrichtungen. Was du brauchst, musst du für dich persönlich herausfinden.
Ich habe meine Betas gestaffelt. Die Geschichte entwickele ich allein oder in Rücksprache mit ein, zwei engen Freunden. Beta-Paten bekommen regelmäßig Päckchen während ich die erste Version schreibe und geben laufend Rückmeldung und sorgen dafür, dass ich regelmäßig weiterschreibe. Da die das absolut rohe Zeug kriegen, habe ich als Paten gern Leute, die selber schreiben oder meine Geschichten gut genug kennen und zu wissen, was größere Probleme sind und was sowieso noch geschliffen wird. Die mit Paten Anmerkungen überarbeitete Variante bekommen dann nochmal andere Paten. Die kriegen alles auf einmal. Deren Kommentare arbeite ich dann nochmal ein. Dann bin ich durch.
Probier aus, was für dich am besten funktioniert.

Liebe Grüße,
KaPunkt

She is serene
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the warrior
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are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Zauberfrau

Hallo Belgerog,

mir sind beim Lesen dieses Threads spontan zwei Protagonisten eingefallen, die sehr viel Mist bauen, bis sie Reue zeigen.

Zum einen wäre da der allseits beliebte Anakin Skywalker aka Dath Vader. Ein Mann, der sich auf die dunkle Seite der Macht ziehen lässt und durch seinen Sohn wieder auf die gute Seite wechselt. Ich bin kein Star Wars - Fan (werde aber durch meine Söhne konstant damit konfrontiert). Trotzdem habe ich alle Teile gesehen (auch die neuen, in meinen Augen miserablen Teile). Gerade der dritte Teil (also der letzte von dem Prequel) strotzt gerade so von Plotsprüngen, um Anakin dahin zu ziehen, wo George Lukas ihn für "Teil vier" (für mich Teil 1) haben will. Naja, das ist für mein Beispiel nur sekundär. Primär geht es mir darum, dass es viele Darth Vader - Fans gibt. Insofern darf ein Mann sogar seinem eigenen Sohn eine Hand abschlagen und das halbe Universum auf dem Gewissen haben, ohne dass er von den Konsumenten dieses Plots (sei es Film oder Buch) an die Wand gestellt wird. Er macht nur eine Heldentat am Schluss und bereut, während er stirbt. Das reicht, um das Publikum gnädig zu stimmen.

Noch ein schlimmer, wirklich schlimmer Finger wäre da Ebenezer Scrooge von der Weihnachtsgeschichte. Auch diesem Herrn wird gerne verziehen, weil er ja durch die drei Geister dermaßen geläutert wurde, dass aus ihm ein wohltätiger Mensch wird, der nicht mehr "Humbug!" grollt.

Ich finde, auch in meinen beiden Beispielen waren die Figuren besessen. Der eine von der dunklen Macht, der andere von seinem Geiz. Vielleicht kannst du aus den beiden Plots irgendwelche sinnvollen Gegebenheiten für deinen Roman ableiten.

Im übrigen kommt für mich weder Darth Vader noch Ebenezer Scrooge sympathisch rüber. Wer so viel Mist baut und die Wirklichkeit vor lauter Besessenheit nicht sieht, der ist für mich nicht sympathisch. Ich kann ihm am Ende verzeihen und auch mit ihm mitfühlen, mich freuen, dass die Besessenheit überwunden ist. Aber Sympathie kann ich für so jemanden nicht empfinden. Das jedoch ist meine eigene Meinung dazu.
Meine Protagonisten dürfen zwar auch Schwächen haben, aber nicht welche, die sie ins Gegenteil abrutschen lassen. Ich kann Helden entwerfen, für die Wahrheit zwar ein dehnbarer Begriff ist, aber ansonsten haben sie das Herz auf dem rechten Fleck. Im Prinzip stolpern sie im Plot dann über ihre eigenen Füße mit diesen Schwächen. Ich habe auch einen Helden, der manchmal in ungünstigen Momenten einen über den Durst trinkt und sich damit entsprechend in die Sch*** reitet. Ich könnte mit Besessenheit nicht arbeiten. Aber es gibt ja genug Autoren, die es können (siehe oben  ;)).

Liebe Grüße von der
Zauberfrau

Aphelion

#10
Zitat von: Belgerog am 04. März 2019, 15:12:32
Wieweit darf man gehen und was lässt man lieber weg.
Ist da weniger mehr oder darf das extrem auch ausgereizt werden?

Sicherlich kommt es da immer auf den Kontext an.
Letztendlich ist er ja der Protagonist und er soll ja sympatisch bleiben.
Im Grunde genommen gibst du dir die Antwort selbst. :)

Ich habe einige Protas, die mehr als dunkelgrau sind. Du kannst grundsätzlich so weit gehen, wie du willst, aber du musst dir der Konsequenzen bewusst sein, z.B.:

  • Kannst du dich im Zweifelsfall hinter deine Geschichte und der Kritik entgegenstellen? Denn Kritik gibt es immer – frag dich, welche Kritik du (eher) abkannst bzw. was dir mehr weh tut.
  • Je nach Art der phantastischen Besessenheit könnten zu krasse Gräueltaten suggerieren, dass auch jemand im echten Leben ja nichts für seine Handlungen könne weil [hier irgendeine Ausrede einfügen] – du musst dir also die Frage stellen, ob du genau das aussagen willst bzw. wo du die Grenze ziehst. Missverständnisse sind immer möglich, aber die Richtung sollte klar sein. Erfundenes findet nie im Luftleeren raum statt, sondern interagiert immer mit der Realität.
Mir ist es bei zweifelhaften Charakteren wichtig, dass ihre Motivation erkennbar ist (wenn auch nicht zwingend zu Anfang) und dass sie nicht nur Persönlichkeitseigenschaften besitzen, die im Allgemeinen als "schlecht" wahrgenommen werden.

Eine Gefahr, die ich sehe: Der Prota könnte als blöd rüberkommen, wenn er so gar nichts mitbekommt und sich z.B. auch nicht gegen die Besessenheit wehrt. Wenn er das macht: gut! Wenn er sich gegen die Besessenheit wehrt, hast du eine wunderbare Chance, um den Prota von diesem anderen Ich abzugrenzen – d.h. es sollte auch für den Leser kein Problem sein, dieser Unterscheidung zu folgen.

Wobei ich mir die Frage stelle, was am promiskuitiven Verhalten so schlimm sein soll. Ja, der Prota würde damit die Gefühle seiner Freundin verletzen; aber sein Verhalten ist an sich nicht moralisch verwerflich(*), zumal er sich ihrer Gefühle ja nicht bewusst ist und sie sich auch deutlicher ausrücken könnte. So, wie du die Situation schilderst, gäbe es höchstens eine Konkurrenz zwischen zwei Ichs, aber das andere wäre damit nicht automatisch böse. Wenn die Persönlichkeitsänderung negativ sein soll, "muss" er seine Freundin ausnutzen und/oder Schlimmeres tun.

Letztlich ist das natürlich deine Entscheidung, aber meiner Meinung nach legst die Messlatte extrem weit unten an. Das klassische Beispiel schlechthin ist Jekyll/Hyde. Hyde ist gewalttätig und tötet. Ein Vampir von Koontz (?) vergewaltigt seine Freundin nach der Transformation, in Hohlbeins Büchern gibt es diverse Protas, die aus verschiedenen Gründen in einen Blutrausch verfallen und Menschen regelrecht abschlachten. Da geht es um ganz andere Dimensionen als um ein bisschen Eifersucht. :)

Manchmal verzeihen Leser zu viel, weil sie den Prota sympathisch finden und sich deshalb nicht (mehr) vorstellen können, dass er etwas Schlimmes getan hat. Oder sie suchen für ihn nach Entschuldigungen. Dabei stellt sich die Frage, ob genau der Effekt vom Autor beabsichtigt ist oder nicht, aber es kann in jedem Fall vorkommen.




(*) Für Leute mit extrem konservativer Sexualmoral ist es vielleicht schlimmschlimmschlimm, wenn jemand mit mehr als einer Person schläft, aber bei den meisten Lesern wirst du damit kaum ein Schulterzucken provozieren. Dein Prota ist jung und ungebunden, so what? Wir müssen ja nicht alle für die "Bis(s)"-Zielgruppe schreiben. ;)

Belgerog

#11
Promiskuität als solches ist ja nicht "schlecht". Es geht eher um die Wandlung, dass er wissentlich die Gefühle seiner Freundin verletzt. Das was der alte, der zwar naiv, aber immer anständig ist, niemals machen würde.
So als erste Anzeichen dafür, das etwas mit ihm nicht in Ordnung ist.

Das ganze habe ich mir so vorgestellt, das es am Anfang ein schleichender Prozess ist und zum Ende hin ganz deutlich zwei Persönlichkeiten werden, die im inneren einen Konflikt ausfechten.

Die Besessenheit erfährt er und am Anfang sollen sowohl er als auch der Leser nur die "positiven" Aspekte kennenlernen. Er hat mehr Macht und kann dadurch "Gutes" tun. Danach dachte ich daran, den Charakter durch seine Handlungen mehr und mehr Richtung "böse" bzw. moralisch fragwürdig zu bringen, bis ich dann irgendwann aufkläre warum er das macht. Vielleicht wird der ein oder andere darauf kommen das es damit zusammenhängt oder eben nicht. Vielleicht ein AHA Moment. Ab dem Zeitpunkt, an dem es klar ist, dass es ein Nebeneffekt der Besessenheit ist möchte ich den inneren Kampf aufzeigen. Seine alte Persönlichkeit spaltet sich mehr und mehr ab. Dabei soll es zuerst so aussehen, als wenn diese immer weiter unterdrückt wird und das "böse" die Oberhand bekommt.
Den inneren Konflikt will ich durch bildhafte Szenen in einer Art "Traum" oder ähnlichem abbilden.
Es gibt eine ganz klare Abgrenzung. Im Prinzip soll zu dem Zeitpunkt klar sein, dass der Protagonist ebenfalls zu einem Teil "ein" Antagonist ist.
Wenn der Prota den inneren Kampf gewonnen hat geht er als "neuer" Mensch daraus hervor. Er hat einiges wieder gut zu machen und muss sich seinen Taten stellen. Es gilt dann zu  wiedergutzumachen, was er "versaut" hat.

Es interessiert mich was so aus eurer Erfahrung die "Grenzen" sind.
Vielen Dank aber schon mal an alle für eure bisherigen Antworten.
Darth Vader ist auch ein cooles Beispiel. Den hatte ich garnicht auf dem Schirm. Eben weil ich ihn selber nie als "richtig böse" empfunden habe.

Da war schon viel "Futter" für mich dabei.

Halblingschruut

#12
Ich kann dir vielleicht als Anfänger nicht so gute Tipps wie oben geben, aber ich werfe meine Meinung trotzdem Mal in den Raum..

Ich persönlich bin eine Leserin dessen Grenzen nicht so schnell erreicht werden können. Ich finde es sogar spannend, wenn ein Protagonist diese ziemlich ausspannt und fiebere regelrecht mit ob er dass was er getan hat wieder ungeschehen machen kann oder nicht. (Ein Beispiel aus meiner damaligen Lieblingserie, Vampir verliebt sich in menschliche Freundin seines Bruders, verhält sich zum Teil unverzeihlich, tötet/verletzt Menschen die sie liebt etc aber man kann ihm im Nachhinein trotzdem (fast) alles verzeihen, weil man die Beweggründe teils nachvollziehen kann)
Wenn man die Zwiespältigkeit genau mitverfolgen kann (eben die Situation im Traum etc), kann ich mir gut vorstellen, dass die Sympathie auf der einen Seite gut weiterbestehen kann trotz des Einschleichen des Bösen.
Aber er sollte dann wirklich versuchen dagegen anzukämpfen oder einen starken inneren Konflikt mit sich selbst haben, wie Aphelion schon sagte...

Schwierig könnte es werden, wenn dein Protagonist etwas tut, was das Leben bspw seiner besten Freundin grundlegend verändern würde (er bringt jemanden den sie liebt in Gefahr/verletzt ihn..) Ich persönlich würde die Entwicklung interessant finden, kann sie ihm das jemals vergessen oder nur verzeihen aber es wird immer zwischen ihnen stehen?

Du hast geschrieben dass du erst zu einem späteren Teil die Beweggründe offenlegen willst, finde ich prinzipiell eine gute Idee, könnte aber auch die Gefahr beinhalten, dass Leser das Buch schon frühzeitig weglegen.

Halt uns auf jeden Fall auf dem Laufenden, die Idee interessiert mich sehr!! :jau:

Liebe Grüsse, Halblingschruut

EDIT:
Was mir noch eingefallen ist, ihm könnte in der ersten Zeit diese Wandlung ja auch gefallen. Er traut sich mehr, erlebt Erfolge etc, vielleicht wäre er am Anfang wie geblendet von seinem neuen Ich...
Den Tod als Gewissheit,
geringe Aussicht auf Erfolg.
Worauf warten wir noch?
~ Gimli, Glóins Sohn